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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.01.2001
Aktenzeichen: 15 W 405/00
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 23 Abs. 4
Leitsatz:

Der Beschluß einer Eigentümerversammlung, der inhaltlich darauf gerichtet ist festzustellen, ein für einen Wohnungseigentümer rechtskräftig titulierter Anspruch auf Beseitigung einer baulichen Veränderung sei (trotz gewisser Maßabweichungen) erfüllt, ist nichtig.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 405/00 OLG Hamm 3 T 267/00 LG Detmold 16 II 21/00 WEG AG Lemgo

In der Wohnungseigentumssache

betreffend die Wohnungseigentümergemeinschaft D

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 24. Januar 2001 auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 5) vom 08. November 2000 gegen den Beschluß der Zivilkammer III des Landgerichts Detmold vom 19. Oktober 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Budde und Engelhardt

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 2) bis 5) tragen die Gerichtskosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde; sie haben die dem Beteiligten zu 1) in dieser Instanz etwa entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Gegenstandswert des Verfahrens dritter Instanz wird auf 18.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Auf den Antrag des Beteiligten zu 1) hat das Amtsgerichts Lemgo durch Beschluß vom 10.06.1998 in dem Verfahren 16 (29) II 185/96 den Beteiligten zu 2) verpflichtet, vier Dachflächenfenster auf die früher vorhandene Größe von 10,78 m Breite und 1,3 m Höhe zurückzubauen und den früheren Zustand wiederherzustellen. Der Beschluß ist rechtskräftig, nachdem der Senat durch Beschluß vom 01.02.1999.(15 W 256/98) die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) zurückgewiesen hat.

Nachfolgend hat der Beteiligte zu 2) Dachflächenfenster in der Größe von 0,78 m Breite und 1,40 m Höhe einbauen lassen. Der Beteiligte zu 1) sieht durch diese Maßnahme die titulierte Verpflichtung nicht als erfüllt an. Auf seinen Antrag hat ihn das Amtsgericht durch Beschluß vom 10.08.1999 gem. §§ 45 Abs. 3 WEG, 887 ZPO ermächtigt, die vier Dachflächenfenster in der im Beschluß vom 10.06.1998 genannten Größe einzubauen. Gleichzeitig ist der Beteiligte zu 2) verpflichtet worden, zu diesem Zweck das Betreten seiner Wohnung zu dulden sowie einen Kostenvorschuß in Höhe von 18.932,45 DM zu zahlen. Auch dieser Beschluß ist rechtskräftig, nachdem zunächst das Landgericht seine sofortige erste Beschwerde durch Beschluß vom 08.05.2000 (3 T 261/00) zurückgewiesen und der Senat seine sofortige weitere Beschwerde durch Beschluß vom 12.07.2000 (15 W 257/00) als unzulässig verworfen hat.

Während die Zwangsvollstreckungssache noch bei dem Landgericht im Erstbeschwerdeverfahren anhängig war, wurde zu Tagesordnungspunkt 4 der Eigentümerversammlung vom 19.04.2000 folgender Beschluß gefaßt:

"Der Miteigentümer Herr St hatte den Antrag gestellt, Beschluss darüber zu fassen, daß der von ihm durchgeführte Rückbau der Dachflächenfenster ordnungsgemäß erfolgt ist, insbesondere aufgrund der Tatsache, daß die seinerzeit von dem Voreigentümer eingebauten Dachflächenfenster nicht mehr hergestellt werden und die nun eingebauten Dachflächenfenster dem Nachfolgemodell der Firma entsprechen. Frau M bat Herrn St den Sachstand in dieser Angelegenheit kurz zu erläutern. Herr S wies darauf hin, daß sich herausgestellt habe, daß der seinerzeit zuständige Richter Herr vom Amtsgericht die Maße der Fenster falsch angegeben habe. So sei durch den Sachverständigen eindeutig festgestellt worden, daß es in den 80-er Jahren von keinem Anbieter Fenster mit den Außenmaßen 1,30 m Höhe x 0,78 m Breite gegeben habe. Es sei vielmehr so, daß damals nur Fenster mit den Außenmaßen 1,32 m Höhe und 0,72 m Breite hergestellt worden seien. Die heute serienmäßig gelieferten Fenster hätten eine Breite von 1,40 m Höhe x 0,78 m Breite, so wie er sie auch eingebaut habe. Anschließend beschlossen die Anwesenden mit 4 Ja-Stimmen und einer Nein-Stimme, somit mehrheitlich, daß der Rückbau der Dachflächenfenster durch Herrn St ordnungsgemäß erfolgt ist."

Der Beteiligte zu 1) hat mit einem bei dem Amtsgericht am 28.04.2000 eingegangenen Schriftsatz vom Vortag beantragt, diesen Beschluß der Eigentümerversammlung für nichtig zu erklären. Durch Beschluß vom 23.08.2000 hat das Amtsgericht festgestellt, daß der genannte Beschluß der Eigentümerversammlung vom 19.04.2000 nichtig ist.

Gegen diesen Beschluß haben die Beteiligten zu 2) bis 5) mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 06.09.2000 rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat mit den Beteiligten in öffentlicher Sitzung vom 19.10.2000 vor der vollbesetzten Zivilkammer mündlich verhandelt und durch den am Schluß der Sitzung verkündeten Beschluß die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 5), die sie mit einem bei dem Oberlandesgericht am 09.11.2000 eingegangenen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom Vortag eingelegt haben. Der Beteiligte zu 1) beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 45 Abs. 1, 43 Abs. 1 WEG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 2) bis 5) folgt bereits daraus, daß ihre sofortige erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet, weil die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer zulässigen sofortigen Erstbeschwerde der Beteiligten zu 2) bis 5) ausgegangen. Auch die Sachentscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Kammer hat rechtsfehlerfrei den Beschluß der Eigentümerversammlung für nichtig erachtet, weil den Wohnungseigentümern für die getroffene Regelung die Beschlußkompetenz fehlt. Das WEG unterscheidet zwischen Angelegenheiten, die die Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluß, und solchen, die sie durch Vereinbarung regeln können. Gem. § 23 Abs. 1 WEG können durch Beschlußfassung solche Angelegenheiten geordnet werden, über die nach dem WEG oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluß entscheiden können. Anderenfalls bedarf es einer Vereinbarung (§ 10 Abs. 1 WEG). Die Mehrheitsherrschaft bedarf damit der Legitimation durch Kompetenzzuweisung. Sie ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Sie wird vom Gesetz nur dort zugelassen, wo es um das der Gemeinschaftsgrundordnung nachrangige Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander, namentlich um die Ausgestaltung des ordnungsgemäßen Gebrauchs und um die ordnungsmäßige Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (§§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 1 und 3 WEG) geht. Ist eine Angelegenheit weder durch das WEG noch durch Vereinbarung dem Mehrheitsprinzip unterworfen, kann eine Regelung durch Mehrheitsbeschluß nicht erfolgen: Der Mehrheit fehlt von vornherein jede Beschlußkompetenz, die Wohnungseigentümerversammlung ist für eine Beschlußfassung absolut unzuständig. Die absolute Beschlußunzuständigkeit führt nicht lediglich zur Anfechtbarkeit, sondern zur Nichtigkeit des Eigentümerbeschlusses (vgl. die grundlegenden Ausführungen des BGH in seinem jüngsten Beschluß vom 20.09.2000, u.a. veröffentlicht in NJW 2000, 3500, 3502 = FGPrax 2000, 223).

Gegenstand der Beschlußfassung der Eigentümerversammlung ist hier der durch den Beschluß des Amtsgerichts vom 10.06.1998 titulierte Anspruch des Beteiligten zu 1) gegen den Beteiligten zu 2) auf Beseitigung der baulichen Veränderung, die dieser durch den Einbau neuer Dachflächenfenster vorgenommenen hat. Der Beschluß der Eigentümerversammlung ist - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - seinem Inhalt nach darauf gerichtet, auf den rechtlichen Bestand dieses Anspruchs einzuwirken: Als Folge des Beschlusses sollte als festgestellt gelten, daß der Beteiligte zu 2) den Rückbau der Dachflächenfenster ordnungsgemäß durchgeführt habe, also rechtlich der Beseitigungsanspruch durch Erfüllung erloschen sei. Auf diese Weise sollte der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung des Beteiligten zu 1) aus dem Beschluß des Amtsgerichts vom 10.06.1998 die Grundlage entzogen werden. Dementsprechend hat der Beteiligte zu 2) in dem Zwangsvollstreckungsverfahren - wenn auch erfolglos - den Beschluß der Eigentümerversammlung vom 19.04.2000 als Grund für die Unzulässigkeit der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung angeführt.

Eine absolute Beschlußunzuständigkeit liegt nach anerkannter Auffassung u.a. vor, wenn durch Beschluß der Eigentümerversammlung in die Rechtszuständigkeit eines einzelnen Wohnungseigentümers eingegriffen wird (Bärmann/Pick/Merle, WEG, 8. Aufl., § 23, Rdnr.125; Staudinger/Bub, BGB, 13. Bearbeitung, § 23 WEG, Rdnr. 107). Um einen solchen, dem einzelnen Wohnungseigentümer individuell zustehenden Anspruch handelt es sich bei demjenigen auf Beseitigung einer baulichen Veränderung. Es ist anerkannt, daß jeder Miteigentümer einen individuellen Anspruch auf Beseitigung einer baulichen Veränderung (§ 1004 BGB) hat, der unmittelbar aus seinem Miteigentum an dem gemeinschaftlichen Grundstück fließt. Diese gem. § 1011 BGB bereits bei schlichtem Bruchteilsmiteigentum bestehende Rechtsposition steht auch dem Wohnungseigentümer zu. Dementsprechend ist ein einzelner Wohnungseigentümer auch ohne einen ermächtigenden Beschluß der Eigentümerversammlung berechtigt, den Anspruch auf Beseitigung einer baulichen Veränderung gegen einen anderen Wohnungseigentümer gerichtlich geltend zu machen (BGHZ 116, 392 = NJW 1992, 978). Der Eigentümerversammlung ist deshalb eine Beschlußfassung über den Fortbestand eines für einen einzelnen Wohnungseigentümer bereits titulierten Anspruchs auf Beseitigung einer baulichen Veränderung schlechthin versagt.

Damit erweist sich auch die Begründung der sofortigen weiteren Beschwerde als nicht tragfähig. Es kommt nicht darauf an, ob die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung aus dem Beschluß des Amtsgerichts vom 10.06.1998 durch den Beteiligten zu 1) gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß der Eigentümerversammlung nicht die Befugnis zusteht, darüber eine sachliche Entscheidung mit bindender Wirkung für die Beteiligten zu treffen. Dies ist vielmehr allein den Gerichten in dem dafür vorgesehenen Verfahren vorbehalten. Da die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) bis 5) ohne Erfolg bleibt, entspricht es der Billigkeit, daß sie die Gerichtskosten des Verfahrens dritter Instanz zu tragen haben (§ 47 S. 1 WEG).

Darüber hinaus hat es der Senat für angemessen erachtet, daß die Beschwerdeführer dem Beteiligten zu 1) im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde etwa entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten haben (§ 47 S. 2 WEG). Denn das Landgericht hat seine Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausführlich begründet. Die Begründung der sofortigen weiteren Beschwerde hat keine Gesichtspunkte aufzeigen können, die die Entscheidung des Landgerichts ernsthaft hätten in Zweifel ziehen können. Unter diesen Umständen entspricht es der Billigkeit, daß die Beschwerdeführer auch etwa entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten haben, die sie durch ihr Rechtsmittel veranlaßt haben.

Die Wertfestsetzung für das Verfahren dritter Instanz beruht auf § 48 Abs. 3 WEG. Sie folgt der unbeanstandet gebliebenen Wertfestsetzung der landgerichtlichen Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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