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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.10.1999
Aktenzeichen: 2 Ausl. 89/99
Rechtsgebiete: IRG, StPO
Vorschriften:
IRG § 24 Abs. 1 | |
IRG § 25 | |
StPO § 116 |
OLG Hamm Beschluß 21.10.1999 - (2) 4 Ausl. 506/98 (89/99) -
wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Republik Italien zum Zweck der Strafverfolgung wegen Diebstahls u. a.
(hier: Aufhebung des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls).
Nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul und die Richter am Oberlandesgericht Burhoff und Eichel beschlossen:
Tenor:
Der vorläufige Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 3. November 1998 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 28. Oktober 1998 den Erlaß eines vorläufigen Ausliefrungshaftbefehls gegen den Verfolgten beantragt. Entsprechend diesem Antrag hat der Senat mit Beschluß vom 3. November 1998 gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet. Der Verfolgte soll danach zum Zwecke der Strafvollstreckung nach Italien ausgeliefert werden. Dort soll ein Kumulationbeschluß der Generalstaatsanwaltschaft in Sassari vom 26. Oktober 1994 vollstreckt werden, durch den eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten festgesetzt worden ist, von der der Verfolgte - nach den Angaben der italienischen Behörden - noch eine Reststrafe von drei Jahren, acht Monaten und zwölf Tagen zu verbüßen haben soll.
Auf Grund dieses Senatsbeschlusses ist der Verfolgte am 12. November 1998 in vorläufige Auslieferungshaft genommen worden. Auf Antrag des Verfolgten vom 4. Dezember 1998 hat der Senat sodann durch Beschluß vom 18. Dezember 1998 den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt: Hinterlegung einer Kaution von 5.000 DM bei der Gerichtskasse, polizeiliche Anmeldung bei seinen (zukünftigen) Schwiegereltern, Verbleib der Carta D-Identita Republica Italiana des Verfolgten bei der Akte. Nach Erfüllung der Auflagen wurde der Verfolgte noch am 18. Dezember 1998 aus der vorläufigen Auslieferungshaft entlassen.
Mit Schreiben vom 9. Juli 1999 hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamm gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft Sassari Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten geäußert, weil ein Teil der dem Kumulationsbeschluß zugrundeliegenden Urteile in Abwesenheit des Verfolgten ergangen sei. Sei das zutreffend und könnten diese Urteile bei der Berechnung der Strafe im Kumulationsbeschluß nicht (mehr) berücksichtigt werden, sei ggf. nur noch eine Reststrafe von einem Jahr, einem Monat und zwölf Tagen zu vollstrecken. Dieses Schreiben ist durch das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen mit Note vom 16. Juli 1999 an das Justizministerium der Republik Italien übersandt worden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat bei der Anhörung zur Frage der Aufrechterhaltung des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls die Auffassung vertreten, daß derzeit eine Haftentscheidung noch nicht veranlaßt sei.
II.
Der vorläufige Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 3. November 1998 war gem. § 24 Abs. 1 IRG aufzuheben, da seine weitere Aufrechterhaltung auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Haftbefehls derzeit gem. § 25 IRG nicht vollzogen wird, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Obergerichte, daß das Prinzip der Verhältnismäßigkeit auch bei Anordnung und Vollstreckung der Auslieferungshaft zu beachten ist (vgl. u. a. BVerfGE 61, 28; BGH NJW 1978, 504; Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl., 1998, § 24 IRG Rn. 7 ff. mit weiteren Nachweisen; aus der Rechtsprechung des Senats siehe Beschluß vom 18. August 1997 - (2) 4 Ausl. 20/97 (49/97) = StV 1997, 652 = StraFo 1997, 342). Die Anordnung der Auslieferungshaft, die ebenso wie die Untersuchungshaft einen schwerwiegenden Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Recht auf persönliche Freiheit darstellt, muß von den überwiegenden Belangen des Gemeinwohls zwingend geboten sein (vgl. BVerfG, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Das gilt auch, wenn - wie vorliegend - die Auslieferungshaft, nicht vollstreckt wird, weil der (vorläufige) Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug gesetzt worden ist. Auch dann ist ebenso wie bei der Untersuchungshaft - die weitere Aufrechterhaltung des außer Vollzug gesetzten Auslieferungshaftbefehls ständig darauf zu prüfen, ob diese unter Berücksichtigung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips noch gerechtfertigt ist (ebenso OLG München, Beschluß vom 25. Juli 1986 - OLG Ausl. 54/86 = E/L U 132; Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 25 IRG Rn. 15; zur Untersuchungshaft siehe Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., 1999, § 120 StPO Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Auch in diesem Fall dürfen die Beschränkungen, denen der Verfolgte durch die nach §§ 25 Abs. 2 IRG, 116 StPO angeordneten Auflagen und Weisungen ausgesetzt ist, nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 116 StPO Rn. 5).
Danach war vorliegend die Aufhebung des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls geboten. Dieser besteht seit nunmehr fast einem Jahr. Er ist gegen den Verfolgten bis zum Erlaß des Aussetzungsbeschlusses des Senats vom 18. Dezember 1998 auch fast einen Monat vollstreckt worden. Inzwischen steht auch nicht mehr eine in Italien ggf. noch zu in vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als drei Jahren acht Monaten im Raum, sondern möglicherweise nur noch eine Reststrafe von einem Jahr und einem Monat. Bei der Abwägung des Freiheitsanspruchs des Verfolgten gegen das im Auslieferungsverfahren geltende Gebot der Rücksichtnahme auf die Wirksamkeit der Strafrechtspflege des ersuchenden Staates ist zugunsten des Verfolgten zudem zu berücksichtigen, daß das zeitliche Ende des Auslieferungsverfahren völlig offen ist. Dem Senat ist aus anderen Auslieferungsverfahrens die teilweise zögerliche Behandlung entsprechender Anfragen durch die italienischen Strafverfolgungsbehörden bekannt. Vorliegend hat der ersuchende Staat, soweit ersichtlich, bislang - also mehr als drei Monate nach Absendung der Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft vom 9. Juli 1999 - auf diese nicht reagiert. Wann eine Antwort eingeht, läßt sich nicht abschätzen. Das weitere Zuwarten auf eine Antwort ist für den Verfolgten nicht mehr hinnehmbar.
Dies alles führt dazu, daß nunmehr nach fast einem Jahr die Aufrechterhaltung des Auslieferungshaftbefehls unverhältnismäßig ist. Die Unverhältnismäßigkeit ist, auch wenn die festgesetzten Auflagen und Weisungen den Verfolgten nur verhältnismäßig wenig belasten dürften, unter entsprechender Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Senats in Untersuchungshaftfällen inzwischen auch so gravierend, daß der Auslieferungshaftbefehl nicht mehr nur gemäß § 25 IRG außer Vollzug gesetzt bleiben kann (vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 1991, 3105), sondern aufgehoben werden muß.
Ende der Entscheidung
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