Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.08.2007
Aktenzeichen: 15 W 147/07
Rechtsgebiete: PolG NRW, FEVG, FGG, KostO


Vorschriften:

PolG NRW § 35 Abs. 1 Nr. 2
PolG NRW § 36
PolG NRW § 36 Abs. 2
PolG NRW § 36 Abs. 2 S. 2
FEVG § 7 Abs. 1
FEVG § 7 Abs. 3 S. 2
FEVG § 16
FGG § 12
KostO § 30 Abs. 2
KostO § 131 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Auf die sofortige erste Beschwerde des Betroffenen vom 4.9.2006 wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 26.8.2006 rechtswidrig war.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat die dem Betroffenen im Verfahren der sofortigen ersten und weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde am 26.8.2006 anlässlich einer bei ihm durchgeführten Wohnungsdurchsuchung von der Polizei in Gewahrsam genommen. Die Maßnahmen wurden mit der Gefahr eines Anschlags durch eine islamistische Gruppe begründet, der auch der Betroffene angehöre. Anschlagsziel könne ein größeres Tanklager in H sein, in dessen Nähe am Abend des 26.8.2006 eine Konzertveranstaltung geplant war, zu der 6.000 Besucher erwartet wurden. Nach einem polizeilichen Vermerk vom 26.8.2006 hat der Betroffene nach Öffnen der Wohnungstür spontan seinen Unwillen über die polizeiliche Maßnahme geäußert und im weiteren Verlauf gegenüber zwei Polizeibeamten gesagt, er sei bereit zu töten. Auf telefonische Nachfrage des Amtsgerichts beim Polizeipräsidium Münster teilte ein dortiger Mitarbeiter mit, die Erkenntnisse über eine Anschlagsgefahr beruhten auf Ermittlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium Essen.

Das Amtsgericht hat auf Antrag der Beteiligten zu 2) und nach persönlicher Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 26.8.2006 die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme des Betroffenen festgestellt und die Fortdauer der Freiheitsentziehung bis längstens 27.8.2006, 2.00 Uhr mit sofortiger Wirksamkeit angeordnet.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 5.3.2007 die sofortige Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen.

Gegen die dem Betroffenen am 21.3.2007 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 4.4.2007 mit Anwaltsschriftsatz beim Landgericht eingelegte sofortige weitere Beschwerde.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 36 Abs. 2 S. 2 PolG NRW, 7 Abs. 1, 3 S. 2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Betroffenen ergibt sich bereits daraus, dass seine Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

Der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde stand nicht entgegen, dass die Hauptsache sich bereits unmittelbar nach Erlass der amtsgerichtlichen Entscheidung durch Zeitablauf erledigt hat. Vielmehr war im Hinblick auf den mit der Freiheitsentziehung verbundenen Eingriff in Grundrechtspositionen des Betroffenen sein Rechtsschutzinteresse mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts zu bejahen (BGH NJW 2002, 1801 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Einen entsprechendes Begehren des Betroffenen hat das Landgericht zu Recht unterstellt.

In der Sache ist die weitere Beschwerde - mit der Folge der Aufhebung des angefochtenen Beschwerdebeschlusses und auf die Erstbeschwerde des Betroffenen der Feststellung der Rechtswidrigkeit des amtsgerichtlichen Beschlusses - auch begründet, weil die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die gemäß §§ 35 Abs. 1 Nr. 2, 36 PolG NRW mögliche richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung voraussetzt, dass die Ingewahrsamnahme unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

Diese Voraussetzungen sowie die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat das Amtsgericht in eigener Verantwortung zu prüfen und den maßgebenden Sachverhalt gemäß §§ 36 Abs. 2 S. 2 PolG NRW, 3 S. 2 FEVG, 12 FGG im erforderlichen Umfang aufzuklären. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Freiheit der Person i.S.d. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ein so hohes Rechtsgut ist, dass sie nur aus besonders gewichtigem Grund angetastet werden darf. Der demgemäß streng zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt daher auch den Maßstab für die Sachverhaltsaufklärung (vgl. BayObLG, NJW 2000, 881, 882 m.w.N.). Das Gewicht des Eingriffs, der in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen muss, verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende, plausible Gründe für die begehrte Maßnahme nicht mehr finden lassen, so dass ihr Ergebnis bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2006, 110; NJOZ 2006, 3082, 3084 = wistra 2006, 377 jeweils zu den Anforderungen an richterliche Durchsuchungsbeschlüsse).

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme kommt es nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts nur auf den Sachverhalt an, der für den Amtsrichter im Zeitpunkt seiner Entscheidung - ggf. nach Durchführung der möglichen und gemäß § 12 FGG erforderlichen Ermittlungen - erkennbar ist. Später bekannt gewordene Umstände können eine danach rechtswidrige Maßnahme nicht rechtfertigen (vgl. BVerfG, NJW 2003, 1513, 1514).

Diesen Anforderungen wird der amtsgerichtliche Beschluss nicht gerecht, da das Amtsgericht nicht hinreichend geklärt hat, ob und inwieweit konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Ingewahrsamnahme unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Seitens der Beteiligten zu 2) ist ein solches Bedürfnis nicht hinreichend dargelegt worden. Aus dem Antrag und dem hier in Bezug genommenen Aktenvermerk vom 26.8.2006 ergeben sich keine solchen Anhaltspunkte, sondern lediglich Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen kaum hinausreichen. Dem amtsgerichtlichen Beschluss selbst lassen sich plausible sachliche Gründe für eine Ingewahrsamnahme ebenfalls nicht entnehmen.

Soweit in dem Antrag der Beteiligten zu 2) ausgeführt wird, aufgrund gesicherter Erkenntnisse sei von einer Anschlagsgefahr einer islamistischen Gruppe auszugehen, wobei auch der Betroffene beteiligt sei, lässt dies - ebenso wie die vom Amtsgericht eingeholte Auskunft des Polizeipräsidenten in Münster - in keiner Weise erkennen, aufgrund welcher konkreter Einzeltatsachen sich ein solcher Schluss hätte rechtfertigen können. Konkrete Anhaltspunkte und Feststellungen dazu, ob und in welcher Form der Betroffene an der Vorbereitung des vermuteten Anschlags beteiligt war, fehlen ebenfalls. Diese waren aber schon im Hinblick auf die Beurteilung der Frage erforderlich, ob seine Ingewahrsamnahme zur Verhinderung des Anschlags unerlässlich ist. Allein die allgemeine Plausibilität der Hinweise im Hinblick auf die Lage des Anschlagortes und die Wohnung des Betroffenen sowie seine ethnische Herkunft und Religionszugehörigkeit waren insoweit nicht ausreichend, da sie in dieser Allgemeinheit gleichermaßen auch auf andere Personen zutreffen. Auch der in dem Vermerk vom 26.8.2006 wiedergegebenen Äußerung des Betroffenen, er sei bereit zu töten, kam keine ausschlaggebende Bedeutung zu, solange deren Zusammenhang nicht näher aufgeklärt war.

Da die amtsgerichtliche Entscheidung auf einer ungenügenden Tatsachengrundlage (§ 12 FGG) beruht, war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung festzustellen, ohne dass es darauf ankäme, ob im Ergebnis - bei weiterer Sachaufklärung durch den Amtsrichter - eine andere Sachentscheidung hätte getroffen werden müssen (vgl. BGH NJW 2002, 1801, 1803 a. E.).

Die Entscheidung über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf §§ 36 Abs. 2 PolG NRW, 16 FEVG. Nach der letztgenannten Vorschrift hat das Gericht, wenn es den Antrag auf Freiheitsentziehung ablehnt, die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Gebietskörperschaft, der die Verwaltungsbehörde angehört, aufzuerlegen, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Antragstellung nicht vorlag. Die Vorschrift findet nach der Rechtsprechung des Senats entsprechende Anwendung, wenn der Betroffene in zulässiger Weise sein Rechtsmittel auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits erledigten Haftanordnung beschränkt. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit steht danach der Ablehnung des Antrags gleich.

Ob ein begründeter Anlass zur Antragstellung vorgelegen hat, ist dabei nach dem Sachverhalt zu beurteilen, der von der Behörde zur Zeit der Antragstellung unter Ausnutzung aller ihr nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Erkennensquellen festgestellt werden konnte; ein schuldhaftes Verhalten von Verwaltungsbediensteten wird nicht vorausgesetzt (vgl. Maschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 16 FEVG Rn. 3; Senat in ständiger Rechtsprechung, z.B. Beschluss vom 8.3.2007- 15 W 67/07 -).

Aus den bereits ausgeführten Gründen war ein begründeter Anlass zur Antragstellung nicht gegeben. Die Beteiligte zu 2) hat auch in 2. und 3. Instanz keine konkreten Einzeltatsachen aufzeigen können, die zum Zeitpunkt der Antragstellung die Annahme eines bevorstehenden Anschlags auf die fragliche Konzertveranstaltung und eine Beteiligung des Betroffenen daran rechtfertigen.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück