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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.03.2001
Aktenzeichen: 15 W 66/01
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 765 a | |
ZPO § 568 |
Gefahr des Todes eines nahen Angehörigen bei Anordnung der Zwangsversteigerung
Besteht die Möglichkeit, daß ein naher Angehöriger des Schuldners wegen der Anordnung der Zwangsversteigerung stirbt oder ernsthaft erkrankt, kann dies ein wichtiger Grund i.Sd § 765 a ZPO sein.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS
15 W 66/01 OLG Hamm 5 T 1038/00 LG Münster 12 K 54/00 AG Rheine
in dem Verfahren
betreffend die Zwangsversteigerung des im Wohnungsgrundbuch von R Stadt Blatt 3969 auf den Namen der Schuldnerin eingetragenen Wohnungseigentums, Wohnung Nr. 1 im Hause
Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 26. März 2001 auf die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 31. Januar 2001 gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 14. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Budde und Oellers
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde - an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligte zu 1) betreibt gegen die Beteiligte zu 2) die Zwangsversteigerung wegen dinglicher Ansprüche aus den in Abteilung III des Wohnungsgrundbuchs unter laufende Nummern 2, 3 und 5 eingetragenen Grundschulden über zweimal 50.000,00 DM und 100.000,00 DM nebst Zinsen, mit denen das eingangs genannte Wohnungseigentum der Beteiligten zu 2) belastet ist. Mit Beschluß des Amtsgerichts vom 20.06.2000 wurde die Zwangsversteigerung aus der Grundschuld laufende Nr. 3 angeordnet. Mit Beschluß vom 19.09.2000 wurde der Beitritt der Gläubigerin wegen der dinglichen Ansprüche aus den Grundschulden laufende Nummer 2 und 5 angeordnet.
In der Wohnung lebt seit über 30 Jahren die am 24. April 1910 geborene Mutter der Schuldnerin, Frau K. Zu ihren Gunsten ist in Abteilung II des Wohnungsgrundbuchs ein dingliches Wohnrecht am 06.05.1992 eingetragen worden. Dieses Wohnrecht ist gegenüber den Grundschulden laufende Nummer 2 und 3 nachrangig.
Mit Schriftsatz vom 24.07.2000 hat die Beteiligte zu 2) die Einstellung des Verfahrens beantragt, weil die Zwangsversteigerung des Wohnungseigentums die Gesundheit ihrer Mutter beeinträchtige und ihr Leben gefährde. Ihre Mutter sei in erheblichem Maße herzkrank und werde mit Sicherheit in, einen lebensbedrohlichen Zustand geraten, sollte sie von der Anordnung der Zwangsversteigerung erfahren. Sie hat dazu eine ärztliche Bescheinigung des Hausarztes ihrer Mutter Dr. med. H vom 20.07.2000 vorgelegt, in der es unter anderem heißt:
"Im Vordergrund stehen die kardialen Erkrankungen. Falls die Bank, wie mir mitgeteilt wurde, auf einer Versteigerung besteht, wird es mit Sicherheit zu einer akuten Exacerbation der 90-jährigen Patientin kommen. Frau K. lebt seit vielen Jahren in dem Wohnhaus ihrer Tochter und würde die Anordnung der Zwangsversteigerung nicht verkraften. Es kann mit Sicherheit gesagt werden, daß es zu einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommt, eventuell wird die Patientin sogar diesen juristischen Schritt nicht überleben."
Das Amtsgericht hat den Einstellungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, daß das gesundheitliche Risiko für die Mutter der Schuldnerin erst bei einer Räumung berücksichtigt werden könne.
Das Landgericht hat durch Beschluß vom 14.12.2000 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2), die sie durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit einem am 01.02.2001 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist nach den §§ 95 ZVG, 793 Abs. 2, 568 Abs. 2 S. 1 ZPO statthaft und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch sonst zulässig. Zwar enthält die angefochtene Beschwerdeentscheidung keinen neuen selbständigen Beschwerdegrund nach § 568 Abs. 2 ZPO. Das Landgericht ist nämlich ebenso wie das Amtsgericht auf den Einstellungsantrag sachlich eingegangen und ist zu der Beurteilung gelangt, die Voraussetzungen für den beantragten Vollstreckungsschutz nach § 765 a ZPO lägen nicht vor. Beide Entscheidungen stimmen daher inhaltlich überein. Die sachliche Richtigkeit der dabei angestellten Erwägungen hat der Senat im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 568 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht zu untersuchen.
Die sofortige weitere Beschwerde ist aber als Verfahrenszweitbeschwerde zulässig (vgl. dazu Senat NJW 1979, 170 = Rpfleger 1979, 32). Denn die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einem durchgreifenden Verfahrensmangel. Ein solcher Verfahrensmangel liegt dann vor, wenn das Landgericht bei seiner Entscheidung wesentliche Grundsätze des Beschwerdeverfahrens verletzt hat (BVerfG NJW 1979, 538; Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 568 Rdn. 16 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist dann erfüllt, wenn dem Landgericht erstmals ein Verfahrensfehler unterlaufen ist und die Sachentscheidung bei korrektem Vorgehen möglicherweise anders ausgefallen wäre (Zöller/Gummer, a.a.O.). Dasselbe gilt aber auch dann, wenn beiden Vorinstanzen derselbe Verfahrensfehler dahin unterlaufen ist, daß sie prozessuale Aufklärungs- und Hinweispflichten unbeachtet gelassen haben. Solche Verstöße gegen die Verfahrensordnung treffen jedes Verfahren selbständig und eröffnen die zweite Beschwerdeinstanz auch dann, wenn der Mangel im (Erst-Beschwerdeverfahren nicht erstmals aufgetreten ist (vgl. Zöller/Gummer, a.a.O. Rdn. 20 m.w.N.).
Eine solche Verletzung ist hier gegeben, weil das Landgericht vor seiner Entscheidung den Sachverhalt in dem entscheidungserheblichen Punkt nicht hinreichend aufgeklärt hat. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG NJW 1979, 2607; 1994, 1272; 1994, 1719; 1998, 295) gebietet das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine ganz besonders gewissenhafte Prüfung der Voraussetzungen des § 765 a ZPO, wenn nach dem Vortrag des Schuldners eine schwerwiegende Gefährdung seines Lebens oder seiner Gesundheit zu besorgen ist. Dem gleichgestellt ist eine schwerwiegende Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit naher Angehörige des Schuldners (vgl. OLG Köln NJW 1994, 643; Zöller/Gummer, a.a.O., Rdn. 8 m.w.N.). Um im konkreten Fall gegenüber den Belangen der Gläubiger zu berücksichtigende schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigungen auszuschließen, ist namentlich dem Vortrag einer lebensbedrohenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes besonders sorgfältig nachzugehen. Erst wenn die gebotene gründliche Sachaufklärung hinreichende Feststellungen hierzu erlaubt, ist eine Güterrechtsabwägung vorzunehmen. Diesen Erfordernissen wird die angefochtene landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
Das Landgericht hat zunächst - in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht - gemeint, daß allein die Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens mit dem möglichen Ergebnis einer Zuschlagserteilung keine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit bzw. das Leben der Wohnungsberechtigten beinhalte, da die Mutter der Schuldnerin zunächst noch nicht zu einer Wohnungsaufgabe gezwungen werde. Ihre Lebensumstände würden sich zunächst nicht ändern. Erst mit einem etwaigen rechtskräftigen Zuschlagsbeschluß könne ein Ersteher die Wohnung bei Erlöschen des Wohnungsrechtes räumen lassen. Das Attest des Dr. H sei so zu verstehen, daß die bedrohliche Situation erst dann eintrete, wenn die Mutter der Schuldnerin mit der Tatsache konfrontiert werde, ihren seit Jahren vertrauten Lebensraum nunmehr verlassen zu müssen. Vorher sei der Schuldnerin zuzumuten, ihre Mutter vor entsprechenden Aufregungen, die ihre Herzkrankheit eskalieren lassen könnten, zu bewahren. Der Mutter sei entweder der Ernst der Vermögenssituation schonend beizubringen oder es sei ihr die Tatsache des Zwangsversteigerungsverfahrens zu verbergen.
Mit diesen Ausführungen hat das Landgericht den Sachvortrag der Beteiligten zu 2) verfahrensfehlerhaft ausgewertet.
Zunächst kann allerdings das Zwangsvollstreckungsverfahren im allgemeinen, also die Tatsache, daß überhaupt eine Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, keine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765 a ZPO begründen (Thomas-Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 765 a Rdn. 4), denn das Gesetz stellt dieses Verfahren (nicht anders als das Erkenntnisverfahren) zur Verfolgung von Rechtsansprüchen zur Verfügung, so daß sich kein Schuldner (bzw. Beklagter) darauf berufen kann, schon das Verfahren selbst belaste ihn so unverhältnismäßig und sogar lebensbedrohend, daß ihm gegenüber von jeder Rechtsverfolgung Abstand genommen werden müsse. Die bloße Inanspruchnahme eines gesetzlich vorgesehenen Verfahrens ist stets mit den guten Sitten vereinbar. Sittenwidrig kann nach den Einzelfallumständen nur eine konkrete Zwangsvollstreckungsmaßnahme sein. Anders als das OLG Köln (NJW 1994, 1743) ist der Senat jedoch nicht der Auffassung, daß eine solche konkrete Vollstreckungsmaßnahme erst die Erteilung des Zuschlages oder die Räumung aufgrund des Zuschlags sei, da nur diese Maßnahmen einen konkreten Eingriff in den Lebensbereich des Schuldners bzw. dessen Angehöriger bedeute, dessen Wirkungen im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände entsprechend der erforderlichen Interessenabwägung eine sittenwidrige Härte begründen könne. Auch die Anordnung, der Zwangsversteigerung (§ 15 ZVG) ist bereits eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung (§ 866 Abs. 1 ZPO). Bereits mit der Anordnung einer Zwangsversteigerung können bei den davon betroffenen Schuldnern bzw. dessen Angehörigen Gesundheitsbeeinträchtigungen entstehen, die sich ggf. auch lebensbedrohend auswirken können. Solche Beeinträchtigungen müssen nicht erst auftreten, wenn es zur Erteilung des Zuschlages oder zur Anordnung der Räumung kommt (so auch OLG Brandenburg, Rpfleger 2001, 91). Die Anforderungen, nach denen bereits die Anordnung einer Zwangsversteigerung eine sittenwidrige Härte begründen kann, liegen allerdings ungleich höher als bei der Erteilung des Zuschlages oder gar der Räumung. Denn hier sind die Interessen des Gläubigers, der ein gesetzmäßiges Verfahren in Anspruch nimmt, in der Regel ungleich höher zu bewerten. Grundsätzlich ist es jedoch nicht ausgeschlossen, daß bereits die Anordnung der Zwangsversteigerung eine Härte im Sinne des § 765 a ZPO begründen kann.
Daher bedarf der Sachverhalt in dem vorliegenden Fall besonderer gewissenhafter Aufklärung. Nach der ärztlichen Bescheinigung vom 20.07.2000 ist bereits bei der Anordnung der Zwangsversteigerung eine lebensbedrohende Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Mutter der Schuldnerin nicht auszuschließen. Das Landgericht könnte nicht ohne weitere Sachaufklärung, insbesondere ohne Befragung des Arztes, das Attest so verstehen, daß die bedrohliche Situation erst dann eintrete, wenn die Mutter ihren vertrauten Lebensraum verlassen müsse. Dies ist aus dem Attest so nicht herauszulesen. Darin heißt es klar und deutlich, daß dies bereits durch die Anordnung der Zwangsversteigerung eintreten kann.
Das Landgericht hätte daher eine weitere Sachaufklärung betreiben müssen. So hätte zunächst der Hausarzt der Mutter der Schuldnerin zu der von ihm prognostizierten Lebensbeeinträchtigung angehört werden können. Auch der im Verfahren der weiteren Beschwerde genannte Kardiologe Dr. O vom M Hospital kann hierzu angehört werden. Wenn hierbei die wörtlichen Angaben der ärztlichen Bescheinigung bestätigt werden, bestehen genügend konkrete Anhaltspunkte, daß das Beschwerdegericht sich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sicheren Aufschluß über die Art der Erkrankung der Mutter der Schuldnerin und die darauf beruhenden Folgen durch die Anordnung der Zwangsversteigerung verschaffen kann.
Da das Landgericht diese Ermittlungen nicht angestellt hat, liegt ein Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auch auf dem Verfahrensfehler, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Entscheidung nach Durchführung der erforderlichen Maßnahmen anders ausfällt.
Es erscheint dem Senat sachgerecht, die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Da kein Fall des § 101 ZVG vorliegt und keine Entscheidungsreife besteht, hat der Senat gemäß § 575 ZPO dem Landgericht die erforderlichen Anordnungen übertragen. Das Gericht wird dabei auch über die Kosten des Verfahrens vor dem Senat zu befinden haben.
Die Wertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 12, 14 GKG, § 3 ZPO. Dabei ist der Senat von der unbeanstandet gebliebenen Wertfestsetzung des Landgerichts ausgegangen.
Ende der Entscheidung
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