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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.08.2008
Aktenzeichen: 15 Wx 156/08
Rechtsgebiete: WEG, FGG


Vorschriften:

WEG § 45 a.F.
WEG § 48 Abs. 3
WEG § 62 Abs. 1 n.F.
FGG § 22 Abs. 2 S. 1
FGG § 27
FGG § 29
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Beteiligten zu 1) wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 17.07.1007 gewährt.

Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Gerichtskosten und die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens dritter Instanz an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 17.07.2007 wies das Amtsgericht den Antrag der Beteiligten zu 1) zurück, den in der Eigentümerversammlung vom 24.01.2007 zu TOP 4 gefassten Beschluss für unwirksam zu erklären.

Gegen diese ihren Verfahrensbevollmächtigten am 25.07.2007 zugestellte Entscheidung legte die Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz vom 15.08.2007 sofortige Beschwerde ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde. Dazu machte sie geltend, den Beschluss des Amtsgerichts nebst dem Anschreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 26.07.2007 habe sie aus ihr unerklärlichen Gründen nicht erhalten, weil das Schreiben auf dem Postwege verloren gegangen sei. In diesem Schreiben ist sie auf die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts hingewiesen worden, der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) riet aber von der Einlegung eines Rechtsmittels ab und teilte mit, keine sofortige Beschwerde einzulegen, sofern nicht bis zum 03.08.2007 eine ausdrückliche Anweisung vorliege. Erst als sie am 13.08.2007 bei ihren Verfahrensbevollmächtigten nachgefragt habe, wann mit einer Entscheidung des Amtsgerichts zu rechnen sei, sei sie per Telefax über das Schreiben vom 26.07.2007 und den Beschluss des Amtsgerichts in Kenntnis gesetzt worden. Sie habe daraufhin unverzüglich den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels erteilt.

Nachdem das Landgericht der Beteiligten zu 1) aufgegeben hatte, glaubhaft zu machen - z.B. durch Postausgangsbuch, Absendungsvermerke in den Handakten, eidesstattliche Versicherungen des Verfahrensbevollmächtigten, der das Schreiben vom 26.07.2007 verfasst hat, und der mit dem Versand des Schreibens beauftragten Kanzleikräfte -, dass das Schreiben zur Post gegangen ist, nahm der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) unter der 13.08.2007 schriftsätzlich Stellung und versicherte die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.04.2008 erklärte er ergänzend, er könne sich erinnern, das Schreiben unterschrieben zu haben. In seiner Handakte befinde sich aber kein Ab-Vermerk oder eine ähnliche Eintragung, aus der sich entnehmen ließe, dass die Postmappe mit dem unterschriebenen Schreiben gemäß seiner allgemeinen Anweisung tatsächlich am 26.07.2007 auf einem speziellen Schreibtisch, auf den jeden Tag die Postmappen gelegt werden, um die Schreiben dort postfertig zu machen, bereitgelegt worden ist.

Das Landgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung mit der Begründung versagt, dass den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) ein Verschulden an der Fristversäumnis treffe, und die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1) mit der sofortigen weiteren Beschwerde.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 45 WEG a.F., 62 Abs. 1 WEG n.F., 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Ihre Beschwerdebefugnis ergibt sich daraus, dass das Landgericht ihre erste Beschwerde als unzulässig angesehen hat.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, weil das Landgericht zu Unrecht die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt hat.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Beteiligten zu 1) ist zulässig. Die Beteiligte zu 1) hat die Einlegung der sofortigen Beschwerde innerhalb der Antragsfrist nachgeholt (§ 22 Abs. 2 S. 1 FGG), indem sie - verbunden mit dem Wiedereinsetzungsantrag - am 17.08.2007 die versäumte Rechtshandlung der Einlegung der sofortigen Beschwerde nachgeholt hat.

Das Wiedereinsetzungsgesuch ist auch in der Sache begründet, weil die Beteiligte zu 1) ohne Verschulden gehindert war, die Zweiwochenfrist zur Einlegung der sofortige Beschwerde einzuhalten (§§ 22 Abs. 1 FGG, 43 WEG a.F.). Denn sie bzw. ihre Verfahrensbevollmächtigten haben nicht zu vertreten, dass die sofortige Beschwerde nicht innerhalb der dafür bestimmten Frist eingelegt worden ist. Die tatsächliche Würdigung des Landgerichts unterliegt in diesem Zusammenhang der uneingeschränkten Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, weil es um die Feststellung einer Verfahrensvoraussetzung geht (Keidel/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27, Rdnr. 15 m.w.N.).

Die Beteiligte zu 1) hat, wovon auch das Landgericht ausgeht, durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass sie das Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 26.07.2007, dem der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts beilag und in dem sie um Mitteilung gebeten worden war, ob sie gegen den Beschluss des Amtsgerichts sofortige Beschwerde einlegen wolle, nicht erhalten und erst am 13.08.2007 bei ihren Verfahrensbevollmächtigten erfahren hat, dass der Beschluss des Amtsgerichts bereits zugestellt und die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde abgelaufen war.

Ein nach § 22 Abs. 2 S. 1 FGG beachtliches Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) an der Versäumung der Frist liegt entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht vor. Es steht aufgrund der Versicherung des Anwalts fest, dass er das Schreiben vom 26.07.2007 unterschrieben hat. Hiervon geht auch das Landgericht aus. Fest steht auch, dass er im Zeitpunkt der Fertigung des Schreibens noch keinen Auftrag hatte, ein Rechtsmittel einzulegen. Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) war nicht zur Vermeidung eines Sorgfaltsverstoßes gehalten, der Beteiligten zu 1) den Beschluss des Amtsgerichts sicherheitshalber durch Einschreiben zu übermitteln oder sich durch Rückfrage zu vergewissern, ob sie ihn auch tatsächlich erhalten habe. Eine solche Obliegenheit der Verfahrensbevollmächtigten ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur ausnahmsweise in Asylverfahren anzunehmen. Dort gilt, dass der Anwalt es nicht bei einem einmaligen Benachrichtigungsversuch bewenden lassen darf, sondern gehalten ist, bei dem Mandanten gegebenenfalls nochmals, und nicht nur mit einfachem Brief Rückfrage zu halten oder sich auf sonstige Weise zu vergewissern, ob dieser eine Weiterverfolgung seiner Rechte wünscht (BVerwGE 66, 240; BVerwG, Beschluss 19.10.2004 - 5 C 16/04 - , zitiert nach Juris). Eine solche Verpflichtung zur Rückfrage besteht jedoch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht generell, sondern - von den oben genannten Besonderheiten bei Asylverfahren abgesehen - grundsätzlich nur unter besonderen Voraussetzungen, etwa dann, wenn der Rechtsanwalt konkreten Anlass zur Sorge haben musste, seine Mitteilung sei verloren gegangen, oder wenn ihm der Standpunkt seines Mandanten, unter allen Umständen ein Rechtsmittel einzulegen, bereits bekannt war (vgl. BGH NJW 1997, 1311; VersR 1992, 898; VersR 1975, 1149). Solche besonderen Umstände sieht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht, zumal die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) diese von der Einlegung eines Rechtsmittels abgeraten und klargestellt haben, ohne ausdrückliche Beauftragung kein Rechtsmittel einzulegen (vgl. BGH VersR 1992, 898).

Im Rahmen seiner eigenständigen tatsächlichen Würdigung (siehe oben) hält es der Senat im Gegensatz zur Beurteilung des Landgerichts aufgrund der Erklärung von Rechtsanwalt B im Termin vom 25.04.2008 ferner für glaubhaft, dass die von ihm beschriebene Postmappe mit dem an die Beteiligte zu 1) gerichteten, von ihm unterzeichneten Schreiben auf den Schreibtisch gelangt ist, auf dem dieses und andere Schreiben anschließend von Mitarbeitern zum Postversand weiter bearbeitet worden sind. Durchgreifende Zweifel sieht der Senat in diesem Zusammenhang nicht deshalb für angebracht, weil der Weg des Schreibens vom Schreibtisch des Rechtsanwalts zu demjenigen der Postversandbearbeitung nach der Darstellung von Rechtsanwalt B im Termin vom 25.04.2008 im Einzelnen nicht mehr nachverfolgt werden kann. Darin liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts kein von dem Verfahrensbevollmächtigten zu vertretendes Organisationsverschulden:

Bereits die vom Landgericht herangezogene Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 2003, 862; NJW 2001, 1577) bezieht sich ausschließlich auf die Anforderungen, die an die Ausgangskontrolle bei fristgebundenen Schriftsätzen (insbesondere Rechtsmittel- bzw. Rechtsmittelbegründungsschriftsätzen) zu stellen sind. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die zur Sicherung der Fristwahrung vorzunehmende Eintragung der einzelnen Sache in einem Fristenbuch erst gestrichen werden darf, wenn durch organisatorische Maßnahmen gewährleistet ist, dass für den Postversand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden. In diesem Zusammenhang ist es als ausreichend erachtet worden, wenn das betreffende Schreiben in ein Postausgangsfach der Kanzlei als "letzter Station auf dem Weg zum Adressaten" eingelegt und von dort unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird. Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind hier jedoch bereits deshalb nicht anwendbar, weil es sich bei dem an die Beteiligte zu 1) gerichteten Schreiben nicht um ein solches fristgebundenes Schriftstück handelte. Es diente lediglich der Mitteilung über den Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens und die bei einer etwaigen Rechtsmitteleinlegung einzuhaltenden Fristen sowie der Nachfrage in dem Begleitschreiben, ob gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein Rechtsmittel eingelegt werden soll. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) sein Schreiben vom 26.07.2007 einen Tag nach der Zustellung an ihn verfasst hat, so dass bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am 08.08.2007 noch ein Zeitraum von 12 Tagen lag. Irgendwelche Bedenken, dass dieses Schreiben die Beteiligte zu 1) nicht erreichen würde, wenn es an diese mit der "normalen" Post versandt wird, brauchte der Verfahrensbevollmächtigte bei dieser Sachlage nicht zu haben. Dementsprechend war hier die im Fristenkalender notierte Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gerade nicht zu löschen. Es handelte sich insgesamt um einen einfachen, sich in einer Anwaltspraxis täglich wiederholenden Vorgang, dass der Briefverkehr mit den Mandanten mit normaler Post abgewickelt wird und nicht einer besonderen Ausgangskontrolle unterworfen werden muss. Auf der Grundlage der Auffassung des Landgerichts müsste demgegenüber der gesamte Schriftverkehr des Rechtsanwalts mit seinem Mandanten während eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens unter diesen zusätzlichen organisatorischen Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden, weil nie ausgeschlossen werden kann, dass ein erteilter Hinweis oder die Anforderung von Informationen später mittelbar Bedeutung für die Wahrung einer Frist gewinnen können.

Hinzu kommt, dass die genannten Entscheidungen des BGH jeweils auf der bereits als glaubhaft beurteilten Tatsache beruhen, dass das abzusendende Schreiben bei der Postausgangsstelle der Anwaltskanzlei eingegangen ist. Welche organisatorischen Vorkehrungen für den Weg des abzusendenden Schreibens von dem Schreibtisch des Rechtsanwalts zur Postausgangsstelle der Kanzlei zu treffen sind, lässt sich aus diesen Entscheidungen jedoch nicht ableiten. Vernünftige Zweifel daran, dass die Postmappe im alltäglichen Arbeitsablauf den Weg von dem Schreibtisch des Rechtsanwalts zu dem Postversandschreibtisch gefunden hat, hält der Senat nicht für angebracht. Solche Zweifel sind nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil offenbar je nach den tatsächlichen Abläufen die benannte Postmappe teilweise von dem Rechtsanwalt selbst, teilweise von einem Mitarbeiter dorthin getragen worden ist. Es handelt sich um die Gestaltung von Arbeitsabläufen, wie sie teilweise auch im gerichtlichen Geschäftsbetrieb täglicher Praxis entsprechen. Die Annahme des Landgerichts, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Schreiben an die Beteiligte zu 1) auf dem bezeichneten Weg verschwunden sei, müsste in dem vorliegenden Zusammenhang für die Postmappe insgesamt gelten mit der Folge, dass eine Vielzahl von Schreiben, die an dem betreffenden Tag gefertigt worden sind, ihren Empfänger nicht oder ggf. erst zu einem späteren Zeitpunkt erreicht haben. Davon hat jedoch der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) weder berichtet noch hat das Landgericht Anlass gesehen, ihn in diese Richtung zu befragen. Die Auffassung des Landgerichts, es sei zu beanstanden, dass niemand in der Kanzlei prüfe, ob ein von dem Rechtsanwalt unterzeichnetes Schreiben tatsächlich auch den Weg zu dem Postversandschreibtisch gefunden habe, führt aus der Sicht des Senats zu überspannten Anforderungen an die Organisation einer Anwaltskanzlei, die in der Praxis kaum noch bewältigt werden können. Denn in Konsequenz der Auffassung des Landgerichts müsste neben jeder Postmappe quasi ein "Postmappendokumentationsbuch" geführt werden, in dem sowohl zeitlich geordnet der jeweilige Standort und Transportweg der Postmappe als auch im Einzelnen der genaue Inhalt der Mappe zum jeweiligen Zeitpunkt festgehalten und von jedem (Rechtsanwalt oder Mitarbeiter), der die Mappe bewegt, abgezeichnet werden müsste. Solche Anforderungen zu stellen bedeutet eine Verschiebung des Schwerpunktes der anwaltlichen Tätigkeit von der Beratung und Interessenvertretung seines Mandanten hin zur bloßen Dokumentation seiner und der Tätigkeit seiner Mitarbeiter.

Infolge der durch den Senat gewährten Wiedereinsetzung kann die vom Landgericht ausgesprochene Verwerfung der sofortigen Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1) als unzulässig keinen Bestand haben. Dies zwingt zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil das Landgericht in der Sache noch keine Entscheidung getroffen hat und den Beteiligten die zweite Tatsacheninstanz nicht genommen werden darf.

Mit der erneuten Sachentscheidung war dem Landgericht auch die Entscheidung über die Gerichtskosten und die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde (§ 47 WEG) zu übertragen.

Die Wertfestsetzung für das Verfahren dritter Instanz beruht auf § 48 Abs. 3 WEG. Sie folgt der unbeanstandet gebliebenen Festsetzung der landgerichtlichen Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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