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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.04.2006
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. IX - 31/06
Rechtsgebiete: RVG, VV RVG


Vorschriften:

RVG § 51
VV RVG Nr. 4102
VV RVG Nr. 4103
Allein das Stellen eines Antrags auf Akteneinsicht und die Übergabe von Akten stellen kein Verhandeln im Sinne der Nr. 4102 Ziffer. 3 VV RVG dar.
Beschluss

Strafsache

gegen R.R.

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern - nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, (hier: Pauschgebühr für den bestellten Verteidiger gem. § 51 RVG).

Auf den Antrag des Rechtsanwalts W. in B. vom 16. November 2005 auf Bewilligung einer Pauschgebühr für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten (Verurteilten) R. hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 04. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht (als Einzelrichter gemäß §§ 51 Abs. 2 S. 4, 52 Abs. 3 S. 1 RVG) nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von insgesamt 1.102,- € eine Pauschgebühr von 1.500,- € (i.W.: eintausendfünfhundert Euro) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt im Hinblick auf den besonderen Umfang des Verfahrens, in dem über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b StGB verhandelt wurde, anstelle der gesetzlichen Gebühren nach den Nummern 4101, 4113 und 3 x 4115 VV RVG (insoweit insgesamt 1.102,- €) eine "Pauschvergütung" (nach RVG jetzt Pauschgebühr), die er mit 2.475,- €, der Höchstgebühr eines Wahlverteidigers, beziffert hat. Hinsichtlich der Gebühr nach Nr. 4103 zur Teilnahme an einem Termin außerhalb der Hauptverhandlung zur Verkündung eines Unterbringungsbefehls gemäß § 275 a Abs. 5 S. 1 StPO, die er mit seiner Pflichtverteidigerliquidation geltend gemacht und die auch in Höhe von 137,- € entsprechend festgesetzt worden ist, begehrt er ausdrücklich keine Pauschgebühr.

Zu seinem zunächst nicht näher begründeten Antrag hat der Vertreter der Staatskasse unter dem 10. Februar 2006 ablehnend Stellung genommen. Er hat zwar der Einschätzung des Strafkammervorsitzenden, wonach es sich im Hinblick auf eine besonders aufwändige und schwierige neue Rechtsmaterie bei einem sehr schwierigen Mandanten um ein für den Antragsteller besonders schwieriges Verfahren gehandelt hat, nicht widersprochen, hält das Verfahren andererseits jedoch für noch nicht besonders umfangreich und die gesetzlichen Gebühren nicht für unzumutbar i.S.d. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG. Darüber hinaus ist er der Auffassung, dass eine Gebühr nach Nr. 4103 VV RVG nicht entstanden ist, weil in dem Termin vom 12. August 2005 lediglich der Unterbringungsbefehl verkündet worden sei, eine Verhandlung über die Unterbringung jedoch nicht stattgefunden habe.

Auf diese Stellungnahme hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 8. März 2006 erwidert und unter Hinweis auf fünf Besuche bei dem damals inhaftierten Mandanten sowie den Umfang der Akten und Beiakten mit mehreren umfangreichen Urteilen und Sachverständigengutachten an seiner Auffassung festgehalten, es handele sich um ein auch besonders umfangreiches Verfahren. Ferner ist er der Auffassung, dass für die Teilnahme am Termin zur Verkündung des Unterbringungsbefehls am 12. August 2005 eine Gebühr nach Nr. 4103 VV RVG entstanden sei. Dies sei dann der Fall, wenn der Verteidiger gegenüber dem Gericht für den Beschuldigten zu Fragen im Zusammenhang mit dem Bestand des Haftbefehls oder in diesem Falle des Unterbringungsbefehls in irgendeiner Form Stellung genommen habe. Dies sei vorliegend in der Form geschehen, dass von ihm Akteneinsicht beantragt worden sei und insoweit eine Stellungnahme abgegeben worden sei, dass entsprechende Anträge erst nach Akteneinsicht erfolgen könnten. Folglich habe ein reiner Verkündungstermin nicht vorgelegen. Dem Protokoll über diesen Termin ist zu entnehmen, dass außer der in diesem Termin erfolgten Beiordnung als Pflichtverteidiger lediglich der Unterbringungsbefehl verkündet und den Beteiligten ausgehändigt worden ist und dass nach Beantragung der Akteneinsicht durch den Antragsteller diesem eine Reihe von Akten zu treuen Händen übergeben worden sind. Mehr ist in diesem Termin nicht geschehen.

Zutreffend hat der Vertreter der Staatskasse in seiner Stellungnahme, auf die im Übrigen auch wegen des Umfangs der Tätigkeit des Antragstellers Bezug genommen wird, die gesetzlichen Gebühren beziffert. Bereits nach dem Vortrag im Schriftsatz des Antragstellers vom 8. März 2006 und im Übrigen auch nach dem Inhalt des Protokolls vom 12. August 2005 ist in diesem Termin nicht über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung im Sinne der Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG verhandelt worden. Dies konnte und wollte der Antragsteller ohne vorherige Akteneinsicht auch nicht. Allein das Stellen eines Antrags auf Akteneinsicht und die Übergabe von Akten stellen kein Verhandeln im Sinne dieser Vorschrift dar. Der Verurteilte selbst hat sich nicht geäußert und ist auch nicht in irgendeiner Weise vernommen worden. Bei dieser Sachlage handelt es sich um einen reinen Verkündungstermin, für den eine Gebühr nach der genannten Vorschrift nicht entsteht (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2005 in 2 (s) Sbd. VIII - 224/05 = Rpfleger 2006, 226 = AGS 2006, 122).

Die entgegenstehende Auffassung des Landgerichts Bielefeld (StV 2006, 198), wonach ein Verhandeln im Sinne der genannten Vorschrift bereits dann vorliegt, wenn der inhaftierte Beschuldigte dem zuständigen Richter zur Bekanntgabe eines Haftbefehls vorgeführt wird mit der Möglichkeit, sich zur Sache und zur Haftfrage zu äußern, hiervon aber - auf Anraten seines Verteidigers - keinen Gebrauch macht, vermag der Senat nicht zu teilen. Insbesondere betrifft das vom Landgericht Bielefeld herangezogene Beispiel, dem Verteidiger stehe auch dann eine Terminsgebühr (nach Nrn. 4108, 4109 oder 4114, 4115 oder 4120, 4121 VV RVG) zu, wenn nach Beginn einer - mehrtägigen - Haupt-verhandlung und Verlesung der Anklage der Angeklagte nach Belehrung von seinem Schweigerecht Gebrauch mache und die Verhandlung nach nur kurzer Dauer unter-brochen werde, einen in keiner Weise vergleichbaren Sachverhalt. Nicht nur nach dem Begriff des Wortes wird an jedem Terminstag einer Hauptverhandlung auch bei nur sehr kurzer Dauer immer verhandelt. Die Gebühr nach Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG soll aber nur dann für eine Verhandlung außerhalb der Hauptverhandlung entstehen, wenn mehr geschieht als nur die bloße Verkündung eines Haftbefehls. Dies ergibt im Übrigen auch ein Vergleich mit den Nummern 1, 2, 4 und 5 dieser Vorschrift.

Mit dem Strafkammervorsitzenden und dem Vertreter der Staatskasse erachtet der Senat im Hinblick auf den zu verhandelnden Sachverhalt und die besonders schwierige Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten das Verfahren für besonders schwierig.

Im Hinblick auf den Aktenumfang, die durchzuarbeitenden Akten und Beiakten mit umfangreichen Urteilen und Sachverständigengutachten sowie die mehrfachen, sich über mehrere Stunden erstreckenden Haftbesuche und die Teilnahme an dem Verkündungstermin, für den eine eigene gesetzliche Gebühr - wie oben dargelegt - nicht entstanden ist, war es entgegen der Auffassung des Vertreters der Staatskasse auch als bereits besonders umfangreich anzusehen. Bei seiner Stellungnahme war dem Vertreter der Staatskasse allerdings noch nicht die Anzahl und der Umfang der vom Antragsteller erst später mitgeteilten Haftbesuche bei seinem Mandanten bekannt.

Unter diesen Umständen erscheinen die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers zumindest in einer Gesamtschau auch nicht mehr zumutbar, wobei es weiterhin dahinstehen kann, wie dieses in das Gesetz neu aufgenommene Merkmal der Zumutbarkeit letztlich allgemein zu verstehen und auszulegen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 28. März 2006 in 2 (s) Sbd. IX - 7/06 und vom 2. August 2005 in 2 (s) Sbd. VIII - 160/05; ferner OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Dezember 2005 in 2 ARs 154/05 sowie OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. März 2006 in 2 AR 73/05, deren Auffassung der Senat zuneigt).

Unter Bezugnahme auf die vorstehenden Ausführungen und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles hält der Senat daher insgesamt anstelle der gesetzlichen Gebühren von 1.102,- € die bewilligte Pauschgebühr in Höhe von 1.500,- € für angemessen aber auch ausreichend.

Dieser Betrag übersteigt die sogenannte Mittelgebühr eines Wahlverteidigers noch deutlich.

Da der Antragsteller unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine Gebühr nach Nr. 4103 VV RVG nicht entstanden ist, nicht nur für einzelne Verfahrensabschnitte eine Pauschgebühr geltend gemacht hat, sondern bei der gegebenen Sachlage eine solche in Höhe von 2.475,- € für das gesamte Verfahren vor dem Landgericht und damit also für seine gesamte Tätigkeit, und da sich somit die Bewilligung einer Pauschgebühr auch nicht auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkt, waren die einzelnen Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis, an deren Stelle die Pauschgebühr treten soll, auch nicht im Einzelnen und im Tenor des Beschlusses aufzuführen (§ 51 Abs. 1 S. 3 RVG - vgl. auch Senatsbeschluss vom 21. März 2006 in 2 (s) Sbd. IX - 29/06).

Der darüber hinausgehende Antrag war demgemäß als deutlich übersetzt abzulehnen.

Ende der Entscheidung

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