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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.10.2008
Aktenzeichen: 19 W 21/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 141
ZPO § 141 Abs. 1 S. 2
ZPO § 141 Abs. 2 S. 2
ZPO § 141 Abs. 3
ZPO § 141 Abs. 3 S. 3
ZPO § 278 Abs. 3
ZPO § 380
ZPO § 380 Abs. 3
ZPO §§ 567 ff.
ZPO § 1072
ZPO §§ 1079 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der am 13.03.2008 verkündete Ordnungsgeldbeschluss der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen aufgehoben.

Gründe:

1.

Am 14.12.2006 beantragte der Kläger beim AG Hagen einen Mahnbescheid über 45.310,15 € gemäß Rechnung vom 18.08.2006 gegen den in den Niederlanden lebenden Beklagten niederländischer Staatsbürgerschaft. In der Anspruchsbegründung vom 30.03.2007 begründete er seine Forderung mit einer ganzen Reihe von Warenlieferungen, die er in 26 Rechnungen vom 8.06. bis 25.06.2006 fakturiert hatte, abzüglich diverser Gutschriften und Zahlungen des Beklagten.

Das Landgericht setzte mit Verfügung vom 3.04.2007 Termin zur Güteverhandlung und gegebenenfalls streitigen mündlichen Verhandlung auf den 2.08.2007 an. Dazu ordnete es das persönliche Erscheinen der Parteien an.

In der Klageerwiderung vom 3.05.2007 berief sich der Beklagte auf Verjährung, weil nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Klägers sämtliche Ansprüche innerhalb von sechs Monaten verjähren sollten. Das Vertragsverhältnis sei vom Kläger durch fristlose Kündigung vom 15.06.2006 beendet worden. Des Weiteren trug er materielle Einwendungen gegen den geltend gemachten Anspruch vor.

Zur mündlichen Verhandlung vom 2.08.2007 vor der Kammer für Handelssachen erschienen beide Parteien persönlich mit ihren Prozessbevollmächtigten. Nachdem die Güteverhandlung scheiterte, wurde der Gang des Mahnverfahrens - offenbar im Hinblick auf die Verjährungsfrage - erörtert. Die Kammer beschloss, dem Klägervertreter Gelegenheit zur Stellungnahme zum Beklagtenvorbringen zu geben.

Das weitere Vorbringen beider Parteien befasste sich zumindest auch mit der Frage der Verjährung, insbesondere der Individualisierung der geltend gemachten Ansprüche im Mahnverfahren.

Mit Verfügung vom 25.09.2007 setzte das Landgericht einen weiteren Termin zur Verhandlung auf den 10.01.2008 an. Das persönliche Erscheinen der Parteien wurde nicht angeordnet.

Nach Wechsel des Vorsitzenden der Kammer machte das Landgericht mit Verfügung vom 7.01.2008 den Parteien Auflagen in Bezug auf weiteren Vortrag und verlegte den Termin auf den 13.03.2008, weil die Frage der Verjährung und Notwendigkeit weiterer prozessleitender Maßnahmen erst nach Erfüllung der gemachten Auflagen geklärt werden könne. Gleichzeitig ordnete das Landgericht nunmehr erneut das persönliche Erscheinen beider Parteien zu dem angesetzten Termin zur Durchführung eines Güteversuchs und zum Zwecke der Sachaufklärung an.

Zu der mündlichen Verhandlung erschien der Beklagte nicht. Sein Prozessbevollmächtigter überreichte dem Gericht eine besondere Vollmacht, nach der dieser mit dem Sachverhalt vertraut sei und auch berechtigt sei, vergleichsweise Regelungen zu treffen. Der Vorsitzende der Kammer wies den Prozessbevollmächtigten darauf hin, dass diese Vollmacht möglicherweise nicht ausreichend sei, da er zur Aufklärung des Sachverhalts nichts beitragen könne, weil er bei den streitgegenständlichen Ereignissen nicht zugegen gewesen war. Im Laufe der Erörterungen gab der Vorsitzende laut Protokoll zu erkennen, dass die Kammer dahingehend tendiere, die Klage wegen Verjährung abzuweisen. Weiter wies er den Beklagtenvertreter darauf hin, dass die Kammer die Sache mit dem Beklagten habe weiter aufklären wollen, um dann ihren (Vergleichs-)Vorschlag zu modifizieren, woran sie wegen des Nichterscheinens des Beklagten jedoch gehindert sei. Die Kammer verkündete am Schluss der Sitzung einen Beschluss, mit dem sie gegen den Beklagten ein Ordnungsgeld von 500 € festsetzte. Gleichzeitig wurde Verkündungstermin auf den 29.05.2008 festgesetzt.

Der Ordnungsgeldbeschluss wurde dem Prozessbevollmächtigen des Beklagten am 4.04.2008 zugestellt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 8.04.2008 eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten.

Es sei nicht möglich, einen im Ausland lebenden Ausländer mit Zwangsmitteln eines deutschen Gerichts Maßnahmen der deutschen Obrigkeit zu unterwerfen. Der Beklagte habe auch keine Belehrung über die Folgen des Ausbleibens in niederländischer Sprache erhalten. Die Anordnung sei ferner ermessensfehlerhaft gewesen. Das Landgericht selbst habe der Klägerseite den Hinweis erteilt, dass die Forderung verjährt sei. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung sei daher nicht erforderlich gewesen. Die Absicht einer weiteren Aufklärung zur Modifizierung von Vergleichsvorschlägen dürfe keine Rolle spielen. Außerdem seien bereits in der ersten mündlichen Verhandlung umfangreiche Vergleichsverhandlungen geführt worden. Es sei die Klägerseite gewesen, die einen Vergleich in dem vom Gericht vorgeschlagenen Bereich kategorisch abgelehnt habe. Irgendeine Förderung durch die persönliche Anwesenheit des Beklagten hätte nicht erreicht werden können.

Am 29.05.2008 verkündete das Landgericht ein klageabweisendes Urteil, weil die Forderungen verjährt seien. Gegen das Urteil wurde keine Berufung eingelegt.

Mit Beschluss vom 29.05.2008 half die Kammer der sofortigen Beschwerde nicht ab. Aufgrund der europäischen Integration gelte der Grundsatz, dass die Staatsgewalt an der jeweiligen Staatsgrenze ende, nur noch eingeschränkt. Wenn die Vorschriften der EU sämtliche ihrer Bürger aufgrund der Vorschriften der EuGVVO der Jurisdiktion und damit der Verfahrensordnung der Gerichte eines Mitgliedsstaates unterwürfen, müsse dieses auch für die in der entsprechenden Verfahrensordnung vorgesehenen Zwangsmittel gelten. Durch sein Ausbleiben habe der Beklagte es dem Gericht nahezu unmöglich gemacht, zu beurteilen, inwieweit sich seine Einwendungen gegen die Klageforderung - abgesehen von der rein formalrechtlich zu beurteilenden Verjährung - letztendlich als durchgreifend erweisen würden. Das sei aber für einen angemessenen Vergleichsvorschlag notwendig gewesen.

2.

Die nach den §§ 278 Abs. 3, 141 Abs.3, 380 Abs.3, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg.

Zum Einen kann die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines im Ausland lebenden Ausländers als Partei durch ein deutsches Gericht auch gegenüber einem EG-Bürger nicht gemäß § 380 ZPO durch Ordnungsmaßnahmen erzwungen werden (dazu 2.1.). Zum Anderen war die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung der Anordnung im konkreten Fall ermessensfehlerhaft (dazu 2.2.). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes - § 141 Abs.2 S.2 ZPO - mit ordnungsgemäßer Belehrung über die Folgen des Ausbleibens - § 141 Abs.3 S.3 ZPO - in niederländischer Sprache erfüllt sind.

2.1.

Zwar haben im Zuge der europäischen Integration die Mitgliedsstaaten der EG bestimmte Kompetenzen an die Institutionen der Europäischen Gemeinschaft abgegeben. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist damit aber nicht verbunden, dass die Jurisdiktion der Mitgliedsstaaten der EG sich ohne weiteres auf die Bürger anderer Mitgliedsstaaten ausgeweitet hat. Dazu bedarf es vielmehr ausdrücklicher Rechtssetzungsakte der EG auf der Grundlage des Art. 65 EG-Vertrag, die teilweise auch weiterer Durchführungsbestimmungen in den Mitgliedsstaaten bedürfen. Solche Rechtssetzungsakte der EG fehlen auf dem Gebiet der Durchsetzung von prozessleitenden Anordnungen der Gerichte gegenüber Ausländern.

Zwar gibt es Vorschriften über die Beweisaufnahme nach der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001, für die in den §§ 1072 ZPO Durchführungsbestimmungen enthalten sind. Diese greifen hier aber ersichtlich nicht.

Auch die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 betreffend europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, mit Durchführungsbestimmungen in den §§ 1079 ff. ZPO, betrifft keine Ordnungsmaßnahmen.

Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 - EuGVVO - betrifft in den Art. 32 ff. die Anerkennung und Vollstreckung in einem Mitgliedsstaat ergangener gerichtlicher Entscheidungen in einem anderen Mitgliedsstaat. Der Begriff der "Entscheidung" in Art. 32 EuGVVO umfasst jedoch ausschließlich die Entscheidungen mit Außenwirkung, nicht aber bloße verfahrensrechtliche Zwischenentscheidungen (Musielak/Stadler ZPO 6. Aufl., Art. 32 EuGVVO Rn 1). Anerkennungsfähig sind nur Sachentscheidungen, nicht Entscheidungen über prozessuale Fragen (Zöller/Geimer ZPO 26. Aufl. Art. 32 EuGVVO Rn 11). Es geht stets um die Vollstreckung eines Titels zwischen den Parteien eines Zivil- und Handelsrechtsstreits, nicht um die Durchsetzung hoheitlicher Maßnahmen von Organen eines Mitgliedsstaates in einem anderen Mitgliedsstaat.

Kann die Anordnung des persönlichen Erscheinens aber nicht durch Ordnungsgeldbeschluss erzwungen werden, ist dieser aufzuheben (OLG München NJW-RR 1996, 59). Das Ordnungsgeld ist nicht eine Ahndung für die Missachtung der richterlichen Anordnung (Zöller/Greger § 141 Rn 11; Musielak/Stadler § 141 Rn 13), sondern soll die Partei zum Erscheinen im nächsten notwendigen Termin bewegen.

2.2.

Die Anordnung und Aufrechterhaltung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beklagten war auch nach § 141 ZPO ermessensfehlerhaft.

Zweck des § 141 ZPO ist, die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern, weshalb ein Ordnungsgeld nur festgesetzt werden kann, wenn das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert (BGH NJW-RR 2007, 516, m.w.Nw.). Auch darf die Androhung und Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht dazu verwendet werden, einen Vergleichsabschluss zu erzwingen (BGH a.a.O.). Deshalb ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 141 Abs.1 S.2 ZPO aufzuheben, wenn im Termin zur mündlichen Verhandlung keine Fragen zum Sachverhalt offen geblieben sind und der Rechtsstreit ohne weiteren Vortrag durch Urteil entschieden wird; die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen eine trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienene Partei ist in einem solchen Fall unzulässig (Leitsatz des Beschlusses vom 12.06.2007 - BGH VI ZB 4/07 - a.a.O.).

Im vorliegenden Fall hatte bereits ein Gütetermin stattgefunden, zu dem auch der Beklagte persönlich erschienen war. Auch hatte das Landgericht im Rahmen der Verfügung zur Verlegung des zweiten angesetzten Verhandlungstermins die Klägerin zu konkreterem Vortrag zur Verjährungsfrage aufgefordert. Die gleichzeitige Anordnung des persönlichen Erscheinens zur Güteverhandlung und Sachaufklärung des Beklagten kann deshalb nicht damit begründet gewesen sein, dass noch eine Güteverhandlung aussichtsreich gewesen wäre oder dass bereits Sachverhaltsfragen an den Beklagten zu richten gewesen wären. Das Gericht konnte noch nicht wissen, ob die angeforderten schriftsätzlichen Ausführung eventuell ausreichend gewesen wären.

In der Sitzung hat die Kammer zunächst den Hinweis erteilt, dass die Forderungen wohl verjährt seien, bevor es in Vergleichsverhandlungen eintreten wollte. Dazu war der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auch ausdrücklich bevollmächtigt worden. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, dass nach dem Hinweis auf die Verjährung eine tiefere Erörterung des Sachverhaltes um die Geschehnisse im Juni 2006 irgendeine Erfolgsaussicht im Hinblick auf einen Vergleichsschluss durch den Beklagten gebracht hätte.

Das Landgericht hat dann auch den Rechtsstreit durch ein Urteil entschieden. Eine Verzögerung in der Entscheidung des Rechtsstreits durch das Nichterscheinen ist also in keiner Weise eingetreten.

Die erforderliche Abwägung vor Verhängung des Ordnungsgeldes hätte daher zur Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beklagten führen müssen, mit der Folge, dass das Ordnungsgeld nicht verhängt werden durfte (s.d. BGH a.a.O.).

3.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gerichtskosten entstehen nicht; Kosten und Auslagen der erfolgreichen Beschwerde gehen zu Lasten der nach dem Schlussurteil kostenpflichtigen Partei (BGH a.a.O., m.w.Nw.).

Ende der Entscheidung

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