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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.06.2000
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6 - 55/2000
Rechtsgebiete: BRAGO
Vorschriften:
BRAGO § 99 |
Zur Zuerkennung einer Pauschvergütung nahezu in Höhe der Höchstgebühren eines Wahlverteidigers in einem außerordentlich umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren.
Beschluss
Strafsache gegen F.B. u.a. wegen Betruges u.a., (hier: Pauschvergütung für die gerichtlich bestellten Verteidiger gem. § 99 BRAGO).
Auf die Anträge auf Bewilligung einer Pauschvergütung
1. des Rechtsanwalts Dr. F. in Bielefeld vom 4. Januar 2000,
2. des Rechtsanwalts B. in Münster vom 28. Juli 1999,
jeweils für die Verteidigung des früheren Angeklagten O. und
3. des Rechtsanwalts W. in Bielefeld vom 22. November 1999 für die Verteidigung des früheren Angeklagten S.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Tenor:
Den Antragstellern werden - jeweils unter Ablehnung ihrer weitergehenden Anträge - für ihre Tätigkeit im vorliegenden Verfahren anstelle ihrer gesetzlichen Gebühren Pauschvergütungen bewilligt, und zwar
1. Rechtsanwalt Dr. F. anstelle seiner gesetzlichen Gebühren von 62.160,- DM in Höhe von 124.000,00 DM (in Worten: einhundertvierundzwanzigtausend Deutsche Mark),
2. Rechtsanwalt B. anstelle seiner gesetzlichen Gebühren von 63.680,- DM in Höhe von 126.000,00 DM (in Worten: einhundertsechsundzwanzigtausend Deutsche Mark) und
3. Rechtsanwalt W. anstelle seiner gesetzlichen Gebühren von 69.260,- DM in Höhe von 145.000,00 DM (in Worten: einhundertfünfundvierzigtausend Deutsche Mark).
Gründe:
Die Antragsteller waren seit ihrer Bestellung am 24. Mai 1995 (Rechtsanwalt Dr. F.), am 13. Juni 1995 (Rechtsanwalt B.) und am 14. März 1996 (Rechtsanwalt W.) bis zur Beendigung des Verfahrens bezüglich der früheren Angeklagten O. und S. am 30. Juni 1999 im sogenannten "Balsam-Verfahren" tätig, bei dem es sich um eines der umfangreichsten und spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren der deutschen Rechtsgeschichte handelt, wie der Senat bereits in zahlreichen Beschlüssen betreffend Vorschüsse auf eine künftige Pauschvergütung dargelegt hat (vgl. den grundlegenden Beschluss vom 25. April 1996 in 2 (s) Sbd. 4 - 49/96 = AnwGebSpezial 1996, 125).
Den ursprünglich sieben Angeklagten wurde in erster Linie Betrug zum Nachteil verschiedener Banken mit einem Schaden in Milliardenhöhe zur Last gelegt. Den früheren Angeklagten O. und S. wurden als Vorstandsmitgliedern der Balsam-AG neben zahlreichen Betrugstaten auch Konkursvergehen und Bilanzfälschungen vorgeworfen.
Die im April 1995 erhobene Anklage vom 30. März 1995 umfasst rund 860 Seiten. Zwischen dem 26. April 1996 und dem 23. Juni 1999 hat vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bielefeld die Hauptverhandlung gegen die Angeklagten O. und S. stattgefunden. Am 23. Juni 1999, dem insgesamt 186. Hauptverhandlungstag, wurde das Verfahren gegen die Angeklagten O. und S. vom Verfahren gegen die übrigen Angeklagten abgetrennt und insoweit gemäß § 153 a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Nachdem beide Angeklagte eine Geldbuße von jeweils 100.000,- DM gezahlt hatten, wurde das Verfahren durch Beschluss der Wirtschaftsstrafkammer vom 30. Juni 1999 gegen diese beiden Angeklagten endgültig eingestellt.
Die Antragsteller begehren nunmehr mit näheren Begründungen für ihre Tätigkeit in diesem Verfahren als bestellte Verteidiger Pauschvergütungen in Höhe von 220.000,- DM (Rechtsanwalt Dr. F.), 200.000,- DM (Rechtsanwalt B.) und 275.000,- DM (Rechtsanwalt W.).
Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Antragsteller in ihren Antragsschriften sowie auf ihre zum Teil erfolgten Erwiderungen auf die Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse vom 10. April 2000 verwiesen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat ferner auf die genannte umfangreiche Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse, die mit der ständigen Rechtsprechung des Senats übereinstimmt und die den Antragstellern bekannt ist, in vollem Umfang Bezug und tritt ihr bei. In dieser Stellungnahme sind zudem auch sämtliche Prozessdaten zutreffend dargestellt.
Ergänzend ist folgendes anzumerken:
Mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten stimmt der Senat darin überein, dass es sich um ein außergewöhnlich umfangreiches Strafverfahren gehandelt hat, in dem eine Reihe besonders schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen zu klären war. Sowohl der Aktenumfang als auch die Verhandlungsdauer mit einer Beiordnungszeit von mehr als vier Jahren bzw. dreieinviertel Jahren, die besonders komplexe Beweisaufnahme mit der in Anwesenheit der Antragsteller erfolgten Vernehmung von mehr als 100 zum Teil mehrfach vernommener Zeugen und von drei Sachverständigen rechtfertigen es, die vorliegende Sache innerhalb der bereits besonders umfangreichen und besonders schwierigen Verfahren im oberen Bereich anzusiedeln.
Insbesondere die intensive Vorbereitung der am 26. April 1996 begonnenen Hauptverhandlung hat angesichts des außerordentlichen Umfangs des Aktenmaterials einen ganz erheblichen Arbeitsaufwand erfordert. Darüber hinaus hat die Vor- und Nachbereitung der einzelnen Hauptverhandlungstage und auch die Abstimmung mit den weiteren (Pflicht-)Verteidigern der Angeklagten O. und S. die Antragsteller zusätzlich in erheblichem Umfang in Anspruch genommen.
Andererseits bedeutete es während der Hauptverhandlung für die Antragsteller auch eine Erleichterung, dass für ihren jeweiligen Mandanten noch weitere Verteidiger zur Verfügung standen. Insbesondere den Antragstellern Rechtsanwalt Dr. F. und B. war es daher möglich, an zahlreichen Tagen der Hauptverhandlung gar nicht teilzunehmen. Sie haben auch in weitaus größerem Umfang als Rechtsanwalt W. an den Hauptverhandlungstagen, an denen sie anwesend waren, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, zumindest teilweise und oftmals mehrere Stunden lang der Hauptverhandlung fern zu bleiben. Gleichwohl steht allen Antragstellern für jeden der Hauptverhandlungstage, auch wenn sie an diesen nur kurze Zeit teilgenommen haben, eine gesonderte gesetzliche Gebühr zu. Die durchschnittliche Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung, die zwar nicht allein ein ausschlaggebendes Merkmal, jedoch ein nicht unwesentlicher Hinweis auf den gesamten Umfang der Tätigkeit eines Verteidigers ist, betrug danach bei Rechtsanwalt W. rund 4 3/4 Stunden, bei Rechtsanwalt Dr. F. rund 4 Stunden und bei Rechtsanwalt B. rund 3 1/2 Stunden. Von den insgesamt 186 Hauptverhandlungstagen hat Rechtsanwalt W. an 182 Tagen, Rechtsanwalt Dr. F. an 163 Tagen und Rechtsanwalt B. an 167 Tagen teilgenommen.
Diese Umstände und die sich über den gesamten Zeitraum der Beiordnung ergebende relative geringe Terminsdichte machen deutlich, dass die Antragsteller auch neben ihrer Tätigkeit für das ohne Frage außergewöhnlich umfangreiche vorliegende Verfahren noch die Möglichkeit hatten, in nicht ganz unerheblichem Umfang andere Mandate wahrzunehmen und einigermaßen flexibel ihre übrige Arbeitszeit einzuteilen.
Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 5. August 1999 (2 (s) Sbd. 6 - 50/99) betreffend die Bewilligung einer Pauschvergütung für eine nach dem 113. Hauptverhandlungstag ausgeschiedene Pflichtverteidigerin eines weiteren Mitangeklagten ausgeführt hat, darf bei der Bewilligung einer Pauschvergütung insgesamt das vorgegebene Gesamtgefüge der gesetzlichen Gebühren für den Pflichtverteidiger nicht außer Acht gelassen werden. Auch soll durch die Gewährung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO der Pflichtverteidiger nicht etwa einem Wahlverteidiger gleichgestellt, sondern es sollen lediglich außergewöhnliche und unzumutbare Belastungen des Pflichtverteidigers vermieden werden.
Unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände und des gesamten Vorbringens der Antragsteller hat der Senat daher insbesondere aufgrund der enormen Fülle des Aktenmaterials, des Umfangs der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung und der auch außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Zeit für die Bearbeitung des vorliegenden Verfahrens Pauschvergütungen in nahezu der Höhe der Höchstgebühren eines Wahlverteidigers bzw. bei Rechtsanwalt W. diese noch übersteigend festgesetzt.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Antragsteller untereinander erschien bei Rechtsanwalt W. eine Pauschvergütung in Höhe von 145.000,- DM, bei Rechtsanwalt B. eine solche in Höhe von 126.000,- DM und bei Rechtsanwalt Dr. F. eine solche in Höhe von 124.000,- DM angemessen, so dass sie - unter Ablehnung der weitergehenden Anträge - in den genannten Höhen festgesetzt worden sind.
Diese Pauschvergütungen stehen auch in angemessenem Verhältnis zu derjenigen, die der Rechtsanwältin H-P im genannten Senatsbeschluss vom 5. August 1999 bewilligt worden ist. Ferner stehen die festgesetzten Pauschvergütungen auch in angemessenem Verhältnis zu derjenigen Pauschvergütung, die durch Senatsbeschluss vom 19. Mai 2000 (2 (s) Sbd. 6 - 48/2000) einer Pflichtverteidigerin in dem Verfahren gegen Refardt bewilligt worden ist. Jenes Verfahren gehörte ebenfalls zum "Balsam-Komplex", ist jedoch getrennt angeklagt und verhandelt worden. Auf den zur Veröffentlichung bestimmten Beschluss vom 19. Mai 2000, dessen Gründe großenteils auch für das vorliegende Verfahren zutreffen, wird Bezug genommen.
Soweit den Antragstellern bereits - zum Teil mehrfach - Vorschüsse auf eine künftige Pauschvergütung und/oder Vorschüsse auf die gesetzlichen Gebühren gezahlt worden sind, sind diese auf die nunmehr gewährten endgültigen Pauschvergütungen anzurechnen.
Ende der Entscheidung
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