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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.04.2006
Aktenzeichen: 15 W 371/05
Rechtsgebiete: BVormVG


Vorschriften:

BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 2

Entscheidung wurde am 24.07.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete, Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert und ein Leitsatz wurden hinzugefügt
Das abgeschlossene Studium der katholischen Theologie vermittelt besondere Kenntnisse, die im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 BvormVG für die Führung einer Betreuung nutzbar sind.
Tenor:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird die Entscheidung des Amtsgerichts Tecklenburg vom 10.6.2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die dem Betreuer für den Zeitraum vom 20.1.2004 bis zum 15.12.2004 zu bewilligende Vergütung wird anderweitig auf 1263,25 € und der Aufwendungsersatz auf 174,97 € festgesetzt.

Der Anspruch richtet sich in voller Höhe gegen die Staatskasse.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Tecklenburg vom 16. Januar 2004 (6 XVII F 3408) zunächst vorläufig für den Betroffenen zum Berufsbetreuer mit umfassenden Aufgabenkreisen bestellt. Durch Beschluss vom 6. Februar 2004 wurde die Betreuerbestellung in der Hauptsache bestätigt. Der Betroffene verstarb am 13.12.2004.

Mit Schreiben vom 23.4.2005, bei Gericht eingegangen am 25.4.2005, beantragte der Beteiligte zu 1), für seine Tätigkeit als Berufsbetreuer in dem Zeitraum vom 20. Januar bis 15. Dezember 2004 eine Vergütung von 1.265,83 € sowie Aufwendungsersatz von 224,47 € ohne Mehrwertsteuer festzusetzen. Den Zeitaufwand für seine Betreuungstätigkeit hat der Beteiligte zu 1) in dem seinem Antrag beiliegenden Tätigkeitsnachweis mit 2.450 Minuten angegeben. Die beantragte Vergütung sei nach einem Stundensatz von 31,00 € zu berechnen. Mit Schreiben vom 10.6.05 reduzierte er den geltend gemachten Aufwendungsersatz um 49,50 € auf 174,97 €.

Durch Beschluss vom 10.6.05 setzte das Amtsgericht unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 18,00 € eine Vergütung von 735,00 € und eine Auslagenerstattung von 165,97 € gegen die Staatskasse fest.

Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1) rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, sein Studium der katholischen Theologie an der philosophisch-theologischen Hochschule L/T sei zu Unrecht bei der Bestimmung der Höhe der Vergütung nicht berücksichtigt worden.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Staatskasse durch Beschluss vom 22. September 2005 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die weitere Beschwerde zugelassen. Gegen diesen Beschluss, der ihm am 27. September 2005 zugestellt wurde, hat der Beteiligte zu 1) am 11. Oktober 2005 zu Protokoll der Rechtspflegerin sofortige weitere Beschwerde eingelegt, mit der er weiterhin die Bemessung der Vergütung nach einem Stundensatz von 31,00 € begehrt.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 56 g Abs. 5 S. 2, 27, 29 FGG infolge Zulassung durch das Landgericht statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1) folgt bereits daraus, dass seine sofortige erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, weil die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht. Da für eine Sachentscheidung weitere tatsächliche Feststellungen nicht mehr erforderlich waren, konnte der Senat selbst abschließend entscheiden.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer gem. § 56 g Abs. 5 S. 1 FGG zulässigen sofortigen Erstbeschwerde des Beteiligten zu 1) ausgegangen. Seine Beschwer übersteigt den Betrag von 150 €.

Dem Beteiligten zu 1) steht aufgrund seines Theologiestudiums ein Stundensatz von 31,00 € zu.

Die nach § 1836a BGB aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung beträgt für jede Stunde der für die Führung der Betreuung aufgewandten und erforderlichen Zeit 18 €. Verfügt der Betreuer über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, so erhöht sich diese Vergütung auf 31 €, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossenen Ausbildung erworben sind (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 BVormVG, § 1908 i Abs.1 Satz 1 BGB). Der Beteiligte zu 1) kann, wovon das Landgericht zu Recht ausgegangen ist, eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder eine vergleichbare abgeschlossenen Ausbildung vorweisen. Er hat 1972 die wissenschaftliche Abschlussprüfung in katholischer Theologie an der philosophisch-theologischen Hochschule L/T abgelegt. Ausweislich der Bescheinigung des Bistums M war diese Abschlussprüfung staatlich anerkannt. Die Absolventen dieses Studienganges wurden nicht nur in den Pfarrdienst, sondern auch in den staatlichen Schuldienst als Religionslehrer übernommen.

Besondere Kenntnisse i. S. von § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG sind Kenntnisse, die - bezogen auf ein bestimmtes Sachgebiet - über ein Grundwissen deutlich hinausgehen (BayObLGZ 1999, 339 ff. = FamRZ 2000,844). Für die Führung einer Betreuung nutzbar sind Fachkenntnisse, die ihrer Art nach betreuungsrelevant sind und den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine höhere Leistung zu erbringen (BayObLG aaO). Das Gesetz begnügt sich hierbei mit der potenziellen Nützlichkeit dieser Fachkenntnisse; eine konkrete Nutzung des vom Betreuer vorgehaltenen Wissens wird nicht verlangt (BGH FamRZ 2003, 1653).

Wegen der Vielfältigkeit der Aufgaben eines Betreuers und der Vielfältigkeit von Studiengängen ist eine abschließende Aufzählung der insoweit in Frage kommenden Qualifikationen kaum möglich. Angesichts des Wesens der Betreuung als rechtlicher Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) kommt insbesondere rechtlichen Kenntnissen eine grundlegende Bedeutung zu. Betreuungsrelevant sind im Allgemeinen ferner Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft. Erforderlich ist, dass die jeweilige Ausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung entsprechender Kenntnisse ausgerichtet ist, was etwa bei den Studiengängen Rechtswissenschaft, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaftslehre der Fall ist (Senat, FGPrax 2003, 126; BayObLG, FamRZ 2000, 844; Thüringer OLG, FGPrax 2000, 110). Es handelt sich dabei um Fachdisziplinen, denen im weitesten Sinne gemeinsam ist, dass sie sich mit den individuellen Lebensbedingungen des Menschen und ihrer Gestaltung befassen, und in denen deshalb für die Ausübung von Betreuungen nutzbringende Kenntnisse vermittelt werden (vgl. LG Hamburg, FamRZ 2000, 1309). Nutzbringende Fachkenntnisse in diesem Sinne sind auch solche, die hilfreich sind, um Schwierigkeiten zu überwinden, die sich im persönlichen Kontakt mit dem Betroffenen wegen seiner Erkrankung oder Behinderung oder wegen seiner Persönlichkeitsstruktur ergeben können und die das Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit steigern, auf den Betroffene auch mit dem Ziel einer selbstbestimmten Bewältigung seiner Lebenssituation einzuwirken (Senat, NJW-RR 2002, 654 = BtPrax 2002, 43, zu den durch ein Lehramtsstudium erworbenen pädagogischen Kenntnissen).

Ob ein Berufsbetreuer die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG erfüllt, obliegt der Beurteilung des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht kann dessen Würdigung nur auf Rechtsfehler überprüfen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG), d.h. darauf, ob der Tatrichter einen der unbestimmten Rechtsbegriffe verkannt hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, der Bewertung maßgeblicher Umstände unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt, gegen die Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht beachtet hat.

Das Landgericht hat seiner Entscheidung zwar die oben dargestellten Grundsätzen zugrunde gelegt. Seine Würdigung, die Ausbildung des Beteiligten zu 1) erfülle die genannten Kriterien nicht, ist jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.

Es führt aus, dass sich aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Abschlusszeugnis nicht entnehmen lasse, dass einzelne Fachgebiete in ihrem Kernbereich auch soziale Kompetenzen und zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeit vermitteln würden, die bei der Erfüllung von Betreueraufgaben von allgemeinem Vorteil sein könnten. Inwieweit die Nutzbarkeit im Rahmen der rechtlichen Betreuungstätigkeit gegeben sei, könne folglich nicht positiv festgestellt werden. Nicht entscheidend sei, dass Absolventen dieses Studienganges nicht nur in den Pfarrdienst übernommen worden seien, sondern auch in den staatlichen Schuldienst als Religionslehrer.

Damit überspannt das Landgericht im vorliegenden Fall jedoch die Anforderungen, die an die Feststellung der durch das Studium vermittelten betreuungsrelevanten besonderen Fachkenntnisse zu stellen sind.

Der Senat teilt im Grundsatz die Auffassung des OLG Köln (FamRZ 2004, 1604), dass im Rahmen eines Theologiestudiums im Kernbereich auch eine erhöhte soziale Kompetenz und die Fähigkeit, im besonderen Maße auf Menschen einzugehen, ihre Probleme zu erkennen und bei deren Bewältigung mitzuwirken, vermittelt werden. Dies gilt zumindest für den Fall, dass das abgeschlossene Studium, wie vorliegend, den Absolventen befähigt, sowohl in den Pfarrdienst als auch in den staatlichen Schuldienst übernommen zu werden.

In der katholischen Kirche ist mit der Übertragung des Pfarramtes nicht nur die Leitung von Gottesdiensten, sondern auch die seelsorgliche Betreuung und die Leitung, d.h. Verwaltung der Gemeinde verbunden. Es drängt sich auf, dass ein Studium, das auf eine solche Tätigkeit vorbereitet und die hierfür notwendigen Kenntnisse vermittelt, in seinem Kernbereich auch Fachkenntnisse umfasst, die bei der Führung einer Betreuung von Nutzen sein können. Unerheblich ist, dass der Studiengang in weiteren Schwerpunkten auch Fächer umfasst, die für die Betreuung ohne Bedeutung sind.

Vorliegend ist ferner in Besonderheit die Vermittlung pädagogischer Kenntnisse zum Kernbereich des vom Beteiligten zu 1) absolvierten Studiums zu zählen, was schon daraus gefolgert werden kann, dass das Fach "Religionspädagogik" zu den Fächern der vom Beteiligten zu 1) abgelegten Abschlussprüfung gehörte - also von ihm nicht nur nebenbei belegt worden ist - und das Studium die Befähigung zur Tätigkeit im staatlichen Schuldienst als Religionslehrer vermittelt. Wie der Senat in seiner Entscheidung zur vergütungssteigernden Wirkung des Lehramtsstudiums (NJW-RR 2002, 654 = BtPrax 2002, 43) bereits ausgeführt hat, wird die Verwertbarkeit von pädagogischen Kenntnisse für die Aufgaben als Betreuer nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie in erster Linie auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet ist.

Unter Zugrundelegung des Stundensatzes von 31,00 € steht dem Beteiligten zu 1) eine Vergütung in Höhe von 1263,25 € zu. Der Berechnung konnte dabei nur ein Zeitansatz von 2445 Minuten zugrunde gelegt werden. Die Tätigkeit des Beteiligten zu 1) am 20.1.2004 (5 Minuten) konnte nicht berücksichtigt werden, da insoweit die Ausschlussfrist nach § 1836 Abs. 3 S. 4 BGB in der bis zum 30.6.2005 geltenden Fassung eingreift. Der Vergütungsantrag ist erst am 25.4.05 bei Gericht eingereicht worden und damit - bezogen auf die Tätigkeit am 20.1.04 - nach Ablauf der 15-Monatsfrist.

Gem. § 1835 BGB steht dem Beteiligten ferner ein Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von 174,97 € zu. Im Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts sind die Auslagen mit 165,97 € statt mit - wie beantragt - 174,97 € festgesetzt worden, ohne dass hierfür ein Grund ersichtlich wäre. Hierauf hat bereits der Beteiligte zu 2) hingewiesen. Von einer Beschränkung der Beschwerde allein auf eine Anfechtung der Festsetzung der Vergütung, wie das Landgericht angenommen hat, kann nicht ausgegangen werden. Zwar ist eine solche Beschränkung der Beschwerde grundsätzlich möglich, sie setzt aber voraus, dass der Beschwerdeführer sie eindeutig und zweifelsfrei erklärt hat (Keidel/Sternal, FG, § 21 Rn. 24 und 27 m.w.N.). An einer solchen Erklärung des Beteiligten zu 1) fehlt es vorliegend. Allein aus dem Umstand, dass er sich in der Beschwerdebegründung nur mit der Frage auseinandersetzt, ob seine Ausbildung sich vergütungssteigernd auswirkt, kann nicht mit Sicherheit der Schluss gezogen werden, dass er die angefochtene Entscheidung, soweit diese zu seinen Ungunsten fehlerhaft ist, nicht zur Gänze zur Überprüfung stellen will.

Die Festsetzung der Vergütung und des Aufwendungsersatzanspruches hatte schließlich auch gegen die Staatskasse zu erfolgen (§ 1836a BGB a.F.), da der Betroffene mittellos war.

Ende der Entscheidung

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