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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.01.2008
Aktenzeichen: 15 W 327/07
Rechtsgebiete: AufenthG, AsylVfG, FEVG, FGG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 57 Abs. 3
AufenthG § 62 Abs. 2 Satz Nr. 5
AufenthG § 106 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 106 Abs. 2 S. 2
AsylVfG § 14 Abs. 3 Satz 3
AsylVfG § 55 Abs. 1 Satz 3
FEVG § 3 S. 2
FEVG § 7 Abs. 1
FEVG § 16
FGG § 20 Abs. 1
FGG § 27
FGG § 29 Abs. 4
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
Gegen die Entscheidung des Landgerichts, durch die nach Eintritt der Erledigung der Hauptsache auf Antrag des Betroffenen die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festgestellt wird, steht der zuständigen Behörde die sofortige weitere Beschwerde zu.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 327/07 OLG Hamm

In der Freiheitsentziehungssache

hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08.01.2008 auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 03.09.2007 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 13.08.2007

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat die im weiteren Beschwerdeverfahren dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist irakischer Staatsbürger.

Mit Hilfe eines Schleusers reiste er über Syrien und die Türkei auf dem Seeweg nach Griechenland ein. Von B aus flog er am 08.04.2007 nach E und gelangte so ins Bundesgebiet, wo er sich mit einer gefälschten italienischen Identitätskarte auswies. Bei seiner Einreise nahmen ihn Mitarbeiter der Beteiligten zu 2) fest. Bei seiner Vernehmung gab er an, zu seiner 2003 in Syrien geheirateten Ehefrau, die niederländische Staatsbürgerin irakischer Herkunft ist, und dem 3-jährigen gemeinsamen Kind in S weiterreisen zu wollen.

Sein unmittelbar bei der Festnahme gestellter Asylantrag ging bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 10.04.2007 ein. Dieses teilte der Beteiligten zu 2) mit Schreiben vom 16.04.2007 mit, dass die Niederlande um die Übernahme des Betroffenen ersucht worden seien. In einem weiteren Schreiben vom 02.05.2007 gab sie gegenüber der Beteiligten zu 2) an, dass die Überstellung noch einen Zeitraum von sieben bis neun Wochen in Anspruch nehmen werde.

Auf Antrag der Beteiligten zu 2) hat das Amtsgericht Düsseldorf nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 09.04.2007 - 150 Gs 1311/07 - Zurückschiebungshaft nach §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 Satz Nr. 5 AufenthG bis längstens 08.05.2007 angeordnet.

Die gegen diese Entscheidung erhobene sofortige Beschwerde vom 23.04.2007 hat das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 18.05.2007 (18 T 24/07) dem Landgericht Paderborn vorgelegt, nachdem der Betroffene am 09.04.2007 in die JVA Büren verbracht worden war und das Amtsgericht Düsseldorf das Verfahren über die Verlängerung der Zurückschiebungshaft mit Beschluss vom 02.05.2007 an das Amtsgericht Paderborn nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgegeben hatte.

Das Amtsgericht Paderborn hat mit Beschluss vom 08.05.2007 auf Antrag der Beteiligten zu 2) die vom Amtsgericht Düsseldorf angeordnete Zurückschiebungshaft bis zum 19.06.2007 verlängert.

Vor einer Entscheidung des Landgerichts über die gegen diese Entscheidung erhobene sofortige Beschwerde ist der Betroffene am 13.06.2007 aus der Haft entlassen und am 14.06.2007 in die Niederlande überstellt worden.

Auf den daraufhin gestellten Antrag des Betroffenen, festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 09.04.2007 und der Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 08.05.2007 rechtswidrig ergangen seien, hat das Landgericht am 13.08.2007 unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags beschlossen, dass die Anordnung der Zurückschiebungshaft durch den Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 09.04.2007, sofern sie über den 02.05.2007 hinausging, und die Anordnung der Fortdauer der Zurückschiebungshaft durch das Amtsgericht Paderborn mit Beschluss vom 08.05.2007 rechtswidrig waren. Als Begründung der Rechtswidrigkeit der Haftfortdauer über den 02.05.2007 hinaus hat das Landgericht angeführt, dass gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG die Abschiebungshaft spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrages beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ende. Da der Beteiligten zu 2) am 02.05.2007 mitgeteilt worden sei, dass innerhalb der gesetzten Frist eine Entscheidung nicht ergehe, sei ab dem 02.05.2007 die Haft unverhältnismäßig und daher rechtswidrig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2), die sie mit Schriftsatz vom 03.09.2007 beim Landgericht Paderborn eingelegt hat, und mit der sie vor allem die Nichtanwendbarkeit des § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG bei einem Asylverfahren, welches sich nach der VO (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) richte, rügt.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG, 7 Abs. 1, 3 S. 2 FEVG, 27, 29 Abs. 1 Satz 3 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.

Die Beteiligte zu 2) ist auch beschwerdebefugt, § 29 Abs. 4, 20 Abs. 1 FGG. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist bereits verschiedentlich die Beschwerdebefugnis der antragstellenden Behörde gegen eine vom Landgericht nach Erledigung der Hauptsache getroffene Feststellung, dass die Haftanordnung rechtswidrig gewesen sei, bejaht worden (KG, Beschl. v. 31.12.2003 - 25 W 62/03 -, zitiert nach juris; OLG Celle FGPrax 2005, 48). Der Senat schließt sich dieser Auffassung aus folgenden Gründen an:

Die Zulassung des Antrags des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung führt zu einer Fortsetzung des Verfahrens in der Hauptsache mit einem durch den so gestellten Antrag modifizierten Verfahrensgegenstand. Dieser basiert weiterhin auf dem von der Behörde gestellten Antrag auf Anordnung der Haft (§ 3 FEVG), nunmehr jedoch in einer retrospektiven Bewertung der Rechtmäßigkeit der durch den Antrag erwirkten richterlichen Haftanordnung. Die Behörde ist aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Funktion berechtigt, gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Anordnung der Haft Beschwerde einzulegen. Folglich muss ihr eine entsprechende Beschwerdebefugnis zustehen, wenn dem Betroffenen das Recht eingeräumt wird, die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits erledigten Haftanordnung zu beantragen und diesem Antrag entsprochen worden ist. Denn eine solche Entscheidung steht im Rahmen des modifizierten Verfahrensgegenstandes der Sache nach der Zurückweisung des Haftantrages gleich. Dementsprechend ist auch für die vergleichbare Verfahrenskonstellation im Verwaltungsstreitverfahren, in der das Gericht einem gem. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO für zulässig erachteten Fortsetzungsfeststellungsantrag stattgibt, nicht zweifelhaft, dass darin eine Rechtsmittelbeschwer liegt, die die Behörde zur Anfechtung einer solchen Entscheidung berechtigt. Dafür spricht - insoweit ebenfalls mit § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO vergleichbar - zusätzlich, dass der im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit getroffenen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung Bindungswirkung für die Entscheidung über etwaige Entschädigungsansprüche des Betroffenen zukommt (BGH NVwZ 2006, 960).

In der Sache ist indes die Beschwerde unbegründet, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, § 27 FGG.

Zutreffend ist das Landgericht von zwei zulässigen Erstbeschwerden ausgegangen. Gegenstand des Erstbeschwerdverfahrens war der mit Schriftsatz vom 20.06.2007 gestellte Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidungen vom 09.04. und 08.05.2007. Nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG (wistra 2006, 59; NJW 2002, 2456) kann das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes in Fällen schwerwiegender Grundrechtseingriffe nicht alleine wegen des Wegfalls der effektiven Beeinträchtigung verneint werden. Da aufgrund der angefochtenen Entscheidungen die Haft tatsächlich vollzogen wurde, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidungen. Auf die Dauer des Vollzugs kommt es nicht an. Entgegen der weiteren Beschwerde lässt sich aus der Entscheidung des BVerfG vom 05.12.2002 (NJW 2002, 2456) keine Notwendigkeit einer nach Zeiträumen diffenrenzierten Betrachtungsweise ableiten.

Auch in der Sache hält die landgerichtliche Entscheidung der allein möglichen rechtlichen Prüfung stand.

Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht angenommen, dass die Haftanordnung über den 02.05.2007 hinaus und der Beschluss über die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtswidrig waren. Nach § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG in der bis zum 27.08.2007 gültigen Fassung endete die Sicherungshaft bei einem wie hier aus der Haft gestellten Asylantrag spätestens vier Wochen nach Eingang des Antrages bei dem Bundesamt, es sei denn, der Antrag ist als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Eine Ablehnung durch das Bundesamt ist hier nicht erfolgt. Der Umstand, dass das Bundesamt die Frist deshalb nicht einhielt, weil es sich auf der Grundlage Verordnung (EG) Nr. 343/ 2003 (Dublin II) zunächst um die Übernahme des Asylverfahrens durch die Niederlande bemühte, vermochte angesichts der mit § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG getroffenen eindeutigen gesetzlichen Regelung nichts daran zu ändern (OLG Köln, Beschluss vom 11.06.2007 - 16 Wx 130/07; OLG Schleswig OLGR 2005, 568; KG InfAuslR 2005, 40; einschränkend für den hier nicht einschlägigen Fall, dass das Bundesamt die Abschiebung in einen Drittstaat angeordnet hat: OLG Zweibrücken OLGR 2002, 57). Das Asylverfahren wird nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ungeachtet einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat schon alleine durch das Stellen des Asylantrages eingeleitet. Ob die Behörde ein Asylverfahren oder ein Konsultationsverfahren aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 durchführt, ist unerheblich (OLG Schleswig a.a.O.). Eine über den Wortlaut der Norm hinausgehende ergänzende Auslegung verbietet sich wegen des in Art 104 Abs. 1 Satz 1 GG kodifizierten Vorbehalts eines förmlichen Gesetzes im Falle einer Freiheitsentziehung (OLG Köln a.a.O.).

Unerheblich ist, dass mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl I 2007, 1970) § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG dahingehend geändert wurde, dass die Abschiebungshaft auch nicht vier Wochen nach Eingang des Asylantrages beim Bundesamt endet, wenn auf Grund von Rechtsvorschriften der europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren ein Auf - oder Wiederaufnahmeersuchen an einen anderen Staat gerichtet wird. Dieses Gesetz trat erst zum 28.08.2007 in Kraft und konnte daher nicht zur Aufrechterhaltung der Haft im Mai 2007 herangezogen werden.

Da bereits das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 02.05.2007 mitteilte, dass eine Überstellung des Betroffenen in die Niederlande 7 - 9 Wochen in Anspruch nehmen werde, ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Aufrechterhaltung der Haft ab dem 03.05.2007 unverhältnismäßig war, da nicht mehr innerhalb der vierwöchigen Frist mit einer Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu rechnen war (Vgl. Renner, a.a.O., § 14 AsylVfG Rz. 22).

Nach § 16 FEVG hat die Bundesrepublik die dem Betroffenen im weiteren Beschwerdeverfahren entstandenen Auslagen zu erstatten. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Aufrechterhaltung der Haft für einen Zeitraum nach Ablauf der zwingenden Frist des § 14 Abs. 3 S. 3 AsylVfG der unbegründeten Antragstellung im Sinne des § 16 FEVG gleichzustellen ist (FGPrax 2005, 49, 50). Dementsprechend ist die gleich lautende Erstattungsanordnung, die das Landgericht für das Erstbeschwerdeverfahren getroffen hat, rechtlich nicht zu beanstanden.

Ende der Entscheidung

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