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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.10.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 1030/2000
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 315 b |
Beschluss: Strafsache gegen S.F.,
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. kleinen auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 3. Juli 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27.10.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen am 31. Januar 2000 wegen "gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis" unter Einbeziehung der Verurteilung des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 26. November 1999 - 5 Ds 24 Js 893/99 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt worden. Ferner wurde eine Sperrfrist von fünf Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet.
Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die rechtzeitig und formgerecht eingelegte Berufung des Angeklagten gegen das erstinstanzliche Urteil verworfen. Das Landgericht hat dazu u.a. folgende Feststellungen getroffen:
"... Der Angeklagte überquerte die Kanalbrücke gegen 12.30 Uhr. Der Zeuge K. stellte mittels der Radaranlage fest, dass der vom Angeklagten gelenkte Pkw unmittelbar nach Passieren der Kanalbrücke eine Geschwindigkeit von etwa 70 km/h hatte. Er teilte dies dem Zeugen Ka. mit. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte noch etwa 200 - 250 m von dem Zeugen Ka. entfernt. Andere Fahrzeuge waren zu diesem Zeitpunkt nicht in der Nähe. Der Zeuge Ka. ging daraufhin vom linken Fahrbahnrand aus etwa auf die Mitte der Straße. Er hob mit einer Hand die Polizeikelle am ausgestreckten Arm senkrecht nach oben und bedeutete dem Angeklagten mit der anderen Hand, wo dieser anhalten sollte. Der Angeklagte sah dies. Er erkannte, dass er in eine Polizeikontrolle geraten war. Ihm war zu diesem Zeitpunkt auch bewusst, dass er ohne Fahrerlaubnis fuhr, er sich deshalb strafbar gemacht hatte und bestraft werden würde, wenn bei der Polizeikontrolle seine Personalien festgestellt würden. An die neben ihm sitzende Zeugin S.G. gewandt, sagte er: "So'n Mist, was mach ich denn jetzt?" Gleichzeitig trat er leicht auf die Bremse. Noch bevor die Zeugin etwas erwidern konnte, entschloss sich der Angeklagte, nicht anzuhalten, sondern an dem Polizeibeamten vorbei zu fahren und sodann zu flüchten. Auf diese Weise wollte er die Feststellung seiner Personalien und die Aufdeckung der von ihm soeben begangenen Straftat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhindern. Um das Vorhaben durchzuführen, beschleunigte er das Fahrzeug. Er war zu diesem Zeitpunkt noch etwa 150 Meter von dem Zeugen Ka. entfernt. Der Zeuge Ka. war bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, der Angeklagte werde seiner Aufforderung zum Anhalten nachkommen. Eine besondere Gefahr, insbesondere die Möglichkeit, dass der Angeklagte an ihm vorbeifahren wolle und werde, hatte er bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkannt. Der Zeuge Ka. erkannte, unmittelbar nachdem der Angeklagte begonnen hatte, das Fahrzeug zu beschleunigen, dass dieser seiner Aufforderung zum Anhalten nicht nachkommen werde. Er hörte das Geräusch des aufdrehenden Motors. Er sah, wie das Fahrzeug immer schneller werdend geradeaus weiterfuhr. Der Zeuge Ka. stand zu diesem Zeitpunkt immer noch etwa auf der Straßenmitte, möglicherweise auch etwas darüber hinaus auf der rechten Fahrbahn, die der Angeklagte benutzte. Er befürchtete, dass er von dem heranfahrenden Fahrzeug erfasst würde, wenn er dort stehen bliebe. Auch der Zeuge K., der das Geschehen verfolgt hatte, fürchtete in diesem Zeitpunkt um Leben und Gesundheit seines Kollegen Ka. Mit schnellen Schritten lief der Zeuge Ka. zu dem in Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen rechten Fahrbahnrand. Der Angeklagte erkannte, dass der Polizeibeamte zum rechten Fahrbahnrand lief. Er beschleunigte weiter. Er befürchtete wegen des inzwischen auf etwa 50 - 60 Meter verringerten Abstands, dass es zu einem Zusammenstoß kommen könne. Um diesen zu vermeiden, lenkte er in diesem Zeitpunkt das Fahrzeug nach links hin in Richtung Straßenmitte. Als der Zeuge Ka. den unmittelbar neben der Fahrbahn beginnenden Grünstreifen am rechten Fahrbahnrand gerade erreicht hatte, fuhr der Angeklagte an ihm vorbei. Er fuhr dabei etwa in der Mitte der Straße. Der seitliche Abstand zwischen der rechten Seite und des von ihm gelenkten Fahrzeugs und dem Zeugen Ka. betrug dabei 1,0 bis 1,5 Meter. Wäre der Zeuge Ka. zwei oder drei Schritte weniger gelaufen, wäre es zum Zusammenstoß gekommen. ..."
Dieses Verhalten hat das Landgericht rechtlich als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gewürdigt.
Der Angeklagte rügt mit seiner unbeschränkt eingelegten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist zulässig und hat auch in der Sache einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.
Das angefochtene Urteil hält der aufgrund der Rüge der Verletzung materiellen Rechts gebotenen sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand.
Die im Urteil getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB nicht. Entscheidende Voraussetzung für eine Verurteilung nach dieser Strafnorm ist, dass der Täter das von ihm gesteuerte Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt; er muss mit seinem Verhalten verkehrsfremde Zwecke verfolgen. Das ist nur dann der Fall, wenn seine Verkehrsteilnahme durch ein verkehrsfeindliches Verhalten unter bewusster Zweckentfremdung seines Fahrzeugs geprägt ist (BGH NStZ-RR 1997, 261; BGH NStZ 1985, 267, jeweils m.w.N.).
Fährt der Fahrzeugführer gezielt auf eine Polizeisperre aus Beamten oder Fahrzeugen zu, ist deshalb zu differenzieren.
So liegt eine bewusste Zweckentfremdung des Fahrzeugs zu verkehrsfeindlichen Zwecken nach ständiger Rechtsprechung allein dann vor, wenn das Fahrzeug mit Nötigungsabsicht eingesetzt worden ist (BGHSt 28, 91). Demgegenüber ist keine Zweckentfremdung und damit kein Eingriff in die Sicherheit des Straßenverkehrs gegeben, wenn der Täter sein Fahrzeug nur als Fluchtmittel zur Umgehung einer Polizeikontrolle oder Festnahme eingesetzt hat und dabei von Anfang an nicht auf den Polizeibeamten zufahren, sondern an ihm vorbei fahren wollte. Bei dieser Sachlage kommt es für die Beurteilung seines Verhaltens nach § 315 b StGB auch nicht darauf an, ob es dann auf irgendeine Weise gleichwohl zu einer konkreten Gefährdung oder Verletzung des Beamten oder zu einem anderen Sachschaden kommt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Fahrzeugführer die Möglichkeit der Gefährdung oder Verletzung erkannt und eine solche Folge in Kauf genommen hat, weil ihm seine Flucht nur um den Preis einer nicht unerheblichen Gefährdung des Beamten und/oder seines Fahrzeugs möglich erschien (vgl. BGHSt 28, 87, 91; BGH NStZ 1985, 267).
Im Hinblick hierauf hat der Angeklagte den Tatbestand des § 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB nach den getroffenen Urteilsfeststellungen nicht verwirklicht. Danach hat der Angeklagte nämlich beabsichtigt, "an dem Polizeibeamten vorbeizufahren und sodann zu flüchten". Ausführungen, die auf einen Nötigungsvorsatz des Angeklagten schließen lassen, enthält das Urteil aber nicht an einer Stelle.
Aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Angeklagte die Möglichkeit der Verletzung des kontrollierenden Polizeibeamten erkannt und diese in Kauf genommen hat. Der Angeklagte hat nach den getroffenen Feststellungen vielmehr sein Fahrzeug in Richtung Straßenmitte gelenkt, um einen Zusammenstoß mit dem Polizeibeamten zu vermeiden. Mangels jeglicher Feststellungen zur Straßenbreite kann der Senat auch nicht überprüfen, ob dem Angeklagten aufgrund der Enge der Straße bewusst gewesen sein musste, dass seine Flucht nur durch eine Nötigung des kontrollierenden Polizeibeamten zu verwirklichen war.
Aufgrund der fehlerhaften Anwendung materiellen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt war das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Tatrichter im Hinblick auf die rechtliche Einordnung des Verhaltens des Angeklagten auch nähere Feststellungen zur Fahrbahnbreite, zur Fahrweise des Angeklagten bei seiner weiteren Flucht und zu dem Grad der Gefährdung fremder Sachen zu treffen haben wird. Denn es wird aufgrund der bereits getroffenen Feststellungen zu der grob verkehrswidrigen Fahrweise des Angeklagten während seiner Flucht eine Strafbarkeit auch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 a und b, Abs. 3 Nr. 1 StGB zu prüfen sein (vgl. auch Senatsbeschluss vom 5. Januar 1998 in NZV 1998, 212; BayObLG NZV 1998, 164; OLG Koblenz, DAR 1973, 48).
Ende der Entscheidung
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