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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.02.2002
Aktenzeichen: 15 W 53/02
Rechtsgebiete: FGG, AuslG


Vorschriften:

FGG § 20
AuslG § 57 Abs. 2
1. Erledigt sich im Verfahren auf Anordnung der Abschiebungshaft nach Erlaß der Erstbeschwerdeentscheidung die Hauptsache durch Entlassung des Betroffenen, so kann der Betroffene sofortige weitere Beschwerde mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme einlegen.

2. Gegenstand der feststellenden Entscheidung kann nur die verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Überprüfung der Entscheidung des Landgerichts sein.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 53/02 0LG Hamm

In der Freiheitsentziehungssache

betreffend die Anordnung der Abschiebungshaft für den am 06.03.1964 geborenen jugoslawischen Staatsangehörigen S J wohnhaft

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 26. Februar 2002 auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 31. Januar 2002 gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 24. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Budde und Oellers

beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, daß die Anordnung der Fortdauer der Abschiebungshaft des Betroffenen durch den angefochtenen Beschluß des Landgerichts rechtswidrig war.

Der Kreis Coesfeld hat die dem Betroffenen im Verfahren der sofortigen ersten und weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste erstmals im Jahre 1990 in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folgezeit drei Asylanträge, die sämtlich ohne Erfolg blieben. Daneben wurde er durch Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 19.09.2000 wegen zahlreicher Straftaten gem. § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen; auch seine hiergegen erhobene verwaltungsgerichtliche Klage wurde abgewiesen. Zuletzt war der Betroffene befristet bis zum 03.11.2001 und beschränkt auf das Gebiet des Landes Baden-Württemberg geduldet; ihm war eine Unterkunft in Mannheim zugewiesen.

Am 20.09.2001 hat der Betroffene seine langjährige Lebensgefährtin, Frau V J geheiratet. Diese wohnt - ebenfalls ausländerrechtlich lediglich geduldet - mit den vier aus der Verbindung mit dem Betroffenen hervorgegangenen gemeinsamen Kindern in D. Der Betroffene hat mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten jeweils vom 21.09.2001 sowohl bei dem Beteiligten zu 2) als auch bei der Ausländerbehörde der Stadt Mannheim beantragt, im Hinblick auf die erfolgte Eheschließung die Wohnsitzauflage der ihm erteilten Duldung dahin zu ändern, daß er sich bei seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern aufhalten kann.

Nachdem der Betroffene aus Anlaß eines Abschiebungsversuchs am 15.11.2001 in der ihm zugewiesenen Unterkunft in Mannheim nicht angetroffen worden war, hat das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Schreiben vom 19.11.2001 den Beteiligten zu 2) ersucht, im Wege der Amtshilfe die Abschiebung des Betroffenen durchzuführen und ihn "in Abschiebehaft zu nehmen". Der Betroffene halte sich höchstwahrscheinlich bei seiner Ehefrau unter der oben genannten Anschrift in D auf.

Der Beteiligte zu 2) hat daraufhin am 07.12.2001 bei dem Amtsgericht beantragt, gegen den Betroffenen die Abschiebungshaft anzuordnen. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Betroffene sei am 06.12.2001 von der Polizei in D nach einem Ladendiebstahl festgenommen worden. Es bestehe der Haftgrund gem. § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und 5 AuslG.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 07.12.2001 persönlich angehört und durch den sodann verkündeten Beschluß mit sofortiger Wirksamkeit die Abschiebungshaft gegen den Betroffenen für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet.

Gegen diesen Beschluß hat der Betroffene mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 20.12.2001 sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht durch Beschluß vom 24.01.2002 zurückgewiesen hat.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die er mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 31.01.2002 bei dem Landgericht eingelegt hat. Vor Einlegung dieses Rechtsmittels war der Betroffene am 29.01.2002 auf Veranlassung des Beteiligten zu 2) aus der Haft entlassen worden. Grundlage dafür war eine auf Antrag des Betroffenen erlassene einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 28.01.2002, durch die dem Regierungspräsidium Karlsruhe aus Gründen ausländerrechtlicher Zuständigkeitsbestimmungen untersagt wurde, den Betroffenen abzuschieben. Im Hinblick auf seine Entlassung beantragt der Betroffene nunmehr, die Rechtswidrigkeit der angeordneten Abschiebungshaft festzustellen.

Der Beteiligte zu 2) hat zu dem Rechtsmittel mit Schreiben vom 19.02.2002 Stellung genommen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 103 Abs. 2 AuslG, 7 Abs. 1 3 S. 2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Das Verfahren hat sich zwar bereits vor Einlegung des Rechtsmittels dadurch in der Hauptsache erledigt, daß der Betroffene am 29.01.2002 aus der Haft entlassen worden ist. Gleichwohl bleibt das Rechtsmittel mit dem gestellten Feststellungsantrag zulässig.

Zu dieser Beurteilung sieht sich der Senat unter gleichzeitiger Aufgabe seiner gegenteiligen früheren Rechtsprechung (NJW 1998, 463) durch einen kürzlich ergangenen Beschluß des BVerfG vom 05.12.2001 (2 BvR 527/99 u.a.) gezwungen. In dieser Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, im Hinblick auf das Gebot der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG) seien die Fachgerichte gehalten, ein Rechtsschutzinteresse für eine nachträgliche feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Abschiebungshaftmaßnahme unabhängig davon zu bejahen, ob nach dem Inhalt der Maßnahme typischerweise der Rechtsschutz des Betroffenen unter Ausschöpfung des vorgesehenen Instanzenzugs vor ihrer sachlichen Erledigung gewährt werden könne. Dies gebiete das Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen im Hinblick auf die Annahme eines der in § 57 Abs. 2 AuslG genannten Haftgründe, die jeweils die an das zurechenbare Verhalten des Ausländers anknüpfende Feststellung voraussetze, daß er seine Abschiebung wesentlich erschweren oder vereiteln oder untertauchen wolle. Die gegenteilige Rechtsprechung des BGH (BGHZ 139, 254 = NJW 1998, 2829) verpflichtet den Senat nicht zu einer Vorlage gem. § 28 Abs. 2 FGG, weil er gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG vorrangig die Bindungswirkung der Entscheidung des BVerfG zu beachten hat.

Das BVerfG hat in seiner genannten Entscheidung den Fachgerichten nicht näher vorgegeben, nach welchen verfahrensrechtlichen Kriterien sie die feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungshaftmaßnahme zu treffen haben. Der Senat hält es für geboten, im Abschiebungshaftverfahren dieselben Kriterien anzuwenden, die er für eine feststellende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer erledigten Unterbringungsmaßnahme bereits entwickelt hat (BtPrax 2001, 212): Gegenstand der Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren ist ausschließlich die Entscheidung des Erstbeschwerdegerichts. Daraus folgt, daß auch die zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderliche Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sich auf die Prüfung zu beschränken hat, ob die Sachentscheidung des Landgerichts bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung verfahrensrechtlich einwandfrei getroffen ist und sachlich rechtlicher Nachprüfung standhält.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer zulässigen sofortigen Erstbeschwerde des Betroffenen ausgegangen.

In der Sache hat das Landgericht ausgeführt, es bestehe der Haftgrund nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG. Denn der Betroffene habe seinen Aufenthaltsort gewechselt, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar sei. Er habe sich in D aufgehalten, ohne der Behörde seinen Aufenthaltswechsel anzuzeigen. Das Gesetz knüpfe den Haftgrund allein an den nicht gemeldeten Aufenthaltswechsel, ohne die zusätzliche Feststellung zu erfordern, daß dieser auf der Absicht des Untertauchens beruhe. Der Aufenthaltsort des Betroffenen sei zu dem maßgeblichen Zeitpunkt auf das Gebiet des Landes Baden-Württemberg beschränkt gewesen. Der allgemein gehaltene Vortrag des Betroffenen, den Behörden sei bekannt gewesen, daß er sich in D bei seiner Ehefrau aufhalte, sei nicht geeignet, einen eindeutig gegen eine Entziehungsabsicht sprechenden Umstand darzutun.

Dieser Beurteilung kann sich der Senat aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht anschließen. Der Zweck der gesetzlichen Vorschrift des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG besteht darin, die Erreichbarkeit des Ausländers für die Durchführung der Abschiebung sicherzustellen. Nicht der Aufenthaltswechsel des Ausländers als solcher begründet den Haftgrund, sondern der Umstand, daß die Ausländerbehörde nicht darüber unterrichtet ist, wo sich der Ausländer aufhält. Deshalb knüpft der Haftgrund nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG nicht allein daran an, daß der Ausländer überhaupt einen Aufenthaltswechsel vorgenommen hat, mag dieser auch unter Verstoß gegen ausländerrechtliche Vorschriften erfolgt sein und für die Behörden zu einer Erschwerung in der verwaltungsmäßigen Abwicklung der Durchführung der Abschiebung führen. Die Vorschrift hat demgegenüber keinerlei Sanktionscharakter.

Im vorliegenden Fall hat der Betroffene seinen neuen Aufenthaltsort in D bei der Ausländerbehörde gemeldet. Die Meldung des Aufenthaltswechsels im Sinne des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG bedarf keines bestimmten Wortlauts. Dem Zweck der Vorschrift entsprechend muß es ausreichen, daß die Behörde im Ergebnis erkennen kann, wo sich der Ausländer aufhält. Die weitreichenden Folgen der Entstehung eines Haftgrundes für die Abschiebungshaft lassen eine formalistische Betrachtungsweise in diesem Zusammenhang nicht zu. Diesen Anforderungen genügt das im Erstbeschwerdeverfahren vorgelegte, vom Landgericht nicht ausdrücklich gewürdigte Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vom 21.09.2001 an die Ausländerbehörde der Stadt Mannheim. In diesem Schreiben wird eingangs dargestellt, der Betroffene habe am 20.09.2001 die Ehe mit Frau V J geschlossen. Sodann wird beantragt, die Wohnsitzauflage der Duldung des Betroffenen zu ändern und seinem Umzug zu seiner Familie nach D "zuzustimmen". Aus dieser Darstellung ergibt sich schon im Hinblick auf die erfolgte Eheschließung die naheliegende Schlußfolgerung, daß der Betroffene bereits tatsächlich in Dülmen bei seiner Familie wohnte und diesen Aufenthaltswechsel nunmehr auch ausländerrechtlich genehmigt wissen wollte. Wenngleich die Behörde diese Genehmigung nicht erteilt hat, hat sie diese Mitteilung ersichtlich auch in diesem Sinne verstanden. Denn in dem Amtshilfeersuchen des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 19.11.2001 an den Beteiligten zu 2) heißt es, der Betroffene halte sich höchstwahrscheinlich bei seiner Ehefrau unter der genannten Anschrift in D auf.

Weitere Haftgründe hat das Landgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht erörtert. Das Amtsgericht hat die Maßnahme auf die Haftgründe des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und 5 AuslG gestützt. Danach ist ein Ausländer in Haft zu nehmen, wenn er sich in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat oder der begründete Verdacht besteht, daß er sich seiner Abschiebung entziehen will. Diese Voraussetzungen hat das Amtsgericht dadurch als erfüllt angesehen, daß der Betroffene seiner bestehenden Ausreiseverpflichtung freiwillig nicht nachgekommen sei sowie sich ohne Erlaubnis nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufgehalten habe. Auch diese Schlußfolgerung hält der Senat indessen nicht für hinreichend tragfähig. Daß der Betroffene sich in der Vergangenheit bereits der Abschiebung entzogen hat (§ 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AuslG), ist nicht dargelegt. Unter welchen Umständen ein Aufenthaltswechsel des Ausländers einen Haftgrund begründet, ist in § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG geregelt. Ein Verhalten, das nach dieser Vorschrift nicht zur Annahme eines Haftgrundes führen kann, kann im Rahmen der allgemeinen Vorschriften der Nr. 5 nicht anders bewertet werden. Zudem kann das Bestreben des Betroffen, in familiärer Gemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinen Kindern leben zu können, für sich allein nicht überzeugend die Annahme begründen, er wolle sich seiner Abschiebung entziehen. In diesem Zusammenhang reicht auch der Hinweis des Beteiligten zu 2) auf die Vielzahl von strafgerichtlichen Verurteilungen des Betroffenen nicht aus, die in der Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 19.09.2000 aufgelistet sind. Eine Entziehungsabsicht kann zwar nach den Umständen des Einzelfalls angenommen werden, wenn Straftaten des Ausländers eine so starke rechtsfeindliche Energie erkennen lassen, daß befürchtet werden muß, er werde seiner Abschiebung einen Widerstand entgegensetzen, der nicht mit einfachem, keine Freiheitsentziehung erfordernden Widerstand überwunden werden kann (BayObLG NVwZ 1994, 94). Hier handelt es sich indessen sämtlich um Verurteilungen wegen Vermögensdelikten und Verkehrsdelikten (im wesentlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis), die überwiegend zur Verhängung von Geldstrafen, in zwei Fällen zu kurzzeitigen, nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen geführt haben. Mögen diese Straftaten Ausdruck einer mangelnden Rechtstreue des Betroffenen sein, so läßt sich ein Bezug zwischen diesen Straftaten und dem Aufenthaltsstatus des Betroffenen (wie er etwa bei Verstrickung in den Rauschgifthandel gegeben sein kann, vgl. BayObLG a.a.O.) nicht herstellen. Auch in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß die Abschiebungshaft keinen Sanktionscharakter hat.

Die Entscheidung über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der sofortigen ersten und weiteren Beschwerde beruht auf § 16 FEVG. Danach hat das Gericht bei Ablehnung des Antrags auf Freiheitsentziehung die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, der die antragstellende Verwaltungsbehörde angehört, wenn das Verfahren ergeben hat, daß ein begründeter Anlaß zur Antragstellung nicht vorlag. Der Anwendungsbereich der Vorschrift muß sich auch auf eine Konstellation erstrecken, in dem sich die Freiheitsentziehungsmaßnahme zwar als solche anderweitig erledigt, dann aber eine feststellende Entscheidung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme ergeht (so bereits Senat BtPrax 2001, 212 zu der korrespondierenden Vorschrift des § 13 a Abs. 2 S. 1 FGG). Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß bereits nach dem eigenen Vorbringen des Beteiligten zu 2) ein begründeter Anlaß zur Antragstellung nicht vorgelegen hat.

Eine Wertfestsetzung für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde ist im Hinblick auf § 112 BRAGO nicht veranlaßt.

Ende der Entscheidung

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