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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.10.2008
Aktenzeichen: 15 Wx 257/08
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 20 Abs. 1
FGG § 27
FGG § 29
FGG § 57 Abs. 1 Ziff. 9
FGG § 69g
BGB § 1632 Abs. 2
BGB § 1632 Abs. 3
BGB § 1908 i Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde übertragen wird.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Betroffene ist die Mutter der Beteiligten zu 4) und 5).

Durch Beschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 8.10.2007 ist für die Betroffene eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Personensorge einschließlich Aufenthaltsbestimmung, Behörden- und Gerichtsangelegenheiten, Entgegennahme und Öffnen der Post, Gesundheitsfürsorge und Vermögensangelegenheiten eingerichtet und der Beteiligte zu 2) zum Berufsbetreuer bestellt worden.

Die Bestellung eines Berufsbetreuers war erforderlich geworden, weil das Verhältnis der Beteiligten zu 4) und 5) von gegenseitigem Misstrauen und Anschuldigungen geprägt ist.

Der Betreuerbestellung lag ein Gutachten der Frau Dr. H2 vom 9.9.2007 zugrunde, nach dem bei der Betroffenen eine Demenz vom vaskulären Typus besteht, aufgrund derer sich die Betroffene in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand befindet. Sie ist aufgrund mehrerer Schlaganfälle und zahlreichen Knochenbrüchen im Rahmen einer chronischen Polyarthritis und einer schweren Osteoporose auch körperlich hinfällig.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 9.11.2007 beantragte die Beteiligte zu 4), den Beteiligten zu 2) als Betreuer zu entpflichten. Sie bezichtigte ihn, sein Amt schlecht auszuüben. So habe er ihr gegenüber ein Haus- und Besuchsverbot ausgesprochen, weil sie angeblich versuche, die Betroffene nach Spanien zu verbringen. Sie habe zwar vorgehabt, die Betroffene für kurze Zeit nach Spanien mitzunehmen, wie dieses unstreitig in der Vergangenheit schon des öfteren praktiziert worden sei, sie akzeptiere jedoch die vom Beteiligten zu 2) geäußerten Bedenken gegen diese Reise.

Am 11.11.2007 erklärte die Beteiligte zu 4) gegenüber dem Heimpersonal, mit der Betroffenen Verwandte in H4 besuchen zu wollen. Tatsächlich wurde dort nur ein Zwischenstop eingelegt. Die Beteiligte zu 4) reiste mit der Betroffenen nach Spanien weiter, wo die Betroffene mehrere Wochen verblieb. Nachdem die Betroffene kurzzeitig wieder in Deutschland gewesen war, sollte sie nach dem Willen der Beteiligten zu 4) am 8.1.2008 erneut nach Spanien reisen. Dieses scheiterte aber daran, dass der Beteiligte zu 2) die Flughafenpolizei informierte, die einen Abflug der Betroffenen verhindern konnte. Die Betroffene befand sich bis zu ihrer Rückführung in das Seniorenheim in N vorübergehend in polizeilichem Gewahrsam.

Bereits mit Schriftsatz vom 16.11.2007 hatte der Beteiligte zu 2) beim Amtsgericht den Erlass eines Kontaktverbotes für die Beteiligte zu 4) beantragt. Die Beteiligte zu 4) beantragte nun ihrerseits, die Aufhebung des Ausreiseverbots für die Betroffene.

Unter dem 9.1.2008 wurde die Betroffene von dem Sachverständigen Dr. U untersucht und von der zuständigen Amtsrichterin angehört. Dr. U erstattete ein mündliches Gutachten, nach dem die Betroffene zu einer freien Willensbildung in bezug auf ihren Ortswechsel nicht mehr in der Lage sei. Nach dem Attest des Dr. H3 stellte dieser am 9.1.2008 bei der Betroffenen einen mäßigen Ernährungszustand, multiple zum Teil infizierten Wunden und eine Pilzinfektion fest, die bei seiner letzten Untersuchung am 9.11.2007 nicht vorgelegen hatten.

Mit Beschluss vom 10.1.2008 untersagte das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung der Beteiligten zu 4) den Umgang mit der Betroffenen und drohte ihr im Falle der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 € an. Den Antrag der Beteiligten zu 4), den Beteiligten zu 2) anzuweisen, das gegenüber der Betroffenen verhängte Ausreiseverbot aufzuheben, wies das Amtsgericht zurück.

Gegen diesen Beschluss hat die Beteiligten zu 4) mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16.2.2008 Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die einstweilige Anordnung über das Kontaktverbot aufzuheben. Der Antrag, den Beteiligten zu 2) als Betreuer zu entlassen, wurde erneuert.

Die Beteiligten zu 2) und 5) teilten mit, dass die Betroffene durch die von der Beteiligten zu 4) veranlassten "Reisen" gesundheitlich Schaden genommen habe und bei der Einräumung von Kontakten zwischen der Betroffenen und der Beteiligten zu 5) weitere gesundheitliche Schäden zu befürchten sein. Die Beteiligte zu 4) trat diesem Vorbringen entgegen.

Mit Beschluss vom 4.8.2008 hat das Landgericht die Beschwerde in bezug auf den untersagten Umgang als unzulässig verworfen und in bezug auf die Zwangsgeldandrohung als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die mit anwaltlichem Schriftsatz erhobene weitere Beschwerde der Beteiligten zu 4), die per Fax am 24.8.2008 beim Landgericht eingegangen ist und die mit Schriftsatz vom 9.10.2008 begründet worden ist.

II.

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft und formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 4) ergibt sich schon daraus, dass ihre Erstbeschwerde erfolglos geblieben ist.

Zunächst hat das Landgericht seine Entscheidung zu Recht auf die Prüfung des ausgesprochenen Kontaktverbotes und die Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung beschränkt. Die Beteiligte zu 4) wendet sich mit ihrer Beschwerde ersichtlich nicht mehr gegen das vom Beteiligten zu 2) für die Betroffene verhängte "Ausreiseverbot". Insoweit enthält die Beschwerdeschrift weder Anträge noch sachbezogene Ausführungen.

In der Sache ist das Rechtsmittel begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG).

Die Kammer des Landgerichts hat die Beschwerde der Beteiligten zu 4), soweit sie sich gegen das Umgangsverbot richtet, als unzulässig verworfen, weil dieser ein Beschwerderecht insoweit nicht zustehe. Dieser Beurteilung kann der Senat im Ergebnis nicht folgen.

Zutreffend hat die Kammer eine Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 4), die sich aus § 69g oder § 57 Abs.1 Ziffer 9 FGG herleiten ließe, verneint.

Die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 4) ergibt sich nach Auffassung des Senats indessen aus § 20 Abs. 1 FGG, da die Beteiligte zu 4) durch die vom Amtsgericht ausgesprochene Untersagung des Umgangs mit der Betroffenen in ihren aus Artikel 6 GG herzuleitenden Rechten verletzt wird.

Unter einem subjektiven Recht im Sinne des § 20 Abs. 1 FGG versteht man ein durch Gesetz verliehenes oder durch die Rechtsordnung anerkanntes, von der Staatsgewalt geschütztes, dem Beschwerdeführer als sein eigenes Recht zustehendes materielles Recht (BGH NJW 1997, 1855, Keidel / Kuntze / Winkler Kommentar zum FGG § 20 Rn. 7).

Soweit durch eine gerichtliche Maßnahme der Kontakt zwischen Elternteil und Kind eingeschränkt wird oder eine vom Betreuer vorgenommene Einschränkung bestätigt wird, greift dieses in den grundgesetzlich geschützten Kernbereich des Artikels 6 GG ein. Der Schutzbereich dieser Vorschrift umfasst auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (vgl. BVerfG E 57, 170/178 = NJW 1981, 1943). In seiner Abwehrfunktion bildet die Norm einen Schutzschild gegen störende, schädigende oder benachteiligende Eingriffe des Staates in die familiäre Beziehung.

Die Intensität der Schutzwirkung des in Artikel 6 GG verankerten Freiheitsrechts hängt dabei sowohl vom Alter als auch von den Lebensumständen der Familienmitglieder ab. Eine bloße Begegnungsgemeinschaft von Eltern und erwachsenen Kindern genießt einen vergleichsweise schwachen Grundrechtsschutz. Jedoch kann dem Eltern-Kind-Verhältnis in der Krisensituation der Persönlichkeit erhöhte Bedeutung für die seelische Stabilisierung auch von erwachsenen Familienmitgliedern zukommen. Daraus folgt, dass der Umgang zwischen Eltern und Kind jedenfalls in Krisensituationen seiner Persönlichkeit staatlicherseits nur eingeschränkt werden darf, wenn der Grundrechtsschutz durch die immanente Schranke anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter zurückgedrängt wird (BVerfG a.a.O.).

Das Landgericht geht zwar im Ansatzpunkt zutreffend davon aus, dass Volljährige selbst darüber entscheiden, mit wem sie Umgang haben wollen, und Volljährige nicht zu einem von ihnen abgelehnten Kontakt mit ihren Eltern oder ihren Kindern gezwungen werden können. Die im zu entscheidenden Fall vorliegende Konstellation ist aber eine andere. Die Betroffene wünscht sich - wenn man ihre in der Anhörung gemachten Äußerungen zugrunde legt - einen Kontakt zu der Beteiligten zu 4). Da die Betroffene aber nach den gutachterlich getroffenen Feststellungen insoweit zu einer eigenverantwortlichen Umgangsbestimmung nicht in der Lage ist, ist der Beteiligte zu 2) als Betreuer berufen, an ihrer Stelle die Entscheidungen zu treffen. Ein Betreuer, dem auch die Personensorge obliegt, ist gemäß §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit 1632 Abs. 2 und 3 BGB berechtigt, den Umgang des Betreuten zu regeln, wenn dieser dazu krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr eigenverantwortlich in der Lage ist und er davor geschützt werden muss, sich selbst zu schädigen (vgl. Jürgens, Betreuungsrecht zu § 1632 BGB Rn.8). Die Bestellung eines Betreuers mit einem entsprechenden Aufgabenkreis ist aber im Gegensatz zu dem von einem Erwachsenen autonom erklärten Wunsch, keinen Umgang mehr mit einer bestimmten Person haben zu wollen, ein staatlicher Hoheitsakt und kann daher einen Eingriff in den Grundrechtsbereich des Artikels 6 GG darstellen (vgl. BayObLG NJOZ 2005, 959/960), der nur unter den oben genannten Abwägungsgesichtspunkten sachlich gerechtfertigt ist. Gleiches muss dann aber auch für die einzelne Maßnahme gelten, die der staatlich bestellte Betreuer auf der Grundlage der ihm überantworteten Personensorge vornimmt oder deren Vornahme er sich vom Gericht bestätigen lässt. Denn in der Regel beeinträchtigt erst die auf der Grundlage der generell übertragenen Personensorge getroffene Einzelfallmaßnahme die Eltern-Kind-Beziehung konkret.

Daraus folgt, dass jedenfalls die Einschränkung des Umgang zwischen Eltern und erwachsenem Kind einen Eingriff in Artikel 6 GG darstellt, der der gerichtlichen Kontrolle unterliegen muss. Eine aus Artikel 6 GG hervorgehende Beschwerdeberechtigung wird man der Beteiligten zu 4) daher nicht absprechen können. Die von der Kammer herangezogene Entscheidung des BayObLG vom 21.5.1993 (FamRZ 1993, 234) nach ihrer Fallkonstellation betrifft nicht den im Eltern-Kind-Verhältnis tangierten Kernbereich der Familie, sondern verneint die Beschwerdeberechtigung von Personen, die mit dem Betroffenen in einem ferneren Grad verwandt sind.

Eine abschließende Sachentscheidung über die zulässige Beschwerde kann der Senat nicht treffen, da zuvor durch das Landgericht als zweiter Tatsacheninstanz noch Ermittlungen zu den konkreten Gefahren für die Gesundheit der Betroffenen bei Begegnungen mit der Beteiligten zu 4) im Rahmen des Seniorenheimes durchzuführen sind.

Der Senat weist an dieser Stelle - ohne Bindungswirkung - auf folgendes hin:

Das grundrechtlich geschützte Recht auf Begegnung von Eltern und erwachsenen Kindern unterliegt dann staatlichen Eingriffen, wenn dieses zum Schutz der Gesundheit der Betreuten erforderlich ist. Zum Schutz der Gesundheit des Betroffenen kann daher der Umgang eingeschränkt werden.

Der Betreuer hat sich dabei am Wohl und den Wünschen des Betreuten zu orientieren. Die Ausübung des Umgangsrechts hat der Betreuer daran auszurichten, dass jeder Eingriff strikt erforderlich ist (Jürgens a.a.O.). Im Rahmen seiner Entscheidung nach § 1632 Abs. 3 BGB hat das Vormundschaftsgericht die vom Betreuer getroffenen Maßnahmen auf deren Erforderlichkeit zu überprüfen. Gleiches gilt, wenn das Vormundschaftsgericht - wie hier geschehen - auf Antrag des Betreuers eine unter den Beteiligten streitige Maßnahme selbst anordnet.

Wie bei jedem Grundrechtseingriff ist auch hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Danach muss der konkrete Eingriff geeignet und erforderlich sein, um einen erheblichen Gesundheitsschaden bei der Betreuten abzuwehren, und ein milderes Mittel nicht zur Verfügung stehen.

Nach dem bisherigen Akteninhalt ergibt sich jedenfalls: Die Beteiligte zu 4) hat im vorliegenden Fall dadurch, dass sie entgegen ihrer Ankündigung im Schreiben vom 9.11.2007 am 12.11.2007 die Betreute nach Spanien verbracht hat, ein erhebliches Maß an Unzuverlässigkeit gezeigt. Nach dem Gutachten des Dr. U vom 14.1.2008 und dem Attest des Dr. H3 vom 9.1.2008 war dieser Aufenthalt in Spanien der Gesundheit der Betroffenen abträglich. Die Betroffene hat nach den gutachterlichen Feststellungen circa 10 kg Gewicht verloren. Die über ihre Prozeßbevollmächtigten aufgestellte Behauptung der Beteiligten zu 4) der schlechte Zustand der Betroffenen sei auf ihren mehrstündigen Aufenthalt in einem Polizeirevier, den die Beteiligten zu 2) und 5) zu verantworten hätten, zeugt daher von einer frappierenden Realitätsferne.

Zudem wirken sich nach den gutachterlichen Feststellungen Wechsel des Umfeldes nachteilig auf die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen aus, die eines stabilen und kontinuierlichen Umfeldes bedarf.

Ein Umgang mit der Beteiligten zu 4), der dieser die Möglichkeit eröffnet, die Betroffene an einen anderen Ort zu verbringen, dürfte danach ausgeschlossen sein.

In welcher Form der Beteiligten zu 4) ein Umgang mit der Betroffenen gestattet werden kann, bedarf der weiteren tatrichterlichen Ermittlung, in deren Rahmen die Beteiligte zu 4) persönlich anzuhören und der aktuelle Gesundheitszustand der Betroffenen abzuklären ist.

Da das vom Amtsgericht angeordnete umfassende Umgangsverbot noch einmal zur Überprüfung des Landgerichts gestellt wird, ist für eine isolierte Bestätigung der für Verstöße gegen das Umgangsverbot angeordneten Zwangsgeldandrohung kein Raum. Auch insoweit ist eine erneute Entscheidung durch die Kammer des Landgerichts veranlasst, nachdem der Umfang des Umgangsverbotes feststeht.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Verfahren der weiteren Beschwerde beruht auf den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 und 3 KostO.

Ende der Entscheidung

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