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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.10.2008
Aktenzeichen: 13 W 30/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91 a
ZPO § 92 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen die Kostenentscheidung aus dem Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 09.04.2008 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 3.500,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger war am 16.06.2007 in einen Verkehrsunfall verwickelt, den sein Unfallgegner, dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer die Beklagte ist, allein schuldhaft verursacht hatte. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach für die dem Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen entstandenen Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig.

Nach dem Unfallereignis ließ der Kläger sein beschädigtes Fahrzeug zunächst begutachten und sodann reparieren. Die vom Sachverständigen kalkulierten und vom Kläger für die Instandsetzung des PKW aufgewendeten Reparaturkosten beliefen sich auf 16.384,09 €. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs betrug 13.235,29 €, der Restwert 8.699,- €. Die Beklagte leistete vorprozessual am 16.07.2007 an den Kläger eine Zahlung in Höhe von 4.536,29 € , nachdem sie zuvor bereits einen Teilbetrag von 264,71 € gezahlt hatte. Die Erbringung weiterer Leistungen lehnte die Beklagte in einem Schreiben vom 07.09.2007 mit der Begründung ab, der Kläger könne zunächst lediglich den Wiederbeschaffungs-aufwand ersetzt verlangen. Es bestehe zwar grundsätzlich auch eine Bereitschaft zur Zahlung des rechnerisch korrekt ermittelten Differenzbetrages zwischen dem bereits gezahlten Betrag und den vollen Reparaturkosten. Diese hänge allerdings davon ab, dass das klägerische Integritätsinteresse durch eine Weiternutzung des Fahrzeugs über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten nach Eintritt des Schadensfalls nachgewiesen werde. Da sich der Unfall am 16.06.2007 ereignet habe, sei dies frühestens am 16.12.2007 möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt komme eine Regulierung über den bereits erstatteten Wiederbeschaffungsaufwand nicht in Betracht.

Unter dem 05.11.2007 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 11.847,80 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.08.2007 zu verurteilen; daneben hat er die Freistellung von vorprozessual angefallenen Anwaltsgebühren auf Basis eines Geschäftswertes von bis zu 13.000,- € begehrt. Der Kläger vertritt die Auffassung, sein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten inklusive der Integritätsspitze sei als deliktisch begründete Schadensersatzforderung bereits im Zeitpunkt des Schadenseintritts fällig geworden. Da eine vollständige und fachgerechte Reparatur erfolgt sei, lägen hinreichende Anzeichen für seinen Weiternutzungswillen vor. Bei dieser Sachlage sei es der Beklagten verwehrt, die Erfüllung ihrer Ersatzverpflichtung bis Ablauf eines Zeitraumes von 6 Monaten ab dem Unfallereignis zu verweigern.

Die Beklagte hat sich gegen die Klage unter Bezugnahme auf ihre bereits vorprozessual vertretene Rechtsauffassung mit dem Hinweis verteidigt, die geltendgemachte Klageforderung sei noch nicht fällig; vor Ablauf einer Frist von 6 Monaten ab dem Unfallereignis sei der Kläger auf die Geltendmachung des Wiederbeschaffungsaufwandes beschränkt. Entscheidend sei insoweit, dass nach gefestigter Rechtsprechung zur Wahrung des besonderen Integritätsinteresses außer der Vornahme einer fachgerechten Reparatur auch die anschließende Weiternutzung durch den Geschädigten über einen gewissen Zeitraum hinweg erforderlich sei. Die Anforderungen an die Dauer der Weiterbenutzung sei vom BGH zwischenzeitlich auf mindestens 6 Monate ab dem Unfalltag konkretisiert worden.

Am 24.01.2008 hat die Beklagte an den Kläger auf den geltendgemachten Schadensersatzanspruch einen weiteren Betrag in Höhe von 11.583,09 € gezahlt.

Der Kläger hat daraufhin die Klage in Höhe von 264,71 € zurückgenommen und den Rechtsstreit im Übrigen in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung mit Ausnahme der vom Kläger beanspruchten Zinsen und der geltend gemachten Freistellung hinsichtlich der vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren angeschlossen.

Das Landgericht hat mit dem am 09.04.2008 verkündeten Urteil über die verbliebenen Klageanträge entschieden und die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 91 a, 92 Abs. 2 ZPO insgesamt der Beklagten auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Auferlegung der Kosten auf die Beklagte entspreche billigem Ermessen, da diese ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses in dem Rechtsstreit aller Voraussicht nach unterlegen gewesen wäre. Die Klage auf Ersatz der den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturkosten entsprechend der Rechnung der Fa. M AG sei im Zeitpunkt der entsprechenden Zahlung durch die Beklagte begründet gewesen. Für die Beklagte habe keine Berechtigung bestanden, den vollständigen Ausgleich der Forderung von der Weiternutzung des Fahrzeugs über den Zeitraum von 6 Monaten abhängig zu machen. Der Kläger habe vielmehr nach Durchführung der Reparatur, die den Anforderungen an eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung des Fahrzeuges genügt habe, Anspruch auf volle Erstattung der entstandenen Reparaturkosten gehabt. Schon durch die Beauftragung der ordnungsgemäßen Reparatur, deren Durchführung, der Bezahlung der Reparaturrechnung und durch die sich daran anschließende Weiterbenutzung habe der Kläger sein Integritätsinteresse, auf welches abzustellen sei, hinreichend zum Ausdruck gebracht.

Gegen diese Kostenentscheidung des landgerichtlichen Urteils wendet sich die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie vertritt weiter die Auffassung, die Klage sei bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses unbegründet gewesen, da der Kläger bis zum Ablauf der 6-Monats-Frist sein Integritätsinteresse nicht nachgewiesen habe, so dass die Klage ursprünglich der Abweisung habe unterfallen müssen. Da nach Ablauf der vorgenannten Frist, also zu einem Zeitpunkt, zu dem erstmals hinreichende Beweisanzeichen für die Weiternutzungsabsicht des Klägers vorgelegen hätten, die Restforderung sogleich beglichen worden sei, bleibe insoweit für eine Auferlegung der Kosten des Rechtsstreits auf sie - die Beklagte - kein Raum. Vor diesem Hintergrund komme im Hinblick auf die teilweise Klagerücknahme durch den Kläger die Anwendung des § 92 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht. Die Kosten des Rechtsstreits seien vollumfänglich dem Kläger aufzuerlegen. In der Urteilsbegründung habe das Landgericht im Übrigen zu Unrecht unterstellt, dass die Zahlung der Reparaturkosten durch den Geschädigten erfolgt sei. Hierzu habe der Kläger jedoch erstinstanzlich nichts vorgetragen und entsprechende Feststellungen seien nicht getroffen worden, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt heraus eine Fälligkeit des geltendgemachten Zahlungsanspruchs nicht angenommen werden könne.

Der Kläger tritt der sofortigen Beschwerde der Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde der Beklagten nicht abgeholfen und die Sache durch Beschluss vom 23.06.2008 dem Oberlandesgericht Hamm als dem zuständigen Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig, bleibt in der Sache allerdings ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung, die das Landgericht in seinem Urteil vom 09.04.2008 auf Grundlage der §§ 91 a, 92 Abs. 2 ZPO getroffen hat, ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass hinsichtlich des für erledigt erklärten Teils der Klage die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen der Beklagten aufzuerlegen waren, weil diese den Rechtsstreit insoweit ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses verloren hätte.

Dabei kommt es auf die Frage, ob der Kläger bereits vor Ablauf der 6-Monats-Frist sein Integritätsinteresse durch die Beauftragung und Bezahlung der vollständig und fachgerecht ausgeführten Reparatur belegt hat, nicht an. Der Senat folgt insoweit der Auffassung, dass die vom BGH geforderte Nutzungsdauer von 6 Monaten ab dem Unfallgeschehen lediglich ein Beweisanzeichen für die Weiternutzungsabsicht des Geschädigten ist, nicht aber eine Fälligkeitsvoraussetzung für den klägerischen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten inclusive der Integritätsspitze darstellt.

Eine andere Bewertung ließe sich weder mit den allgemeinen Grundsätzen des Schadensrechts in Übereinstimmung bringen, noch kann sie aus den bereits erstinstanzlich diskutierten Entscheidungen des BGH vom 23.05.2006 und 13.11.2007 hergeleitet werden. Zur Frage der Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs finden sich in den vorgenannten Urteilen keine expliziten Ausführungen. Zu berücksichtigen ist aber, dass nach der Rechtsprechung des BGH im Falle der Weiternutzung eines verunfallten Fahrzeuges der Restwert lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten darstellt, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlagen darf, wenn und solange der Geschädigte ihn nicht realisiert (BGH, Urteil vom 23.05.2005, VI ZR 192/05).

Unter Zugrundelegung dessen ist der klägerische Anspruch auf Ersatz der vollen Reparaturkosten inclusive der Integritätsspitze bereits mit Durchführung und Bezahlung der Reparatur fällig geworden (vgl. LG Kiel, Urteil vom 03.04.2008, 10 S 65/07; LG Bonn, Urteil vom 07.11.2007, 1 O 214/07, Elsner, jurisPR-VerkR1/2007 Anm. 6). Der Kläger war nicht daran gehindert, die Klageforderung bereits vor Ablauf der 6-Monats-Frist gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Es hätte sich für ihn allenfalls die Verpflichtung ergeben können, den über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden Betrag an die Beklagte zurückzuzahlen, wenn er das Fahrzeug letztlich doch weniger als 6 Monate gehalten hätte, weil dann ab dem Zeitpunkt der vorzeitigen Veräußerung sein Integritätsinteresse nicht mehr feststellbar gewesen wäre und deswegen der Restwert des PKW bei der Schadensbilanz doch noch konkret hätte eingestellt werden müssen.

Aus Sicht der Versicherung mag die aus den vorstehenden Erwägungen folgende Notwendigkeit der Überprüfung der Abrechnungsgrundlagen nach Ablauf der 6-Monats-Frist lästig sein; dies ist aber kein Anlass, den Geschädigten, der ein Integritätsinteresse hat, zur Vorfinanzierung der ihm zustehenden vollen Reparaturkosten über einen Zeitraum von mehreren Monaten zu zwingen, obgleich sein diesbezüglicher Schadensersatzanspruch bereits mit Zahlung der Kosten fällig wird.

Dass vorliegend auf Seiten des Klägers von vorneherein ein Integritätsinteresse bestand, steht fest, nachdem dieser sein - repariertes - Fahrzeug über einen Zeitraum von 6 Monaten nach dem Unfallgeschehen hinaus genutzt hat. Dass der Kläger dieses Integritätsinteresse nicht schon bei Klageerhebung ausreichend hat nachweisen können, ist nicht von Belang. Eine zeitweise Beweisnot der klagenden Partei steht der Fälligkeit eines begründeten Anspruchs nämlich nicht entgegen (vgl. OLG Nürnberg DAR 2008, 27 f).

Soweit die Beklagte schließlich mit der Beschwerde rügt, das Landgericht habe seiner Entscheidung zu Unrecht zugrunde gelegt, dass der Kläger die Reparaturrechnung tatsächlich ausgeglichen habe, verhilft dies ihrer Rechtsverteidigung gleichfalls nicht zum Erfolg. Der Einwand, der Kläger habe entsprechendes nicht vorgetragen, geht nämlich fehl. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass der Kläger schon in der Klageschrift ausgeführt hat, die kalkulierten bzw. gezahlten Reparaturkosten hätten sich auf 16.384,09 € belaufen. Da die Beklagte dem erstinstanzlich nicht entgegengetreten ist, durfte das Landgericht den entsprechenden klägerischen Vortrag auch als unstreitig behandeln und zur Grundlage seiner Entscheidung machen.

Nach alledem war der klägerische Anspruch auf Ersatz der vollen Reparaturkosten schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung begründet und fällig.

Da sich hierzu zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses - nämlich der Restzahlung der Beklagten vom 24.01.2008 - auch konkrete Feststellungen treffen ließen, wäre die Beklagte im Falle der streitigen Entscheidung des Rechtsstreits unterlegen. Ihr sind insoweit deshalb zu Recht auf Grundlage des § 91 a ZPO die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden. Für die Beklagte, die die klägerische Forderung nur deswegen nicht sofort beglichen hat, weil der Kläger sein Integritätsinteresse zunächst noch nicht hatte nachweisen können, hat sich durch den Zeitablauf und die damit veränderte Beweislage lediglich das von ihr zu tragende Prozessrisiko verwirklicht. Das vom Gericht im Rahmen des § 91 a ZPO auszuübende billige Ermessen gebietet es bei dieser Sachlage nicht, eine Kostenentscheidung zulasten des Klägers zu treffen.

Da die Zuvielforderung in Höhe von 264,71€, um die der Kläger die Klageforderung durch seine teilweise Klagerücknahme reduziert hat, im Verhältnis zum Gesamtstreitwert verhältnismäßig geringfügig war, bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass das Landgericht auf Grundlage der §§ 91 a, 92 Abs. 2 ZPO der Beklagten mit der angefochtenen Entscheidung die gesamten Prozesskosten auferlegt hat.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 ZPO.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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