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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.05.2009
Aktenzeichen: 2 Ss 195/09
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 267
StGB § 351b
1. In der Regel ist die Mitteilung der Einlassung des Angeklagten im Urteil erforderlich.

2. Im fließenden Verkehr stellt ein Verkehrsvorgang nur dann einen Eingriff in den Straßenverkehr i. S. von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu kommt, dass es mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird.


Beschluss

Strafsache

gegen pp.

wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr

(hier: Sprungrevision des Angeklagten).

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen vom 26. Februar 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 05. 2009 durch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen vom 26. Februar 2009 (26c Ls - 10 Js 405/08 - 85/08) wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung erurteilt. Von einer Einziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 09. Dezember 2008 - 37 Ds 550 Js 750/08 - AK 135/08 - verhängten Strafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 10,00 € wurde ausweislich des Tenors gemäß § 53 Abs. 2 StGB "aus erzieherischen Gründen" abgesehen. In den Urteilsgründen sind weitere Ausführungen dazu nicht enthalten. Ferner wurde dem Angeklagten, dem durch Beschluss vom 01. Dezember 2008, zugestellt am 24. Dezember 2008, bereits vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen worden war, durch das Urteil die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein wurde eingezogen. Das Straßenverkehrsamt wurde angewiesen, ihm vor Ablauf von noch zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Zur Sache hat das Amtsgericht - Schöffengericht - Recklinghausen unter anderem Folgendes festgestellt:

"(...)

Die Zeugin G. fuhr dann, nachdem sie den Angeklagten zunächst mit seinem PKW nicht mehr hatte sehen können, wieder zurück zur Bochumer Straße und bog nach rechts Richtung Recklinghausen-Innenstadt ab. An der Einmündung zur Bochumer Straße sah sie dann plötzlich den schwarzen BMW des Angeklagten hinter sich, der kein Licht eingeschaltet hatte. Dieses Auto, in welchem die Zeugin genau den Angeklagten wusste, fuhr dann sehr dicht hinter der Zeugin G. über die Bochumer Straße Richtung Innenstadt.

Irgendwo im Bereich der Autobahnauffahrt Hillerheide bzw. der Einmündung Blitzkuhlenstraße schloss der Angeklagte dann mit seinem PKW noch näher auf. Kurz nach der Einmündung der Blitzkuhlenstraße befand sich eine Baustelle. Im Bereich der Baustelle setzte sich der Angeklagte mit seinem PKW dann links neben das Fahrzeug der Zeugin G.. Um diese zu beeindrucken und weiter einzuschüchtern, schob er sich mit seinem PKW dann stetig weiter nach rechts, sodass die Zeugin dann letztlich zwischen parkenden PKW auf der rechten Seite und dem links immer näher kommenden PKW des Angeklagten eingeklemmt war. Die Zeugin konnte auf Grund der Nähe nach rechts und links lediglich scharf auf die Bremse treten, sich zurückfallen lassen, um einem Zusammenstoß mit irgendeinem Hindernis auszuweichen.

Unmittelbar nach diesem Fahrmanöver des Angeklagten setzte sich der Angeklagte dann vor den PKW der Zeugin, fuhr noch einige Meter und trat dann abrupt und völlig ohne jegliche Veranlassung heftig auf seine Bremse mit der Folge, dass die Zeugin dann erneut heftigst abbremsen musste. Auf Grund eines gewissen Abstandes konnte sie dann aber ihren PKW nach links in den Bereich des Gegenverkehrs lenken, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Es kamen zu diesem Zeitpunkt im Gegenverkehr (Fahrzeuge), deren genaue Position jedoch im Rahmen der Beweisaufnahme nicht weiter festgestellt werden konnte, insbesondere waren keine Abstände aufklärbar.

Diese beiden Fahrmanöver führte der Angeklagte aus dem einzigen Grunde durch, um erneut wieder einmal die Zeugin G. in Bedrängnis zu bringen, sie in Angstzustände zu versetzen, weil er die Trennung der Zeugin G. nicht einsehen wollte.

(...)"

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht - Schöffengericht - Recklinghausen - wörtlich - ausgeführt:

"Diese Feststellungen (Anm. des Senats: es fehlt hier wohl das Wort beruht ) auf den Angaben des Angeklagten, der den gesamten Sachverhalt verdreht wiedergibt und versucht herunterzuspielen. Der obige festgestellte Sachverhalt ergibt sich auch eindeutig aus den nachvollziehbaren und überzeugenden, glaubhaften Darstellungen der beiden Zeuginnen T. und G.."

Bei der rechtlichen Würdigung hat das Amtsgericht - Schöffengericht - Recklinghausen unter anderem ausgeführt:

"(...)

Es handelte sich auch um einen vorsätzlichen Eingriff, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Angeklagte ganz gezielt und bewusst der Zeugin G. nachgefahren (ist), diese bedrängt und behindert hat."

Gegen dieses, in seiner Anwesenheit am 26. Februar 2009 verkündete und seinem Verteidiger am 18. März 2009 zugestellte Urteil hat der Angeklagte durch anwaltliches Schreiben vom 05. März 2009, eingegangen per Telefax beim Amtsgericht Recklinghausen am selben Tage, "Rechtsmittel" eingelegt. Durch anwaltliches Schreiben vom 03. April 2009, eingegangen per Fax beim Amtsgericht Recklinghausen am 06. April 2009, hat er das Rechtsmittel als "Sprungrevision" bezeichnet und beantragt, das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen vom 26. Februar 2009 im Schuld-, Rechtsfolgen- und Maßregelausspruch aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Schöffengerichts zurückzuverweisen. Der Angeklagte erhebt zum einen die Verfahrensrüge und rügt eine Verletzung des § 265 Abs. 1, 4 StPO, zum anderen rügt er die Verletzung materiellen Rechts. Dabei bemängelt er im Wesentlichen die Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung und hält die Voraussetzungen des § 315 b StGB aufgrund des festgestellten Sachverhalts für nicht gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das anwaltliche Schreiben vom 03. April 2009 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter dem 06. Mai 2009 Stellung genommen und beantragt wie beschlossen. Ihren Antrag hat sie wie folgt begründet:

"Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts führt - in zweierlei Hinsicht - zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils ist lückenhaft und hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Grundlage jeder Sachentscheidung des Strafrichters ist der Tathergang, von dem der Richter überzeugt ist. Gem. § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters. Allerdings sind dem Gericht bei der ihm nach § 261 StPO eingeräumten Freiheit der Überzeugungsbildung Grenzen gesetzt, deren Beachtung der Revisionsgericht prüft. Grundlage dieser revisionsrechtlichen Beweiswürdigungsprüfung ist das schriftliche Urteil, mit dem der Tatrichter darüber Rechenschaft gibt, auf welchem Wege er von den Beweismittelergebnissen zum festgestellten Sachverhalt gelangt ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.01.2008 - 3 Ss 528/07 -; OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2002 - 5 Ss 1016/02 - = StraFo 2003, 133, BGH NStZ 1985, 184). Aus der Verfahrensvorschrift des § 267 StPO, die den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist eine entsprechende Erörterung und Würdigung dann notwendig, wenn das Revisionsgericht nur auf dieser Grundlage nachprüfen kann, ob das materielle Recht richtig angewendet worden ist und ob die Denk- und allgemeinen Erfahrungssätze beachtet worden sind. Das ist in aller Regel der Fall; nur bei sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen kann das Gericht auf die Wiedergabe der Einlassung und auf eine Auseinandersetzung mit den Angaben des Angeklagten ohne Verstoß gegen seine materiell-rechtliche Begründungspflicht verzichten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2008 - 3 Ss 490/07 - = StV 2008, 401; OLG Hamm, Beschluss vom 06.09.2007 - 3 Ss 262/02 - jeweils m.w.N.). Wie von der Revision mit Recht geltend gemacht wird, genügt das angefochtene Urteil diesen Anforderungen nicht, weil es an der Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten fehlt, obwohl die Sache weder tatsächlich noch rechtlich einfach gelagert ist. Nach den Urteilsgründen beruhen die Feststellungen zur Sache nämlich "auf den Angaben des Angeklagten, der den gesamten Sachverhalt verdreht wiedergibt und versucht herunterzuspielen. Der obige festgestellte Sachverhalt ergibt sich auch eindeutig aus den nachvollziehbaren und überzeugenden, glaubhaften Darstellungen der beiden Zeuginnen T. und G." (UA S. 5). Wie der Angeklagte sich im Einzelnen zur Sache eingelassen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Schon dieser sachlich-rechtliche Mangel nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, da der Senat nicht prüfen kann, ob die Überzeugung des Schöffengerichts auf rechtlich fehlerfreien Erwägungen beruht.

2. Darüber hinaus begegnet die Subsumtion des vom Schöffengericht festgestellten Sachverhalts unter den Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB rechtlichen Bedenken. Zwar kann nach st. Rspr. und ganz h.M. § 315 b StGB auch bei Handlungen im (fließenden - Anmerkung des Senats) Verkehr zur Anwendung kommen. Seit der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.02.2003 (BGHSt 48, 233 ff.) ist der Anwendungsbereich des verkehrsfeindlichen Innenangriffs jedoch deutlich eingeschränkt. Im fließenden Verkehr stellt ein Verkehrsvorgang nur dann einen Eingriff in den Straßenverkehr i. S. von § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu kommt, dass es mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird (vgl. BGHSt, a.a.O.; BGH StraFo 2006, 122; OLG Hamm, Beschluss vom 08.01.2008 - 3 Ss 528/07 - = NZV 2008, 261 f.; jeweils m.w.N.; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 315 b, Rdnrn. 9 ff., insbesondere 9 a, 14 m.w.N.). Erst dann liegt eine - über den Tatbestand des § 315 c StGB hinausgehende - verkehrsatypische "Pervertierung" des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen "Eingriff" in den Straßenverkehr i.S. des § 315 b Abs. 1 StGB vor (vgl. BGHSt a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Mangels Feststellungen im Urteil des Schöffengerichts zum Gefährdungsvorsatz des Angeklagten - insofern ist in der schriftlichen Urteilsbegründung lediglich die Rede davon, dass der Angeklagte handelte, um die Zeugin G. "zu beeindrucken und erneut einzuschüchtern" (UA 5) bzw. diese "wieder einmal (...) in Bedrängnis zu bringen, sie in Angstzustände zu versetzen" (UA 5) und er seinen PKW "eindeutig und einzig und allein als eine Art Werkzeug zur Einschüchterung und Nötigung der Zeugin G." benutzt hat (UA 6) - kann der Schuldspruch auch in sofern keinen Bestand haben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen Gesetzesverletzungen beruht.

3. Da die Revision bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, ist ein Eingehen auf die Verfahrensrüge nicht veranlasst."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Anhand der Urteilsurkunde als einzig zur Verfügung stehender Erkenntnisquelle kann der Senat für die revisionsrechtliche Überprüfung - wohl aufgrund eines Auslassungsfehlers in dem entscheidenden Satz - nicht einmal feststellen, ob das Schöffengericht die getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt (auch) auf die Angaben des Angeklagten gestützt hat oder der Sachverhalt gerade nicht auf dessen Angaben beruht. Aus dem Gesamtkontext der Beweiswürdigung ergibt sich nichts anderes. Denn einerseits soll sich der festgestellte Sachverhalt "auch" eindeutig aus den Darstellungen der Zeuginnen ergeben, andererseits soll der Angeklagte den Sachverhalt "verdreht" wiedergegeben haben.

Darüber hinaus fehlt in der äußerst knappen Beweiswürdigung eine Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Zeugenaussagen der Zeuginnen T, und G., auf die der Tatrichter die Feststellungen zum Sachverhalt - ohne Differenzierung zwischen den beiden Zeuginnen - gestützt hat. Auch darauf kann aber nicht verzichtet werden (vergleiche dazu: OLG Hamm, Beschluss vom 08. Januar 2008 - 3 Ss 528/07 -, zitiert nach juris Rn. 10). Denn ohne eine in sich geschlossene Darstellung des Inhalts der Zeugenaussagen zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach ist dem Senat die Prüfung, inwieweit aus den Aussagen der beiden Zeuginnen bestimmte Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten gezogen worden sind, nicht möglich.

Der Beweiswürdigung ist ebenfalls nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls inwieweit Bekundungen der Zeugin T. Grundlage der Feststellungen zum unmittelbaren Tatgeschehen gewesen sind, da diese Zeugin nach den übrigen Feststellungen bereits zuvor von der Zeugin G. zu Hause abgesetzt worden war. Auch vor diesem Hintergrund musste die Aufhebung des angefochtenen Urteils erfolgen.

Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches weist der Senat noch darauf hin, dass es mangels ausreichender Begründung ebenfalls rechtlichen Bedenken begegnet, soweit das Schöffengericht von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß §§ 53 Abs. 2 Satz 2, 54 Abs. 3 StGB abgesehen hat. Die Gesamtstrafenbildung nach § 53 Abs. 1 StGB stellt die Regel, Abs. 2 S. 2 der Vorschrift stellt die Ausnahme dar, deren Anwendung grundsätzlich besonders zu begründen ist (KG Berlin, Beschluss vom 22. August 2002 - (5) Ss 186/02 (234/02) -, zitiert nach juris Rn. 4; Fischer, StGB, 56. Auflage, § 53 Rn. 6). Indem das Schöffengericht im Tenor des angefochtenen Urteils ausdrücklich von der Einbeziehung abgesehen hat (wobei ebenfalls nicht klar ist, ob es sich insofern um eine Gesamtgeldstrafe, die zuvor aufzulösen gewesen wäre, handelte), hat es zwar klargestellt, dass es sich über sein insofern eingeräumtes Ermessen bewusst war. Eine tragfähige Begründung für das Unterbleiben der nachträglichen Gesamtstrafenbildung enthält das angefochtene Urteil indes nicht. Die lediglich im Urteilstenor genannten und nicht näher ausgeführten "erzieherischen Gründe" sind als Strafzumessungsgesichtspunkt dem Strafverfahren gegenüber einem Erwachsenen fremd. Der Erziehungsgedanke hat im Jugendgerichtsgesetz seine Ausprägung gefunden, gehört aber nicht zu den in § 46 StGB aufgeführten Grundsätzen der Strafzumessung (vergleiche dazu eingehend: KG Berlin, Beschluss vom 22. August 2002 - (5) Ss 186/02 (234/02) -, zitiert nach juris Rn. 5, 6), an denen sich die Ermessensausübung nach § 53 Abs. 2 S. 2 StGB zu orientieren hat (Fischer, StGB, 56. Auflage, § 53 Rn. 7). Zudem verletzt die Erwägung der "erzieherischen Gründe" durch das Schöffengericht auch bereits deshalb das Gesetz und ist rechtsfehlerhaft, weil nicht klar ist, worin die erzieherische Wirkung liegen soll. Zudem wird nicht berücksichtigt, dass das angeblich erzieherische Vorgehen den Angeklagten vor der zwangsläufigen Erhöhung der Freiheitsstrafe bewahrt, welches häufig gegenüber dem Bestehenlassen der Geldstrafe das von der Strafart her schwerere Übel darstellt (KG Berlin, Beschluss vom 22. August 2002 - (5) Ss 186/02 (234/02); mit Verweis auf BGHSt 35, 208, 212 und weiteren Nachweisen).

Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen zurückzuverweisen.

Soweit der Angeklagte mit der Verfahrensrüge eine Verletzung der Hinweis- und Aussetzungspflicht entsprechend § 265 Abs. 1 und Abs. 4 StPO rügt, hat er damit allerdings keinen Erfolg. Zwar ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass das Gericht einen rechtlichen Hinweis entsprechend § 265 Abs. 1 StPO erteilen und gegebenenfalls die Hauptverhandlung entsprechend Abs. 4 der Vorschrift von Amts wegen aussetzen muss, wenn es eine gegenüber der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss andere Tatzeit annehmen will, da dies mindestens ebenso schwer wie die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes wiegt und sich die Verteidigung darauf einstellen können muss. Andernfalls liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten (Artikel 103 Abs. 1 GG) vor (vergleiche dazu ausführlich: BGHSt 19, 88, 89; BGH, Beschluss vom 01. Dezember 1987 - 5 StR 458/87 -, zitiert nach juris Orientierungssatz und Rn. 4 ff. mit Hinweis auf die abweichende Meinung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 08. März 1984 - 2 StR 929/83 -, wonach grundsätzlich kein förmlicher Hinweis erforderlich ist, sondern eine formlose Unterrichtung des Angeklagten ausreichen soll). Vorliegend hat das Amtgericht - Schöffengericht - Recklinghausen aber keine veränderte Tatzeit angenommen. Zwar wird in den Feststellungen zur Sache ausgeführt, der Angeklagte habe sich "in der Nacht vom 16. auf den 17.08.08 auf den Weg (gemacht), um den Zeuginnen aufzulauern", durch die Angabe der Uhrzeit "gegen 4.15 Uhr" zu Beginn der Schilderung des unmittelbaren Tathergangs ist aber klargestellt, dass das Gericht - ebenso wie in der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss - von dem 17. August 2008 als Tatzeitpunkt ausgegangen ist.

Ende der Entscheidung

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