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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.10.2000
Aktenzeichen: 13 U 72/00
Rechtsgebiete: ZPO, GKG


Vorschriften:

ZPO § 296 Abs. 1
ZPO § 551 Nr. 1
ZPO § 276 Abs. l S. 2
ZPO § 540
GKG § 8
Leitsatz:

Trägt eine Partei verspätet vor und führt dieser Vortrag zu einer Verzögerung des Rechtsstreits, dann darf diese Vorbringen dann nicht gem. § 296 I ZPO zurückgewiesen werden, wenn dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vorbringen eingetreten wäre.

Hier:

Nach Bestreiten durch Beklagte wird umfangreiche Beweisaufnahme mit Sachverständigengutachten erforderlich.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 72/00 OLG Hamm 2 O 537/99 LG Münster

Verkündet am 23. Oktober 2000

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brück und die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Pauge für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufungen der Beklagten wird das am 17. Februar 2000 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Münster mit dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Eine Urteilsgebühr für das Urteil vom 17.02.2000 wird nicht erhoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das Urteil beschwert den Kläger in Höhe von 17.797,98 DM.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am September 1999 in A auf dem Parkplatz der Fa. an der B Straße ereignet haben soll. Der Kläger war Eigentümer eines Pkw BMW 325 td. Der Beklagte zu 2 ist Halter eines Pkw Ford Sierra, der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist.

Der Kläger hat behauptet, die Beklagte zu 1) habe gegen 22:40 Uhr als Fahrerin des Ford Sierra beim Zurücksetzen aus einer Parkbox seinen BMW beschädigt und ihre Schuld gegenüber den hinzugezogenen Polizeibeamten eingeräumt. Er habe den BMW auf dem Parkplatz neben einer Durchfahrtsstraße in einer dazu parallel angeordneten Parkbox abgestellt gehabt und ein Fitneßstudio aufgesucht. Dessen Betreiberin, Frau B sei durch einen lauten Knall auf den Unfall aufmerksam geworden. Der Kläger hat seinen Schaden mit insgesamt 17.807,98 DM beziffert.

Der Vorsitzende der 2. Zivilkammer des Landgerichts hat mit Verfügung vom 27. Oktober 1999 die Zustellung der Klage verfügt, das schriftliche Vorverfahren angeordnet und eine Frist zur Klageerwiderung von drei (weiteren) Wochen bestimmt. Je eine beglaubigte Abschrift der Klage und der Terminsverfügung ist den Beklagten jeweils am 29. Oktober 1999 zugestellt worden. Mit einem bei Gericht am 4. Oktober 1999 eingegangenen Schreiben hat die Beklagte zu 3) im Namen aller Beklagten Verteidigungsabsicht angezeigt. Mit einem am 10. November 1999 eingegangenen Schriftsatz haben sich für die Beklagte zu 3) Prozeßbevollmächtigte gemeldet und einen Antrag auf Klageabweisung angekündigt. Durch Beschluß vom 30. November 1999 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden. Dieser hat am selben Tag Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den 20. Januar 2000.

Im Verhandlungstermin hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten zu 3) eine umfangreiche Klageerwiderung nebst einem Parteigutachten überreicht und erklärt, die Beklagte zu 3) trete dem Rechtsstreit als Streithelferin der Beklagten zu 1) und 2) bei. Nach Stellung der Sachanträge hat das Gericht dem Kläger eine Schriftsatzfrist gewährt, den Kläger und die Beklagte zu 1) persönlich gehört und nach Erörterung der Sach- und Rechtslage Termin zur Verkündung einer Entscheidung anberaumt auf den 17. Februar 2000. Der Kläger hat innerhalb der Schriftsatzfrist zu der Klageerwiderung der Beklagten zu 3) in der Sache Stellung genommen. Mit einem am 28. Januar 2000 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz haben sich für die Beklagten zu 1) und 2) Prozeßbevollmächtigte gemeldet und - nach Akteneinsicht - am 7. Februar 2000 eine Klageerwiderung eingereicht. Darauf hat der Kläger nach Fristablauf, aber noch vor dem Verkündungstermin, mit weiteren Schriftsätzen erwidert.

Die Beklagte zu 3) hat unter Bezugnahme auf das mit der Klageerwiderung überreichtes Sachverständigengutachten vorgetragen, der Unfall könne sich nicht so, wie vom Kläger behauptet, zugetragen haben. Die Beschädigungen an dem Pkw des Klägers seien durch mindestens drei Kollisionen mit unterschiedlichen Winkelstellungen hervorgerufen worden. Es sei zu vermuten, daß die Beklagte zu 1) nach der ersten Kollision in Absprache mit dem Kläger noch zweimal gegen dessen Fährzeug gefahren sei. Nicht auszuschließen sei, daß auch die erste Kollision bereits verabredet gewesen sei. Dafür spreche u.a., daß der Kläger sein beschädigtes Fahrzeug kurz darauf veräußert habe. Die Schadenshöhe werde bestritten.

Die Beklagten zu 1) und 2) haben vorgetragen, es habe nur eine Kollision gegeben. Für die zwei weiteren Kollisionen sei die Beklagte zu 1) nicht verantwortlich.

Mir dem angefochtenen, am 17. Februar 2000 verkündeten Urteil hat das Landgericht der Klage - bis auf 10 DM der Kostenpauschale - stattgegeben und den Beklagtenvortrag gem. § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagten zu 1) und 2) und die Beklagte zu 3), diese zugleich als Streithelferin der Beklagten zu 1) und 2), Berufung eingelegt. Sie rügen verschiedene Verfahrensfehler und wiederholen und vertiefen in der Sache im wesentlichen ihr jeweiliges erstinstanzliches Vorbringen.

Die Beklagten beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und ergänzt seinen bisherigen Vortrag.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht.

I.

Das landgerichtliche Urteil beruht auf einem wesentlichen Mangel des Verfahrens (§ 539 ZPO).

1.

In der Mehrzahl erweisen sich die von den Beklagten erhobenen Verfahrensrügen allerdings als unbegründet.

a)

Ein Fall von § 551 Nr. 1 ZPO ist nicht gegeben. Das erkennende Gericht war vorschriftsmäßig besetzt. Aufgrund der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden der 2. Zivilkammer des Landgerichts Münster steht fest, daß die Richterin K-H nach der Geschäftsverteilung der Kammer für die Entscheidung dieses Rechtsstreits zuständig war.

b)

Das Landgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) nicht verletzt. Ein besonderer Hinweis auf § 296 Abs. 1 ZPO war nicht geboten. Wie die Beklagten selbst vortragen, haben die Prozeßbevollmächtigten die Problematik der Verspätung erkannt und im Termin erörtert. Eines Hinweises darauf, daß die Klage bezüglich der Ummeldekosten von 55 DM unschlüssig sei, bedurfte es nicht, weil das Gericht anderer Rechtsauffassung war und diese Schadensposition für begründet hielt.

c)

Die für die Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 296 Abs. 1 ZPO erforderliche Fristsetzung war wirksam. Der Vorsitzende der Kammer hatte den Beklagten gem. § 276 Abs. l S. 2 ZPO eine Frist zur schriftlichen Klageerwiderung von drei Wochen gesetzt. Die entsprechende Verfügung ist von ihm nicht paraphiert, sondern ordnungsgemäß unterzeichnet worden. Dies hat der Kammervorsitzende in seiner dienstlichen Erklärung bestätigt. Daß es sich dabei um seine Unterschrift handelt, ist dem Senat aus anderen Verfahren bekannt.

2.

Die Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 296 Abs. 1 ZPO verletzt die Beklagten in ihrem in Art. 103 Abs. 1 GG normierten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

a)

Dem Landgericht ist darin zu folgen, daß die Zulassung des (unentschuldigt) erst nach Ablauf der Klageerwiderungsfrist vorgebrachten Bestreitens der Beklagten eine Beweisaufnahme erforderlich gemacht und damit die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Nach dem vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Begriff der absoluten Verzögerung tritt eine Verfahrensverzögerung nämlich bereits dann ein, wenn die Zulassung des nach Fristablauf eingegangenen Vortrags zu irgendeiner zeitlichen Verschiebung des Verfahrensablaufs zwingt (BGHZ 86, 31; 75, 138; 76, 133; 80, 945). Eine hypothetische Berechnung, wie lange das Verfahren bei fristgerechtem Vortrag gedauert hätte, lehnt der Bundesgerichtshof ab.

b)

Grundsätzlich ist die Anwendung dieses absoluten Verzögerungsbegriffs zwar mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör vereinbar. Verspätetes Vorbringen darf jedoch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn offenkundig ist, daß dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre (BVerfG NJW 1987, 2733). Die Präklusion verspäteten Vorbringens darf nicht zu einer ohne weiteres erkennbaren Überbeschleunigung eines ungeachtet dieser Verspätung zeitaufwendigen Verfahrens führen (BVerfG a.a.O., 2735). So liegt der Fall hier. Das Bestreiten der Beklagten macht eine umfangreiche Beweiserhebung über den Hergang des behaupteten Unfalls und seine Schadensfolgen erforderlich. Beide Parteien haben jeweils mehrfachen Zeugenbeweis angetreten. Darüber hinaus ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens unumgänglich. Die durchzuführende Beweisaufnahme führt zwar zu einer Verzögerung der Entscheidung, doch ist offenkundig, daß dieselbe Verzögerung hier auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre. Es war ohne jeden Aufwand erkennbar, daß das erforderliche unfallanalytische Gutachten - insbesondere angesichts der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage und der Ferienzeit zum Jahreswechsel - auch dann nicht mehr rechtzeitig vor dem auf den 20. Januar 2000 anberaumten Verhandlungstermin hätte eingeholt werden können, wenn die Klageerwiderungen innerhalb der am 3. Dezember 1999 endenden Frist eingegangen wären. In einem solchen Fall ist die Präklusion rechtsmißbräuchlich, denn sie dient erkennbar nicht dem mit ihr allein verfolgten Zweck der Abwehr pflichtwidriger Verfahrensverzögerungen. In diesem Rechtsmißbrauch liegt zugleich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfG, a.a.O.).

II.

Von einer Zurückverweisung kann nicht gem. § 540 ZPO abgesehen werden. Da eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich ist, hält der Senat eine eigene Entscheidung nicht für sachdienlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GKG.

Ende der Entscheidung

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