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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 15 W 309/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 404
BGB § 412
BGB § 1836e
FGG § 56 g Abs. 1 S. 3
1) Durch eine strafbare Untreue oder Unterschlagung kann der Anspruch des Betreuers auf Vergütung und Aufwendungsersatz ganz oder teilweise verwirkt sein.

2) Die Annahme einer Verwirkung ist nicht davon abhängig, dass die strafbare Handlung in denselben Zeitraum fällt, für den Vergütung und Aufwendungsersatz in Anspruch genommen werden.

3) Der Verwirkungseinwand ist im Festsetzungsverfahren nur beachtlich, wenn die Tatsachen für die Beurteilung der strafrechtlichen Vorwürfe feststehen.

4) Der Betreute kann den Verwirkungseinwand nach den §§ 412, 404 BGB uneingeschränkt auch in dem Verfahren erheben, in dem die Staatskasse die Festsetzung der auf sie gem. § 1836 e BGB übergegangenen Ansprüche des Betreuers betreibt.


Tenor:

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Dortmund wird teilweise aufgehoben und der Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 20. September 2004 wird teilweise dahingehend abgeändert, dass die Verpflichtung der Beteiligten zu 1) zur Rückzahlung der auf die Beteiligte zu 3) übergegangenen Ansprüche aus Betreuervergütung und Aufwendungsersatz für den Zeitraum vom 1.3.2001 bis zum 31.12.2003 nur in Höhe von insgesamt 2.104,48 Euro besteht.

Gründe:

I.

Für die Betroffene, die an einer leichten intellektuellen Minderbegabung leidet, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 5.12.2000 zunächst eine vorläufige Betreuung und mit weiterem Beschluss vom 16.1.2001 eine endgültige Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge einschließlich eines Einwilligungsvorbehaltes angeordnet. Zur Berufsbetreuerin wurde Frau U bestellt. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 22.4.2002 wurde Frau U entlassen und der Beteiligte zu 2) zum neuen Berufsbetreuer bestellt. Die frühere Betreuerin hat für den Zeitraum vom 5.12.2000 bis zum 31.12.2001 insgesamt 7.760,97 Euro an Vergütung und Aufwendungsersatz aus der Landeskasse erhalten. Mit den Beschlüssen des Amtsgerichts Hamm vom 6.12.2002 und 12.6.2003 wurde festgestellt, dass die an die frühere Betreuerin am 9.3.2001 und 11.6.2001 aus der Staatskasse gezahlten Beträge in Höhe von 2.751,71 Euro bzw. 1.741,96 Euro gemäß § 1836 e BGB auf die Staatskasse übergegangen sind und die Einziehung des Betrages von 2.751,71 Euro und eines weiteren Teilbetrages vom 605,32 Euro angeordnet. Diese Entscheidungen sind nicht angefochten worden.

Die früher mittellose Betroffene verfügte im April 2004 aufgrund einer Erbschaft über ein Vermögen von mehr als 14.000 Euro.

Mit Beschluss vom 20.9.2004 hat das Amtsgericht Hamm festgestellt, dass die Betroffene zur Rückzahlung der in dem Zeitraum vom 1.3.2001 bis zum 31.12.2003 aus der Landeskasse an die frühere Betreuerin und den Beteiligten zu 2) gezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 6.508,42 Euro verpflichtet ist, wovon noch 4.403,93 Euro auf die an die frühere Betreuerin für den Zeitraum vom 1.3.2001 bis zum 31.12.2001 geleisteten Zahlungen entfallen.

Gegen den am 24.9.2004 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 2) im Namen der Betroffenen am 29.9.2004 sofortige Beschwerde eingelegt, soweit die Rückforderung sich auf die Beträge bezieht, die an die frühere Betreuerin gezahlt worden sind. Insoweit bestehe nach Treu und Glauben kein Vergütungsanspruch, weil die frühere Betreuerin Gelder der Betroffenen veruntreut habe. Hilfsweise werde die Aufrechnung mit entsprechenden Schadensersatzansprüchen erklärt. Im Übrigen habe die frühere Betreuerin Leistungen abgerechnet, die nicht erbracht worden seien.

Mit dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Hamm vom 16.12.2005 (Az. 9 Ls 116 Js 64/03) ist die frühere Betreuerin insoweit wegen Untreue in 16 besonders schweren Fällen zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden, weil sie in der Zeit vom 9.1.2002 bis zum 18.4.2002 Geldbeträge der Betroffenen von 2.575,-- Euro für sich verwendet hat.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11.8.2006 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels den Rückforderungsanspruch auf einen Betrag von 6.310,02 Euro beschränkt und zur Begründung ausgeführt, wegen nicht erbrachter Leistungen der früheren Betreuerin sei von dem Rückforderungsanspruch ein Abzug von 198,40 Euro vorzunehmen, während der Einwand der Verwirkung des Vergütungsanspruchs nicht durchgreife. Zugleich hat es die weitere Beschwerde zugelassen.

Gegen den am 21.8.2006 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 2) am 4.9.2006 im Namen der Betroffenen sofortige weitere Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dem auf die Landeskasse übergegangenen Anspruch könne der Einwand der Verwirkung des Vergütungsanspruchs der früheren Betreuerin entgegengesetzt werden.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß §§ 56g Abs. 5 S. 2, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Betroffenen ergibt sich bereits daraus, dass ihre Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist die weitere Beschwerde begründet, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 FGG. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Festsetzung des Rückzahlungsanspruchs in Höhe des genannten Teilbetrages von 4.403,94 Euro.

Dem Landgericht lag eine nach §§ 56g Abs. 5 S. 1, 20 FGG zulässige Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1) vor. Grundlage ist der gesetzliche Forderungsübergang der Ansprüche des Betreuers auf Vergütung und Aufwendungsersatz auf die Staatskasse in dem Umfang, in dem der Betreuer wegen dieser Ansprüche aus der Staatskasse befriedigt worden ist. Ohne Rechtsfehler und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet hat das Landgericht angenommen, dass die Beteiligte zu 1) gemäß §§ 1908i Abs. 1, 1836e, 1836c BGB grundsätzlich zur Rückzahlung der durch die Landeskasse verauslagten Beträge verpflichtet ist, weil ihr Vermögen die gem. §§ 1836 c Abs. 1 Nr. 2 BGB i. V. m. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII und § 1 Abs. 1 Nr. 1b der DurchführungsVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII vom 30.12.2003 (BGBl I 2003, 3060) maßgebliche Freibetragsgrenze von 2.600 Euro übersteigt. Ob die, ersichtlich auf das von dem Beteiligten zu 2) mit Schriftsatz vom 13.2.2006 übersandte Vermögensverzeichnis zum gleichen Stichtag gestützte Feststellung des Landgerichts, die Betroffene verfüge über ein Vermögen von mehr als 14.000,-- Euro, verfahrensfehlerfrei getroffen ist, ist zweifelhaft, da für die Beurteilung der Mittellosigkeit auf den Zeitpunkt der Festsetzungsentscheidung bzw. der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz abzustellen ist (vgl. BayObLG, FamRZ 2000, 558) und der Vermögensstand nach Mitteilung des Amtsgerichts vom 27.10.2006 zum Stichtag 31.7.2006 nur noch 8.416,42 Euro betrug. Darauf kommt es hier jedoch nicht an, weil der Rückforderungsanspruch hinsichtlich der auf die Landeskasse übergegangenen Vergütungsansprüche des Beteiligten zu 2) nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist und - wie unten noch näher ausgeführt wird - ein weitergehender Rückgriffsanspruch aus sachlichen Gründen nicht begründet ist.

Grundsätzlich stehen einem Betreuten gegenüber dem nach § 1836e BGB auf die Staatskasse übergegangenen Anspruch nach den §§ 412, 404 BGB alle Einwendungen und Einreden zu, die er auch gegenüber dem Betreuer selbst geltend machen konnte (vgl. Münchener Kommentar-Wagenitz, 4. Aufl., § 1836e BGB, Rdnr. 5). Bei den Zahlungen aus der Staatskasse handelt es sich seit dem In-Kraft-Treten des 1. BtÄndG am 1.1.1999 nämlich nur noch um eine Vorleistung (vgl. Deinert-Lütgens, Die Vergütung des Betreuers, 4. Aufl., Rdnr. 1255). Eine Erfüllung des gegenüber dem Betreuten bestehenden Vergütungs- und Aufwendungsersatzanspruches tritt dadurch nicht ein. Es findet lediglich ein Gläubigerwechsel statt.

Insoweit ist anerkannt, dass bei Untreue des Betreuers zum Nachteil des Betreuten der Vergütungsanspruch wegen eines schweren Verstoßes gegen die bestehende Treuepflicht verwirkt sein kann (vgl. BayObLG, NJW 1988, 1919 m. w. N.). Nichts anderes kann wegen der das gesamte Betreuungsverhältnis erfassenden Treuepflichtverletzung für den Aufwendungsersatzanspruch nach § 1835 BGB gelten. Der Verwirkungseinwand ist im Festsetzungsverfahren beachtlich, wenn - wie hier aufgrund der rechtkräftigen Verurteilung der früheren Betreuerin wegen Untreue zu Lasten der Betroffenen - die Tatsachen für die Beurteilung der strafrechtlichen Vorwürfe von Unterschlagung oder Untreue feststehen (vgl. BayObLG, NJW 1992, 108, 109).

Das Landgericht hat offen gelassen, ob sich die Staatskasse den Verwirkungseinwand überhaupt entgegen halten lassen muss, die Vergütungsansprüche für den hier fraglichen Zeitraum vom 1.3.2001 bis zum 31.12.2001 jedenfalls nicht als verwirkt angesehen und zur Begründung ausgeführt, die von der früheren Betreuerin begangenen Untreuehandlungen fielen in einen Zeitraum, der sich erst an den Zeitraum anschließe, für den der Betreuerin Vergütung und Aufwendungsersatz aus der Staatskasse gewährt worden ist. Die hier fraglichen Vergütungsansprüche für den Zeitraum vor dem strafbaren Verhalten der ehemaligen Betreuerin seien daher nicht verwirkt.

Diese Begründung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Die Prüfung der Verwirkung von Ansprüchen setzt stets eine umfassende Abwägung aller maßgeblichen und den Fall prägenden Umstände voraus (vgl. BGH, NJW 1995, 1215, 1216; OLG Hamm, FamRZ 1995, 958). Der Rechtsmissbrauchseinwand greift insbesondere durch, wenn der Berechtigte seine Pflichten in grober Weise verletzt oder sich bewusst über die Interessen der Person, für die er tätig sein sollte, hinweggesetzt hat und dieser dadurch einen schweren, ihre Existenz bedrohenden Schaden zugefügt hat, so dass sich die in der Vergangenheit entfaltete Tätigkeit des Berechtigten nachträglich als wertlos oder zumindest erheblich entwertet herausstellt, wobei auch eine Teilverwirkung in Betracht kommen kann (vgl. BGH, NJW 2000, 1197, 1198 und 1981, 1211, 1212; WM 1979, 1116; BAG, NJW 1984, 141, 142). Von Bedeutung ist hierbei auch die Höhe des entstandenen Schadens sowie, ob und inwieweit dieser ersetzt worden ist (vgl. BGH, WM 1979, 1116; BAG a. a. O.)

Dagegen ist für die Frage der Verwirkung von Ansprüchen nicht darauf abzustellen, ob die fraglichen Vergütungs- bzw. Versorgungsansprüche und die Amtspflichtverletzungen dieselben oder unterschiedliche (Abrechnungs-) Zeiträume betreffen (vgl. BAG, a. a. O.). Dieses Abgrenzungskriterium ist insbesondere für die hier zu beurteilende Frage der Verwirkung von Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüchen eines Betreuers künstlich und ungeeignet, weil das Gesetz insoweit keine regelmäßigen Abrechnungsperioden vorsieht, sondern den Zeitpunkt der Geltendmachung und die Wahl des Abrechnungszeitraums in das Ermessen des Betreuers gestellt und nur durch die Ausschlussfristen der §§ 1835 Abs. 1 S. 3, 1836 Abs. 2 S. 4 BGB begrenzt hat. Im Übrigen würde die vom Landgericht vertretene Abgrenzung dem untreuen Betreuer und bei einem Übergang der Ansprüche nach § 1836e BGB auch der Staatskasse die Möglichkeit eröffnen, dem Verwirkungseinwand durch entsprechende Wahl der Abrechnungs- bzw. Rückgriffsperioden zu entgehen, was im Einzelfall leicht zu untragbaren Ergebnissen führen könnte.

Die Frage der Verwirkung des Vergütungsanspruchs hängt ausschließlich vom Verhalten der früheren Betreuerin während des gesamten Zeitraums ihrer Betreuertätigkeit ab. Die Betroffene kann sich daher gemäß §§ 412, 404 BGB auf den Verwirkungseinwand gegenüber der Beteiligten zu 3) auch berufen, soweit die darauf beruhenden Untreuehandlungen erst nach dem Zeitpunkt des Anspruchsübergangs begangen worden sind, da die Untreuehandlungen, ohne in ausschließlicher Beziehung zum Wechsel des Gläubigers zu stehen, nach Wesen und Inhalt des Schuldverhältnisses allein die geschädigte Betroffene zum Einwand berechtigen (vgl. BGHZ 54, 269, 271).

Die Entscheidung des Landgerichts kann daher keinen Bestand haben und ist, weil sie sich auch nicht im Ergebnis als richtig erweist, im Umfang der Anfechtung aufzuheben. Einer Zurückverweisung bedarf es jedoch nicht. Der Senat kann hier aufgrund des Rechtsfehlers der landgerichtlichen Entscheidung die Anknüpfungstatsachen selbst daraufhin würdigen, ob eine Verwirkung des Vergütungsanspruchs eingetreten ist, weil insoweit keine weiteren tatsächlichen Feststellungen mehr erforderlich erscheinen und die Sache deshalb entscheidungsreif ist (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27 FGG, Rdnr. 27).

Die Feststellungen der Vorinstanzen rechtfertigen es, den Vergütungsanspruch der früheren Betreuerin in Höhe des angegriffenen Betrages von 4.403,93 Euro als verwirkt anzusehen. Der bewusste Verstoß der früheren Betreuerin gegen ihre grundlegenden Treue- und Fürsorgepflichten gegenüber der Betroffenen, insbesondere auch im Hinblick auf den ihr übertragenen Aufgabenkreis der Vermögenssorge, lassen ihre während des Betreuungszeitraums entfalteten Tätigkeiten rückblickend als weitgehend wertlos erscheinen. Die festgestellten Untreuehandlungen hatten im Hinblick auf die Dauer der Betreuertätigkeit der früheren Betreuerin und die dafür gezahlte Vergütung nebst Aufwendungsersatz sowie das geringe Vermögen der Betroffenen ein erhebliches Gewicht, weil die Betroffene nur eine geringe Grund- und Ausgleichsrente (1.217 DM ab 1.12.2000 und 694 DM ab 1.7.2002) vom Versorgungsamt bezog und zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen war. Zudem hat die frühere Betreuerin nach den Feststellungen im Strafverfahren ihre Untreuehandlungen über mehrere Monate fortgesetzt, obwohl ihr klar war, dass sie der Tätigkeit als Berufsbetreuerin in ihrer damaligen Lebenssituation nicht mehr gewachsen war. Daher kann sie auch nicht entlasten, dass sie sich in einer finanziellen Notsituation befunden und ihre Tätigkeiten in dem fraglichen Zeitraum nicht abgerechnet hat. Der zugefügte Schaden ist zudem noch nicht ersetzt worden und die frühere Betreuerin ist in absehbarer Zeit auch nicht in der Lage, Schadensersatz zu leisten.

Ob der Vergütungsanspruch der früheren Betreuerin insgesamt verwirkt ist, bedarf hier keiner Entscheidung, weil hinsichtlich des restlichen Anspruchs bereits Einziehungsanordnungen des Amtsgerichts ergangen sind, die nicht Gegenstand des jetzigen Beschwerdeverfahrens sind.

Eine Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Auslagen war nicht veranlasst, da die Voraussetzungen für eine nach § 13a Abs. 1 S. 1 FGG nur ausnahmsweise anzuordnende Kostenerstattung aus Billigkeitsgesichtspunkten nicht gegeben sind.

Eine Wertfestsetzung war nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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