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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 29.11.2001
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6 - 161/2001
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 99
1. Dem Rechtsanwalt, der einem Beschuldigten vor der Verbindung mehrerer Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, steht für jedes der verbundenen Verfahren, in dem er als (Wahl-)Verteidiger vor der Verbindung tätig gewesen ist, eine gesetzliche Gebühr nach §§ 97, 84 Abs. 1 BRAGO zu.

2. Eine für den Pflichtverteidiger nachteilige Sachbehandlung im Gebühren festsetzungsverfahren kann ggf. durch die Gewährung einer Pauschvergütung ausgeglichen werden.


Beschluss Strafsache

gegen B.S.,

wegen Diebstahls u.a. (hier: Pauschvergütung für die als Pflichtverteidigerin bestellte Rechtsanwältin).

Auf den Antrag der Rechtsanwältin S. aus H. vom 24. Juli 2001 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 11. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Rechtsanwältin S. wird anstelle ihrer gesetzlichen Gebühren in Höhe von 2.750 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 2.750 DM (in Worten: zweitausendsiebenhundertfünfzig Deutsche Mark) bewilligt.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Verfahren wurden dem ehemaligen Angeklagten im führenden Verfahren 24 Js 960/99 vier Diebstahlstaten zur Last gelegt. Wegen dieses Vorwurfs erging gegen den ehemaligen Angeklagten Haftbefehl, der zunächst außer Vollzug gesetzt wurde. Nachdem der Angeklagte weitere Diebstahlstaten begangen hatte, setzte das Amtsgericht am 13. August 1999 den Haftbefehl wieder in Vollzug. An diesem Termin nahm die Antragstellerin als Wahlverteidigerin des ehemaligen Angeklagten teil. Am 9. September 1999 wurde die Antragstellerin dann gemäß § 68 Nr. 4 JGG als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Am 7. Oktober 1999 hat das Amtsgericht weitere acht Ermittlungsverfahren mit dem führenden Verfahren verbunden, und zwar die Verfahren 24 Js 192/99, 24 Js 578/99, 24 Js 555/99, 24 Js 690/99, 24 Js 1846/98, 22 Js 971/99, 24 Js 1061/99 und 21 Js 794/99, jeweils StA Bochum. In sämtlichen Verfahren war bereits Anklage erhoben, die Antragstellerin war in allen Verfahren vor dem 9. September 1999 als (Wahl-)Verteidigerin tätig gewesen.

Nach ihrer Beiordnung als Pflichtverteidigerin hat die Antragstellerin für den ehemaligen Angeklagten im Wesentlichen folgende weitere Tätigkeiten erbracht: Sie hat ihren Mandanten am 22. Oktober 1999 in der Justizvollzugsanstalt besucht, der Besuch hat rund vier Stunden gedauert. Sie hat außerdem eine länger dauernde Besprechung mit den Eltern des Mandanten geführt. Die Hauptverhandlung vor dem Bezirksjugendschöffengericht Bochum fand am 26. Oktober 1999 statt. Sie hat zwei Stunden gedauert. Das gegen den ehemaligen Angeklagten ergangene Urteil wurde noch im Hauptverhandlungstermin rechtskräftig.

Die Antragstellerin hat sodann ihre gesetzlichen Gebühren und Auslagen gegen die Staatskasse geltend gemacht. Sie hat im Festsetzungsverfahren die Auffassung vertreten, dass ihr insgesamt neun Vorverfahrensgebühren nach § 97 Abs. 1, 3 in Verbindung mit § 84 Abs. 1 2. Alternative BRAGO zustehen. Festgesetzt worden ist aber nur eine Vorverfahrensgebühr. Die dagegen von der Antragstellerin eingelegte Erinnerung wurde durch inzwischen rechtskräftigen Beschluss des Landgerichts Bochum vom 20. Juni 2001 (3 Qs 11/01) zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat nunmehr eine Pauschvergütung beantragt. Der Vertreter der Staatskasse hat die Auffassung vertreten, dass der Antragstellerin keine Pauschvergütung zu gewähren sei, da es sich weder um ein "besonders schwieriges" noch um ein "besonders umfangreiches" Verfahren im Sinn von § 99 BRAGO gehandelt habe. Er ist zudem der Ansicht gewesen, dass der Antragstellerin auch nur eine gesetzliche Vorverfahrensgebühr zustehe, so dass sie insgesamt einen gesetzlichen Gebührenanspruch von 750,-- DM habe.

II.

Der Antragstellerin war eine Pauschvergütung zu bewilligen.

1. Das Verfahren war allerdings nicht "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Senat schließt sich insoweit der Einschätzung des Vorsitzenden des Bezirksjugendschöffengerichts, die auch vom Vertreter der Staatskasse geteilt wird, an (zu grundsätzlicher Maßgeblichkeit der Einschätzung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Gerichts vgl. Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Die "besondere Schwierigkeit" folgt vorliegend insbesondere nicht daraus, dass insgesamt neun Verfahren miteinander verbunden worden sind. Dies hat, da es sich jeweils um einfach gelagerte Sachverhalte gehandelt hat, das Verfahren nicht insgesamt "besonders schwierig" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO gemacht.

2. Das Verfahren war für die Antragstellerin jedoch "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO. Insoweit schließt der Senat sich der Einschätzung des Vertreters der Staatskasse nicht an. Der "besondere Umfang" folgt daraus, dass die Antragstellerin neben der Teilnahme an der Hauptverhandlung, die mit zwei Stunden für ein amtsgerichtliches Verfahren (nur) durchschnittlich lang war, noch an dem Termin zur Verkündung des Haftbefehls teilgenommen hat, den ehemaligen Angeklagten außerdem in der Justizvollzugsanstalt besuchte - der Besuch hat vier Stunden gedauert - und zudem ein länger dauerndes Gespräch mit den gesetzlichen Vertretern des ehemaligen Angeklagten geführt hat. Damit liegt der zeitliche Aufwand der Antragstellerin erheblich über dem, was sonst in amtsgerichtlichen Verfahren üblich ist.

3. Bei der Bemessung der damit der Antragstellerin grundsätzlich zu gewährenden Pauschvergütung ist der Senat von folgenden gesetzlichen Gebühren ausgegangen:

Der Antragstellerin steht zunächst für die Vertretung des ehemaligen Angeklagten in sämtlichen neun verbundenen Verfahren nach §§ 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 84 Abs. 1 Fall 2, Abs. 3 BRAGO eine gesetzliche Gebühr in Höhe von jeweils 250 DM zu.

Soweit ersichtlich ist in der (obergerichtlichen) Rechtsprechung bislang die Frage, ob einem Rechtsanwalt, der vor der Verbindung mehrerer Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, für jedes der verbundenen Verfahren, in dem er als (Wahl-)Verteidiger vor der Verbindung tätig gewesen ist, eine gesetzliche Gebühr nach §§ 97, 84 Abs. 1 BRAGO zusteht, noch nicht entschieden. Beschäftigt haben die Rechtsprechung bisher nur die Fälle, in denen der Rechtsanwalt nach der Verbindung der Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist. Für diese Konstellation wird - offenbar einhellig - die Auffassung vertreten, dass dem Pflichtverteidiger für jedes Vorverfahren, in dem er tätig war, eine Vorverfahrensgebühr zusteht (vgl. dazu u.a. Senat in StV 1993, 142 Ls. ; OLG Düsseldorf JurBüro 1985, 413; AG Tiergarten StV 1994, 498; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, 14. Aufl., § 83 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Nach Auffassung des Senats gilt das auch für die vorliegende Fallgestaltung, in der die Antragstellerin vor der Verbindung der neun Verfahren dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden ist. Entgegen der Auffassung des Vertreters der Staatskasse und der des Landgerichts Bochum im Beschluss vom 20. Juni 2001 besteht kein Grund zu einer anderen Sichtweise. Zutreffend ist zwar, dass nach der entsprechend § 4 StPO erfolgten Verbindung der Verfahren nur noch ein einheitliches Verfahren vorliegt und die Pflichtverteidigerbestellung zunächst nur in dem (einen) führenden Verfahren 24 Js 960/99 StA Bochum erfolgte. Das ändert aber nichts daran, dass, worauf der Senat schon in seinem Beschluss vom 12. April 1991 (2 Ws 203/91, StV 1993, 142 Ls. ) hingewiesen hat, die bis dahin entstandenen Gebühren erhalten bleiben. Diese für die o.a. in der Rechtsprechung entschiedenen Fälle geltende Argumentation gilt für die hier vorliegende Sachlage entsprechend: Es liegt nach der Verbindung zwar (nur) noch ein Verfahren vor, es sind jedoch mehrere Vorverfahren geführt worden, in denen der Pflichtverteidiger zunächst als Wahlverteidiger getrennt tätig gewesen ist. Für jedes dieser Verfahren ist eine Vorverfahrensgebühr entstanden. Die Vorverfahren können, nachdem die Verfahren untrennbar miteinander verschmolzen sind, auch nicht (mehr) getrennt beurteilt werden. Dagegen spricht nicht nur der Rechtsgedanke des § 97 Abs. 3 BRAGO sondern auch die Überlegung, dass die Höhe des gesetzlichen Gebührenanspruchs des Pflichtverteidigers nicht von der zeitlich zufälligen Reihenfolge von Beiordnung als Pflichtverteidiger und der Verbindung mehrerer Verfahren abhängen kann. Denn wäre vorliegend die Verbindung vor der am 9. September 1999 erfolgten Beiordnung der Antragstellerin beschlossen worden, würden auch nach Auffassung des Vertreters der Staatskasse der Antragstellerin neun Vorverfahrensgebühren zustehen.

Neben den neun Vorverfahrensgebühren steht der Antragstellerin zusätzlich - allerdings nur noch - eine gesetzliche Hauptverhandlungsgebühr nach §§ 97 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 BRAGO in Höhe von 500 DM zu.

Damit hat die Antragstellerin einen gesetzlichen Gebührenanspruch von insgesamt 2.750 DM. Die Höhe dieses (gesetzlichen) Gebührenanspruchs hätte nach ständiger Rechtsprechung des Senats an sich dazu geführt, den geltend gemachten Pauschvergütungsanspruch abzulehnen, da die von der Antragstellerin für den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten damit ausreichend entlohnt gewesen wären. Der Senat hat vorliegend jedoch trotzdem ausnahmsweise eine Pauschvergütung bewilligt. Er konnte insoweit nämlich nicht übersehen, dass der Antragstellerin nicht in dieser Höhe gesetzliche Gebühren zugesprochen worden sind, sondern nur in Höhe von 750 DM.

Diese für die Antragstellerin nachteilige Sachbehandlung kann nach Überzeugung des Senats durch die (ausnahmsweise) Gewährung einer Pauschvergütung ausgeglichen werden. Andere (Rechtsmittel)Möglichkeiten stehen der Antragstellerin nicht mehr zur Verfügung, nachdem ihre Erinnerung gegen die Festsetzung durch den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 20. Juni 2001 rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. Der Senat vermag sich der insoweit anderen Ansicht des OLG Köln (Rpfleger 2001, 615) nicht anzuschließen. Zwar ist es zutreffend, dass das Kostenfestsetzungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Das gilt jedoch für das Pauschvergütungsverfahren nicht, so dass bei der Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls bei der Bemessung der nach § 99 Abs. 1 BRAGO zu gewährenden Pauschvergütung auch (noch) berücksichtigt werden kann, dass der Antragstellerin eine zu niedrige gesetzliche Gebühr zugesprochen worden ist (so auch schon OLG Hamm Rpfleger 1961, 412). Ob das auch gilt, wenn - wie in dem Beschluss des OLG Hamm vom 24. August 1960 - die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung gar nicht vorliegen, kann vorliegend, da das vorliegende Verfahren "besonders umfangreich" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO gewesen ist, dahinstehen.

Die Bewilligung der Pauschvergütung entspricht im Übrigen auch der ständigen Rechtsprechung des Senats in vergleichbaren anderen Fällen, in denen der Senat bereits auch schon Versäumnisse der Justizbehörden bei der Bewilligung und Bemessung von Pauschvergütungen berücksichtigt hat (vgl. dazu den Beschluss vom 24. Januar 1997 - 2 (s) Sbd. 5-241/96, ZAP EN-Nr. 392/97 = StraFo 1997, 159 = NStZ-RR 1997, 223 = JurBüro 1997, 362 = StV 1997, 426 = AGS 1999 betreffend die Berücksichtigung von nach einem rechtzeitigen Beiordnungsantrag als Wahlverteidiger erbrachte Tätigkeiten, sowie Beschluss vom 9. Januar 2001, 2 (s) Sbd. 6 -231, 232 u. 233/2000, ZAP EN-Nr. 222/2001 = AGS 2001, 154 betreffend die pauschvergütungserhöhende Berücksichtigung der langen Dauer des Pauschvergütungsverfahrens). Hinzuweisen ist schließlich auch auf den Beschluss des Senats vom 23. Oktober 2001 in 2 Ws 242/01, in dem der Senat gemäß § 8 GKG aus Billigkeitsgründen von einer Kostentragungspflicht des Beschwerdeführers, der erst durch eine unrichtige Mitteilung des Vertreters der Staatskasse zu seinem Rechtsmittel veranlasst worden war, Abstand genommen hat. Die diesen Beschlüssen zugrunde liegenden Rechtsgedanken sind vorliegend entsprechend anzuwenden und führen zu der Gewährung der festgesetzten Pauschvergütung.

Ende der Entscheidung

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