Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.06.2003
Aktenzeichen: 15 VA 7/02
Rechtsgebiete: HZÜ, AusfG zum HZÜ


Vorschriften:

HZÜ Art. 10
AusfG zum HZÜ § 6 S. 2
Ein deutscher Gerichtsvollzieher ist nicht verpflichtet, ein Versäumnisurteil eines dänisches Gerichts im Parteibetrieb zuzustellen.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 VA 7/02 OLG Hamm

In dem Verfahren betreffend die Ablehnung eines Zustellungsauftrages durch den Gerichtsvollzieher

hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG,

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 6.Juni 2003 auf den Antrag der Beteiligten zu 1) vom 4.Dezember 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Budde und Tegenthoff

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

Der Geschäftswert wird auf bis zu 600,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) hat gegen eine in Deutschland wohnhafte Schuldnerin ein Versäumnisurteil des Amtsgerichts Thisted/Dänemark erwirkt. Nach ihrem Vorbringen werden derartige Urteile nach dänischem Recht nicht von Amts wegen zugestellt, so dass eine Zustellung im Wege internationaler Rechtshilfe nicht in Betracht komme. Sie hat über ihre deutschen Verfahrensbevollmächtigten bei dem Beteiligten zu 2) die Zustellung des Titels an die Schuldnerin beantragt. Der Beteiligte zu 2) hat dies auf Weisung des Präsidenten des Amtsgerichts Dortmund- durch Schreiben vom 25.11.2002 abgelehnt. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz vom 04.12.2002 - bei Gericht eingegangen am 06.12.2002 - Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen lassen. Mit diesem beantragt sie, den Beteiligten zu 2) zu verpflichten, den Zustellungsauftrag auszuführen. Sie vertritt die Ansicht, dass eine Auslandszustellung im Sinne des Haager Übereinkommens nicht vorliege, da es an einem grenzüberschreitenden Zustellungsvorgang fehle. Das dänische Recht gebe der Beteiligten zu 1) keine Möglichkeit, den Rechtshilfeweg zu beschreiten, so dass die Zustellung nur im Parteibetrieb und damit im Inland durchgeführt werden könne.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Die Monatsfrist des § 26 EGGVG ist gewahrt, da der Bescheid des Beteiligten zu 2) vom 25.11.2002 datiert und der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits am 06.12.2002 eingegangen ist.

Lehnt der Gerichtsvollzieher eine ihm angetragene Zustellung ab, so trifft er als Justizbehörde eine Maßnahme zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts, gegen die der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG statthaft ist. Da die Zustellung nach § 750 ZPO zwar Voraussetzung der Zwangsvollstreckung ist, jedoch noch nicht zum Zwangsvollstreckungsverfahren selbst gehört, ist der speziellere Rechtsbehelf des § 766 ZPO nicht einschlägig. Wird der Gerichtsvollzieher ausserhalb der Zwangsvollstreckung tätig, so handelt er auch als funktionelle Justizbehörde im Sinne des § 23 EGGVG (vgl. OLG Köln OLGR 2000 S.340).

Der Durchführung eines Beschwerdeverfahrens (§ 24 Abs. 2 EGGVG) bedarf es nicht, weil die Ablehnung eines Zustellungsauftrages nicht der Beschwerde oder einem anderen förmlichen Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren unterliegt. Da die Beteiligte zu 1) geltend macht, durch die Verweigerung der Zustellung in ihren Rechten verletzt zu sein, ist der Antrag auch sonst zulässig (§ 24 Abs. 1 EGGVG).

Der Antrag ist jedoch in der Sache nicht begründet, weil die Verweigerung der Zustellung nicht rechtswidrig und die Beteiligte zu 1) dadurch in ihren Rechten nicht verletzt ist (§ 28 Abs. 2 S. 1 EGGVG).

Nach § 154 GVG i.V.m. § 4 Abs. 2 GVO (Bundesfassung) ist der Gerichtsvollzieher verpflichtet, diejenigen Aufträge auszuführen, deren Übernahme ihm durch Gesetz oder Verwaltungsanordnung der obersten Landesjustizbehörde vorgeschrieben ist. Eine solche rechtliche Grundlage für die hier begehrte Zustellungstätigkeit des Gerichtsvollziehers fehlt.

Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) fällt die Zustellung eines dänischen Urteils in der Bundesrepublik Deutschland in den Regelungsbereich des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965 (HZÜ). Das HZÜ ist zwischen dem Königreich Dänemark und der Bundesrepublik Deutschland, die zu den Vertragsstaaten gehören, nach wie vor geltendes Recht, da im Verhältnis zu Dänemark aus den Gründen des 18.Erwägungsgrundes der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29.Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und aussergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen (EG-ZustellungsVO) dieselbe keine Geltung hat.

Nach Artikel 1 HZÜ findet das Übereinkommen u.a. Anwendung, wenn ein gerichtliches Schriftstück in das Ausland zu übermitteln ist. Das Übereinkommen verwendet dabei naturgemäss einen relativen Begriff des Auslands, der sich aus dem Verhältnis des u.a. in Artikel 3 des Übereinkommens verwendeten Begriff des "Ursprungsstaates" und des in Artikel 10 verwendeten Begriff des "Bestimmungsstaates" ergibt. Ursprungsstaat ist derjenige Staat, aus dessen Hoheitsbereich das zuzustellende Schriftstück stammt, Bestimmungsstaat derjenige, auf dessen Hoheitsgebiet die Zustellung erfolgen soll.

Die Auffassung der Beteiligten zu 1), es liege hier das Ersuchen um eine Inlandszustellung vor, weil die Zustellung nicht von einem Gericht oder einer Behörde Dänemarks ausgehe und angesichts der dänischen Gesetzeslage auch nicht ausgehen könne, sondern in der Bundesrepublik Deutschland beantragt worden sei, verkennt den Begriff des Ursprungsstaates und damit auch den der Auslandszustellung. Es kommt für die Anwendbarkeit des HZÜ nicht darauf an, ob das Zustellungsersuchen von staatlichen Stellen ausgeht, sondern darauf, ob das zuzustellende Schriftstück seinen Ursprung in der Gerichtshoheit eines der Vertragsstaaten hat, jedoch in einem anderen Vertragsstaat zugestellt werden soll.

Dieses Verständnis des HZÜ wird durch die Regelungen der Artikel 8 und 10 des HZÜ gestützt. Die in Artikel 8 vorgesehene Zustellung durch eigene diplomatische oder konsularische Vertreter des Ursprungsstaates wie auch die in Artikel 10 lit.c vorgesehene Zustellung im Parteibetrieb unter Inanspruchnahme von Zustellungsbeamten des Bestimmungsstaates setzen gerade kein Ersuchen einer staatlichen Stelle an eine andere voraus. Im Übrigen entspricht dieses Verständnis des HZÜ dem historischen Ansatz des Übereinkommens, der im völkerrechtlichen Ausgleich der Souveränitätsrechte der beteiligten Staaten gesehen wurde (vgl. Artikel 13 HZÜ sowie die Kritik von Heß, Zustellung von Schriftstücken im europäischen Rechtsraum NJW 2001 S.15 (19)). Als sachlicher Grund für die Wahrnehmung der eigenen Hoheitsrechte wurde und wird dabei der Schutz der inländischen Bevölkerung vor einer unkontrollierten Inanspruchnahme durch fremde Gerichtsbarkeit betrachtet (vgl. BVerfG NJW 1995 S.649 (650); Begr. RegE zu § 3 EG-ZustDG BTDrucksache 14/5910 S.7). Ob fremde Hoheitsrechte tangiert sind, beurteilt sich demnach weniger danach, ob ein Zustellungsersuchen von einer ausländischen Behörde ausgeht, sondern im wesentlichen danach, ob das zuzustellende Schriftstück fremder Gerichtshoheit entspringt.

Im Anwendungsbereich des HZÜ ist die hier begehrte Zustellung eines ausländischen Titels durch den Gerichtsvollzieher im Parteibetrieb in Artikel 10 lit.c. zwar vorgesehen, diese Zustellungsmöglichkeit steht jedoch unter einem Widerspruchsvorbehalt zugunsten der einzelnen Vetragsstaaten. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum HZÜ den Zustellungsvarianten des Artikel 10 HZÜ widersprochen (Bekanntmachung des Auswärtigen Amtes vom 21.Juni 1979 (BGBl. II 779f)). Dementsprechend untersagt das Ausführungsgesetz zum HZÜ in § 6 S.2 eine solche Zustellung.

Für die Zustellung eines dänischen Titels neben bzw. sogar entgegen § 6 S.2 des Ausführungsgesetzes zum HZÜ besteht keine (höherrangige oder speziellere) Rechtsgrundlage. Die bilateralen deutsch-dänischen Übereinkommen regeln die hier zu beurteilende Frage nicht. Auch aus dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) lässt sich keine Rechtsgrundlage für eine von § 6 AusfG-HZÜ abweichende Zustellung herleiten. Das EuGVÜ regelt die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke nicht. Artikel IV S.1 des Zusatzprotkoll zum EuGVÜ vom 27.09.1968 verweist vielmehr ausdrücklich auf die bestehenden Übereinkommen. Artikel IV S.2 des Zusatzprotkolls sieht, abgesehen davon, dass Deutschland auch den dort enthaltenen Widerspruchsvorbehalt ausgeübt hat, eine Direktvermittlung der Zustellung nur zwischen staatlichen Stellen vor.

Aus der von der Beteiligten zu 1) herangezogenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (RIW 1995 S.324f) lässt sich für ihr Begehren nichts herleiten. Das OLG Düsseldorf hatte sich in jener Entscheidung nur mit der Frage auseinanderzusetzen, ob in einem Klauselerteilungsverfahren nach Massgabe des EuGVÜ/AVAG der gemäss Artikel 47 Ziffer 1 EuGVÜ erforderliche Nachweis einer Zustellung des Vollstreckungstitels als geführt anzusehen ist, wenn das Prozessrecht des Ursprungsstaates eine förmliche Zustellung nicht vorsieht und der Titel in Deutschland im Parteibetrieb durch den Gerichtsvollzieher zugestellt wird. Dabei hat sich der dortige Senat nach den veröffentlichten Entscheidungsgründen mit der Frage der formellen Rechtsmässigkeit der Zustellung ebensowenig auseinandergesetzt, wie mit der hier zu entscheidenden Frage, ob ein Anspruch auf eine solche Zustellung besteht. Von daher sei nur ergänzend darauf hingewiesen, dass der hiesige 1.Zivilsenat (OLG Hamm RIW 1997 S.421f) in einem vergleichbaren Fall die Zustellung eines niederländischen Titels durch den deutschen Gerichtsvollzieher im Hinblick auf das HZÜ ausdrücklich als fehlerhaft angesehen hat, jedoch von einer Heilung durch die im Rahmen des Klauselerteilungsverfahrens erfolgte Zustellung ausgegangen ist.

Die Beteiligte zu 1) kann sich zur Begründung eines Anspruchs auf Zustellung auch nicht darauf berufen, dass nach dänischem Recht eine Zustellung von Amts wegen nicht erfolgt. Auch wenn man von einem Völker- oder europarechtlichen Postulat einer Pflicht zur Rechts- und Vollstreckungsgewährung ausgeht, ergibt sich hieraus nichts anderes. Ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen kommt die Bundesrepublik Deutschland durch Eröffnung der Möglichkeit einer Regelzustellung nach Massgabe des HZÜ nach. Wenn das dänische Recht diesen Möglichkeiten, die mit Rücksicht auf die Widerspruchsmöglichkeiten des HZÜ völkerrechtlich ausreichend sind, nicht genügend Rechnung trägt, ist dies kein Grund für eine Erweiterung der völkerrechtlichen Verpflichtungen eines anderen Staates.

Auch nach Massgabe des Rechtes der EU ergibt sich hier keine über das HZÜ hinausgehende Verpflichtung des deutschen Staates. Der gegenwärtige Stand der europarechtlichen Pflichten zur Kooperation im Bereich der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke ergibt sich aus der EG-ZustellungsVO. Auch diese eröffnet den Mitgliedsstaaten in Artikel 15 jedoch die Möglichkeit, die an sich vorgesehene direkte Inanspruchnahme ihrer Zustellungsbeamten auszuschliessen. Dies hat die Bundesrepublik Deutschland getan, vgl. § 3 EG-ZustDG. Zwar findet die EG-ZustellungsVO im Verhältnis zu Dänemark keine Anwendung (vgl. oben), die allgemeinen europarechtlichen Pflichten der Mitgliedsstaaten können jedoch auch im Verhältnis zu Dänemark nicht über den Stand des gemeinsamen Rechtssetzungswillens, wie er in der ZustellungsVO Ausdruck gefunden hat, hinausgehen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 30 Abs.3 EGGVG i.V.m. § 30 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück