Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.05.2008
Aktenzeichen: 15 Sbd 5/08
Rechtsgebiete: FGG, PsychKG, FEVG


Vorschriften:

FGG § 5
FGG § 43 Abs. 1 Halbsatz 2
FGG § 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
FGG § 70 Abs. 5.
FGG § 70 Abs. 5 S. 1
FGG § 70 Abs. 5 S. 2
PsychKG § 14
PsychKG § 14 Abs. 2 S. 3
FEVG § 4 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Vorlage ist unzulässig. Die Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit von Amts wegen lehnt der Senat ab.

Gründe:

Die Vorlage ist bereits deshalb unzulässig, weil eine solche allein durch das Gericht erfolgen kann. Da das Bestimmungsverfahren als solches Teil der Rechtsprechung und nicht der Justizverwaltung ist (vgl. Keidel/Sternal, FG, 15.Aufl., § 5 Rdn.35), meint Gericht in diesem Zusammenhang den zuständigen Richter bzw. Rechtspfleger. Die Vorlage durch den Direktor des Amtsgerichts als Justizverwaltungsbehörde ist daher unzulässig und kann lediglich als Anregung zur Einleitung eines Verfahrens nach § 5 FGG von Amts wegen behandelt werden. Davon abgesehen ist die Vorlage bezogen auf den konkreten Fall auch deshalb unzulässig, weil die Hauptsache ersichtlich erledigt ist (vgl. hierzu Sternal a.a.O.).

Die Einleitung eines Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens von Amts wegen ist vorliegend nicht angezeigt, da der über den konkreten Fall hinausgehende Sachverhalt einer bindenden Entscheidung des Senats nicht zugänglich ist. Grundsätzlich setzt eine Sachentscheidung des Bestimmungsgerichts voraus, dass die Gerichte, deren örtliche Zuständigkeit zweifelhaft ist, mit einer konkreten Angelegenheit bereits befasst sind (Senat Rpfleger 1969, 19; Keidel/Sternal, FG, 15.Aufl., § 5 Rdnr. 20). Beschrieben wird damit allerdings nur die konkrete Erforderlichkeit der Zuständigkeitsbestimmung, um entsprechend der Funktion des Verfahrens nach § 5 FGG den Verfahrensbeteiligten den Weg zu einer Sachentscheidung zu eröffnen. Andererseits geht das Gesetz von einer auf den Einzelfall bezogenen Zuständigkeitsbestimmung aus. Eine quasi gutachterliche Klärung von abstrakten Auslegungsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Instanzgerichten durch ein Obergericht ist dem deutschen Recht weitestgehend fremd. Ohne eine entsprechende gesetzliche Grundlage kommt eine solche schon deshalb nicht in Betracht, weil die Auslegung des Gesetzes auch in Zuständigkeitsfragen zunächst dem erstinstanzlichen Richter in richterlicher Unabhängigkeit obliegt. Da eine Zuständigkeitsbestimmung durch das Obergericht aber nur Sinn macht, wenn man ihr auch Bindungswirkung beimisst, liegt hierin ein Eingriff in diese Entscheidungsbefugnis, die einer entsprechenden rechtlichen Grundlage bedarf.

Der Senat hat in seinem Beschluss vom 9. Mai 2006 -15 Sbd 5/06- (=NJW 2006, 2707) § 5 FGG erweiternd dahingehend ausgelegt, dass eine Zuständigkeitsbestimmung auch möglich ist, wenn ein konkretes Verfahren noch nicht anhängig ist, ein Zuständigkeitsstreit sich jedoch bereits konkret abzeichnet. Maßgebend hierfür war und ist die Überlegung, dass in Fällen der richterlichen Anordnung oder Kontrolle von Freiheitsentziehungsmaßnahmen die Bedeutung des Grundrechtsschutzes ein vorsorgendes Einschreiten des Bestimmungsgerichtes gebietet, wenn

- aus einem bestimmten, zeitlich begrenzten Anlass (in jenem Fall ein Fußball-WM-Spiel in H) mit einer zwar noch unbestimmten, durch den Anlass aber abgrenzbaren Anzahl von Freiheitsentziehungsfällen zu rechnen ist,

- feststeht, dass es infolge unterschiedlicher Auffassungen der in Betracht kommenden Richter zu einem Zuständigkeitsstreit kommen wird, und

- mit einen völligen Ausfall der richterlichen Kontrolle zu rechnen ist, weil infolge der typischerweise kurzen Dauer der Freiheitsentziehung eine Zuständigkeitsbestimmung rein praktisch nicht möglich ist.

Soweit die vorgenannten Kriterien erfüllt sind, ist noch ein über den jeweiligen Anlass herzustellende Einzelfallbezug gegeben, der dem Senat aus den o.g. Gründen für die Bindungswirkung der Zuständigkeitsbestimmung unverzichtbar erscheint. Andererseits erscheint eine derart weite Auslegung unter den genannten Voraussetzungen als erforderlich, um einen effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten und den Zweck des § 5 FGG zu realisieren, eine Sachentscheidung nicht an einem Zuständigkeitsstreit scheitern zu lassen.

Der hier vorliegende Sachverhalt erfüllt die genannten Voraussetzungen nicht. Zunächst geht es vorliegend nicht um einen Zuständigkeitsstreit, der sich anhand eines konkreten Anlasses abzeichnet und durch diesen sachlichen und zeitlich begrenzt wird, sondern um einen abstrakten Auslegungsstreit. Ob dieser sich in einem Einzelfall überhaupt realisiert, ist von Zufälligkeiten abhängig, zumal die ordentlichen Dezernenten des AG Lippstadt die Rechtsauffassung der Richter des AG Soest teilen. Hinzu kommt, dass selbst in den Fällen, in welchen unterschiedliche Auffassungen zum Tragen kommen, eine rechtzeitige Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 14 Abs.2 S.3 PsychKG nur dann praktisch schwierig würde, wenn die sofortige Unterbringung an einem Freitag oder Samstag erfolgt.

Unbeschadet der Unmöglichkeit eine abstrakte Zuständigkeitsfrage mit Bindungswirkung zu entscheiden weist der Senat auf Folgendes hin:

In der Sache wäre das Amtsgericht Lippstadt als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen gewesen.

Die örtliche Zuständigkeit für eine Maßnahme der öffentlich-rechtlichen Unterbringung gem. § 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 FGG ist in Abs. 5 der Vorschrift geregelt. Nach S. 1 dieser Vorschrift ist dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Unterbringung hervortritt. Gemeint ist damit derjenige Ort, an dem die durch das Verhalten des Betroffenen bedingte Gefahrensituation auftritt, deren Abwendung die beantragte Unterbringungsmaßnahme dient. In ihrer Ursprungsfassung durch das BtG wurde die Vorschrift in S. 2 dadurch ergänzt, dass das nach S. 1 zuständige Gericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben konnte, in dessen der Bezirk der Betroffene untergebracht ist. Dieser zweite Satz der Vorschrift ist durch das 1. BtÄndG mit Wirkung zum 01.01.1999 geändert worden. An die Stelle der Abgabemöglichkeit ist eine ergänzende Zuständigkeitsregelung für den Fall getreten, dass sich der Betroffene bereits in einer Einrichtung zur freiheitsentziehenden Unterbringung befindet. In diesem Fall ist dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk diese Einrichtung liegt. In der Begründung zum Regierungsentwurf des 1. BtÄndG (BT-Drucks. 13/7158 S. 40) wird dazu ausgeführt, in der Praxis seien Zweifel zur Auslegung der bisherigen Vorschrift dahin aufgetreten, ob das Bedürfnis für die Unterbringung nur an dem Ort bestehe, an dem die Gefahrensituation durch das auffällige Verhalten des Betroffenen aufgetreten sei. Bei einem solchen einschränkenden Verständnis der Vorschrift bestehe keine örtliche Zuständigkeit an dem Ort, in dem die Unterbringungseinrichtung liege, so dass notwendige Eilmaßnahmen durch das für die Klinik zuständige Gericht nicht getroffen werden könnten. Hierdurch könnten sich vor allem an Wochenenden und Feiertagen die vorgeschriebenen Anhörungen der Betroffenen und etwa notwendige richterliche Entscheidungen verzögern. Deshalb werde durch die Neufassung die Zuständigkeit für alle Fälle, in denen sich der Betroffene bereits in einer Unterbringungseinrichtung befinde, dem Gericht zugewiesen, in dessen Bezirk sich diese Einrichtung befinde.

Diese Regelung ist insgesamt darauf gerichtet, den Rechtsschutz des Betroffenen im Fall einer richterlichen Eilentscheidung über eine Freiheitsentziehungsmaßnahme zu stärken, die am schnellsten und unter Berücksichtigung der regelmäßig durchzuführenden persönlichen Anhörung des Betroffenen am ehesten sachgerecht an dem Ort zu treffen ist, an dem sich der Betroffene zum Zeitpunkt der gerichtlichen Befassung unter den Bedingungen fortbestehender Freiheitsentziehung aufhält. Die Regelung kann deshalb nur so verstanden werden, dass die so begründete örtliche Zuständigkeit eine ausschließliche ist, die der allgemeinen Regelung in § 70 Abs. 5 S. 1 FGG vorgeht und deshalb die bisherige Abgabemöglichkeit hat überflüssig werden lassen (Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 70 FGG, Rdnr. 26; Dodegge/Zimmermann, PsychKG NRW, 2. Aufl., A 29; Keidel/Kayser, FG, 15. Aufl., § 70, Rdnr. 26; Jansen/Sonnenfeld, FGG, 3. Aufl., § 70, Rdnr. 53).

Daraus folgt, dass die Regelung der örtlichen Zuständigkeit beweglich ist und maßgebend von den Maßnahmen abhängt, die die zuständige Ordnungsbehörde zur Gefahrenabwehr trifft: Veranlasst sie eine richterliche Entscheidung bereits an dem Ort, an dem der Betroffene auffällig geworden ist, bleibt es bei der Zuständigkeit des Gerichts des örtlichen Unterbringungsbedüfnisses (S. 1). Wird die geschlossene Unterbringung angeordnet und sodann in einer auswärtigen Einrichtung vollzogen, bleibt die örtliche Zuständigkeit des tätig gewordenen Amtsgericht bestehen, ohne dass eine Abgabemöglichkeit besteht (LG Braunschweig Nds.Rpfl. 2001,132; Bassenge/Roth, FGG/RPflG, 11. Aufl., § 70 FGG, Rdnr. 12). Erachtet die Ordnungsbehörde die Gefahrenabwehr als so dringlich, dass sie die sofortige Unterbringung des Betroffenen in einer auswärtigen Einrichtung vornimmt, wird die örtliche Zuständigkeit desjenigen Gerichts begründet, in dessen Bezirk diese Einrichtung liegt (S. 2). Wie der Senat bereits zu der in ihrem Aufbau inhaltgleichen Vorschrift des § 4 Abs. 1 FEVG entschieden hat (a.a.O.), kommt es für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts auf die Rechtmäßigkeit der behördlich veranlassten Maßnahme der vorläufigen Freiheitsentziehung nicht an. Vielmehr soll der Richter des ortsnahen Amtsgerichts möglichst kurzfristig über die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Freiheitsentziehung entscheiden. Die Entscheidung der Ordnungsbehörde, eine sofortige Unterbringung gem. § 14 PsychKG ohne vorherige richterliche Entscheidung vorzunehmen, stellt damit die entscheidende Weiche zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit nach § 70 Abs. 5 S. 2 FGG.

Dieser Konsequenz kann die Behörde nicht ihrerseits entgegenwirken, indem sie im zeitlichen Zusammenhang mit der Sofortunterbringung den Antrag auf richterliche Anordnung der geschlossenen Unterbringung des Betroffenen gleichwohl bei dem Amtsgericht einreicht, in dem die Gefahrensituation hervorgetreten ist. Entsprechend der allgemeinen Vorschrift des § 43 Abs. 1 Halbsatz 2 FGG ist für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit auf die Verhältnisse zu dem Zeitpunkt abzustellen, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird (vgl. Senat a.a.O.). Dies setzt jedoch voraus, dass der Antrag auf eine der geschlossenen Unterbringung vorausgehende richterliche Entscheidung gerichtet ist. Von einer sachlichen Befassung des Gerichts der Gefahrensituation kann indessen nicht die Rede sein, wenn infolge der von der Behörde selbst vorgenommenen Maßnahme dieses Gericht zu einer sofortigen Anhörung des Betroffenen und Entscheidung über die Anordnung einer Unterbringung nicht in der Lage ist, weil sich der Betroffene bereits auf dem Transport in eine auswärtige Unterbringungseinrichtung befindet bzw. die Unterbringung dort bereits vollzogen ist. Eine andere Beurteilung würde darauf hinauslaufen, die Begründung der örtlichen Zuständigkeit unabhängig von der von ihr zur Gefahrenabwehr sachlich getroffenen Maßnahme zur Disposition der Ordnungsbehörde zu stellen und dadurch ein Ergebnis herbeizuführen, das dem dargestellten Zweck der Änderung des § 70 Abs. 5 FGG durch das 1. BtÄndG entgegenläuft.

Ende der Entscheidung

Zurück