Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.01.2001
Aktenzeichen: 15 W 365/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896 Abs. 2
Leitsatz:

Die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis der Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten ist bereits dann im Sinne des § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich, wenn der Betroffene aufgrund seiner konkreten Lebenssituation einen nachvollziehbaren Grund hat, von einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung abzusehen und stattdessen eine Betreuerbestellung für diesen Aufgabenkreis zu beantragen. Dafür genügt es, wenn der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, die Tätigkeit eines Bevollmächtigten hinreichend zu überwachen.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 365/00 OLG Hamm 25 T 564/00 LG Bielefeld 6 XVII B AG 291 AG Herford

In der Betreuungssache

betreffend die 1934 geborene Frau Hannelore B

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 23. Januar 2001 auf die weitere Beschwerde der Betroffenen vom 11. Oktober 2001 gegen den Beschluß der 25. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 19. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Budde und Christ

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Auf die erste Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluß des Amtsgerichts vom 01.09.2000 abgeändert.

Die für die Betroffene bereits bestehende Betreuung wird um den Aufgabenkreis Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten erweitert. Zum Betreuer wird auch insoweit der Beteiligte zu 2) bestellt.

Der Gegenstandswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1) hat mit Schreiben vom 20.04.2000 bei dem Amtsgericht beantragt, für sie eine "umfassende Betreuungspflegschaft" einzurichten und ihren Sohn, den Beteiligten zu 2), zum Betreuer zu bestellen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das sie sich seit mehreren Jahren in psychiatrischer Behandlung bei dem Arzt für Neurologie Dr. Sch befinde und mehrere Krankenhausaufenthalte in der Psychiatrischen Klinik des Krankenhauses erforderlich gewesen seien. Mit der Abwicklung des Nachlasses ihres am 06.02.2000 verstorbenen Ehemannes fühle sie sich völlig überfordert. Weiterhin hat die Beteiligte zu 1) zur Begründung ihres Antrags ein ärztliches Zeugnis des Herrn Dr. Sch vom 16.05.2000 vorgelegt, das lautet:

"Bei Frau B ist eine manisch-depressive Erkrankung bekannt und ein epileptisches Anfallsleiden. 1998 sah ich Frau B vertretungsweise, seit 11/99 nach einem epileptischen Anfall wiederholt. Es lag anfänglich eine maniforme Denkbeschleunigung bei gleichzeitiger Desorientiertheit vor, jetzt ist die Patientin eher depressiv gehemmt, etwas ratlos, zeitlich unsicher orientiert und im Denken verlangsamt. Gezielt auf die Regelung der Erbschaftsangelegenheit angesprochen sind nur unsichere und wenig verwertbare Aussagen zu erhalten. Aus medizinischer Sicht ist Frau B krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihr finanziellen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Dieses sieht sie selbst ebenso. Aus neurologischer Sicht sehe ich darüber hinaus auch die Einrichtung einer Betreuung für medizinische Behandlung und die Aufenthaltsbestimmung angezeigt, da insbesondere bei manischen Phasen zu erwarten ist, daß eine einvernehmliche Unterbringung in eine geschlossene Einrichtung nicht immer zu erwarten sein wird. Hierzu war die Patientin unentschlossen. Die Fähigkeit der Patientin, ihrem Sohn zur Abwicklung der Vermögensangelegenheiten eine wirksame Vollmacht zu erteilen, scheint mir nicht eingeschränkt zu sein."

Das Amtsgericht hat die Beteiligten zu 1) und 2) am 19.06.2000 persönlich angehört. Dabei hat der Beteiligte zu 2) erklärt, er kümmere sich bereits seit Jahren um die Angelegenheiten seiner Eltern. Er werde sich nunmehr von der Betroffenen eine schriftliche Vollmacht für die Wahrnehmung ihrer Vermögensbelange erteilen lassen. Durch Beschluß vom selben Tage hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 2) zum Betreuer für die Betroffene mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit der Betroffenen und die Aufenthaltsbestimmung, soweit sie sich auf stationäre Krankenhausaufenthalte bezieht, mit der Maßgabe bestellt, daß über die Fortdauer der Betreuung bis zum 18.06.2005 zu entscheiden ist.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 07.07.2000 hat die Beteiligte zu 1) beantragt, den Aufgabenkreis der Betreuung im Hinblick auf die Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten zu erweitern. Ihr gehe es vorrangig um eine Betreuerbestellung für diesen Aufgabenkreis, weil sie krankheitsbedingt ihre finanziellen Angelegenheiten nicht selbständig regeln könne.

Durch Beschluß vom 01.09.2000 hat das Amtsgericht eine Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung mit der Begründung abgelehnt, die Betroffene sei aufgrund ihrer fortbestehenden Geschäftsfähigkeit zur Erteilung einer Vollmacht in der Lage, so daß auf dieser Grundlage ihre Vermögensangelegenheiten von ihrem Sohn wahrgenommen werden könnten.

Gegen diesen Beschluß, hat die Betroffene mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 11.09.2000 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie im wesentlichen geltend gemacht, die Bestellung eines Betreuers auf ihren Antrag sei nicht an das Erfordernis gebunden, für den Aufgabenkreis der einzurichtenden Betreuung ihre Geschäftsunfähigkeit festzustellen.

Das Landgericht hat die Beschwerde durch Beschluß vom 19.09.2000 zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen, die sie mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 11.10.2000 bei dem Oberlandesgericht eingelegt hat.

II.

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Betroffenen folgt bereits daraus, daß ihre erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die Entscheidung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung nicht stand hält (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG). Die weitere Beschwerde führt in Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts zur Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung auf die Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten der Betroffenen.

Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht nach § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB von Amts wegen für ihn einen Betreuer. Nach Abs. 2 S. 1 derselben Vorschrift darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Nach Abs. 2 S. 2 der Vorschrift ist die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung zu verneinen, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Der Grundsatz der Erforderlichkeit stellt das zentrale Prinzip der Entscheidungen nach dem neuen Betreuungsrecht dar, an dem sich der Umfang des Eingriffs in die Freiheitssphäre der betroffenen Person zu orientieren hat. Die Erforderlichkeit bedarf insbesondere der Konkretisierung für jeden einzelnen Aufgabenkreis einer Betreuerbestellung (vgl. BT-Drucksache 11/4528 S. 120 f.). Die Entscheidung hängt deshalb von dem konkreten Betreuungsbedarf des Betroffenen in seiner gegenwärtigen Lebenssituation ab (vgl. Senat FGPrax 1995, 56, 57; BayObLG BtPrax 1995, 64, FamRZ 1996, 897; Damrau/Zimmermann, Betreuung und Vormundschaft, 2. Aufl., § 1896 BGB Rdnr. 6 ff.).

Der daraus folgende Grundsatz der Subsidiarität der Betreuung führt jedoch nicht zu der Schlußfolgerung, der Betroffene sei gezwungen, einer Person seines Vertrauens eine rechtsgeschäftliche Vollmacht zur Wahrnehmung seiner Vermögensangelegenheiten zu erteilen, wenn er dazu bei fortbestehender Geschäftsfähigkeit noch in der Lage ist. Die Prüfung der Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung dient allerdings in erster Linie dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Ob dieser Gesichtspunkt die Argumentation trägt, der von § 1896 Abs. 2 BGB bezweckte Schutz werde in sein Gegenteil verkehrt, wenn eine Betreuerbestellung abgelehnt werde, weil der Betroffene sich weigere, eine rechtsgeschäftliche Vollmacht zu erteilen (Schwab FamRZ 1992, 492, 495 sowie MK/BGB-Schwab, 3. Aufl., § 1896, Rdnr. 31; HK-BUR/Bauer, § 1896 BGB, Rdnr. 196; Damrau/Zimmermann, a.a.O., § 1896 BGB, Rdnr. 23; Erman/Holzhauer, BGB, 10. Aufl., § 1896, Rdnr. 41; a.A. Staudinger/Bienwald, BGB, 13. Bearbeitung, § 1896, Rdnr. 115), kann der Senat im Ergebnis offen lassen. Die gesetzliche Vorschrift des § 1896 Abs. 2 BGB unterscheidet nicht zwischen einer von Amts wegen und einer auf Antrag des Betroffenen einzurichtenden Betreuung. Die Vorschrift dient zumindest auch dem öffentlichen Interesse, erkennbar überflüssige Betreuungen zu vermeiden (OLG Köln FamRZ 1996, 249; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 1896, Rdnr. 75). Die Anforderungen an die Beurteilung der Erforderlichkeit der Betreuerbestellung dürfen in diesem Zusammenhang jedoch nicht überspannt werden. Es muß vielmehr ausreichen, daß der Betroffene aufgrund seiner konkreten Lebenssituation einen nachvollziehbaren Grund hat, von einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung abzusehen und stattdessen eine Betreuerbestellung für den betreffenden Aufgabenkreis zu beantragen. Dafür genügt es nach Auffassung des Senats, wenn der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, die Tätigkeit eines Bevollmächtigten hinreichend zu überwachen (Soergel/Zimmermann, a.a.O.). Im Zusammenhang mit der Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht ist die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen bereits dann zu bejahen, wenn er sich über die Bedeutung der von ihm erteilten Vollmacht im klaren und insoweit zu einer freien Willensbestimmung in der Lage ist. Nicht erforderlich ist hingegen, daß der Betroffene geistig noch so uneingeschränkt leistungsfähig ist, daß er die Angelegenheiten, auf die sich die Vollmacht erstreckt, in allen Einzelheiten ebenso gut selbst wahrnehmen könnte (Senatsbeschluß vom 14.05.1996 - 15 W 94/96 -). Würde der Betroffene in einer solchen Lebenssituation eine wirksame rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilen, so müßte auf seine Anregung ohnehin eine Vollmachtsüberwachungsbetreuung gem. § 1896 Abs. 3 BGB angeordnet werden. Dann kann dem Betroffenen jedoch auch der weitergehende Schutz, den ihm die Bestellung eines Betreuers als gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) für den Aufgabenkreis gibt, nicht verweigert werden. Dieser weitergehende Schutz liegt darin, daß der Betreuer unmittelbar der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts unterliegt (§§ 1837 ff. BGB) und einzelne Rechtsgeschäfte der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfen (§§ 1821 ff., 1907 BGB), die eine sorgfältige Prüfung der Wahrung der Interessen des Betroffenen sicherstellt.

Aufgrund seiner abweichenden rechtlichen Beurteilung ist der Senat in der Lage, den Sachverhalt anstelle des Landgerichts selbst abschließend zu würdigen (Keidel/Kahl, FG, § 27, Rdnr. 59). Aus dem Vorbringen der Beteiligten und insbesondere dem ärztlichen Zeugnis des Arztes für Neurologie Dr. Sch vom 16.05.2000 ergibt sich, daß die Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage ist, bei einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht für ihre Vermögensangelegenheiten die Tätigkeit des Bevollmächtigten zu überwachen. Sie leidet an einer manisch-depressiven Erkrankung, die zu einer Verlangsamung des Denkens mit depressiv ratloser Stimmungslage geführt hat. Zu der Regelung des Nachlasses nach ihrem verstorbenen Ehemann waren von ihr nur unsichere und wenig verwertbare Aussagen zu erhalten. Nach der Beurteilung des Arztes ist die Betroffene krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre finanziellen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Dementsprechend könnte sie die Tätigkeit eines für diesen Aufgabenbereich rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten auch nicht überwachen. Anlaß zu Zweifeln bestehen gegenüber dieser ärztlichen Beurteilung nicht. Der Erstattung eines Sachverständigengutachtens bedarf es bei einer auf Antrag der Betroffenen angeordneten Betreuung nicht (§ 68 b Abs. 1 S. 2 FGG). Die Auswahl des Betreuers entspricht dem Vorschlag der Betroffenen (§ 1897 Abs. 4 S. 1 BGB). Gründe dafür, daß seine Betreuerbestellung auch für den Bereich der Vermögensangelegenheiten dem Wohl der Betroffenen zuwiderläuft, sind nicht ersichtlich. Die Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 und 2 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück