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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 19.09.2001
Aktenzeichen: 13 U 52/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 741 ff.
Streupflicht von Miterbbauberechtigten

Steht mehreren Anliegern ein gemeinschaftliches Erbbaurecht an einer Privatstraße zu und kommt einer der Miterbbauberechtigten auf der Privatstraße vor dem Grundstück eines anderen Miterbbauberechtigten wegen Verletzung der Räum- und Streupflicht zu Fall und verletzt sich dabei, besteht jedenfalls dann kein Ersatzanspruch, wenn weder eine ausdrückliche noch konkludente Regelung der Räum- und Streupflicht zwischen den Miterbbauberechtigten existiert. Denn mangels entsprechender Regelung war der Verletzte ebenso wie die übrigen Miterbbauberechtigten verpflichtet, den Räum- und Streudienst zu erledigen und aus diesem Grunde dem Schutzzweck der Pflicht entzogen.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 52/01 OLG Hamm

Verkündet am 19. September 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück, den Richter am Oberlandesgericht Zumdick und den Direktor des Amtsgerichts Woyte

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. November 2000 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten der Streithelfer.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin in Höhe von 19.271,41 DM.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten weder Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld noch auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden gemäß §§ 823 Abs. 1, 847, 249 f. BGB.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin auf der M straße unmittelbar vor dem Grundstück des Beklagten zu Fall kam und sich dabei die streitigen Verletzungen zuzog. Denn der Beklagte hat jedenfalls keine Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt.

1.

Allerdings bestand bei entsprechenden Witterungsverhältnissen grundsätzlich die Verpflichtung, auf der M straße zumindest einen begehbaren Weg als Zugang zu den Grundstücken der Anlieger zu räumen und zu streuen. Denn auch als Privatstraße diente sie nicht nur den Anliegern, sondern auch deren Besuchern und Lieferanten zum Zugang der jeweiligen Grundstücke und war insoweit dem öffentlichen Verkehr freigegeben. Innerhalb der zeitlichen Grenzen der Räum- und Streupflicht mußte deshalb ein Gehweg als Zugang zu den einzelnen Grundstücken sichergestellt sein, der nur über die Straße verlaufen konnte, weil ein besonderer Bürgersteig fehlte.

2.

Dem Beklagten ist aber keine Verkehrssicherungspflichtverletzung gegenüber der Klägerin vorzuwerfen, weil diese als Miterbbauberechtigte an der M Straße mangels anderweitiger Vereinbarung selbst räum- und streupflichtig und deshalb dem Schutzzweck der Pflicht entzogen war.

a.

An der M Straße besteht für die Anlieger mit den Hausnummern 16 a, 16 b, 16 c, 18 und 20 ein gemeinschaftliches Miterbbaurecht. Die Klägerin (Nr. 16 c) ist an dieser Rechtsgemeinschaft (§§ 1008, 741 ff. BGB i.V.m. ErbbRVO 11) ebenso beteiligt, wie der Beklagte (Nr. 18). Als Anlieger der Privatstraße haben sie einen Verkehr eröffnet, der sie verpflichtete, die Straße in einem für Benutzer verkehrssicheren Zustand zu halten. Diese Verpflichtung, zu der auch die Winterwartungspflicht gehört, oblag allen Miterbbauberechtigten gemeinsam, solange keine abweichende Regelung getroffen wurde (vgl. BGH NJW 1985, 484 und OLG Hamm JMBI NW 1982, 245 jeweils für den vergleichbaren Fall von Wohnungseigentümern). Das ergibt sich bereits aus dem Rechtsgedanken des § 744 BGB, wonach die Verwaltung eines gemeinschaftlichen Gegenstandes allen Teilhabern gemeinschaftlich zusteht.

b.

Regelungen, wonach die Winterwartungspflicht anders verteilt sein sollte, sind zwischen den Anliegern weder vereinbart worden noch auf sonstige Weise wirksam geworden.

aa.

Eine ausdrückliche Vereinbarung, wonach jedem Anlieger für einen bestimmten Teil der M straße die Räum- und Streupflicht obliegen sollte, bestand unstreitig nicht.

bb.

Ebensowenig kann von einer konkludenten Regelung ausgegangen werden, die jedem Anlieger die Sicherungspflicht vor seinem Grundstück aufbürdete. Es ist zwar anerkannt, daß eine Verkehrssicherungspflicht auch dadurch begründet werden kann, daß über Jahre hinweg eine entsprechende Übung unter den Sicherungspflichtigen praktiziert und faktisch anerkannt wird (Geigel-Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozeß, 20. Aufl., 14, Rn. 170 für Gemeinden und OLG Düsseldorf, r+s 1990, 199). Allerdings tragen weder die Klägerin noch der Beklagte noch die Streitverkündeten irgendwelche Gesichtspunkte vor, die eine solche konkludente Regelung unter den Anliegern begründen könnten.

cc.

Entgegen der Ansicht der Berufung ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung auch nicht aus der Bestimmung des § 745 Abs. 2 BGB.

Diese Vorschrift gibt zwar jedem Teilhaber der Gemeinschaft einen Anspruch auf Verwaltung und Benutzung nach billigem Ermessen. Es handelt sich aber lediglich um einen einklagbaren Anspruch und nicht um eine Regelung, die die Verwaltung und Benutzung nach billigem Ermessen kraft Gesetzes fingiert.

Der Regelungsinhalt des § 745 Abs. 2 BGB führt auch nicht unter Anwendung der Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dazu, daß jeder Anlieger allein vor seinem Grundstück verkehrssicherungspflichtig wäre. Eine solche Vorgehensweise kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin es in ihrer Eigenschaft als Miterbbauberechtigte selbst in der Hand hatte, eine ausdrückliche Regelung herbeizuführen und es keinesfalls unbillig ist, ihr die Herbeiführung einer solchen Regelung zu überlassen. Desweiteren ist zu berücksichtigen, daß ohne Absprache der Winterwartungspflicht vollkommen unklar bleiben würde, wie eine Regelung nach billigem Ermessen überhaupt aussehen sollte. Soweit die Berufung meint, "billiges Ermessen" bedeute, daß jeder Anlieger vor seinem Grundstück winterwartungspflichtig sei, ist eine solche Auslegung weder zwingend noch abschließend. Denn es ist durchaus denkbar, daß jeder Anlieger einen schmalen Gehweg vor seinem Grundstück räumte und streute, ohne daß eine entsprechende Querverbindung zur gefahrlosen Überquerung der Straße hergestellt wurde. Ein Wechsel der Straßenseite, wie ihn die Klägerin durchgeführt haben will, blieb deshalb im Grunde auch gefährlich, wenn jeder Anlieger vor seinem Grundstück geräumt und gestreut hätte.

Schließlich können die Grundsätze von Treu und Glauben schon deshalb nicht eingreifen, weil sich die Klägerin, die selbst zu keinem Zeitpunkt auf eine Regelung der Winterwartungspflicht hingewirkt hat, dadurch ihrer eigenen Mitwirkungspflicht bei Ausgestaltung und Durchführung der Winterwartungspflicht entziehen würde.

c.

Mangels abweichender Regelung war die Klägerin also neben dem Beklagten und den übrigen Miterbbauberechtigten selbst gehalten für die Sicherung eines verkehrsgerechten Zustandes und somit für die Einhaltung der Räum- und Streupflicht zu sorgen. In den Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten, welche ausschließlich die Gefahrenabwehr gegenüber Dritten betraf, war sie aufgrund ihrer eigenen Sicherungsverpflichtung nicht einbezogen. Selbst wenn die Klägerin demnach auf der M straße gestürzt sein sollte, ist ihre Verletzung insoweit auf die Verletzung einer eigenen Obliegenheit zurückzuführen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, die über die Festsetzung der Beschwer auf § 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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