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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 15 W 210/06
Rechtsgebiete: VBVG


Vorschriften:

VBVG § 5

Entscheidung wurde am 29.11.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
1. Eine Justizvollzugsanstalt ist als Heim im Sinne des § 5 VBVG anzusehen.

2. Der Betreute kann auch in einer Justizvollzugsanstalt seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Betreute über keinen weiteren Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen verfügt (wie OLG München, Beschluss vom 04.07.2006 - 33 Wx 60/06).


Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Paderborn bestellte mit Beschluss vom 25.06.2002 für den mittellosen Betroffenen eine Vereinsbetreuerin von der AWO Q mit den Aufgabenkreisen der Gesundheitsfürsorge einschließlich Aufenthaltsbestimmungsrecht im Krankheitsfall, Behörden-, Sozialversicherungs- und Arbeitsplatzangelegenheiten. Seit dem 02.05.2005 befindet sich der Betroffene im geschlossenem Strafvollzug in der JVA N. Haftende ist am 01.05.2007, 2/3 seiner Strafe sind am 30.08.2006 verbüßt. Durch Beschluss vom 20.05.2003 bestellte es den Beteiligten zu 2), der seit Januar 2003 die rechtlichen Interessen des Betroffenen wahrgenommen hat, zum neuen Berufbetreuer des Betroffenen.

Mit Schriftsatz vom 23.03.2006 beantragte der Beteiligte zu 2) die Bewilligung einer pauschalen Vergütung für die Betreuung im III. und IV. Quartal 2005 (01.07.2005 bis 31.12.2005) in Höhe von monatlich 154 € (44 € *3,5 Std.), also insgesamt 924 €.

Mit Beschluss vom 30.03.2006 hat das Amtgericht einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse in Höhe von monatlich 88 € (44 € *2 Std.) - das sind für den beantragten Zeitraum insgesamt 528 € - festgesetzt und den weitergehenden Vergütungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar stelle die JVA, in der sich der Betreute seit Mai 2005 befinde, kein Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG dar. Trotzdem sei eine JVA bezüglich des dem Betreuer entstehenden Betreuungsaufwandes einem Heim gleichzustellen. Auch wenn die tatsächliche Betreuung in einer JVA nicht in dem Sinne stattfinde wie in einem Heim, so entstehe für den Betreuer kein größerer Aufwand. Der Grund für den geringeren Vergütungsansatz treffe auch für eine JVA zu.

Gegen diesen ihm am 06.04.2006 zugestellten Beschluss legte der Beteiligte zu 2) sofortige Beschwerde ein, die am 07.04.2006 beim Amtsgericht eingegangen ist. Er macht geltend, eine JVA lasse sich nicht unter den im Gesetz definierten vergütungsrechtlichen Heimbegriff subsumieren. Eine JVA werde nicht entgeltlich betrieben. Damit stehe der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke der eindeutige Wortlaut der Norm entgegen und bleibe für eine Auslegung kein Raum.

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nach Einholung einer Stellungnahme der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht nicht abgeholfen und sie der Kammer zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerdekammer hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die weitere Beschwerde zugelassen, die der Beteiligte zu 2) rechtzeitig eingelegt hat.

II.

Die sofortige weitere Beschwerden ist nach den §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27, 29 FGG infolge Zulassung durch das Landgericht statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 S. 1 FGG.

Der einem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand ist aufgrund der Neuregelung durch das 2. Betreuungsrechtsänderungsgesetz zum 1.7.2005 nach einem pauschalierten Stundenansatz zu bestimmen (§ 5 VBVG). Dieser beträgt ab dem 13. Monat der Betreuung nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift für einen mittellosen Betreuten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat, zwei Stunden monatlich, und für einen mittellosen Betreuten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim hat, dreieinhalb Stunden. Die Höhe des dem Betreuer zu bewilligenden Stundensatzes mit 44 € pro Stunde steht vorliegend außer Streit.

Die entscheidenden Fragen lauten daher, ob der Betreute durch seine zweijährige Strafhaft einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt begründet hat und ob diese als Heim im Sinne des Vergütungsrechts anzusehen ist. Das Landgericht hat zutreffend die Heimeigenschaft bejaht, die Frage, ob der Betreute in der JVA seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat, kann derzeit aber noch nicht beantwortet werden.

1) Heime im Sinne des Vergütungsrechts sind nach § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Laut Bundestagsdrucksache 15/2494 (Seite 32) ist die Definition eines Heimes im Sinne der Vorschrift § 5 Abs. 3 VBVG im Wesentlichen § 1 Abs. 1 HeimG nachgebildet, löst den Anwendungsbereich jedoch von bestimmten Krankheitsbildern § 5 Abs. 3 VBVG enthält jedoch im Unterschied zu § 1 Abs. 1 HeimG nicht eine Einschränkung auf ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige. Daher stellt sich die Frage, ob im Rahmen der Betreuervergütung von der Heimdefinition auch Einrichtungen erfasst sind, die für andere Personengruppen errichtet wurden, wie z. B. Heime für psychisch Kranke, Suchtkranke, Nichtsesshafte oder wie im vorliegenden Fall Einrichtungen des Strafvollzuges. Vom Wortlaut der Bestimmung werden auch Einrichtungen des Strafvollzugs erfasst (OLG München Beschluss vom 04.07.2006 - 33 Wx 60/06 - , zitiert nach juris; m.w.N.). Der Betreute wird in Hafträumen untergebracht, er erhält Anstaltskleidung und -verpflegung. Für seine körperliche und geistige Gesundheit wird gesorgt. Er wird in der Justizvollzugsanstalt somit tatsächlich verpflegt und versorgt (vgl. §§ 17 ff., 56 ff., 71 StVollzG; Deinert in FamRZ 2005, 954.).

Die Unterbringung erfolgt auch entgeltlich. Dies ergibt sich aus folgendem: Gemäß § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO fallen dem Verurteilten die Kosten des Strafverfahrens zur Last. Nach § 464 a Abs. 1 Satz 2 StPO gehören zu diesen Kosten auch diejenigen, die durch die Vollstreckung der Rechtsfolgen der Tat entstehen. Dazu würden auch Personal- und Sachkosten gehören, die durch den Betrieb einer JVA entstehen. Jedoch wären Strafgefangene in aller Regel nicht in der Lage, die tatsächlichen Aufwendungen zu tragen. Ein Haftkostenbeitrag in solcher Höhe liefe dem Vollzugsziel der Resozialisierung zuwider. Deshalb beschränkt § 50 StVollzG den Haftkostenbeitrag auf die Aufwendungen, die durch den Lebensunterhalt, die Unterbringung und Verpflegung des Gefangenen verursacht werden (vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Auflage, § 50 Rn. 2; Feest/Däubler/Spaniol, StVollzG, 5. Aufl., § 50 Rn. 2). Die in § 5 Abs. 3 VBVG zum Ausdruck gekommene Intention des Gesetzgebers, dass betreute Menschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim haben, weniger Betreuungsaufwand benötigen und den Betreuern daher weniger Stundensätze zugebilligt werden, betrifft daher auch den Fall, dass der Betreute in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht ist.

2) Das Vergütungsrecht definiert - ebenso wenig wie die §§ 35 b und 65 FGG oder § 132 Abs. 2 Satz 2 BGB - nicht gesondert das Merkmal des gewöhnlichen Aufenthalts. Nach der Legaldfinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Gewöhnlicher Aufenthalt ist also der Ort, in welchem der Betroffene den tatsächlichen Mittelpunkt seiner Lebensführung hat. Dabei darf der Aufenthalt im Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein, es muss sich aber auch nicht um einen dauerhaften handeln, vielmehr genügt es, wenn der Betreffende sich an dem Ort "bis auf Weiteres" aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG NVwZ 2006, 97 = JAmt 2006, 35). Vom Wohnsitz unterscheidet sich der gewöhnliche Aufenthalt dadurch, dass der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist. Es handelt sich um einen "faktischen" Wohnsitz, der ebenso wie der gewillkürte Wohnsitz Daseinsmittelpunkt sein muss (vgl. BGH FamRZ 1997, 1070 = NJW 1997, 3024; FamRZ 1993, 798; FamRZ 1975, 272 = NJW 1975, 1068; FamRZ 1981, 135 = NJW 1981, 135; Palandt/Heldrich, BGB, 65. Aufl., § 7 Rn. 3; Keidel/Engelhardt, FG, 15. Aufl., § 35 b Rn. 7; Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 10. Auflage, § 65 Rn. 10).

Das Merkmal der nicht nur geringen Dauer des Aufenthalts bedeutet nicht, dass im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsorts ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt immer erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet werden könnte und bis dahin der frühere gewöhnliche Aufenthalt fortbestehen würde. Der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort wird vielmehr grundsätzlich schon dann begründet, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Aufenthalt an diesem Ort auf eine längere Zeitdauer angelegt ist und der neue Aufenthaltsort künftig anstelle des bisherigen Daseinsmittelpunkt sein soll (BGH FamRZ 1981, 135).

Da ein gewöhnlicher Aufenthalt durch tatsächliches Verweilen und nicht durch einen rechtsgeschäftlichen Willen begründet wird, kann auch durch die zwangsweise Unterbringung in einer Strafhaft oder Pflegeanstalt ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet werden, sofern nur die JVA für den Betroffenen zum Daseinsmittelpunkt geworden ist und der Betroffene keinen anderen Daseinsmittelpunkt als den Ort der Haft oder der sonstigen zwangsweisen Unterbringung hat (OLG München, Beschluss vom 04.07.2006, a.a.O.; BayObLG BtPrax 2003, 132 - die Entscheidung betrifft den Fall der Unterbringung im Rahmen des Maßregelvollzugs in einem Bezirkskrankenhaus -; im Ergebnis ebenso OLG Düsseldorf MDR 1969, 143; Deinert/Lütgens, Die Vergütung des Betreuers, Rn. 991).

Der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts, die darauf hinausläuft, dass ein Aufenthalt eines Betreuten in einer Justizvollzugsanstalt nach dem mit dem Vergütungsrecht verfolgten Zweck stets einem Heimaufenthalt im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG gleichzustellen sei, kann der Senat schon deshalb nicht zustimmen, weil der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen des § 5 VBRG nicht anders als in anderen gesetzlichen Vorschriften verstanden werden kann. Denn die abweichende Beurteilung des Landgerichts führt im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 5 VBRG zu einer Beschränkung des Vergütungsanspruchs des Berufsbetreuers. Wenn der Gesetzgeber dies gewollt hätte, wäre er durch nichts gehindert gewesen, anstelle des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmte Fristen vorzugeben, ab deren Ablauf ein Heimaufenthalt zu einer Vergütungsminderung führt.

Der Senat ist nicht zur Vorlage der Sache an den BGH nach § 28 Abs. 2 FGG verpflichtet wegen Abweichung von der Entscheidung des 10. Familiensenat des OLG Köln vom 09.11.1995, der die Auffassung vertreten hat, eine Inhaftierung sei nicht geeignet, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Denn eine Vorlagepflicht besteht nur dann, wenn die Entscheidung des abweichenden Gerichts auf eine weitere Beschwerde ergangen ist. Daran fehlt es hier.

Die Entscheidung des Landgerichts kann daher keinen Bestand haben und ist, da sie sich auch nach den bisherigen Feststellungen nicht im Ergebnis als richtig erweist, aufzuheben. Nach den bislang getroffenen und aus der Akte ersichtlichen Feststellungen lässt sich nicht die Frage beantworten, ob der Betreute über keinen weiteren Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen verfügt, weil etwa seine bisherige Wohnung aufgelöst wurde und er daher auch nach seiner Entlassung nicht an einen Ort zurückkehren kann, an dem er sich nach der Ehescheidung gewöhnlich aufhielt. Trifft diese Voraussetzung zu, ist der Ort der JVA von Anfang an als gewöhnlicher Aufenthalt des Betreuten anzusehen. Das Landgericht, das von seinem Standpunkt folgerichtig dieser Frage nicht nachgegangen ist, wird daher die erforderlichen Ermittlungen nachzuholen haben, die vom Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht getroffenen werden können.

Eine Wertfestsetzung für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde nach den §§ 131 Abs. 2 30 Abs. 1 KostO ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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