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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 15 W 399/03
Rechtsgebiete: AuslG, FGG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 2
FGG § 20
1) Bei der Überprüfung der Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung des Amtsgerichts ist das Landgericht nicht an die rechtliche Einordnung des Haftgrundes durch das Amtsgericht gebunden.

2) Das Landgericht ist deshalb nicht gehindert, den vom Amtsgericht gem. § 57 Abs. 2 S. 1 AuslG angenommenen Haftgrund durch denjenigen nach § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG zu ersetzen und in diesem Rahmen eigene Ermessenserwägungen vorzunehmen.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 399/03 OLG Hamm

In der Freiheitsentziehungssache

betreffend den srilankischen Staatsangehörigen

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 16. Oktober 2003 auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 25. September 2003 gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 29. August 2003 durch die Richter am Oberlandesgericht Budde, Lohmeyer und Tegenthoff

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die sofortige Erstbeschwerde hinsichtlich des Feststellungsantrags zu Ziffer 2) als unzulässig verworfen wird.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste am 11. Dezember 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das nach Durchführung des Asylverfahrens von dem Betroffenen durchgeführte verwaltungsgerichtliche Verfahren blieb erfolglos. In der Folgezeit wurde der Aufenthalt des seit Oktober 2002 vollziehbar zur Ausreise verpflichteten Betroffenen geduldet, da dieser über keine Ausweispapiere verfügte und zunächst ein Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren eingeleitet werden mußte. Nach Vorlage entsprechender Papiere war die Abschiebung des Betroffenen auf dem Luftwege für den 4. Juli 2003 vorgesehen. Am 30. Juni 2003 wurde der Betroffene in den Diensträumen des Beteiligten zu 2) festgenommen, als er dort um die Verlängerung seiner Duldung nachsuchte.

Der Beteiligte zu 2) hat mit Schreiben vom 30.06.2003 bei dem Amtsgericht beantragt, gem. § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG gegen den Betroffenen im Hinblick auf seine beabsichtigte Abschiebung auf dem Luftweg die Abschiebungshaft für die Dauer von zwei Wochen anzuordnen. Das Amtsgericht hat am 30.06.2003 den Betroffenen unter Zuziehung eines Dolmetschers persönlich angehört und durch Beschluß vom selben Tag die Abschiebungshaft bis zum 13.07.2003 angeordnet. Das Amtsgericht hat in den Gründen seine Entscheidung auf die Vorschrift des § 57 Abs. 3 AuslG sowie in tatsächlicher Hinsicht darauf gestützt, es bestehe die Gefahr, dass der Betroffene untertauchen werde.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 03.07.2003 rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt, mit der geltend gemacht hat, die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft lägen nicht vor, da sein Aufenthaltsort dem Beteiligten zu 2) bekannt gewesen sei.

Der Betroffene ist am 4. Juli 2003 aus der Haft entlassen und in sein Heimatland abgeschoben worden. Er hat im Erstbeschwerdeverfahren daraufhin beantragt festzustellen 1.) dass die gegen ihn angeordnete Abschiebungshaft rechtswidrig gewesen sei und (2.) er für die erlittene Haft zu entschädigen sei. Mit Beschluss vom 29. August 2003 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die er mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 25.09.2003 rechtzeitig bei dem Landgericht eingelegt hat.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 103 Abs. 2 AuslG, 7 Abs. 1, 3 S. 2 FEVG, 27. 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Betroffenen folgt bereits daraus, dass seine sofortige erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht in Bezug auf den Feststellungsantrag zu Ziffer 1) zu Recht von einer zulässigen sofortigen Erstbeschwerde des Betroffenen ausgegangen. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht insoweit nicht entgegen, dass sich durch den Vollzug der Abschiebung das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG (NJW 2002, 2456) muß im Hinblick auf das Gebot der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG) ein Rechtsschutzinteresse für eine nachträgliche feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Abschiebungshaftmaßnahme unabhängig davon bejaht werden, ob nach dem Inhalt der Maßnahme typischerweise der Rechtsschutz des Betroffenen unter Ausschöpfung des vorgesehenen Instanzenzugs vor ihrer sachlichen Erledigung gewährt werden kann.

Diese Beurteilung trifft indessen nicht für den weiteren Antrag des Betroffenen zu festzustellen, dass er für die erlittene Abschiebungshaft zu entschädigen sei. Etwaige Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche aus nach Ansicht des Betroffenen zu Unrecht erlittener Abschiebungshaft auf der Grundlage des Art. 5 EMRK oder § 839 BGB sind vor den ordentlichen Gerichten der Zivilgerichtsbarkeit geltend zu machen (Gollwitzer in Loewe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., MRK, Art. 5, Rdnr. 138; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., MRK, Art. 5, Rdnr. 14). Diese prüfen in eigener Verantwortung das Vorliegen der Voraussetzungen eines Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruches. Diese Prüfung ist somit den Gerichten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entzogen. Deren Prüfungskompetenz beschränkt sich auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung oder Verlängerung der Abschiebungshaft (OLG Hamm FGPrax 2003, 98). Dementsprechend hat der Senat in diesem Punkt die sofortige weitere Beschwerde mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass bereits die sofortige erste Beschwerde als unzulässig verworfen wird (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27, Rdnr. 55 m.w.N.).

In der Sache hat die Kammer im Kern ausgeführt, die Anordnung der Abschiebungshaft sei gem. § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG rechtmäßig erfolgt, da der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig und aufgrund der Flugbuchung die Abschiebung für den 4. Juli 2003 vorgesehen gewesen sei. Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht das ihm durch § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, seien nicht ersichtlich.

Den eher kursorischen Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass das Amtsgericht die Anordnung der Abschiebungshaft auf die Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG hat stützen wollen und es sich somit des ihm zukommenden Ermessens nach der vorgenannten Vorschrift bewusst gewesen ist. Die insoweit gegebene Begründung legt eher den Schluss nahe, dass das Amtsgericht auf den Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Ziff. 5 AuslG hat abstellen wollen, wenn es ohne nähere Begründung ausführt, es bestehe der begründete Verdacht, der Betroffene werde sich der bevorstehenden Abschiebung entziehen.

Indessen war das Landgericht verfahrensrechtlich nicht gehindert, im Rahmen seiner Entscheidung über die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung auf einen anderen Haftgrund abzuheben und dazu zugleich erforderliche Ermessenerwägungen nachzuholen (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen). Das BVerfG hat in seiner genannten Entscheidung den Fachgerichten nicht näher vorgegeben, nach welchen verfahrensrechtlichen Kriterien sie die feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaftmaßnahme zu treffen haben. Tritt - wie hier - eine Erledigung der Hauptsache bereits nach Erlass der erstinstanzlichen Haftanordnung ein, so kann Verfahrensgegenstand der zu treffenden feststellenden Entscheidung nur die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung des Amtsgerichts sein. Dadurch tritt jedoch keine Bindung des Landgerichts an die rechtlichen Erwägungen der amtsgerichtlichen Entscheidung in dem Sinne ein, dass nur das Vorliegen der Voraussetzungen eines Haftgrundes in der vom Amtsgericht vorgenommenen Einordnung überprüft werden könnte. Vielmehr kann und muss das Erstbeschwerdegericht bezogen auf den Sachverhalt, der Gegenstand der amtsgerichtlichen Entscheidung war, die Voraussetzungen der Haftanordnung unter allen rechtlich in Betracht kommenden Gesichtspunkten prüfen. Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der erwähnten Entscheidung des BVerfG geboten, die lediglich eine Anwendung des Verfahrensrechts sicherstellen will, die dem Betroffenen nachträglich eine sachliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung eröffnet. Damit verbunden ist jedoch nicht eine Verschiebung der sachlichen Prüfungsbefugnis des Erstbeschwerdegerichts. Hätte sich der Betroffene zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung weiterhin in Haft befunden, wäre das Landgericht nicht gehindert gewesen, anstelle des vom Amtsgericht bejahten Haftgrundes einen anderen Haftgrund anzunehmen. Eine andere Beurteilung ist deshalb auch dann nicht veranlaßt, wenn nach Eintritt der Erledigung der Hauptsache die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung im Rahmen einer feststellenden Entscheidung zu überprüfen ist.

Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts ihre rechtliche Grundlage in § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG findet. Danach kann ein Ausländer für die Dauer von längstens zwei Wochen in Sicherungshaft genommen werden, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen lagen ersichtlich vor, nachdem der Betroffene nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Asylverfahrens seit Oktober 2002 zur Ausreise verpflichtet war, der Behörde Heimreisedokumente vorlagen und für ihn ein Flug von Düsseldorf nach Sri Lanka für den 4. Juli 2003 gebucht war.

Nach den weiteren zutreffenden Ausführungen des Landgerichts setzt der Haftgrund nach § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG entgegen der Auffassung der weiteren Beschwerde nicht den begründeten Verdacht voraus, dass sich der Betroffene seiner Abschiebung entziehen will. Dies folgt bereits aus der systematischen Stellung der Bestimmung des Abs. 2 S. 2 innerhalb der Vorschrift des § 57 AuslG, die die Sicherungshaft nach dieser Vorschrift unterscheidet von den Haftgründen nach § 57 Abs. 2 S. 1 der Vorschrift, die, sei es in der Form gesetzlicher Vermutungen (Ziff. 1 bis 4), sei es in der Form des allgemeinen Haftgrundes der Ziff. 5, den begründeten Verdacht voraussetzen, dass sich der Ausländer seiner Abschiebung entziehen will. Dieselbe Schlußfolgerung ergibt sich mit Deutlichkeit aus der Begründung der gesetzlichen Vorschrift (BT-Drucksache 12/2062 S. 45 f.), "vor allem bei Sammelabschiebungen und in sonstigen Fällen, in denen die Abschiebung einen erheblichen organisatorischen Aufwand erfordert oder nur - z.B. im Hinblick auf die Gültigkeitsdauer der Reisedokumente - in einem begrenzten Zeitraum möglich ist, den Vollzug der Abschiebung zu sichern."

Die Anordnung der Haft ist in § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG allerdings durch das Wort "kann" in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Diese Ermessensausübung hat unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots im Hinblick auf den Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen unter Abwägung mit dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift zu erfolgen, im Allgemeininteresse eine zügige Durchführung der vollziehbaren Abschiebung des Betroffenen zu sichern (vgl. den vom Landgericht bereits herangezogenen Beschluss des OLG Naumburg vom 13.03.2000 - 10 Wx 25/99 -). Einen Ermessensfehlgebrauch in dieser Hinsicht läßt die Entscheidung des Landgerichts nicht erkennen. Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG in angemessener Weise berücksichtigt, dass die organisatorischen Vorbereitungen für die für den 4. Juli 2002 bevorstehende Abschiebung des Betroffenen auf dem Luftwege bereits abgeschlossen waren. Der Betroffene hat demgegenüber bei seiner persönlichen Anhörung sein Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet damit begründet, er könne nicht in sein Heimatland zurückkehren, da sich in seinem Dorf Soldaten aufhielten und ihm der Aufenthaltsort seiner Eltern nicht bekannt sei. Wenn das Landgericht unter Berücksichtigung vorgenannter Umstände die Anordnung der Abschiebungshaft für erforderlich gehalten hat, so lässt diese Entscheidung einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die gegenteilige Auffassung der weiteren Beschwerde, die die Haftanordnung unter den geschilderten Umständen als unzulässige "Schutzhaft" ansieht, übersieht, dass diese Haft von dem bereits geschilderten Zweck der gesetzlichen Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 2 AuslG ausdrücklich gedeckt ist.

Ende der Entscheidung

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