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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.06.2004
Aktenzeichen: 2 Ss 188/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 344
StPO § 345
StPO § 346
1. Gemäß § 346 Abs. 1 StPO darf das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel als unzulässig nur dann verwerfen, wenn es verspätet eingelegt worden ist oder wenn die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden sind.

2. § 345 Abs. 2 StPO ist dahin auszulegen, dass sich die Beteiligung des Urkundsbeamten nicht nur in einer formellen Beurkundung des von dem Angeklagten Vorgebrachten erschöpfen darf, sondern dass der Urkundsbeamte an der Anfertigung der Revisionsbegründung sich gestaltend beteiligen und Verantwortung für ihren Inhalt übernehmen muss. Das gilt auch für einfache Rüge der Verletzung materiellen Rechts.


Beschluss

Strafsache

gegen V.O.

wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis,

Auf den Antrag des Angeklagten vom 14. April 2004 auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Hagen vom 16. März 2004 sowie auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kostenentscheidung des vorgenannten Beschlusses hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 06. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Hagen vom 16. März 2004 wird aufgehoben.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 07. März 2004 wird als unzulässig verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung in dem Beschluss des Landgerichts Hagen vom 16. März 2004 ist gegenstandslos.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 13. November 2002 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 EURO verurteilt worden. Seine hiergegen frist- und formgerecht eingelegte Berufung hat die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen durch Urteil vom 07. März 2003 mit der Maßgabe verworfen, dass gegen ihn eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 EURO festgesetzt worden ist.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte am 13. März 2003 zu Protokoll der Geschäftsstelle fristgerecht Revision eingelegt. Auf Anordnung des Vorsitzenden der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 11. April 2003 ist dem Angeklagten das Urteil in russischer Übersetzung ausweislich der Postzustellungsurkunde am 09. Mai 2003 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 14. Mai 2003 hat der Angeklagte beanstandet, dass ihm das Urteil nicht in deutscher Sprache zugestellt worden sei, was daraufhin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 20. Mai 2003 nachgeholt worden ist.

Am 20. Juni 2003 erschien der Angeklagte auf der Geschäftsstelle des Landgerichts Hagen, um dort die Revisionsanträge und ihre Begründung zu Protokoll zu erklären. In dem Protokoll der Rechtspflegerin heißt es eingangs wie folgt:

"Es erscheint:

Herr V.O., ....und erklärt trotz Hinweis darauf, dass ein Diktat der Revisionsbegründung unzulässig ist, folgendes zu Protokoll: ...."

Durch Beschluss vom 16. März 2004 hat das Landgericht Hagen die Revision gemäß §§ 345, 346 StPO kostenpflichtig als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, es sei schon zweifelhaft, ob die Revisionsbegründung überhaupt rechtzeitig erfolgt sei, da die Revisionsbegründungsfrist bereits mit Zustellung des in russischer Sprache übersetzten Urteils am 09. Mai 2003 in Gang gesetzt worden sei. Jedenfalls entspreche die Revisionsbegründung aber nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Protokollierung gemäß § 345 Abs. 2 StPO. Um den in dieser Norm niedergelegten Formvorschriften für die Revisionsbegründung zu genügen, dürfe sich die Beteiligung des Urkundsbeamten nämlich nicht nur in einer formellen Beurkundung des vom Angeklagten Vorgebrachten erschöpfen, sondern der Urkundsbeamte müsse sich an der Anfertigung der Revisionsbegründung gestaltend beteiligen und die Verantwortung für ihren Inhalt übernehmen. Die Revisionsbegründung sei danach unzulässig, wenn, wie hier geschehen, sich die Rechtspflegerin den Inhalt des Protokolls lediglich vom Angeklagten diktieren lasse. Die Rechtspflegerin habe den Angeklagten bei Aufnahme seiner Revisionsbegründung auch ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen, so dass diese den Mangel nicht verschuldet habe.

Gegen diese Entscheidung des Landgerichts hat der Angeklagte mit näherer Begründung fristgerecht die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt und zugleich die ihn belastende Kostenentscheidung mit der sofortigen Beschwerde angegriffen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts und auch die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist zwar nach § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft und fristgerecht eingelegt worden; in der Sache kann er jedoch keinen Erfolg haben.

Allerdings war der Beschlusses, mit dem das Landgericht die Revision als unzulässig verworfen hat, aufzuheben, da das Landgericht die Revision aus keinem der in dem Beschluss aufgeführten Gründe als unzulässig verwerfen durfte.

Gemäß § 346 Abs. 1 StPO darf das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel als unzulässig nur dann verwerfen, wenn es verspätet eingelegt worden ist oder wenn die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden sind. Die Nachprüfung des Tatrichters beschränkt sich auf die Äußerlichkeiten, ob der Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen oder Fristen nicht gewahrt hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Soweit die Revision dagegen aus einem anderen Grund als unzulässig zu verwerfen ist, steht die Befugnis hierzu allein dem Revisionsgericht zu. Die Formprüfung bezieht sich demzufolge nur auf die Frage, ob die Begründung von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnet oder zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht worden ist, nicht aber, ob sie auch wirksam angebracht worden ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 436 Rdnr. 2 m. w. Nachw.; Beschluss des BGH vom 07. April 2004 in 2 StR 96/04, http://www.bundesgerichtshof.de).

Soweit das Landgericht die Auffassung vertreten hat, die Revisionsbegründungsfrist sei am 20. Juni 2003 bereits abgelaufen gewesen, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Frist wird in Gang gesetzt mit der förmlichen Zustellung des Urteils. Das streitgegenständliche Urteil ist dem Angeklagten zunächst in russischer Sprache und - auf seine Beanstandung hin - nochmals in deutscher Sprache am 20. Mai 2003 zugestellt worden. Für die formellen Voraussetzungen und materiellen Wirkungen der Zustellung kommt es auch in den Fällen, in denen - wie vorliegend geschehen - einem fremdsprachigen Angeklagten gemäß Nr. 181 Abs. 2 RiStBV eine Übersetzung des Revisionsurteils zugeleitet wird, allein auf die deutsche Urteilsschrift und deren Ausfertigung an (vgl. Kuckein in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 345 Rdnr. 3 und § 357 Rdnr. 7 m. w. Nachw.).

Demzufolge war die Anbringung der Revisionsanträge und ihrer Begründung auf der Geschäftsstelle des Landgerichts am 20. Juni 2003 rechtzeitig.

Das Landgericht war hingegen nicht befugt, darüber zu befinden, ob die Revisionsbegründung wirksam zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt worden ist. Diese Prüfung obliegt vielmehr dem Senat als Revisionsgericht, der die Revision bei Nichteinhaltung der Formvorschriften als unzulässig zu verwerfen hat (§ 349 Abs. 1 StPO).

Vorliegend ist die Revision unzulässig, da die Revisionsbegründung nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 2. Alternative StPO entspricht.

Zwar kann diese gemäß § 345 Abs. 2 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Diese Bestimmung ist aber dahin auszulegen, dass sich die Beteiligung des Urkundsbeamten nicht nur in einer formellen Beurkundung des von dem Angeklagten Vorgebrachten erschöpfen darf, sondern dass der Urkundsbeamte an der Anfertigung der Revisionsbegründung sich gestaltend beteiligen und Verantwortung für ihren Inhalt übernehmen muss, damit die Formvorschriften für die Begründung der Revision beachtet werden und das Rechtsmittel nicht unzulässig wird (BGH, Beschluss vom 21.06.1996 in 3 StR 88/96, BGHR StPO § 345 Abs. 2 Begründungsschrift 5). Der Urkundsbeamte ist verpflichtet, den Angeklagten über die richtige Art der Revisionsbegründung zu belehren und auf eine formgerechte Abfassung hinzuwirken. Dadurch sollen einerseits die Interessen des Angeklagten an einer formgerechten und zulässigen Revisionsbegründung gewahrt werden, andererseits aber dem Revisionsgericht die Prüfung grundloser oder unverständlicher Anträge erspart bleiben (BGH, a.a.O.). Eine Revisionsbegründung wird nach diesen Grundsätzen regelmäßig dann als unzulässig erachtet, wenn sich der Urkundsbeamte den Inhalt des Protokolls vom Angeklagten diktieren lässt, wenn er sich darauf beschränkt, einen vom Betroffenen überreichten Schriftsatz abzuschreiben oder wenn er einen Schriftsatz des Betroffenen lediglich mit der üblichen Eingangs- und Schlussformel eines Protokolls umkleidet (BHG, a.a.O.; vgl. auch Nr. 150 Abs. 3 RiStBV), da der Urkundsbeamte in diesem Falle als bloße Schreibkraft des Antragstellers tätig wird. So verhielt es sich auch im vorliegenden Fall. Die Rechtspflegerin hat in die Niederschrift ausdrücklich aufgenommen, der Angeklagte habe die Revisionsbegründung trotz ihres ausdrücklichen Hinweises auf die Unzulässigkeit diktiert. Damit hat die Urkundsbeamtin zum Ausdruck gebracht, dass sie es ablehne, für die zu Protokoll genommene Erklärung, und zwar auch für deren sachlichen Kern, einzutreten (zu vgl. KK-Kuckein, a.a.O., § 345 Rdnr. 18).

Dies muss auch gelten, soweit der Angeklagte diktiert hat, er rüge die Verletzung materiellen Rechts. Dadurch ist die allgemeine Sachrüge nicht in zulässiger Weise erhoben. Dem Protokoll ist nämlich zu entnehmen, dass es sich auch bei der Sachrüge nicht um eine von der Urkundsbeamtin aufgenommene und nach Prüfung niedergelegte Revisionsbegründung handelt, sondern vielmehr um eine von dem Angeklagten selbst stammende Erklärung, für die er sich lediglich der Urkundsbeamtin als Schreibhilfe bedient hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Sachrüge sich zwischen den sonstigen vom Angeklagten diktierten Ausführungen befindet. Entsprechend dem Zweck der Formvorschrift des § 345 Abs. 2 StPO, unzulässiges und unsachgemäßes, dem Wesen des betreffenden Rechtsmittels nicht gerecht werdendes Vorbringen zu verhindern, ist die Form der Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle aber nur gewahrt, wenn klar zum Ausdruck kommt, dass der Urkundsbeamte eine von dem Angeklagten abgegebene Revisionsbegründung geprüft, gebilligt und für sie die Verantwortung übernommen hat (vgl. Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 345 Rdnr. 27). Das ist vorliegend ersichtlich nicht der Fall. Der Angeklagte hat, obwohl er ausdrücklich auf die Unzulässigkeit eines Diktats der Revisionsbegründung hingewiesen worden ist, auf der wörtlichen Aufnahme bestanden. Dem Protokollvermerk ist zu entnehmen, dass sich die Rechtspflegerin entsprechend dem Wunsch oder der Aufforderung des Betroffenen auf die Funktion einer bloßen Schreibgehilfin nach Diktat beschränkt hat, so dass es bei der gegebenen Sachlage auch insoweit an einer rechtswirksamen Rechtsbeschwerdebegründung zur Niederschrift der Geschäftsstelle fehlt.

Soweit der Angeklagte sich darauf beruft, er sei selbst Jurist, berührt dies die Unzulässigkeit nicht. Die von dem Angeklagten angeführte Ausnahme, wonach das Abschreiben eines Schriftsatzes durch den Urkundsbeamten dann wirksam sein soll, wenn der Revisionsführer selbst Jurist ist, könnte allenfalls dann zur Zulässigkeit der Revisionsbegründung führen, wenn es sich bei ihm um einen in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt handeln würde. Das ist jedoch nicht der Fall.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Angeklagte die versäumte Handlung nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO nachgeholt hat. Zudem liegt nicht ein Verschulden der Urkundsbeamtin vor, sondern des Angeklagten.

Nach alledem waren der Beschluss des Landgerichts Hagen aufzuheben und das Rechtsmittel des Angeklagten mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.

III.

Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung in dem Beschluss des Landgericht Hagen vom 16. März 2004 ist gegenstandlos, nachdem der Senat den Beschluss aufgehoben hat.



Ende der Entscheidung

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