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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.09.2004
Aktenzeichen: 15 W 281/04
Rechtsgebiete: WEG, BGB


Vorschriften:

WEG § 22 Abs. 1
WEG § 23 Abs. 1
BGB § 242
1) Für die Genehmigung einer baulichen Veränderung besteht eine Beschlußkompetenz zu mehrheitlicher Beschlußfassung der Eigentümerversammlung.

2) Die Ausübung des Rechts zur Vornähme einer baulichen Veränderung aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Eigentümerversammlung unterliegt nicht der Verwirkung (§ 242 BGB). Es kommt allenfalls eine Aufhebung der Genehmigung durch einen Zweitbeschluß in Betracht.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 281/04 OLG Hamm

In der Wohnungseigentumssache

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 09. September 2004 auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) vom 11. und 14. Juni 2004 gegen den Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg vom 12. Mai 2004

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Auf die sofortige Erstbeschwerde der Beteiligten zu 3) und 4) wird der Beschluß des Amtsgerichts vom 06.01.2004 abgeändert.

Der Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1) und 2) tragen als Gesamtschuldner die Gerichtskosten des Verfahrens in allen Instanzen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens findet nicht statt.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe: I. Die Beteiligten sind die Miteigentümer der vorbezeichneten Wohnungseigentumsanlage; der zu 3) beteiligte Ehemann ist zugleich deren Verwalter. In der Eigentümerversammlung vom 31.03.1984 wurde zu Tagesordnungspunkt 8 folgender Beschluß gefaßt: "An den Südbalkonen L und G sollen zum Westen hin (Schlagseite) Windabweiser angebracht werden, und zwar in der Art, wie sie in den Nachbarhäusern bereits vorhanden sind. An der Terrasse V soll im gleichen Bereich eine Holzpergola in Qualität und Aussehen wie die übrigen am Gebäude bereits vorhandenen Holztrennwände aufgestellt werden. Die genannten Eigentümer sollen darauf achten, daß weitgehend eine einheitliche Anlage entsteht. Kosten kommen hier auf die Gemeinschaft nicht zu. Die Kosten übernehmen die betreffenden Eigentümer, wenn sie die vorbeschriebenen Maßnahmen an ihren Balkonen bzw. Terrasse vornehmen lassen wollen. Es wurde abgestimmt. Herr Dr. X in Vollmacht für G enthielt sich der Stimme. Für die Gestattung dieser Maßnahmen durch die genannten Wohnungseigentümer stimmten ansonsten sämtliche übrigen Wohnungseigentümer." Zeitlich nach diesem Eigentümerbeschluß sind mehrfach einzelne Wohnungseigentumsrechte veräußert worden. Der Beteiligte zu 4) ist Sonderrechtsnachfolger des in dem zitierten Beschluß erwähnten Miteigentümers G. Die Beteiligten zu 3) und 4) haben im Juni 2003 auf der Westseite der Balkone ihrer Wohnungen Windabweiser anbringen lassen, die jeweils aus einem Fensterrahmen mit undurchsichtigem Glas bzw. Kunststoff bestehen. In dem vorliegenden Verfahren haben die Beteiligten zu 1) und 2) die Beteiligten zu 3) und 4) auf Beseitigung der Windabweiser in Anspruch genommen. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen geltend gemacht, es handele sich um bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums, die unzulässig seien, weil sie ihre dazu nach § 22 Abs. 1 WEG erforderliche Zustimmung nicht erteilt hätten. Aus dem Eigentümerbeschluß vom 31.03.1984 könnten die Beteiligten zu 3) und 4) keine Rechte mehr für sich herleiten, weil Ansprüche daraus verwirkt seien. Ohne erneuten Eigentümerbeschluß hätte die bauliche Veränderung deshalb nicht herbeigeführt werden dürfen. Die Beteiligten zu 3) hätten die bauliche Veränderung bereits geplant, es jedoch unterlassen, die Miteigentümer darüber in der vorausgegangenen Versammlung vom 15.03.2003 zu informieren. Die Beteiligten zu 3) und 4) sind dem Antrag entgegengetreten. Sie halten die Anbringung der Windabweiser insbesondere aufgrund des nicht angefochtenen Eigentümerbeschlusses vom 31.03.1984 für rechtmäßig. Das Amtsgericht hat nach Durchführung einer Ortsbesichtigung durch Beschluß vom 06.01.2004 dem Antrag stattgegeben. Gegen diesen Beschluß haben die Beteiligten zu 3) und 4) rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat in öffentlicher Sitzung vom 12.05.2004 vor der vollbesetzten Zivilkammer mit den Beteiligten mündlich verhandelt und durch den am Schluß der Sitzung verkündeten Beschluß die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richten sich die sofortigen weiteren Beschwerden, die die Beteiligten zu 3) mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 14.06.2004, der Beteiligte zu 4) mit einem anwaltlich unterzeichneten Schreiben vom 11.06.2004 bei dem Landgericht eingelegt haben. II. Die sofortigen weiteren Beschwerden sind nach den §§ 45 Abs. 1 43 Abs. 1 WEG, 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3) und 4) folgt bereits daraus, daß ihre sofortigen Erstbeschwerden ohne Erfolg geblieben sind. In der Sache sind die Rechtsmittel begründet, weil die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG). Die sofortigen weiteren Beschwerden führen zur Zurückweisung des Antrags der Beteiligten zu 1) und 2). In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von zulässigen sofortigen Erstbeschwerden der Beteiligten zu 3) und 4) ausgegangen. In der Sache hält seine Entscheidung indessen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei der Anbringung der Windabweiser an den Balkonen der Beteiligten zu 3) und 4) handelt es sich um eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums, deren Rechtmäßigkeit nach § 22 Abs. 1 WEG zu beurteilen ist. Nach Abs. 1 S. 1 und 2 der Vorschrift in Verbindung mit § 14 Nr. 1 WEG bedarf eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer, die durch die Maßnahme einen tatsächlichen Nachteil erleiden, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht. Ein Mehrheitsbeschluß der Eigentümerversammlung ist dazu weder erforderlich noch ausreichend (BGH NJW 1979, 817). Daraus folgt jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht, daß eine Beschlußkompetenz der Eigentümerversammlung zu einer mehrheitlichen Beschlußfassung über die Genehmigung einer baulichen Veränderung fehlt. Diese Auffassung findet in der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung des BGH vom 20.09.2000 (BGHZ 145, 158 = NJW 2000, 3500) keine Stütze. Aus dem Leitsatz 5 dieser Entscheidung und den dazu gehörenden Gründen ergibt sich vielmehr, daß der BGH von dem Gesichtspunkt der fehlenden Beschlußkompetenz Beschlüsse der Eigentümerversammlung über bauliche Veränderungen ausdrücklich ausnimmt. Aus § 22 Abs. 1 WEG folgt eine grundsätzlich Beschlußkompetenz der Eigentümerversammlung, weil auch nach dieser Vorschrift bauliche Veränderungen Gegenstand der Beschlußfassung der Eigentümerversammlung sein können. Ob dafür ein mehrheitliches Beschlußergebnis ausreicht, ist eine Frage der Ordnungsmäßigkeit der Beschlußfassung bezogen auf die konkreten Umstände und damit der Rechtmäßigkeit der getroffenen Regelung des Einzelfalls. Die Überschreitung der rechtlichen Grenzen durch die im Einzelfall getroffene Regelung kann deshalb nur die Anfechtbarkeit des Eigentümerbeschlusses begründen, die lediglich in einem Beschlußanfechtungsverfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG geltend gemacht werden kann (BayObLG NJW-RR 2001, 1592 = NZM 2001, 133; OLG Köln NJW-RR 2001, 1096 = NZM 2001, 293; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 22, Rdnr. 244; MK/BGB-Engelhardt, 4. Aufl., § 23 WEG, Rdnr. 18). Der Beschluß zu Tagesordnungspunkt 8 der Eigentümerversammlung vom 31.03.1984 enthält hier eine Genehmigung der Anbringung der Windabweiser an den Balkonen der Wohnungen der Beteiligten zu 3) und 4). Da mangels entsprechender Antragstellung eine Ungültigerklärung des Beschlusses in einem Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG nicht erfolgt ist, bleibt der Eigentümerbeschluß für die Wohnungseigentümer verbindlich. Diese Bindungswirkung tritt gem. § 10 Abs. 3 WEG auch für diejenigen Miteigentümer ein, die nach der Beschlußfassung durch Eigentumserwerb in die Gemeinschaft eingetreten sind. Ein Eigentümerbeschluss, durch den die bauliche Veränderung genehmigt worden ist, schließt einen Anspruch auf Beseitigung derselben aus (BayObLG FGPrax 1995, 38 = NJW-RR 1995, 395). Die Entscheidung des Landgerichts kann daher keinen Bestand haben. Sie erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Zunächst kann nicht festgestellt werden, daß die konkrete Ausführung der Windabweiser von dem Eigentümerbeschluß vom 31.03.1984 abweicht. Nach dem Wortlaut des Beschlusses sollten die Windabweiser in ihrer Ausführung denjenigen in den Nachbarhäusern angeglichen werden. Demgegenüber sollte lediglich der gleichfalls genehmigte Windabweiser der Wohnung der Beteiligten zu 2) in Form einer Holzpergola ausgeführt und auf diese Weise den vorhandenen Abtrennungen zwischen den Terrassen bzw. Balkonen angepaßt werden. Daß die Windabweiser an den Balkonen der Beteiligten zu 3) und 4) in ihrer Ausführung den konkreten Vorgaben des Eigentümerbeschlusses vom 31.03.1984 nicht entsprechen, wird von den Antragstellern selbst nicht geltend gemacht. Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) und 2) ist die Befugnis der Beteiligten zu 3) und 4) zur Anbringung der Windabweiser nicht durch Zeitablauf erloschen, insbesondere unterliegt die Wirkung des Eigentümerbeschlusses vom 31.03.1984 nicht der Verwirkung. Der Anwendungsbereich des Rechtsinstituts der Verwirkung beschränkt sich auf die gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßende, illoyale Verspätung der Ausübung einer Rechtsposition, die einem anderen gegenüber geltend gemacht werden kann (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 242, Rdnr. 91). Bei einem Beschluß der Eigentümerversammlung handelt es sich demgegenüber um einen rechtsgeschäftlichen Gesamtakt: Der Mehrheitsbeschluß der Eigentümerversammlung unterscheidet sich zwar insoweit von einem Vertrag, als er nicht die Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer voraussetzt, sondern Bindungswirkung auch gegenüber den überstimmten oder den der Versammlung ferngebliebenen Wohnungseigentümern entfaltet. Dennoch erfüllt er insoweit die Merkmale eines Rechtsgeschäfts, als sein wesentlicher Bestandteil eine oder mehrere Willenserklärungen sind und er die kollektive und rechtsverbindliche Entscheidung der Gemeinschaft über einen Antrag zum Ausdruck bringt. Jedenfalls gilt dies dort, wo die Beschlüsse nicht lediglich interne Wirkung haben, sondern auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung rechtlicher Befugnisse oder Pflichten gerichtet sind (BGH NJW 1998, 3713, 3715). Um eine solche rechtsgeschäftliche Wirkung handelt es sich hier, indem in Abänderung des gesetzlichen Inhalts des Gemeinschaftsverhältnisses der Wohnungseigentümer die Befugnis der Beteiligten zu 3) und 4) zur Vornahme einer baulichen Veränderung, hier zur Anbringung der Windabweiser, begründet worden ist. Der Eigentümerbeschluß als Rechtsgeschäft führt also zu einer unmittelbaren Umgestaltung der Rechtslage. Die Rechtswirkungen des Eigentümerbeschlusses bestimmen sich allein nach seinem Inhalt. Enthält der Beschluß - wie hier - keine Befristung, wie sie nach § 163 BGB durchaus möglich wäre, so bietet § 242 BGB keine Grundlage, die rechtsgeschäftlichen Wirkungen gleichwohl mit einem Endtermin zu versehen. Vielmehr können die rechtsgeschäftlichen Wirkungen wiederum nur durch Rechtsgeschäft beseitigt oder beendet werden, wobei die Voraussetzungen einer Aufhebung oder Beendigung nach dem jeweiligen Rechtsverhältnis der Beteiligten zu beurteilen sind. Im Rahmen des Gemeinschaftsverhältnisses der Wohnungseigentümer ist anerkannt, daß ein Eigentümerbeschluß im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung (§ 21 Abs. 4 WEG) durch einen abändernden Zweitbeschluss aufgehoben oder abgeändert werden kann, wobei schutzwürdige Belange eines Wohnungseigentümers aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses zu beachten sind (BGHZ 113, 197 = NJW 1991, 979). In diesem Rahmen kann durch einen Eigentümerbeschluss nach den Umständen des Einzelfalls auch ein Widerruf einer in der Vergangenheit erfolgten Genehmigung einer baulichen Veränderung erfolgen (BayObLG, a.a.O.). Die Möglichkeit eines abändernden Zweitbeschlusses unter den genannten einschränkenden Voraussetzungen ermöglicht daher eine sachgerechte Abwägung der Interessen der Wohnungseigentümer, so daß für eine darüber hinausgehende Anwendung des § 242 BGB kein Raum bleibt. Im vorliegenden Fall erweist sich die von den Beteiligten zu 3) und 4) vorgenommene bauliche Veränderung bereits deshalb als rechtmäßig, weil vor der Anbringung der Windabweiser ein Eigentümerbeschluß über den Widerruf der Genehmigung der baulichen Veränderung nicht erfolgt ist. Eine andere Beurteilung liegt entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1) und 2) auch nicht dem Beschluss des Senats vom 14.11.1989 (OLGZ 1990, 159 = WE 1990, 101) zugrunde. Der dort behandelte Einwand der Verwirkung bezieht sich sachlich auf den Anspruch des Wohnungseigentümers (§§ 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 2 WEG) auf ordnungsgemäße Verwaltung mit dem Ziel der erstmaligen Herstellung eines der Teilungserklärung entsprechenden Zustandes des gemeinschaftlichen Eigentums. Darum geht es hier jedoch nicht. Die Entscheidung über die Gerichtskosten des Verfahrens folgt aus § 47 S. 1 WEG. Da die Beteiligten zu 1) und 2) in der Sache unterlegen sind, entspricht es der Billigkeit, sie mit den Gerichtskosten aller drei Instanzen zu belasten. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten (§ 47 S. 2 WEG) hat es hingegen bei dem Grundsatz zu verbleiben, daß die Beteiligten im Verfahren nach dem WEG ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben. Besondere Umstände, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben, zumal der Senat erstmals eine von den Entscheidungen beider Vorinstanzen abweichende Sachentscheidung getroffen hat. Die Wertfestsetzung für das Verfahren dritter Instanz beruht auf § 48 Abs. 3 WEG.

Ende der Entscheidung

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