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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.03.2002
Aktenzeichen: 2 BL 23/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
StPO § 112
Zur Flucht- und Verdunkelungsgefahr bei einer Steuerhinterziehung mit beträchtlichem Steuerschaden
Beschluss Strafsache gegen J.H, wegen Steuerhinterziehung u.a., (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten (4 Bände (Stehordner) Zweitakten, 1 Stehordner Täterakte Herwig) zur Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 03. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

Der Beschuldigte wurde am 5. September 2001 vorläufig festgenommen und befand sich zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 6. September 2001 (64 Gs 4163/01) seit diesem Tage ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Dieser Haftbefehl ist durch Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 12. Februar 2002 aufgehoben und durch den dem gegenwärtigen Ermittlungsstand angepassten Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom selben Tage (64 Gs 600/02) ersetzt worden. An diesem Tage ist der erweiterte Haftbefehl dem Beschuldigten auch verkündet worden.

Mit dem Haftbefehl wird ihm zur Last gelegt, sich in Gelsenkirchen, Werdohl und an anderen Orten in 21 Fällen in den Jahren 1995 bis 2000 der Steuerhinterziehung (Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Einkommenssteuer nebst Solidaritätszuschlag) sowie in mehreren Fällen tateinheitlich hierzu auch der Beihilfe zur Steuerhinterziehung anderer (Einkommenssteuer nebst Solidaritätszuschlag) schuldig gemacht zu haben.

Die Taten soll er beim Handeltreiben mit Buntmetallen im Rahmen seiner Tätigkeit als Verantwortlicher verschiedener Firmen begangen haben, wobei bislang an hinterzogenen Steuern folgende Beträge ermittelt worden sind: Umsatzsteuer: 1.749.545,- DM, Gewerbesteuer: 2.291.249,- DM, Einkommenssteuer: 2.516.079,- DM und Solidaritätszuschlag: 172.722,- DM, insgesamt somit 6.729.595,- DM. Ferner soll er Beihilfe zur Einkommenssteuerhinterziehung einschließlich Solidaritätszuschlag von insgesamt 3.119.313,- DM geleistet haben.

Wegen der Einzelheiten wird auf den ausführlichen Haftbefehl vom 12. Februar 2002, in welchem versehentlich auch § 266 StGB in die Paragraphenkette aufgenommen worden ist, Bezug genommen.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen, ist zu entsprechen.

Die allgemeinen Voraussetzungen der weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft liegen vor.

Der Beschuldigte ist aufgrund zahlreicher Aussagen von Zeugen, Mitbeschuldigten, der anlässlich von Durchsuchungen aufgefundenen Urkunden und Unterlagen sowie seiner zumindest teilweise geständigen Einlassung der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Insbesondere wird insoweit auf die Angaben einzelner Mitbeschuldigter wie D., F. und K. und die Angaben der Ermittlungsbeamten der Steuerfahndung Bochum sowie deren Berechnungen im vorläufigen Abschlussbericht Bezug genommen.

Gegen den Beschuldigten besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.

Eine Fluchtgefahr ist immer dann anzunehmen, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich ein Beschuldigter dem Strafverfahren entzieht, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (vgl. KK-Boujong, StPO, 4. Aufl., § 112 Rdnr. 15; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 112 Rdnr. 17). Die in dem Strafverfahren zu erwartenden Rechtsfolgen sind dabei zu berücksichtigen. Ist mit der Verhängung einer hohen Strafe zu rechnen, so sind die Anforderungen an das Hinzutreten weiterer Umstände umso niedriger anzusetzen (vgl. Boujong, a.a.O., Rdnr. 18; OLG Karlsruhe, NJW 1978, 333).

Der Beschuldigte hat im Verurteilungsfall mit der Verhängung einer empfindlichen mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen. Er hat die Taten, deren er dringend verdächtig ist, über einen Zeitraum von mehreren Jahren mit ganz erheblicher krimineller Energie verübt und dabei nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis einen Schaden zum Nachteil des Fiskus in Höhe von insgesamt rund 10 Millionen DM bewirkt. Den größten Teil der ihm aus den Straftaten zugeflossenen und verbliebenen Vermögenswerte hat er offensichtlich ins Ausland verbracht, wo ihm dieses Vermögen auch zur Verfügung stehen würde. Dem sich aus der erheblichen Strafandrohung ergebenden Fluchtanreiz stehen auch keine derartigen Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland entgegen, dass der Fluchtanreiz dadurch ausgeräumt werden könnte. So hat sich nicht nur seine Lebensgefährtin, die an den Straftaten in erheblichem Umfang beteiligt war, inzwischen ins Ausland abgesetzt, sondern auch weitere Mitbeschuldigte.

Es besteht daher die konkrete und naheliegende Gefahr, dass sich auch der Beschuldigte im Falle einer Freilassung dem Verfahren durch Flucht entziehen wird.

Auch die Ausführungen des Verteidigers des Beschuldigten im Schriftsatz vom 2. März 2002 geben zu einer anderen Entscheidung keinen Anlass. Es ist zwar richtig, dass sich der Beschuldigte nicht alsbald nach Bekannt werden der zunächst gegen Mitbeschuldigte erhobenen Vorwürfe und erfolgten Durchsuchungen bei diesen aus der Bundesrepublik Deutschland abgesetzt hat. Auch ist er in Kenntnis des gegen weitere Mitbeschuldigte laufenden Verfahrens und der möglichen Erwartung, dass sich das Verfahren auch gegen ihn richten könne, nach zumindest einer Auslandsreise in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt. Dies ändert aber angesichts der gesamten Umstände und der bislang gemachten Hafterfahrung nichts daran, dass die begründete Erwartung besteht, der Beschuldigte werde sich dem weiteren Verfahren ohne weiteres stellen und jederzeit zur Verfügung halten. Dem stehen nach Auffassung des Senats bereits die im Ausland befindlichen erheblichen Vermögenswerte, auf die der Beschuldigte wohl jederzeit Zugriff nehmen kann, entgegen.

Bereits unter diesen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO erreicht werden. Insbesondere ist auch die angebotene Kaution von 150.000,- EUR angesichts der Gesamtumstände nicht geeignet, der Fluchtgefahr hinreichend zu begegnen.

Dies gilt darüber hinaus umso mehr, als auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO gegeben ist.

Wie im Haftbefehl zutreffend dargelegt ist, haben sich der Beschuldigte und seine Mittäter ausländischer Firmen bedient, Geldflüsse und durch Einschaltung von Strohleuten und Treuhändern ihre Beteiligungen an verschiedenen Gesellschaften verschleiert. So hat der Beschuldigte H. für seine Beteiligung an der MMH (M.GmbH) die Mitbeschuldigte P. (seine Lebensgefährtin) vorgeschoben. Die Mitbeschuldigten D. und F. waren verdeckt über die schweizerische Firma M & K an der Firma M. beteiligt.

Die Anteile an der M & K hielten D. und F. Franz über den in Monaco lebenden P.Q. Im Bereich der Warentermingeschäfte ist zumindest in einem Fall eine fingierte Abrechnung erstellt worden. Der Beschuldigte gehört zu dem Kreis von Wirtschaftskriminellen, deren Taten den äußeren Schein eines ordnungsgemäßen Rechtsgeschäfts in sich tragen und deshalb ihrer Natur nach schon auf Verdunkelung angelegt war. Aus allem folgt hier die dringende Gefahr, der Beschuldigte werde, sollte er in Freiheit gelangen, auf Zeugen, Mitbeschuldigte oder andere Beweismittel einwirken, um die Erforschung der Wahrheit zu erschweren. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil sich aus den bei dem Beschuldigten sichergestellten Kladden Hinweise darauf ergeben haben, dass noch weitere bislang nicht identifizierte Personen in den Margengeschäften beteiligt waren.

Die bisher gegen den Beschuldigten vollzogene sowie die weitere Untersuchungshaft steht überdies auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Tatvorwürfe und der im Verurteilungsfall zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Schließlich haben wichtige Gründe i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO die Erhebung der Anklage und damit ein Urteil bislang nicht zugelassen; sie rechtfertigen aber, die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten.

Es handelt sich vorliegend um einen äußerst umfangreichen Ermittlungskomplex aus dem Bereich der wohl schon organisierten Wirtschaftskriminalität. Die bislang durch die Steuerfahndung intensiv geführten Ermittlungen konnten aufgrund ihres besonderen Umfangs noch nicht vollständig abgeschlossen werden. Die Klärung des Sachverhalts macht nicht zuletzt aufgrund der sichergestellten umfangreichen Unterlagen zeitaufwendige Ermittlungen erforderlich. Auch wenn ein Teil dieser Ermittlungen bereits vor der Verhaftung des Beschuldigten erfolgt ist, konnte die Prüfung zahlreicher Unterlagen aus dem Besitz des Beschuldigten und seiner früheren Geschäftspartner und deren Zuordnung erst nach seiner Festnahme erfolgen. Die Aufarbeitung der beschlagnahmten Unterlagen erfordert nachvollziehbar einen immensen Ermittlungsaufwand. Zwar hat der Beschuldigte insoweit durch teilweise geständige Einlassungen die Ermittlungen erleichtert, andererseits aber auch nicht in vollem Umfang die Überprüfung und Auswertung schriftlicher Unterlagen und insbesondere das Nachvollziehen der Geldflüsse auf verschiedenen Konten etwa entbehrlich gemacht.

Inzwischen konnte durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung ein vorläufiger Schlussbericht im Januar erstellt werden. Mit der Fertigstellung des endgültigen Schlussberichtes ist, falls er nicht bereits bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sein sollte, in Kürze zu rechnen.

Darüber hinaus geht der Senat davon aus, dass die Ermittlungsbehörden auch im weiteren Verlauf des Verfahrens dem in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgebot in ausreichendem Maße Beachtung schenken werden, was im Übrigen auch dem Vorlagebericht der Staatsanwaltschaft Bochum vom 13. Februar 2002 entnommen werden kann.

Mit der Übertragung der zwischenzeitlichen Haftprüfung hat der Senat von der ihm in § 122 Abs. 3 S. 3 StPO eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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