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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.08.2009
Aktenzeichen: 13 U 75/07
Rechtsgebiete: ZPO, SGB X, SGB V, BGB, SGB XI


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 531 Abs. 2 S. 1
ZPO § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
ZPO § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
SGB X § 116
SGB X § 116 Abs. 1
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 13
SGB V § 9 Abs. 1 S. 1
SGB V § 9 Abs. 1 Nr. 4
SGB V § 9 Abs. 2
BGB §§ 249 ff
BGB § 398
BGB § 843
BGB § 1833
BGB § 1901 Abs. 2 S. 1
BGB § 1908 i Abs. 1
SGB XI § 20 Abs. 1 Nr. 12
SGB XI § 43 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. ...

II. Auf die Berufung des Klägers wird das am 21. Februar 2007 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hagen abgeändert.

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 26.824,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2005 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aus übergegangenem Recht alle weiteren Schäden ab dem 1, Mai 2005 zu ersetzen, die aus der unterlassenen Anmeldung des Herrn Q zur gesetzlichen Pflegeversicherung entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I

1.

a)

Wegen des in erster Instanz vorgetragenen Sachverhalts und wegen der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts (Bl. 72 Rückseite bis 73 Rückseite GA); § 540 Abs.1 S.1 Nr.1 ZPO. Ergänzend wird auf die in erster Instanz zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hagen vom 5. Oktober 2005 (Bl. 25 Rückseite GA) Bezug genommen.

Die Klageschrift ist der Beklagten am 9. Juni 2005 zugestellt worden (Bl. 11 GA).

b)

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

Die Voraussetzungen des § 116 Abs.1 SGB X lägen nicht vor. Es fehle an der sachlichen Kongruenz der vom Kläger erbrachten Sozialleistungen mit dem etwa übergeleiteten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte. Sachliche Kongruenz sei nur gegeben, wenn die Sozialleistung der Behebung eines artgleichen Schadens diene. Der Kläger als Träger der Sozialhilfe habe aber seine Leistungen nicht aufgrund der Schädigung durch die Beklagte erbracht, sondern lediglich aufgrund der Behinderung des Betreuten.

Zudem liege auch kein Schaden des Betreuten vor. § 116 Abs.1 SGB X setze in der Regel voraus, dass eine schädigende Handlung Voraussetzung für den Ersatzanspruch ist. Hier habe der Betreute zwei Möglichkeiten gehabt: Er habe sich entweder freiwillig bei der AOK oder über den Sozialhilfeträger versichern können. Da die Beklagte für den Betreuten die Möglichkeit der Versicherung über den Sozialhilfeträger gewählt habe, liege kein Schaden des Betreuten vor. Denn der Sozialhilfeträger übernehme die Heimbetreuung und die dafür erforderlichen Kosten.

2.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiter. Zur Begründung trägt er neben einer pauschalen Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen (Bl. 119, 125 GA) im wesentlichen vor (vgl. i.E. Bl. 117 bis 125 GA):

Es gehöre zu den Pflichten einer Berufsbetreuerin wie der Beklagten, von sich aus für hinreichenden Pflege- und Krankenversicherungsschutz zu sorgen und die diesbezüglichen Aufgaben zu kennen. Sie hätte ab dem 30. Juni 2003 binnen drei Monaten den Betreuten gemäß § 9 Abs.1 Nr.4, Abs.2 SGB V als freiwillig kranken- und pflegeversichert anmelden müssen. Da sie dies unterlassen habe, entgingen dem Betreuten seit Juli 2003 Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung in Höhe von 1.279,- € monatlich. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht innerhalb der gesetzlichen Jahresfrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Zudem habe die AOK die von der jetzigen Betreuerin gestellten Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Mitwirkung der Beklagten abgelehnt, nachdem die Beklagte ohne Angaben von Gründen an einem Besprechungstermin nicht teilgenommen habe. Das habe die Konsequenz, dass der Kläger und damit letztlich die Allgemeinheit rückwirkend ab dem 18. Juli 2003 Sozialhilfe als Hilfe für die Pflege leisten müsse.

Die Klageabweisung durch das landgerichtliche Urteil könne weder in der überraschenden Begründung noch im Ergebnis überzeugen. Die Pflichtverletzung der Beklagten stehe fest. Ebenso stehe fest, dass der Betreute bei einem pflichtgemäßen Verhalten der Beklagten freiwillig kranken- und pflegeversichert gewesen wäre. Stattdessen müsse nun der Kläger als Träger der Sozialhilfe Leistungen erbringen. Das Landgericht habe verkannt, dass der Kläger kein Sozialversicherungs-, sondern ein Sozialhilfeträger sei. Schon wegen der Subsidiarität der Sozialhilfe könnten die Zahlungen nicht zum Wegfall der Ansprüche gegen die Beklagte führen. Es entspreche einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass Leistungen des Sozialhilfeträgers nicht zur Entlastung desjenigen führen könnten, der den Schaden verursacht habe. Die Leistungspflicht des Klägers sei nur durch das in mehrfacher Hinsicht pflichtwidrige Verhalten der Beklagten begründet worden. Es entspreche ständiger Rechtsprechung gemäß dem Grundgedanken des § 843 BGB, dass Leistungen Dritter, insbesondere auch eines Sozialhilfeträgers, nicht zur einer Entlastung des Schädigers führten. Die Konsequenz der Argumentation des Landgerichts sei, dass ein Schädiger nur so lange seine Leistungen verweigern müsse, bis der Sozialhilfeträger aufgrund einer Notlage eintreten müsse. Dass ein Schaden entstanden sei, zeige auch der Vergleich mit einem vermögenden Betreuten (hierzu i.e. Bl. 122 GA).

Die Notlage und damit der Schaden für den Betreuten - keine Leistungen aus der Pflegeversicherung - sei durch das Versäumnis der Beklagten in Form des pflichtwidrigen Unterlassens der rechtzeitigen Antragstellung entstanden.

Der Schadensersatzanspruch sei auch gemäß § 116 SGB X auf den Kläger übergegangen. Nicht die Krankheit des Herrn Q sei die alleinige Ursache für die Leistungspflicht des Klägers, sondern die fehlende Antragstellung. Bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten wäre die Leistungspflicht des Klägers nicht eingetreten. Die Bedürftigkeit des Betreuten sei durch schuldhaftes Verhalten der Beklagten entstanden.

Im übrigen ergebe sich der Anspruchsübergang auf den Kläger aufgrund rechtsgeschäftlicher Abtretungserklärung vom 17./26. April 2007 (diese Bl. 126).

3.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hagen vom 21.02.2007, Az. 2 O 198/05, abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilten, an ihn 26.824,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen; 2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aus übergegangenem Recht alle weiteren Schäden ab dem 1. Mai 2005 zu ersetzen, die aus der unterlassenen Anmeldung des Herrn Q zur gesetzlichen Pflegeversicherung entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

4.

Zur Erwiderung auf die Berufung trägt die Beklagte neben einer pauschalen Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen (Bl. 135 GA) im wesentlichen vor (vgl. i.E. Bl. 94, 130 bis 135 GA):

Dem Urteil des Landgerichts sei zu folgen. Die Beklagte habe als Betreuerin die Möglichkeit wahrgenommen, zwischen zwei rechtlich gleichwertigen Möglichkeiten zur Herbeiführung von Kranken- und Pflegeversicherungsschutz zu wählen. Ein von § 116 SGB X vorausgesetzter Schaden des Betreuten sei mangels Versorgungslücke nicht gegeben. Der Kläger erbringe seine Leistungen aufgrund der bereits vor der Betreuung durch die Beklagte bestehenden Behinderung des Betreuten.

Der Kläger verschweige, dass der Beklagten das Schreiben der Stiftung X vom 28. Mai 2003 (dieses S. 29 des Anlagenkonvoluts zur Klageschrift, gesonderter Hefter im Aktenrücken) erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 9 Abs.1 Nr.4, Abs.2 SGB V zugegangen sei. Der Betreute sei nicht Mitglied der gesetzlichen Pflegeversicherung gemäß SGB XI, so dass ihm seit Juli 2003 auch keine Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung entgingen.

Die Beklagte bestreitet erstmals in der Berufungsbegründung die Höhe des als Leistung der Pflegeversicherung genannten Betrages von 1.279,- € monatlich und trägt weiter vor: Der Betreute habe schon deswegen keinen Schaden, weil er gegen die AOK einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch reklamieren könne, wofür auf den erstinstanzlichen Vortrag verwiesen werde. Die jetzige Betreuerin sei mehrfach auf die Möglichkeit der Geltendmachung dieses Anspruchs verwiesen worden. Die jetzige Betreuerin unterlasse vorsätzlich die Geltendmachung dieses Anspruchs gegenüber der AOK. Wegen dieses Anspruchs sei Herr Q so zu stellen, als sei die Mitteilung der freiwilligen Weiterversicherung fristgerecht erfolgt. Selbst wenn man bei Herrn Q wegen der fehlenden Versicherung einen Schaden bejahen wolle, könne dieser ohne weiteres kompensiert werden.

Der Kläger verschweige, dass die Beklagte durchaus fristgerecht einen Antrag auf Weiterversicherung in der Pflegeversicherung gestellt habe. Die AOK habe den Antrag auf Wiedereinsetzung auch nicht mangels Mitwirkung der Beklagten abgelehnt.

Das Landgericht habe nachvollziehbar begründet, dass Herrn Q kein Schaden entstanden sei. Er erhalte durch die Leistungen des Klägers exakt das, was er bei Bestehen einer gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erhalten würde. Mangels Schadens sei ein Anspruchsübergang auf den Kläger nicht möglich. Die Ausführungen des Klägers zum eingetretenen Schaden seien diffus. Sie setzten sich nicht mit dem vom Landgericht zugrunde gelegten Schadensbegriff auseinander. Der Kläger übersehe, dass er letzten Endes nicht aufgrund des Versäumnisses der Beklagten leisten müsse, sondern wegen der Pflegebedürftigkeit des Herrn Q aufgrund dessen schwerer Erkrankung.

Da die Vorschrift des § 9 Abs.1 S.1 SGB V dem zuvor Pflichtversicherten nur eine Option auf freiwillige Versicherung einräume, nicht aber eine Verpflichtung hierzu, könne die Nichtwahrnehmung der Option keine Pflichtverletzung darstellen.

Abtretbare Ansprüche des Betreuten seien nicht ersichtlich. Mit der Abtretungserklärung wolle der Kläger offensichtlich einen Tatbestand schaffen, welcher nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen sei. Im übrigen sei die Abtretungsvereinbarung mangels inhaltlicher Bestimmtheit ohnehin unwirksam.

5.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die ergänzenden Erklärungen der Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 8. August 2007 gemäß dem Berichterstattervermerk Bezug genommen.

II

Die zulässige Berufung des Klägers hat uneingeschränkt Erfolg und führt zur umfassenden Abänderung des landgerichtlichen Urteils.

Die Klage ist in vollem Umfang begründet.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 26.824,25 € aus §§ 1908 i Abs.1, 1833, 249 ff , 398 BGB nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2005 aus §§ 288, 291 BGB.

a)

Die Beklagte hat durch das Unterlassen einer Anmeldung des Herrn Q (nachfolgend Betreuter genannt) zur freiwilligen Pflegeversicherung ab dem 1. Juli 2003 ihre dem Betreuten gegenüber bestehenden Pflichten als Betreuerin schuldhaft verletzt.

aa)

Gemäß § 1901 Abs.2 S.1 BGB hat ein Betreuer die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Vorliegend war die Beklagte u.a. mit den Aufgabenkreisen der vermögensrechtlichen und versicherungsrechtlichen Angelegenheiten des Betreuten betraut worden (Bestellungsurkunde S. 10 f des Anlagenkonvoluts zur Klageschrift, gesonderter Hefter im Aktenrücken). Dementsprechend hatte sie dafür Sorge zu tragen, dass der Betreute - soweit wie möglich - in angemessenem und erforderlichem Umfang kranken- und pflegeversichert war. Gerade bei einer schwer körperlich und geistig behinderten Person wie dem Betreuten (vgl. hierzu S. 41 bis 44 des Anlagenkonvoluts zur Klageschrift, gesonderter Hefter im Aktenrücken) ist das Bestehen einer Krankenversicherung und einer Pflegeversicherung von besonderer Bedeutung. Denn es steht bei einer gesundheitlich dermaßen schwer beeinträchtigten Person fest, dass medizinische und pflegerische Leistungen ständig in erheblichem Umfang in Anspruch genommen werden müssen. Die Beklagte musste deshalb nach dem Auslaufen des gesetzlichen Versicherungsschutzes für den Betreuten aufgrund der Beendigung der Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt zum 30. Juni 2003 dafür Sorge tragen, dass der Betreute soweit wie möglich weiterhin Versicherungsschutz genoss. Soweit sie sich in der Berufungserwiderung darauf beruft, nach der gesetzlichen Ausgestaltung einer Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung (§§ 9 SGB V, 26 SGB XI) könne das Unterbleiben eines entsprechenden Antrages nicht als Pflichtverletzung bewertet werden, verfängt dies nicht. Das Bestehen von Kranken- und Pflegeversicherungsschutz ist in einer modernen Gesellschaft grundsätzlich ein notwendiger, geradezu unabdingbarerer Bestandteil einer verantwortungsbewussten Lebensgestaltung jedes einzelnen, erst recht dann, wenn der Betroffene - wie hier der Betreute - ohnehin in erheblichem Umfang mit Sicherheit fortlaufend medizinische und pflegerische Betreuung und damit auf jeden Fall die entsprechende Absicherung durch Bestehen einer Kranken- und Pflegeversicherung benötigt. Die Beklagte wollte auch an sich die Weiterversicherung des Betreuten erreichen, wie sich aus ihrem Schreiben vom 1. Juli 2003 an den jetzigen Kläger ergibt, mit dem sie beantragt hatte, dass dieser die Beiträge für eine freiwillige Folgeversicherung ab Juli 2003 im Wege der Sozialhilfe übernimmt (vgl. S.2 des Anlagenkonvoluts zur Klageschrift, gesonderter Hefter im Aktenrücken). Warum die Beklagte gleichwohl nicht gleichzeitig oder wenigstens zeitnah den erforderlichen Antrag bei der AOK für den Betreuten gestellt hat, ist aus Sicht des Senats unerklärlich. Spätestens nachdem sie das Schreiben der Stiftung X vom 28. Mai 2003 - nach ihren Angaben im Oktober 2003 (s. Bl. 25 Rückseite GA) - erhalten hatte, hätte sie den entsprechenden Antrag stellen müssen, verbunden mit dem - damals noch erfolgreich möglichen - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das Unterlassen einer Antragstellung bei der AOK auf freiwillige Folgeversicherung, für die der Betreute die Voraussetzungen erfüllte (vgl. Bl. 23 GA), stellt daher eine Pflichtverletzung der Beklagten dar. Diese war auch schuldhaft, zumindest fahrlässig. Die Beklagte kannte die Möglichkeit der freiwilligen Folgeversicherung, wie sich aus ihrem Schreiben an den Kläger vom 1. Juli 2003 ergibt (S. 2 des Anlagenkonvoluts zur Klageschrift, gesonderter Hefter im Aktenrücken), und wollte diese Möglichkeit für den Betreuten wahrnehmen, wie sich aus dem Antrag auf Übernahme der Beiträge im Wege der Sozialhilfe ergibt.

bb)

Soweit die Beklagte auf angebliche Beratungsfehler der AOK verweist, vermag sie dies nicht zu entlasten.

Selbst wenn der AOK ein Fehler vorzuwerfen wäre, weil sie auf die Möglichkeit einer freiwilligen Folgeversicherung hätte hinweisen müssen, ändert dies nichts, weil es die Beklagte im Verhältnis zum Betreuten nicht entlasten kann. Abgesehen davon, dass die Beklagte als Betreuerin mit dem Aufgabenkreis versicherungsrechtliche Angelegenheiten diese Möglichkeit selbst hätte kennen müssen bzw. sie sich wegen des Endes des Arbeitsverhältnisses über Versicherungsmöglichkeiten hätte erkundigen müssen, war ihr diese Möglichkeit ohnehin selbst positiv bekannt, wie sich aus ihrem Schreiben vom 1. Juli an den Kläger ergibt (S. 2 des Anlagenkonvoluts zur Klageschrift, gesonderter Hefter im Aktenrücken). Angesichts des aus diesem Schreiben ersichtlichen Umstandes, dass die Beklagte die freiwillige Weiterversicherung erreichen wollte, wird ihre Pflichtverletzung in Form des Unterlassens der notwendigen Antragstellung besonders deutlich. Da die Beklagte die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung bereits positiv kannte, kann sie sich nicht darauf berufen, die AOK als Versicherungsträger hätte sie bzw. den Betreuten über diese Möglichkeit informieren müssen.

cc)

Entgegen der - jedenfalls in erster Instanz ausdrücklich vorgetragenen - Auffassung der Beklagten kann sie sich auch nicht mit einem Hinweis auf ein etwaiges Versäumnis des Klägers selbst entlasten.

Zum einen durfte der Kläger angesichts des bereits mehrfach erwähnten Schreibens der Beklagten vom 1. Juli 2003 mit dem Antrag auf Übernahme der Beiträge zur Versicherung ohne weiteres davon ausgehen, dass die Beklagte die erforderlichen Anträge gegenüber dem Versicherungsträger schon gestellt hatte bzw. zumindest noch zeitnah stellen würde. Für den Kläger war angesichts dieses Schreibens kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Beklagte Hinweise benötigen könnte oder dass gar der Kläger selbst gegenüber der AOK hätte tätig werden müssen. Angesichts dieses Umstandes bedarf es keiner Entscheidung dazu, ob der Kläger überhaupt befugt gewesen wäre, für den Betreuten gegenüber der AOK tätig zu werden.

b)

Durch diese Pflichtverletzung ist dem Betreuten entgegen der Auffassung der Beklagten und auch des Landgericht auch ein Schaden entstanden.

aa)

Der Betreute ist nicht mehr kranken- und pflegeversichert, obwohl dies angesichts seines Gesundheitszustandes dringend erforderlich gewesen wäre. Ihm entgehen deswegen entsprechende Leistungen der Sozialversicherungsträger, hier speziell aus der Pflegeversicherung. Soweit das Landgericht argumentiert, dem Betreuten sei dennoch kein Schaden entstanden, weil er aufgrund einer Wahl der Beklagten gleichwertig über den Kläger versichert sei, ist das in mehrfacher Hinsicht nicht richtig. Zum einen handelt es sich bei den Leistungen des Klägers nicht um Leistungen aufgrund eines Versicherungsverhältnisses, sondern um den Ausgleich der durch das Fehlen der Leistungen der Pflegeversicherung insoweit bestehenden Bedürftigkeit des selbst nicht leistungsfähigen und vermögenslosen Betreuten. Der Betreute ist nicht - wie es das Landgericht formuliert hat - über den Kläger versichert. Es bestanden zu keinem Zeitpunkt für den Betreuten zwei gleichwertige Möglichkeiten, Versicherungsschutz zu erreichen. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, den erforderlichen Versicherungsschutz des gesundheitlich schwer beeinträchtigten Betreuten zu erreichen, nämlich die Inanspruchnahme der freiwilligen Weiterversicherung. Der Bezug von Sozialhilfe ist keine Versicherung und auch keine gleichwertige Alternative zum Bestehen von Versicherungsschutz. In diesem Zusammenhang betont der Kläger völlig zu Recht die Subsidiarität der Sozialhilfe. Ist eine Person aufgrund einer Pflichtverletzung eines Dritten auf die Leistungen der Sozialhilfe als letzte Auffangstufe des sozialen Netzes angewiesen, ist sie im Sinne des normativen Schadensbegriffes (vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Auflage, vor § 249 Rn. 13) geschädigt. Es handelt sich um den Fall, dass Leistungen Dritter an den Geschädigten den Schädiger nicht entlasten können und auch nicht sollen (vgl. nur Palandt/Heinrichs, a.a.O., Rn. 131 ff, insbesondere Rn. 134). Zum anderen hat die Beklagte auch keine Entscheidung für die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegleistungen getroffen, denn sie wollte - wie sich aus dem schon wiederholt angeführten Schreiben vom 1. Juli 2003 an den jetzigen Kläger ergibt - die freiwillige Weiterversicherung des Betreuten bei der AOK erreichen.

bb)

Der beim Betreuten eingetretene Schaden kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht durch den Hinweis auf die Möglichkeit eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches und das angebliche Unterlassen der Geltendmachung dieses Anspruchs durch die jetzige Betreuerin.

Es bedarf dabei keiner abschließenden Bewertung durch den Senat, ob dem Betreuten ein solcher Wiederherstellungsanspruch gegen die AOK zustand bzw. zusteht. Grundsätzlich kann das Bestehen eines Anspruchs des Geschädigten gegen einen Dritten aufgrund der Wertungen des normativen Schadensbegriffs (vgl. oben) nicht zur Verneinung des Schadens führen (vgl. hierzu allgemein nur Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Auflage, vor § 249 Rn. 19). Im übrigen gilt in diesem Zusammenhang folgendes: Zum einen hätte die Beklagte auf der Basis ihrer eigenen Argumentation selbst während ihrer Zeit als Betreuerin - also bis ca. Mitte 2005, vgl. Bl. 34 GA - ggf. diesen Anspruch für den Betreuten gegenüber der AOK geltend machen müssen und hat dies nicht getan. Zum anderen hat die jetzige Betreuerin entgegen dem Verweis der Beklagten auf ein "vorsätzliches Unterlassen" gegenüber der AOK mit Schreiben vom 18. Oktober 2005 einen solchen Anspruch geltend gemacht (vgl. Bl. 35 GA). Der Umstand, dass die AOK bislang über diesen Antrag nicht entschieden hat (vgl. hierzu den Berichterstattervermerk über die mündliche Verhandlung vor dem Senat), ist für die Bejahung eines dem Betreuten entstandenen Schadens unbeachtlich. Der Senat hat als Berufungsgericht nach dem Sach- und Streitstand der (letzten) mündlichen Verhandlung vor ihm zu entscheiden. Demnach hatte der Beklagte seit dem 1. Juli 2003 keinen Kranken- und Pflegeversicherungsschutz und ist deswegen durch den Entgang von Versicherungsleistungen geschädigt. Ob die Beklagte im Falle einer etwa einen Wiederherstellungsanspruch bejahenden zukünftigen Entscheidung der AOK im Wege einer Vollstreckungsgegenklage o.ä. vorgehen könnte, ist unerheblich und führt nicht zur Verneinung eines Schadens nach derzeitigem Stand.

c)

Der Höhe nach beläuft sich der Schaden vorliegend auf die Differenz zwischen der ohnehin bestehenden Bedürftigkeit des Betreuten in Höhe der ansonsten zu leistenden Beiträge zur Pflegeversicherung und der Höhe der Leistungen der Pflegekasse.

Wird der Betreute durch eine unterbliebene Handlung des Betreuers, zu der dieser verpflichtet war (s.o. a), bedürftig bzw. in noch größerem Umfang bedürftig und ist er deswegen - ggf. in weitergehendem Umfang als sonst - auf Sozialhilfe angewiesen, dann ist ihm ein entsprechender Schaden entstanden. Die Höhe ergibt sich für den vorliegenden Fall im einzelnen aus der zutreffenden und in sich stimmigen Berechnung des Klägers auf Seiten 6, 7 der Klageschrift (Bl. 6 f GA), auf die verwiesen wird. Diese Berechnung hat die Beklagte in erster Instanz zu keinem Zeitpunkt bestritten. Das erstmalige Bestreiten der Höhe der hypothetischen Monatsleistung der Pflegeversicherung durch die Beklagte in der Berufungserwiderung ist gemäß § 531 Abs.2 S.1 ZPO unbeachtlich. Im übrigen ist dieses Bestreiten schon deswegen unerheblich, weil dieser Betrag sich bereits aus dem Gesetz ergibt. Gemäß § 43 Abs.2 SGB XI beläuft sich die monatliche Leistung der Pflegeversicherung im Falle der Pflegestufe 2 auf 1.279,- €. Der Betreute ist - unstreitig - in Pflegestufe 2 eingestuft.

d)

Der dem Betreuten demnach zustehende Schadensersatzanspruch ist auf den Kläger übergegangen.

Es bedarf dabei letztlich keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat, ob die Auffassung des Landgerichts zutreffend ist, die gemäß § 116 SGB X für den gesetzlichen Anspruchsübergang erforderliche sachliche Kongruenz (vgl. hierzu allgemein Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 9. Auflage, Rn. 597 ff) liege nicht vor. Während für eine Kongruenz der Umstand sprechen könnte, dass der Betreute gerade aufgrund des Versäumnisses der Beklagten, keinen Antrag auf freiwillige Folgeversicherung zu stellen, in erheblich größerem Umfang bedürftig ist als vorher, könnte gegen eine Kongruenz der Umstand sprechen, dass die grundsätzliche Bedürftigkeit des Betreuten nicht aus dem Pflichtversäumnis der Beklagten folgt, sondern aus seiner schweren körperlichen und geistigen Behinderung, aufgrund derer er sich nicht selbst seinen Lebensunterhalt verdienen kann - und aufgrund derer der Kläger auf jeden Fall die Beiträge zur Versicherung hätte übernehmen müssen.

Diese Frage braucht aber deswegen nicht abschließend entschieden zu werden, weil der Schadensersatzanspruch des Betreuten jedenfalls wirksam durch rechtsgeschäftliche Abtretung gemäß § 398 BGB auf den Kläger übergegangen ist. Aufgrund der rechtsgeschäftlichen Abtretungsvereinbarung vom 17./26. April 2007 (Bl. 126 GA) ist der Kläger Inhaber des Schadensersatzanspruchs geworden. Gegen die Wirksamkeit der Abtretungsvereinbarung bestehen keine Bedenken. Die Parteien des Abtretungsvertrages sind eindeutig, die abgetretene Forderung ist auch ohne weiteres bestimmbar; Bestimmtheit ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Auflage, § 398 Rn. 14). Da der Abtretungsvertrag erst nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils geschlossen worden ist, liegt hinsichtlich des Vortrages der Abtretung auch keine zu Lasten des Klägers vom Senat gemäß § 531 Abs.2 S.1 Nr.3 ZPO zu berücksichtigende Verspätung vor, zumal das Landgericht gemäß § 139 ZPO auf eine vor der Entscheidung nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt vorher thematisierte Problematik eines Fehlens der Kongruenz hätte hinweisen müssen.

2.

Die mit dem Klageantrag zu 2. erhobene Feststellungsklage ist wegen der Entstehung weiterer Schäden über den Monat April 2005 hinaus zulässig und begründet.

Selbst wenn aufgrund der Neufassung der §§ 5 Abs.1 Nr.13 SGB V, 20 Abs.1 Nr.12 SGB XI der Betreute seit dem 1. April 2007 wieder Mitglied der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung werden könnte und damit die Entwicklung des ihm entstandenen Schadens seit dem 31. März 2007 abgeschlossen sein sollte, würde dies nicht zur Unzulässigkeit der Feststellungsklage führen, weil jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen war und weil der Kläger während eines laufenden Verfahrens nicht von der Feststellungs- auf die Leistungsklage umstellen muss (vgl. nur Zöller/Greger, ZPO, 26. Auflage, § 265 Rn. 7c).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 S.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711, 709 ZPO.

Ende der Entscheidung

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