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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 15 W 139/06
Rechtsgebiete: BVormVG


Vorschriften:

BVormVG § 1 Abs. 1

Entscheidung wurde am 29.01.2007 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Ein erfolgreich absolviertes Studium der Volkswirtschaftslehre mit einem durch Zwischen- und Diplomprüfungen belegten Schwerpunkt im Bereich der Betriebswirtschaftslehre vermittelt besondere für die Führung einer Betreuung u.a. mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge nutzbare Kenntnisse.
Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) hat das Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität C2 mit dem Diplom abgeschlossen. Er war in der Zeit vom 19.5.2005 bis einschließlich zum 23.5.2006 für den Betroffenen zum Berufsbetreuer bestellt. Sein Aufgabenkreis umfasste die Gesundheitsfürsorge, das Aufenthaltsbestimmungsrecht einschließlich einer geschlossenen Unterbringung und unterbringungsähnlicher Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB, die Wohnungsangelegenheiten, die Vermögenssorge einschließlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf Leistungen wie Pflegegeld und sonstigen Ansprüchen und die Behörden- und Postangelegenheiten.

Der Betroffene ist mittellos. In seiner ersten Abrechnung vom 15.7.2005 hat der Beteiligte zu 1) beantragt, eine Vergütung für die Zeit vom 19.5.2005 bis zum 30.6.2005 in Höhe von insgesamt 243,87 € gegen die Staatskasse festzusetzen. Dabei hat er er einen Stundensatz von 31,00 € zugrunde gelegt. Er hat geltend gemacht, das von ihm absolvierte Studium in C2 habe neben den klassischen Fächern der Volkswirtschaftslehre auch die Allgemeine und Besondere Betriebswirtschaftslehre umfasst. Zudem seien Rechtskenntnisse im Privatrecht und im Öffentlichen Recht Gegenstand der Ausbildung und der schriftlichen Zwischenprüfung gewesen.

Der Beteiligte zu 2) hat in seiner Stellungnahme zum Vergütungsantrag die Auffassung vertreten, dass nur ein Stundensatz von 18,00 € gerechtfertigt sei, da das Studium der Volkswirtschaftslehre mit dem Abschluss als Diplom-Volkswirt keine Kenntnisse vermittele, die für die Führung der Betreuung nutzbar seien. Anders als das Studium der Betriebswirtschaftslehre sei dieser Studiengang nicht darauf gerichtet, profunde Rechtskenntnisse in der Praxis anzuwenden oder größere Vermögensmassen oder Unternehmen zu verwalten bzw. zu führen.

Der Rechtspfleger hat durch Beschluss vom 8.11.2005 die Vergütung in der beantragten Höhe festgesetzt. Der Erinnerung des Beteiligten zu 2) vom 17.11.2005 hat der Amtsrichter mit Beschluss vom 10.1.2006 nicht abgeholfen und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die sofortige Beschwerde zugelassen. Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das Landgericht Münster durch Beschluss vom 30.3.2006 zurückgewiesen und die weitere Beschwerde zugelassen. Eine förmliche Zustellung an den Beteiligten zu 2) ist nicht erfolgt. Mit Schreiben vom 13.4.2006 hat dieser sofortige weitere Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist gemäß den §§ 69e, 56g Abs. 5, 27 und 29 Abs. 2 FGG zulässig. Insbesondere hat das Landgericht die sofortige weitere Beschwerde zugelassen.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes, worauf die weitere Beschwerde allein mit Erfolg gestützt werden kann (§§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG). Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Vergütungsbemessung für den Beteiligten zu 1) in der Zeit vom 19.5.2005 bis zum 30.6.2005 anhand eines Stundensatzes von 31,00 € gebilligt hat. Der Beurteilung des Vergütungsanspruches war dabei die bis zum 30.6.2005 geltende Rechtslage zugrunde zu legen.

Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass dem als Berufsbetreuer tätigen Beteiligten zu 1) ein Anspruch auf Vergütung seiner Betreuerleistung nach §§ 1908i, 1836 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB a.F. zusteht und sich dieser Anspruch wegen Mittellosigkeit des Betreuten gegen die Landeskasse richtet (§ 1836a Abs. 1 BGB in der bis zum 30.6.2005 geltenden Fassung). Zu Recht hat das Landgericht auch die Voraussetzungen für eine Vergütungsbemessung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG in der bis zum 30.6.2005 geltenden Fassung bejaht und dem Beteiligten zu 1. den von ihm begehrten Stundensatz von 31,00 € zugebilligt. Es durfte nach dem von ihm festgestellten Tatsachen und deren Wertung davon ausgehen, dass der Beteiligte zu 1. als Diplom-Volkswirt über besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt und diese durch ein Hochschulstudium erworben hat.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BVormVG a. F. ist für jede Stunde der für die Führung der Betreuung aufgewandten und erforderlichen Zeit aus der Staatskasse 18,00 € zu zahlen. Diese Mindestvergütung erhöht sich auf 31,00 €, wenn der Betreuer über besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt, die durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben worden sind (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG a. F.).

Besondere Kenntnisse i. S. von § 1 Abs. 1 S. 2 BVormVG sind Kenntnisse, die - bezogen auf ein bestimmtes Sachgebiet - über ein Grundwissen deutlich hinausgehen (vgl. BayObLGZ 1999, 339 ff. = FamRZ 2000, 844). Für die Führung einer Betreuung nutzbar sind Fachkenntnisse, die ihrer Art nach betreuungsrelevant sind und den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine höhere Leistung zu erbringen (BayObLG a.a.O.). Notwendig ist dabei nicht, dass die vorhandenen Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken. Es reichen auch Kenntnisse zur Bewältigung eines bestimmten Aufgabenkreises aus (vgl. BT-Drucks. 13/7158, S. 14,15). Da es sich bei der Betreuung in ihrem Wesen um eine rechtliche Betreuung handelt (§ 1901 Abs. 1 BGB), kommt rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu. Betreuungsrelevant sind im Allgemeinen ferner Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft (Senat, FGPrax 2003, 126; KG, BtPrax 2002, 167). Es handelt sich dabei um Fachdisziplinen, denen im weitesten Sinne gemeinsam ist, dass sie sich mit den individuellen Lebensbedingungen des Menschen und ihrer Gestaltung befassen, und in denen deshalb für die Ausübung von Betreuungen nutzbringende Kenntnisse vermittelt werden (vgl. LG Hamburg, FamRZ 2000, 1309).

Durch welche Ausbildungsgänge für eine Betreuung nutzbare Fachkenntnisse erworben worden sind, hat der Gesetzgeber offen gelassen. Jedoch ist ein erhöhter Stundensatz nicht bereits deshalb gerechtfertigt, weil die Ausbildung wegen der Komplexität der betreffenden Fachrichtung gleichsam am Rande auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hatte. Erforderlich ist vielmehr, dass die Ausbildung in ihrem Kernbereich auf Vermittlung solcher Fachkenntnisse ausgerichtet war, wie das etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaften, Rechtspflege, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Soziologie und Betriebswirtschaft regelmäßig der Fall ist (Senat, a.a.O.; BayObLG a.a.O.; Thüringer OLG, FGPrax 2000, 110).

Dabei steht der Annahme, dass die Vermittlung betreuungsrelevanten Wissens zum Kernbereich der Ausbildung gehörte, nicht schon entgegen, dass die Ausbildung schwerpunktmäßig eine andere Zielrichtung hatte. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet war, das Niveau des dadurch erworbenen betreuungsrechtlichen Gesamtwissens über ein Grundwissen deutlich hinausging, auch wenn in einzelnen Fächern nur Grundzüge gelehrt wurden, und dieses Wissen selbständiger Teil der Prüfung war (Senat, Beschl. v. 6.2.2003, 15 W 140/02; BayObLG, FamRZ 2001, 187; OLG Köln FamRZ 2000, 1303; OLG Schleswig BtPrax 2000, 172; KG a. a. O.).

Die Feststellung, ob ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG erfüllt, obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter. Dessen Würdigung ist im Verfahren der weiteren Beschwerde nur auf Rechtsfehler zu überprüfen, also insbesondere darauf, ob das Erstbeschwerdegericht von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG), bei der Erörterung des Beweisstoffs alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze oder gegen Verfahrensrecht verstoßen hat (Keidel/Kahl, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 42 m. w. N.).

Fehler der genannten Art lässt die Beschwerdeentscheidung nicht erkennen. Das Landgericht hat die durch das vom Beteiligten zu 1) konkret absolvierte Hochschulstudium der Volkswirtschaftslehre erworbenen Kenntnisse ohne Rechtsfehler als besondere, für die Führung von Betreuungen nutzbare Kenntnisse beurteilt. Der Beteiligte zu 1) hat Übersichten über die von ihm belegten Lehrveranstaltungen, diverse Zwischenprüfungs-Zeugnisse, Übungsscheine sowie das Prüfungszeugnis über seine Diplomprüfung vorgelegt. Gestützt auf diese Unterlagen konnte das Landgericht rechtsfehlerfrei feststellen, dass das vom Beteiligten zu 1. konkret absolvierte Studium betreuungsrelevantes Wissen vermittelt hat. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass der Erwerb sowohl von Kenntnissen im rechtlichen Bereich mit insgesamt vier Vorlesungen im Privatrecht und im Öffentlichen Recht als auch im Bereich der Betriebswirtschaftslehre (Bilanzen, Betriebliches Rechnungswesen, Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung, Finanzierung) Gegenstand des Studiums und der vom Beteiligten zu 1) abgelegten Zwischenprüfungen zum Vordiplom waren. Das Fach "Betriebswirtschaftslehre" war zudem Gegenstand der abschließenden Diplomprüfung. Es gehörte somit offensichtlich zu den vom Beteiligten zu 1) schwerpunktmäßig belegten Fächern.

Die vorliegenden Unterlagen dokumentieren entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) auch, dass das Studium des Beteiligten zu 1) nach seinem konkreten Zuschnitt durchaus einen deutlichen anwendungsorientierten Bezug hatte. Dies belegen letztlich auch die vom Beteiligten zu 1) alsbald nach seinem Studium ausgeübten beruflichen Tätigkeiten in verschiedenen Unternehmen.

Demgegenüber können die von Seiten des Beteiligten zu 2) vorgebrachten theoretischen Erwägungen zur Einordnung der Volkswirtschaftslehre als Sozialwissenschaft keine andere Beurteilung rechtfertigen, zumal Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre beides Teilbereiche der Wirtschaftswissenschaft sind, die zu den Sozialwissenschaften zählt. Zutreffend ist, dass die Betriebswirtschaftslehre eher die wirtschaftliche Seite eines Unternehmens innerhalb einer Volkswirtschaft untersucht, während Gegenstand der Volkswirtschaftslehre eher die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge und Prozesse in einer Gesellschaft sind. Diese abstrakte Abgrenzung der Fachrichtungen kann jedoch für die Frage, ob das vom jeweiligen Berufsbetreuer absolvierte Studium betreuungsrelevantes Wissen vermittelt hat, allenfalls ein erster Anhaltspunkt sein. Bereits der Umstand, dass beide Fachrichtungen Unterdisziplinen der Wirtschaftswissenschaften sind, lässt ein gewisses Spektrum an Überschneidungen naheliegend erscheinen. Für die hier zu treffende Entscheidung ist demgegenüber ausschlaggebend, dass nach der rechtsfehlerfreien tatsächlichen Würdigung des Landgerichts hinreichend belegt ist, dass der konkrete Zuschnitt des Studiums des Beteiligten zu 1) in seinem Schwerpunkt zumindest auch auf die Vermittlung betreuungsrelevanten Wissens gerichtet war.

Ende der Entscheidung

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