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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.01.2007
Aktenzeichen: 15 W 285/06
Rechtsgebiete: AufenthG, FEVG, FGG


Vorschriften:

AufenthG § 62
FEVG § 13
FGG § 17
1) Um eine nach nordrhein-westfälischem Landesrecht zulässige Spontanfestnahme handelt es sich dann, wenn die Ausländerbehörde die vorläufige Festnahme des Betroffenen veranlasst, nachdem dieser längere Zeit unbekannten Aufenthalts war und sich erst im Zusammenhang mit einer Vorsprache bei dem Sozialamt wieder gemeldet hat.

2) Die Dauer der richterlich angeordneten Haft berechnet sich nach den §§ 17 FGG, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, bei einer Bemessung nach Monaten also ohne Hinzurechnung des Tages der Verkündung der Haftanordnung.


Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass in Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen der Antrag des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung am 22.03.2005 bis zum Erlass des Haftbefehls vom gleichen Tage als unbegründet zurückgewiesen wird.

Gründe:

1) Der Antrag des Betroffenen vom 01.02.2005 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Ingewahrsamnahme vom Zeitpunkt der Festnahme bis zum Erlass des Haftbefehls

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 27 Abs. 1, 29 FGG; 3, 7 FEVG). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Rechtmäßigkeit einer der Haftanordnung vorausgehenden behördlichen Festnahme zum Zwecke der Vorführung vor dem Haftrichter im Verfahren nach dem FEVG, und zwar mit einem an keine Form oder Frist gebundenen Antrag nach § 13 Abs. 2 FEVG (Marschner/Volkart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 13 FEVG Rn. 4) zur gerichtlichen Nachprüfung gestellt werden kann. Über diesen Antrag hat erstinstanzlich das Amtsgericht zu entscheiden (§§ 3, 13 Abs. 2 FEVG), gegen dessen Entscheidung ist nach §§ 7 FEVG, 22, 27 FGG die sofortige und gegen die Entscheidung des Landgerichts die sofortige weitere Beschwerde zulässig (OLG Schleswig NVwZ 2003, 1412 = OLGR Schleswig 2003, 421; OLG Braunschweig InfAuslR 2004, 166; OLG Celle InfAuslR 2004, 210; KG InfAuslR 2002, 315 = KGR 2002, 174).

In der Sache ist das Rechtsmittel jedoch unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, §§ 27 Abs. 1 FGG, 564 ZPO.

Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Ausländerbehörde rechtmäßig verhalten hat, als sie den Betroffenen zum Zwecke der Vorführung vor dem Haftrichter festnehmen ließ. Die Befugnis der Ausländerbehörde, den Betroffenen bis zur richterlichen Entscheidung über seinen Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft gem. § 57 AuslG vorläufig festzunehmen (und gegebenenfalls auch in Gewahrsam zu nehmen), ergibt sich, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, in NRW aus § 24 OBG NRW i.V.m. § 35 Abs.1 Nr.2 PolG NRW (OLG Köln NJW 2005, 3361 = JMBl NRW 2005, 34; FGPrax 2005, 275 = InfAuslR 2005, 422 = OLGR Köln 2006, 29). Nach § 13 Abs. 1 FEVG muss bei jeder Freiheitsentziehung, die nicht auf einer richterlichen Anordnung beruht, unverzüglich die richterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist "unverzüglich" im Sinne des § 13 Abs. 1 FEVG wie auch des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfGE 105, 239 = NJW 2002, 3161). Dass dies hier nach der Festnahme des Betroffenen nicht geschehen ist, ist nicht ersichtlich, insbesondere auch nicht vom Betroffenen geltend gemacht worden.

Der Betroffene rügt vielmehr, die Festnahme ohne vorherige richterliche Anhörung sei hier deshalb ungerechtfertigt gewesen, weil die Ausländerbehörde die Festnahme geplant und es sich nicht um eine Spontanfestnahme gehandelt habe. Die Annahme einer geplanten Festnahme durch die Ausländerbehörde, wie sie jeweils den von dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zitierten Entscheidungen zugrunde lag (OLG Köln FGPrax 2005, a.a.O., OLG Celle InfAuslR 2004, 210 = NdsRpfl 2004, 129), lässt sich aber mit dem Akteninhalt nicht in Einklang bringen, wie Landgericht zutreffend dargelegt hat. Denn während in den Fällen, die den zitierten Entscheidungen zugrunde lagen, der Ausländerbehörde der Aufenthalt des Ausländers einen Tag vor der Festnahme bekannt war und daher nach den Feststellungen der Gerichte vor der Festnahme ohne weiteres eine richterliche Entscheidung hätte herbeigeführt werden können, war vorliegend der Ausländerbehörde der Aufenthalt des Betroffenen unbekannt - der Betroffene räumt selbst ein, die ihm zugewiesene Gemeinschaftsunterkunft in M verlassen zu haben und zu einem Landsmann nach C gezogen zu sein - und sie hat sich erst zur Festnahme zwecks richterlicher Anordnung der Abschiebungshaft entschlossen, nachdem ihr vom Sozialamt mitgeteilt worden war, dass sich der Betroffene bei ihm gemeldet habe, aber weigere, seine Anschrift in C, unter der er sich zuletzt aufgehalten hatte, mitzuteilen. Daher ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hier ein Fall gegeben, in dem vor der Festnahme eine vorherige richterliche Entscheidung nicht zu erreichen gewesen ist ("Spontanfestnahme").

2) Der Antrag des Betroffenen vom 23.03.2005, festzustellen, dass seine Inhaftierung am 22.02.2005 bis zum Erlass des Haftverlängerungsbeschlusses vom 22.02.2205 rechtswidrig gewesen sei

Auch hinsichtlich dieses Antrags ist die sofortige weitere Beschwerde zulässig und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 27 Abs. 1, 29 FGG; 3, 7 FEVG). Die Beschwerdebefugnis des Betroffenen folgt aus der Zurückweisung seiner Erstbeschwerde.

Diesen Antrag haben die Vorinstanzen allerdings zu Unrecht mangels eigener Zuständigkeit als unzulässig angesehen, weil das Amtsgericht Minden das Verfahren am 17.02.2005 an das Amtsgericht Paderborn abgegeben habe.

Zwar führt die Abgabe eines Verfahrens zu einer Neubegründung der örtlichen Zuständigkeit des die Sache übernehmenden Amtsgerichts und mit dieser gegebenenfalls zur örtlichen Zuständigkeit des dem übernehmenden Amtsgericht übergeordneten Landgerichts auch für die Anfechtung der Entscheidung des bisher zuständigen Amtsgerichts (vgl. Keidel/Engelhardt, FG, 15. Aufl., § 46, Rn. 47). Die Auslegung des Beschlusses des Amtsgerichts Minden vom 17.02.2005 ergibt hier aber unzweideutig, dass die Abgabe nur für Folgeentscheidungen ausgesprochen worden ist. Damit sind dem Zusammenhang nach lediglich die Entscheidungen über etwaige künftige Anträge auf Verlängerung der Abschiebungshaft gemeint, die jeweils ein selbständiges Verfahren nach dem FEVG einleiten. Der vorliegende Antrag betrifft jedoch die Frage, ob der Betroffene aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Minden noch am 22.02.2005 inhaftiert werden konnte oder ob er mit Ablauf des 21.02.2005 aus der Haft hätte entlassen werden müssen.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen können daher insoweit keinen Bestand haben. Einer Zurückverweisung der Sache bedarf es indes nicht, weil der Sachverhalt geklärt ist, so dass der Senat als Rechtsbeschwerdegericht, selbst in der Sache entscheiden kann.

Der Antrag des Betroffenen vom 23.03.2005 hat in der Sache keinen Erfolg.

Ist, wie hier, mit sofortiger Wirksamkeit Abschiebungshaft für eine nach Monaten bestimmte Dauer angeordnet, endigt die Haftdauer gemäß § 17 FGG in Verbindung mit §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher durch seine Zahl dem Tag der Haftanordnung entspricht (Senat FGPrax 1995, 82 = NVwZ 1995, 825; BayObLG BayObLGZ 1998, 130). Da das Amtsgericht Minden die Haft am 22.11.2004 für die Dauer von drei Monaten angeordnet hatte, endete sie mit Ablauf des 22.02.2005.

Von dieser verfahrenrechtlichen Betrachtung zu unterscheiden ist allerdings die materiellrechtliche Frage der höchstzulässigen Dauer der Haft, die z.B. bei der "kleinen Sicherungshaft" nach § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG zwei Wochen und bei der Sicherungshaft ansonsten gemäß § 62 Abs. 3 AufenthG sechs Monate bzw. maximal achtzehn Monate beträgt. Bei dieser materiellrechtlichen Frist ist der erste Tag der Haft mitzurechnen, weil entsprechend dem Rechtsgedanken des § 37 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Halbsatz 2 StrafVollstrO nur auf diese Weise zuverlässig gewährleistet werden kann, dass es zu einer Haftvollziehung über den höchstzulässigen Zeitraum hinaus kommt. Auch diese Frist ist vorliegend nicht überschritten, weil der Betroffene aufgrund seiner Passlosigkeit und seiner unrichtigen Angaben zu den Personalien es zu vertreten hatte, dass die Abschiebungshaft nicht innerhalb der ersten drei Monate der Haftzeit durchgeführt werden konnte.

Der Senat nimmt den vorliegenden Fall erneut zum Anlass, davon abzuraten, die Haft nach Monaten zu bemessen, weil dies die Gefahr unzulässiger Überschreitungen der oben genannten Zeitgrenzen in § 62 AufenthG birgt. Es empfiehlt sich dringend, immer ein genaues Enddatum nach dem Kalendertag zu tenorieren, mit dessen Ablauf die Haft endet.

Ende der Entscheidung

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