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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.01.2001
Aktenzeichen: 15 W 218/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2271
Leitsatz:

Zur Frage der Wechselbezüglichkeit, wenn die Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament den Nachbarn bzw. dessen Linder zu Erben eingesetzt haben.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 218/00 OLG Hamm 25 T 922 u. 923/99 LG Bielefeld 5 VI 213 u. 214/99 AG Rheda-Wiedenbrück

In der Nachlaßsache

betreffend die Erteilung eines Erbscheines nach der am 1999 ihrem letzten Wohnsitz, verstorbenen Frau Anna K

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 25. Januar 2001 auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 10. Mai 2000 gegen den Beschluß der 25. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 12. April 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Engelhardt und Christ

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird bis auf die Wertfestsetzung aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Senat nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG zu entscheiden hat.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1) ist die einzige noch lebende Schwester der geborenen Erblasserin.

Diese hatte 1945 den 1911 geborenen Herrn Hubert K geheiratet. Aus ihrer Ehe sind keine Abkömmlinge hervorgegangen.

Die Erblasserin und ihr Ehemann schlossen am 09.01.1946 einen notariellen Ehe- und Erbvertrag (Urkundenrolle Nr. des Notars. In diesem Vertrag heißt es wie folgt:

§ 1

Für unsere am 18. September 1945 vor dem Standesamt in geschlossene Ehe führen wir hiermit die allgemeine Gütergemeinschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches ein mit der Maßgabe, daß der Ehemann berechtigt sein soll, allein über Grundstücke und Grundstücksrechte zu verfügen.

§ 2

Wir setzen uns ferner erbvertragsmäßig gegenseitig zu Erben ein mit der Maßqabe, daß der Letztlebende von uns Allein- und Universalerbe des Vorversterbenden von uns sein soll.

§ 3

Die Bestimmung des § 2 soll Geltung behalten, auch wenn aus unserer Ehe Kinder hervorgehen sollten.

Am 24.07.1961 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann folgendes privatschriftliche Testament:

Unser Testament!

Als unsere Universalerben setzen wir Josef und Elisabeth B nach unserer beider Tod ein. Diese letztwillige Verfügung gilt für den Nachlaß S sowie für W.

Am 28.04.1972 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann folgendes Testament:

Testament

Hiermit setzen wir uns für den Fall des Todes eines von uns gegenseitig zum Alleinerben ein.

Falls wir beide verstorben sind, ist unser Alleinerbe Herr Josef B. Falls Herr Josef B zu dem Zeitpunkt auch schon verstorben ist, sind dessen Erben unsere Alleinerben.

Die in den Testamenten vom 24.07.1961 und 28.04.1972 genannten Josef und Elisabeth B sind die Eltern der Beteiligten zu 2) bis 4). Sie waren seit 1954 unmittelbare Grundstücksnachbarn der Erblasserin und ihres Ehemannes.

Am 10.02.1994 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann folgendes privatschriftliche Testament:

"Testament

Wir, die Eheleute Hubert und Anna K setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein. Erben des Letztversterbenden sollen sein:

H B, geboren am 16.6.1956,

A S geboren am 1959,

H B

Frau X bekommt das Grundstück Flur 5, Parzelle 294 zur Größe von 676 qm. Hierfür möge sie für die Pflege unseres Grabes sorgen. Die Geschwister B bekommen alles übrige zu gleichen Teilen.

Für den Fall, daß eine der zum Erben bestimmten Personen vor uns verstirbt, bestimmen wir deren testamentarischen bzw. gesetzlichen Erben zum Ersatzerben.

Der Ehemann der Erblasserin verstarb am 24.04.1994, im März 1998 verstarb Josef B Am 31.07.1997 errichtete die Erblasserin folgendes privat schriftliche Testament:

Testament:

Ich setze meine Schwester S geboren am 1921 zu meiner Alleinerbin ein. Sie soll den folgenden Personen Grundstücke übertragen:

1. Frau soll das Grundstück Flur 5 Flurstücke 296 bekommen,

2. Dr. L das Grundstück Flur 5 Flurstück 2312,

3. Josef B das Grundstück Flur 5 Flurstück 294.

4. Herr G soll eine Fläche von 1.000 Quadratmeter hinter seinem Haus erhalten, damit er hinter seinem Haus keine Nachbarn bekommt. Ich meine, daß die ganze Fläche, an sein Grundstück kommt Flur 5 Flurstück 345 heißt. Es liegt an der Grünstraße.

Unter dem 29.10.1997 haben die früheren Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) in deren sowie im Auftrag der Frau beim Amtsgericht unter Vorlage eines Attestes des Dr. beim Vormundschaftsgericht angeregt, für die Erblasserin eine Betreuung einzurichten. In dem ärztlichen Attest ist ausgeführt, daß die Erblasserin unter einer Hirnleistungsstörung mit zunehmender Progression leide und vor allem das Kurzzeitgedächtnis sowie die Kritikfähigkeit gänzlich erloschen seien.

Das Amtsgericht hat daraufhin mit Beschluß vom 13.01.1998 für die Erblasserin eine umfassende Betreuung eingerichtet.

Am 07.06.1999 ist die Erblasserin verstorben.

Aufgrund des privatschriftlichen Testaments vom 31.07.1997 hat die Beteiligte zu 1) beim Nachlaßgericht einen Erbschein beantragt, wonach sie ihre Schwester allein beerbt habe. Der Beteiligte zu 4) hat aufgrund des gemeinschaftlichen Testamentes vom 10.02.1994 einen Erbschein beantragt, wonach er und die Beteiligten zu 2) und 3) je zu einem Drittel Erben geworden seien.

Das Nachlaßgericht hat mit Beschluß vom 09.11.1999 den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen und am 12.11.1999 einen gemeinschaftlichen Erbschein zugunsten der Beteiligten zu 2) bis 4) ausgestellt. Hiergegen hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt und beantragt, den bereits erteilten Erbschein einzuziehen und das Amtsgericht anzuweisen, ihr antragsgemäß einen Erbschein zu erteilen.

Mit Beschluß vom 12.04.2000 hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit Anwaltsschriftsatz vom 10.05.2000 eingelegte weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1).

II.

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft und in der rechten Form eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) folgt aus der Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Gemäß § 2361 Abs. 1 BGB ist ein Erbschein durch das einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung bereits ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich entfallen sind. Die Einziehung muß angeordnet werden, wenn die zur Begründung des Erbscheinsantrages notwendigen Tatsachen nicht mehr als festgestellt zu erachten sind, weil die gemäß § 2359 BGB erforderliche. Überzeugung des Nachlaßgerichtes von dem bezeugten Erbrecht über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist. Ob dies der Fall ist, kann erst nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts und abschließender Würdigung des dabei gewonnenen Ergebnisses beurteilt werden (BGHZ 40, 54, 56 ff).

Nach den bisherigen Ermittlungen kann die Frage, ob der vom Nachlaßgericht am 12.11.1999 erteilte Erbschein wegen Unrichtigkeit einzuziehen ist, noch nicht abschließend beantwortet werden.

Übereinstimmend haben die Vorinstanzen das gemeinsame Testament vom 10.02.1994 dahin ausgelegt, daß die Beteiligten zu 2) bis 4) als Schlußerben des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt worden sind (§ 2269 Abs. 1 BGB). Sie haben damit die in dem gemeinschaftlichen Testament vom 10.02.1994 als "Erbin" eingesetzte Frau als Vermächtnisnehmerin angesehen. Diese Auslegung erweist sich im Ergebnis als richtig. Denn der bedachten Frau( ist nur ein einzelner Gegenstand in dem gemeinschaftlichen Testament zugewendet worden, während alles übrige den Beteiligten zu 2) bis 4) zu gleichen Teilen zukommen sollte. Ihre Rechtsstellungbeschränkte sich damit auf einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung eines 676 Quadratmeter großen Grundstückes, das im Verhältnis zu den sonstigen im Nachlaß befindlichen Grundstücken nur einen kleinen Bruchteil ausmacht (dabei kann dahinstehen, ob die hinterlassene Grundstücksfläche 8 Morgen oder gar 24 Morgen beträgt). Bei dieser Sachlage ist es nach § 2087 Abs. 2 BGB unschädlich, daß die bedachte Frau in dem gemeinschaftlichen Testament als "Erbe" bezeichnet ist.

Die Bestimmung der Beteiligten zu 2) bis 4) zu ihren Schlußerben in dem gemeinschaftlichen Testament vom 10.02.1994 hat die Erblasserin in ihrem formgültigen Testament vom 31.07.1997 widerrufen. Dieser Widerruf ist aber nur dann wirksam, wenn die Erblasserin nicht gemäß § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB an die im gemeinschaftlichen Testament enthaltene Schlußerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) gebunden und im Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes vom 31.07.1997 testierfähig war (§ 2229 BGB).

1.

Die Feststellung der Erbfolge hängt somit zunächst davon ab, ob die von der Erblasserin in dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament vorgenommene Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) zu gleichen Teilen im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu einer Verfügung des vorverstorbenen Ehemannes steht. Ist dies der Fall, so erlosch für die Erblasserin mit dem Tod ihres Ehemannes das Recht zum "Widerruf ihrer Verfügung in dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB). Sie war dann an der die erbrechtliche Stellung der Beteiligten zu 2) bis 4) beeinträchtigenden Verfügung, die sie in dem Testament vom 31.07.1997 getroffen hat, gehindert.

Das gemeinschaftliche Testament vom 10.02.1994 ist im Hinblick darauf auslegungsbedürftig, ob nach dem Willen der Testierenden ihre Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen sollten. Wechselbezüglichkeit ist anzunehmen, wenn die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die ändere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLGZ 1991, 173, 176 = NJW-RR 1991, 1288), wobei der Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgeblich ist. Die Wechselbezüglichkeit ist jeweils im Hinblick auf die einzelne letztwillige Verfügung zu prüfen, die die Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament getroffen haben (BGH NJW-RR 1987, 1410).

Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob in dem gemeinsamen Testament vom 10.02.1994 die Einsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann wechselbezüglich auch mit der Schlußerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) als Schlußerben durch die Ehefrau war. Zu prüfen war demnach, ob der Ehemann der Erblasserin diese zu seiner Alleinerbin eingesetzt hatte, weil die Erblasserin die Beteiligten zu 2) bis 4) als Schlußerben eingesetzt hatte.

Dem Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments läßt sich kein Hinweis dafür entnehmen, ob die Einsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) als Schlußerben durch die Erblasserin wechselbezüglich zu der Einsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann sein sollte. Ist im gemeinschaftlichen Testament keine klare und eindeutige Anordnung hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit der einzelnen Verfügungen enthalten, so muß die Wechselbezüglichkeit durch Auslegung des Testamentes nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ermittelt werden (BGH LM § 2270 BGB Nr. 2).

Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - das Testament in der Form eines Berliner Testamentes (§ 2269 Abs. 1 BGB) abgefasst ist (BayObLGZ 1983, 213; FamRZ 1999, 1538). Methodisch hat für die Auslegung des gemeinschaftlichen Testamentes die Ermittlung des wirklichen übereinstimmenden Willens der Ehegatten Vorrang. Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist nur dann heranzuziehen, wenn der individuelle Wille der testieren den Ehegatten nicht zuverlässig festgestellt werden kann (BGH a.a.O.).

a)

Das Landgericht hat aufgrund der früheren Testamente der Erblasserin und ihres Ehegatten die Überzeugung gewonnen, daß die Voraussetzungen des § 2270 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die letztwillige Verfügung vom 10.02.1994 vorlägen und hierzu ausgeführt: Der vorverstorbene Ehegatte der Erblasserin habe die Erblasserin als Alleinerbin eingesetzt, weil sie für den Fall des Vorversterbens ihres Ehegatten die Beteiligten zu 2) bis 4) als Abkömmlinge des Grundstücksnachbarn Josef B zu Erben ihres Nachlasses eingesetzt habe. Entscheidend für diese Überzeugung sei, daß bei der Errichtung des Testamentes vom 24.07.1961, in dem die Erblasserin und ihr Ehegatte erstmals die Eltern der Beteiligten zu 2) bis 4) als ihre "Universalerben" eingesetzt hätten, unstreitig ein erbittert geführter Erbstreit zwischen der Erblasserin und ihren Geschwistern - darunter der Beteiligten zu 1) - bei den Nachlaßgerichten anhängig gewesen sei. Dieser Rechtsstreit über die Stellung als Erben nach dem Tod des Vaters der Erblasserin habe im März 1958 begonnen und im Jahr 1964 geendet, nachdem zwischenzeitlich auch der Bundesgerichtshof angerufen worden sei. Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes vom 24.07.1961 habe das Vermögen aus Sicht der Testierenden zunächst aus dem Grundvermögen des Ehemannes der Erblasserin bestanden. Aufgrund des damaligen Rechtsstreites mit den Geschwistern der Erblasserin habe der Ehegatte der Erblasserin auf jeden Fall vermeiden wollen, daß sein Grundbesitz nach seinem Ableben ggf. von den Geschwistern der Erblasserin als gesetzliche Erben nach deren Tod geerbt werde. Er habe deshalb die Erblasserin als Alleinerbin eingesetzt, weil diese für den Fall ihres Ablebens nicht ihre Geschwister, sondern den dem testierenden Ehepaar in dem Erbstreit hilfreich zur Seite stehenden Herrn Josef B und dessen Ehefrau zu Alleinerben eingesetzt habe. Die Willensrichtung des Ehemannes der Erblasserin sei eindeutig dahin gegangen, daß sein ererbtes Vermögen für den Fall seines Vorversterbens nicht als Nachlaß den Verwandten seiner Ehefrau, die damals unstreitig mit der Erblasserin und ihrem Ehegatten zerstritten gewesen seien, zufiele. Dagegen spreche nicht, daß die Erblasserin und ihr Ehegatte sich in dem Testament vom 09.01.1946 zunächst gegenseitig als alleinige Erben eingesetzt hätten, ohne daß ein Schlußerbe bestimmt worden sei. Damals seien die Erblasserin und ihr Ehegatte ausweislich der letztwilligen Verfügung vom 09.01.1946 noch davon ausgegangen, daß ggf. Kinder aus der gerade erst geschlossenen Ehe hervorgehen könnten, die der überlebende Ehegatte dann für den Fall des Vorversterbens des anderen Ehegatten als Erben hätte einsetzen können. Im Jahr 1961 - damals sei die Erblasserin 48 Jahre alt und ihr Ehemann 50 Jahre alt gewesen - sei den testierenden Ehegatten klar gewesen, daß die Ehe kinderlos bleiben würde. Deshalb habe es auch der Willensrichtung beider Ehegatten entsprochen, den Vater der Beteiligten zu 2) bis 4) in Anerkennung für die bei der Führung des Rechtsstreites über das Erbe nach dem Tod des Vaters der Erblasserin geleistete Hilfestellung zum Erben nach dem Letztversterbenden zu bestimmen. Es sei zwischen den Beteiligten auch unstreitig, daß der Vater der Beteiligten zu 2) bis 4) gegen eine monatliche Zahlung von 100,00 DM die Erblasserin und ihren Ehegatten auch nach Abschluß des Rechtsstreites über das Erbe in sämtlichen finanziellen Angelegenheiten unterstützt habe. Darüber hinaus habe der Vater der Beteiligten zu 2) bis 4) der Erblasserin und ihrem Ehegatten auch Hilfestellung in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten mit der Stadt Rheda Wiedenbrück geleistet. Angesichts dieses Umstandes hätten die Erblasserin und ihr Ehegatte die in dem privatschriftlichen Testament vom 24.07.1961 hervorgetretene Willensrichtung auch in den späteren Testamenten vom 28.04.1972 und 10.02.1994 beibehalten. Der Umstand, daß in dem Testament vom 10.02.1994 die Beteiligten zu 2) bis 4) und nicht mehr ihr Vater als Schlußerbe eingesetzt worden sei, spreche nicht gegen die Auslegung dahingehend, daß das Testament vom 10.02.1994 die in dem vorbeschriebenen Sinn wechselbezüglichen Verfügungen enthalte. Die Einsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) als Schlußerben beruhe allein darauf, daß der Vater der Beteiligten zu 2) bis 4) ausdrücklich - um die Zahlung von Erbschaftssteuer für einen Erbgang zu ersparen - die Erblasserin und ihren Ehegatten gebeten habe, nunmehr seine Kinder unmittelbar als Schlußerben einzusetzen. Letztlich hätten die Erblasserin und ihr Ehegatte sich durch die Einsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) als Schlußerben auch noch in dem Testament vom 10.02.1994 für die umfassend von dem Vater der Beteiligten zu 2) bis 4) in finanzieller und rechtlicher Hinsicht geleistete Hilfestellung bedanken wollen.

b)

Diese Ausführungen tragen das vom Landgericht gewonnene Ergebnis nicht.

Das Nachlaßgericht bzw. das an seine Stelle tretende Beschwerdegericht mußte bei der Untersuchung der Frage, ob die Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann mit der Schlußerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) durch die Erblasserin wechselbezüglich ist, das Für und Wider prüfen und abwägen, indem es den Inhalt der Erklärung als Ganzes einschließlich aller Nebenumstände würdigt. Dabei ist auch die allgemeine Lebenserfahrung zu berücksichtigen (BayObLG FamRZ 1991, 1232; Palandt/Edenhofer, 59. Aufl., § 2270 BGB Rdn. 5). Diese hat das Landgericht aber in seine Überlegungen nicht einbezogen und damit für die Auslegung einen wesentlichen Umstand übergangen. Es entspricht nach anerkannter Rechtsprechung (BayObLGZ 1982, 474; FamRZ 1991, 1232; Palandt/Edenhofer, a.a.O., Rdn. 6) der Lebenserfahrung, daß beim Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen den testierenden Ehegatten und dem eingesetzten Schlußerben der eine Ehegatte dem anderen das Recht belassen will, die Schlußerbeneinsetzung nach dem Tod des Erstversterbenden jederzeit zu ändern, und ihn nicht an der Einsetzung der von ihm ausgewählten Schlußerben festhalten will, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Verschlechterung der Beziehungen zu dem Bedachten.

Das Landgericht hat den früheren Testamenten der Eheleute den Willen entnommen, die Schlußerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) durch die Erblasserin sei mit deren Erbeinsetzung durch ihren Ehemann wechselbezüglich. Dabei hat es nicht hinreichend bedacht, daß sich gerade aus der ersten letztwilligen "Verfügung, nämlich dem Erbvertrag vom 09.01.1946 ergibt, daß der Ehemann der Erblasserin diese völlig unabhängig davon eingesetzt hat, wen diese dereinst zu ihren Schlußerben bestimmt, und zwar auch für den Fall, dass aus der noch jungen Ehe noch Kinder hervorgehen würden, welcher Erwartung die Eheleute durch eine entsprechende Klausel Rechnung getragen haben. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß der Ehemann im Zeitpunkt der späteren Testamente, insbesondere bei Unterzeichnung des Testamentes vom 10.02.1994, nunmehr die Erbeinsetzung seiner Ehefrau davon abhängig machen wollte, daß diese den Nachbarn bzw. dessen Kinder zu Erben einsetzt, bestehen nicht. Zwar haben die Beteiligten zu 2) bis 4) eine nachvollziehbare Motivation dafür vorgetragen, weshalb die Erblasserin und ihr Ehemann ihre Eltern bzw. ihren Vater und zuletzt sie selbst zum Schlußerben eingesetzt haben (insbesondere die Fürsorge und Betreuung der Erblasserin und ihres Ehemannes durch ihren Vater als Rechts- und Wirtschaftsberater): Dieses Motiv rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, die Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann sei. abhängig gewesen von der Schlußerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) durch die Erblasserin.

Für die Annahme der Wechselbezüglichkeit spricht auch nicht, wie die Beteiligten zu 2) bis 4) meinen, daß die Erblasser den Begünstigten jeweils ein Original ihrer letztwilligen Verfügung übergeben haben. Denn nach den Erfahrungen des Senats ist die Übergabe von Testamenten an die dort Bedachten eine weit verbreitete Übung, aus der sich aber nichts für eine Bindungswirkung ergibt. Die Beteiligten zu 2) bis 4) übersehen, daß die Erblasserin und ihr Ehemann mit ihnen keinen Erbvertrag geschlossen haben, der ihnen die von ihnen gewünschte Verbindlichkeit hätte gewähren können, sondern sie nur in einer einseitigen letztwilligen Verfügung bedacht worden sind, durch die ihnen der tatsächliche Anfall der Erbschaft grundsätzlich nur in Aussicht gestellt wird.

Ergibt somit die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments nicht die vom Landgericht angenommene Wechselbezüglichkeit, war zu prüfen, ob eine Wechselbezüglichkeit nach § 2270 Abs. 2 BGB anzunehmen ist. Da die Beteiligten zu 2) bis 4) mit dem Ehemann der Erblasserin nicht verwandt waren, kam nur die zweite Alternative des Absatz 2 in Betracht; so daß zu untersuchen war, ob die Beteiligten zu 2) bis 4) dem Ehemann der Erblasserin "nahestanden". Dies hatte das Landgericht nicht geprüft, weil es die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) mit der Erbeinsetzung der Ehefrau als wechselbezüglich angesehen hatte, so daß kein Anlaß bestand, auf die Vorschrift des § 2270 Abs. 2 BGB einzugehen.

An den Begriff des "Nahestehens" im Sinne des § 2270 Abs. 2 BGB sind strenge Anforderungen zu stellen, um die gesetzliche Vermutung nicht zur gesetzlichen Regel werden zu lassen (BayObLG FamRZ 1991, 1232; KG OLGZ 1993, 398; Palandt/ Edenhofer, a.a.O., § 2270 BGB Rdn. 9). Darunter fallen nur Personen, zu denen der betroffene Ehegatte enge persönliche und innere Bindungen gehabt hat, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu nahen Verwandten entsprechen (KG a.a.O.). Irgendwelche Umstände dafür, daß die Beteiligten zu 2) bis 4) dem Ehemann der Erblasserin in diesem Sinne nahestanden, gibt es nicht. Es mag dahinstehen, ob diese Voraussetzungen in der Person des Vaters der Beteiligten zu 2) bis 4) gegeben waren; jedenfalls fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, daß die Beteiligten zu 2) bis 4) dem Ehemann der Erblasserin in der dargelegten Weise nahestanden. Dies kann auch nicht den früheren Testamenten der Ehegatten entnommen werden, wie die Beteiligten zu 2) bis 4) meinen. Entgegen ihrer Auffassung waren sie nämlich nicht bereits in dem früheren Testament vom 28.04.1972 bedacht worden. Denn dort sind nicht sie, sondern "die Erben" ihres Vaters als Ersatzerben - wen auch immer er dazu bestimmen mag - eingesetzt worden. Dies belegt, daß in den früheren Testamenten nicht die "Familie B", sondern die Eltern bzw. der Vater der Beteiligten zu 2) bis 4) allein bedacht werden sollte, zumal in dem späteren Testament vom 10.2.1994 als Erben ausdrücklich gesetzliche und testamentarische Erben aufgeführt worden sind.

2.

War nach alledem ein Widerruf der Schlußerbeneinsetzung durch die Erblasserin rechtlich möglich, sind die Beteiligten zu 2) bis 4) aber nur dann von der Erbfolge ausgeschlossen, wenn die Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierfähig im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB gewesen ist. Diese Fähigkeit wird von den Beteiligten zu 2) bis 4) in Abrede gestellt, insbesondere im Hinblick auch auf das Vorbringen der Beteiligten zu 1) in dem Verfahren auf Bestellung eines Betreuers für die Erblasserin. Dort hat die Beteiligte zu 1) nur drei Monate nach der Testamentserrichtung ihrer Schwester vom 31.07.1997 ausgeführt, das Kurzzeitgedächtnis und die Kritikfähigkeit der Erblasserin seien gänzlich erloschen. Da der Abbau der geistigen Kräfte, insbesondere der Gedächtnisfähigkeit, sich gewöhnlich über einen längeren Zeitraum erstreckt, besteht vorliegend hinreichender Anlaß zur Prüfung, ob die Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung am 31.07.1997 noch testierfähig gewesen ist. Dies hat auch das Landgericht so gesehen, das aber - aus seiner Sicht zutreffend - angenommen hat, auf die Testierfähigkeit komme es nicht an, weil das Testament vom 31.07.1997 ohnehin nicht zum Zuge komme.

Somit kommt es entscheidend darauf an, ob die Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung am 31.07.1997 testierfähig gewesen ist. Die Ermittlungen hierzu können vom Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht angestellt werden. Die Sache war daher aufzuheben und an das Landgericht zurückzuverweisen, das nunmehr die erforderlichen Feststellungen zur Testierfähigkeit der Erblasserin zu treffen haben wird.

Ende der Entscheidung

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