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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.12.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 1088/2000
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 251
StPO § 261
Leitsatz

Die Verlesung nach § 251 StPO bedarf eines begründeten Beschlusses. Darauf, dass der Angeklagte und sein Verteidiger der Verlesung nicht widersprochen haben, kommt es nicht an. Der fehlende Widerspruch der Verfahrensbeteiligten kann die in § 251 StPO vorausgesetzten Verlesungsgründe nicht ersetzen.


Beschluss

Strafsache gegen J.Z.,

wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Meinerzhagen vom 29. Februar 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13.12.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Meinerzhagen zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 60,- DM verurteilt worden.

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1997 während des in Kierspe stattfindenden Schützenfestes zunächst dem Zeugen W. und später dem Zeugen G. mit einer Flasche bzw. einem Bierglas gegen den Kopf geschlagen.

Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die getroffenen Feststellungen - der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen - auf den Aussagen der Zeugen W., G., E., B., Pl., S. und Bo..

Mit seiner hiergegen gerichteten form- und fristgerecht begründeten Revision rügt der Angeklagte allgemein die Verletzung materiellen Rechts und macht ferner mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts geltend, die Urteilsfindung und das Ergebnis der Beweisaufnahme beruhe nicht auf den in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils wie folgt begründet:

"Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und hat in der Sache - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Die auf die Verletzung des § 261 StPO gestützte, den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügende Verfahrensrüge greift durch, denn mit ihr wird geltend gemacht, die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils beruhe auf einer mit den Akten und dem Beweisgeschehen nicht übereinstimmenden tatsächlichen Grundlage.

Rügt die Revision, § 261 StPO sei verletzt, weil das Tatgericht eine Tatsache, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sei, bei der Urteilsfindung verwertet habe, so ist zunächst zu unterscheiden zwischen der zulässigen und dem Beweis zugänglichen Behauptung, ein Beweisstoff sei außerhalb der Verhandlung geschöpft worden und dem in der Regel nicht dem Beweis zugänglichen Vorbringen, der in der Verhandlung erhobene Beweis habe einen anderen Inhalt gehabt oder Beweisergebnisse seien unberücksichtigt geblieben.

Die auf die Verletzung des § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge hat dann Erfolg, wenn ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung benutzten Beweismittel und auch sonst nicht aus den zum Inbegriff der Verhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden sind, so dass letztlich dem inneren Vorgang der Überzeugungsbildung des Tatrichters die äußere Grundlage fehlt.

Ein derartiger Fall ist hier gegeben.

Ausweislich der Sitzungsniederschrift wurden in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht in Meinerzhagen am 29.02.2000 weder der Zeuge B. noch der Zeuge E. gehört. Das Tatgericht hat somit eine "nicht gemachte Aussage" gewürdigt, so dass der Überzeugungsbildung die äußere Grundlage fehlte (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 261 Rdnr. 38 a).

Im Übrigen beanstandet die Revision die Verlesung der Vernehmungsniederschriften der Zeugen Heinz-Otto W. und Daniel G. aus der Hauptverhandlung vom 15.06.1999 vor dem Amtsgericht in Meinerzhagen zu Recht.

Die Verlesung bedarf eines begründeten Beschlusses (§ 251 Abs. 4 StPO). Ein solcher Beschluss ergibt sich jedoch hinsichtlich der Zeugen W. und G. nicht.

Darauf, dass der Angeklagte und sein Verteidiger der Verlesung nicht widersprochen haben, kommt es nicht an (zu vgl. BGH NStZ 86, 325). Der fehlende Widerspruch der Verfahrensbeteiligten kann die in § 251 StPO vorausgesetzten Verlesungsgründe nicht ersetzen.

Auf diesen Verfahrensverstößen kann das Urteil auch beruhen. Es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Vernehmungen der Zeugen W., G., Berges und Eckes vor dem erkennenden Gericht zu einem anderen Beweisergebnis geführt hätten."

Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat unter weiterer Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 24. November 1997 in 2 Ss OWi 1378/97 (= VRS 95, 33) bei und vermag ebenfalls nicht auszuschließen, dass das angefochtene Urteil auf den genannten Rechtsfehlern beruht.

Ergänzend ist jedoch folgendes anzumerken:

Von der Revision ist offensichtlich der Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 29. Februar 2000 auf Bl. 156 unten unzutreffend wiedergegeben worden. Dort heißt es nämlich: "Sodann wurden Bl. 96 ff. d. A. verlesen, soweit es sich um Zeugenaussagen handelt" und nicht "Bl. 96 H. d. A.", was bei flüchtiger Betrachtung der handschriftlichen Eintragung allerdings auch gelesen werden könnte. Nur ersteres ergibt jedoch einen Sinn, da zum einen in diesem Zusammenhang die ohnehin nicht gebräuchliche Abkürzung "H." nicht verständlich und nachvollziehbar wäre und zum anderen in der Sitzungsniederschrift der Hauptverhandlung vom 15. Juni 1999 auf Bl. 96, 96 R - Bl. 97 ist in der Akte nicht enthalten - die Aussagen der Zeugen W. und G. sowie auf Bl. 100, 100 R die Aussagen der Zeugen Eckes und Berges, die sämtlich in der Hauptverhandlung vom 29. Februar 2000 nicht anwesend waren und nicht gehört worden sind, aufgeführt sind.

Diese Falschbezeichnung in der Revisionsbegründung entzieht ihr jedoch nicht den Boden, da das zu den Zeugen W. und G. Gesagte auf alle vier genannten Zeugen zutrifft.

Das angefochtene Urteil war somit mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Meinerzhagen zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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