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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.12.2006
Aktenzeichen: 15 W 189/06
Rechtsgebiete: GmbHG, FGG, InsO, ZPO


Vorschriften:

GmbHG § 71 Abs. 3
FGG § 145
InsO § 58
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 37
1) Haben sowohl die Registerabteilung als auch die Insolvenzabteilung des Amtsgerichts durch unanfechtbaren Entscheidung den Antrag des Insolvenzverwalters über das Vermögen einer GmbH, ihn von der Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer zu befreien, mangels eigener sachlicher Zuständigkeit abgelehnt, so kann im Verfahren nach § 145 FGG ein gleichlautender wiederholter Antrag des Insolvenzverwalters nicht erneut unter Hinweis auf die Rechtskraftwirkung der früheren Beschlussfassung zurückgewiesen werden.

2) Vielmehr muss in entsprechender Anwendung der §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 37 ZPO das Bestimmungsverfahren zur Behebung des negativen Kompetenzkonflikts eingeleitet werden.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 189/06 OLG Hamm

In der Handelssache

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 12. Dezember 2006 auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom 6. Juni 2006 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer - 2. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Paderborn vom 30. Mai 2006 durch

beschlossen:

Tenor:

Die angefochtene Beschwerdeentscheidung sowie die Entscheidung des Amtsgerichts vom 19. April 2006 werden aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Durch Beschluss des Amtsgerichts (Insolvenzgericht) vom 1.10.2005 (2 IN 341/05) ist über das Vermögen der Beteiligten zu 1) wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beteiligte zu 2) zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Dieser hat am 12.10.2005 beim Amtsgericht (Registerabteilung) beantragt, ihn von der Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer zu befreien und hat hierzu geltend gemacht: Eine Fortführung des Geschäftsbetriebs sei auf Dauer nicht beabsichtigt, es solle vielmehr eine "Ausproduktion" erfolgen, die Anfang Dezember 2005 abgeschlossen sein werde; danach solle das Anlagevermögen verwertet werden. Es sei zwar umfangreiches Anlage- und Umlaufvermögen vorhanden. Es bestünden jedoch Absonderungsrechte zugunsten der Volksbank M, so dass die Verwertungserlöse nach Abzug der Kostenbeiträge an diese auszukehren seien. Im Übrigen bestehe Masseunzulänglichkeit, da Masseverbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Höhe von 1.250.000 € zu berücksichtigen seien. Die voraussichtliche freie Masse belaufe sich hingegen lediglich auf ca. 500.000 €.

Das Amtsgericht hat nach Beiziehung der Akten des Insolvenzverfahrens durch Beschluss vom 15.11.2005 den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Verhältnisse der Gesellschaft seien nicht ausreichend überschaubar, zumal das Unternehmen derzeit noch fortgeführt werde. Die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das Landgericht (2. Kammer für Handelssachen) durch Beschluss vom 13.12.2005 zurückgewiesen mit der Begründung, nicht das Registergericht sei für die beantragte Befreiung zuständig, sondern das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Aufsicht über den Insolvenzverwalter.

Die ihm am 29.12.2005 zugestellte Beschwerdeentscheidung hat der Beteiligte zu 2) nicht weiter angefochten, sondern den Befreiungsantrag nunmehr bei der Insolvenzabteilung des Amtsgerichts gestellt. Der Antrag ist durch Beschluss des Amtsgerichts (2 IN 341/05) vom 13.1.2006 als unzulässig zurückgewiesen worden, die Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das Landgericht (5. Zivilkammer) durch Beschluss vom 10.3.2006 (5 T 48/06) zurückgewiesen und ausgeführt, zuständig für die Entscheidung über den Antrag sei das Registergericht.

Mit Schriftsatz vom 5.4.2006 hat der Beteiligte unter Hinweis auf die Entscheidung der 5. Zivilkammer des Landgerichts bei der Registerabteilung des Amtsgerichts erneut die Befreiung von der Abschlussprüfungspflicht beantragt. Das Amtsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 19.4.2006 als unzulässig abgelehnt. Der Beteiligte zu 2) hat rechtzeitig sofortige Beschwerde erhoben, die das Landgericht durch Beschluss vom 30.5.2006 zurückgewiesen hat unter Hinweis auf die Rechtskraft des Beschlusses der Kammer vom 13.12.2005. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 2) mit der durch Schriftsatz vom 6.6.2006 eingelegten sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 145, 146, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) ergibt sich bereits daraus, dass seine Erstbeschwerde in der Sache ohne Erfolg geblieben ist.

Das Rechtsmittel ist auch begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Zutreffend ist das Landgericht von einer zulässigen Erstbeschwerde ausgegangen. Seine Entscheidung hält aber in der Sache rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat ausgeführt, der Beschluss vom 13.12.2005 sei in Rechtskraft erwachsen, das Amtsgericht habe daher den erneuten Antrag des Beteiligten zu 2), der auf das gleiche Ziel gerichtet gewesen sei, zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Landgerichts berücksichtigt jedoch nicht in ausreichendem Maße, dass über den Antrag des Beteiligten zu 2) in der Sache bisher nicht rechtskräftig entschieden, sondern lediglich die Zuständigkeit der Registerabteilung des Amtsgerichts für die Entscheidung über den Antrag verneint worden ist, und sich zwischenzeitlich auch das Insolvenzgericht rechtskräftig für unzuständig erklärt hat. Da somit ein negativer Kompetenzkonflikt i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorliegt, hätte das Amtsgericht den erneuten Antrag des Beteiligten zu 2) nicht als unzulässig abweisen dürfen, sondern wäre gehalten gewesen, von Amts wegen (vgl. BGH NJW 1985, 2537; OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 430; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 37 Rn. 2) eine Bestimmung des zuständigen Gerichts durch das übergeordnete Gericht herbeizuführen. Die Anwendbarkeit des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Das Landgericht hat ausweislich der Begründung des Beschlusses vom 13.12.2005 die Beschwerde nicht deswegen zurückgewiesen, weil es den Antrag des Beteiligten zu 2) in der Sache als unbegründet erachtet hätte. Vielmehr war der Antrag nach Auffassung des Landgerichts wegen fehlender Verfahrenszuständigkeit bereits als unzulässig abzuweisen. Damit hat das Landgericht in der Sache die Entscheidung des Amtsgerichts mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag bereits als unzulässig abzuweisen war. Dass dies im Tenor der Entscheidung nicht ausdrücklich klargestellt worden ist, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Da die Entscheidung formell rechtskräftig geworden ist, bleibt in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, dass erhebliche Bedenken gegen die dieser Entscheidung zugrunde liegende verfahrensrechtliche Handhabung bestehen. Denn es wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass nach anerkannter Auffassung für das Verhältnis zwischen den Gerichten der freiwilligen und streitigen Gerichtsbarkeit die §§ 17 ff. GVG entsprechende Anwendung finden (vgl. etwa BGH NJW 1995, 2851; NJW 2003, 1032; Zöller/Gummer, a.a.O., vor §§ 17 - 17b GVG, Rn. 11). Dies gilt folglich auch für das Antragsverfahren nach den §§ 71 Abs. 3 GmbHG, 145 FGG im Verhältnis zu einem Verfahren nach der Insolvenzordnung, für das nach § 4 InsO grundsätzlich die Vorschriften der ZPO gelten. Das Landgericht hätte deshalb, nachdem das Amtsgericht sine Verfahrenszuständigkeit für eine Sachentscheidung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bejaht hatte, seine Befugnis zur Überprüfung der Rechtswegzuständigkeit im Beschwerdeverfahren gem. § 17a Abs. 5 GVG in Zweifel ziehen, jedenfalls aber von Amts wegen eine Verweisung nach § 17a Abs. 2 GVG vornehmen müssen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung des Amtsgerichts, durch die ein Antrag nach § 71 Abs. 3 GmbHG abgelehnt wird, überhaupt der materiellen Rechtskraft zugänglich ist. Diese Frage lässt sich bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht allgemein, sondern nur von Fall zu Fall beantworten (vgl. Keidel/Schmidt, FG, 15. Aufl., § 31 Rn. 18; Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RpflG, 10. Aufl., § 31 Rn. 7). Sollte sie zu bejahen sein, so wäre zwar auch die rein prozessuale Entscheidung des Landgerichts vom 13.12.2005 in materieller Rechtskraft erwachsen. Letztere erstreckt sich jedoch nur auf den jeweils behandelten verfahrensrechtlichen Punkt und nicht auf den materiell-rechtlichen Streitgegenstand (vgl. BGH NJW 1991, 1116; OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 1735). Die materielle Rechtskraft der Prozessentscheidung besagt nur, dass der Antrag aus dem in den Entscheidungsgründen konkret genannten Grund unzulässig ist, würde sich also vorliegend nur auf die Frage der Verfahrenszuständigkeit des Insolvenzgerichts anstelle des Gerichts der freiwilligen Gerichtsbarkeit erstrecken.

Gerade für die Frage der Zuständigkeit wird die Rechtskraftwirkung jedoch durch die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durchbrochen (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., vor § 322 Rn. 71), wie sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt. Danach wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszuge höhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Die Vorschrift findet entsprechende Anwendung bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Verfahrensordnungen, insbesondere im Verhältnis der ordentlichen Gerichte der streitigen Gerichtsbarkeit zu denen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. BGH, NJW 1981, 126; BayObLG, NJW-RR 1998, 474; Keidel/Sternal, FG, 15. Aufl., § 5 Rn. 18; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36 Rn. 31). Die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ergänzt damit im Sinne einer Auffangregelung die Bestimmungen der §§ 17 ff. GVG. Ein solcher Zuständigkeitsstreit ist vorliegend gegeben, da für das Verfahren des Insolvenzgerichts nach § 4 InsO grundsätzlich die Zivilprozessordnung gilt, während das Amtsgericht nach § 145 FGG als Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit entscheidet. Es handelt sich demnach nicht lediglich um eine Frage der Verteilung der Geschäfte unter verschiedenen Spruchkörpern des gleichen Gerichts, die im Streitfalle nicht nach Maßgabe des § 36 Abs. 1 ZPO durch das im Instanzenzug nächsthöhere Gericht, sondern durch das Präsidium des Gerichts zu entscheiden wäre, dem beide Spruchkörper angehören.

Auch das Insolvenzgericht hat über den Antrag des Beteiligten zu 2) nicht in der Sache entschieden, sondern ihn wegen fehlender Zuständigkeit bereits als unzulässig abgewiesen. Hieran ändern auch die hilfsweise zur Begründetheit angestellten Erwägungen nichts.

Für die Entscheidung über den Antrag des Beteiligten zu 2) ist auch entweder das Registergericht oder das Insolvenzgericht zuständig. Soweit ersichtlich, werden in Rechtsprechung und Literatur ausschließlich diese beiden Möglichkeiten in Erwägung gezogen, wobei die fast einhellige Auffassung eine Zuständigkeit der Registerabteilung des Amtsgerichts begründet sieht (vgl. Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, a.a.O., § 64 Rn. 7; Roth/Altmeppen, a.a.O., § 71 Rn. 36 ; MüKo-InsO/Füchsl/Weishäupl, § 155 InsO, Rn. 21; Kind u.a., NZI 2006, 207, jeweils auch mit Nachweisen auf die Gegenauffassung; vgl. ferner die Begründung zu § 174 des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 12/2443, S. 172; LG Oldenburg, Rpfleger 1993, 451 und LG Dresden, ZIP 1995, 233 (für das Konkurs- bzw. Gesamtvollstreckungsverfahren); implizit auch OLG München, FGPrax 2005, 271 = GmbHR 2005, 1434).

Aus den genannten Gründen können die Entscheidungen beider Vorinstanzen keinen Bestand haben. Es muss nunmehr in entsprechender Anwendung des § 37 ZPO zunächst das Bestimmungsverfahren zur Behebung des negativen Kompetenzkonflikts eingeleitet werden. Dies geschieht dadurch, dass das mit der Sache befasste Gericht von Amts wegen die Akten dem Bestimmungsgericht (hier dem Landgericht Paderborn) zur Entscheidung vorlegt (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 37 Rn. 2). Zu diesem Zweck hat der Senat die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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