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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.05.2009
Aktenzeichen: 2 Ss 200/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 46
StPO § 267
Auch wenn eine erschöpfende Darstellung aller im Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB genannten Umstände weder erforderlich noch möglich ist, ist ein für den Fall einer Verurteilung möglicherweise zu erwartender Widerruf einer ausgesetzten Freiheitsstrafe in einer anderen Sache zu erörtern.
Beschluss

Strafsache

gegen

wegen Betruges,

(hier: Sprungrevision des Angeklagten).

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Lüdenscheid vom 17. Februar 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. Mai 2009 durch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der (Sprung-)Revision Revision im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Lüdenscheid zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Lüdenscheid vom 17. Februar 2009 (52 Ds - 766 Js 943/08 - 265/08) wegen Betruges gemäß §§ 265 Abs. 1, Abs. 4, 248 a StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 5,00 € verurteilt, nachdem er das Beförderungsentgelt für eine Taxifahrt in Höhe von circa 20 € nicht bezahlt hatte.

Im Rahmen der Hauptverhandlung ist dem Angeklagten Rechtsanwalt K. aus Lüdenscheid gemäß § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Zur Person hat das Amtsgericht - Strafrichter - folgende Feststellungen getroffen:

"Der am 13.11.1982 in Pec geborene ledige Angeklagte hat keine Kinder. Er lebt seit 1999 in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Zeit hat er keine Arbeit, sondern wird vom Sozialamt mit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unterstützt.

Diese Leistungen sind ihm gekürzt worden.

Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten vom 12.8.2008 weist sieben Eintragungen auf. Zuletzt wurde der Angeklagte am 3.11.2005 wegen gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei besonders schweren Fällen vor dem Amtsgericht Lüdenscheid zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5 Euro ( 56 Ds 17/05) und unter Einbeziehung dieser Entscheidung am 18.05.2006 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (74 Ls 157/05 AG Lüdenscheid).

Schließlich verurteilte ihn das Amtsgericht Lüdenscheid in dem Verfahren 72 Ls 68/07 am 31.01.2008 unter Einbeziehung beider vorgenannter Entscheidungen zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, wobei die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe bis zum 30.1.2011 zur Bewährung ausgesetzt wurde."

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Amtsgericht - Strafrichter - Lüdenscheid Folgendes ausgeführt:

"Ausgangspunkt und Grundlage der Strafzumessung ist die in der Tat zum Ausdruck gekommene Schuld (§ 46 Abs. 1 S. StGB). Maßgebend für die Bemessung einer schuldangemessenen Strafe sind in erster Linie die Schwere der Tat und ihre Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie der Grad der persönlichen Schuld des Täters (BGHSt 20, 265, 266; 24, 132, 133). Beide Elemente sind miteinander verknüpft. Einerseits darf das Unrecht einer Tat nur in dem Umfang für die Strafzumessung Bedeutung erlangen, in dem es aus schuldhaftem Verhalten des Täters erwachsen ist, und andererseits kann die strafrechtlich relevante Schuld allein in einem bestimmten tatbestandsmäßigen Geschehen und seinen Auswirkungen erfasst werden (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 2). Das Schuldmaß kann nur in enger Relation zum Gewicht des Tatunrechts angemessen bewertet werden. Die Tatschuldquantifizierung hat sich mithin vornehmlich am Unrechtsgehalt der Tat, der maßgeblich durch ihren Handlungs- und Erfolgsunwert bestimmt wird, zu orientieren (Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 310 ff). Das Tatgericht hat die Handlungs- und Erfolgskomponente einer Gesamtwürdigung zu unterziehen; die gefundene Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen und darf nicht schlechthin unangemessen sein.

Hierin liegt eine absolute Grenze, die auch aus spezial- oder generalpräventiven Gründen nicht überschritten werden darf; die verhängte Strafe darf auch zur Erreichung der gesetzlich aberkannten Strafzwecke die Schuld des Täters nicht übersteigen (Franke in MünchKomm StGB § 46 Rdn. 7, 11).

Aufgrund der Vorstrafen verbietet sich zwar einerseits eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 oder § 153 a Abs. 2 StPO, wegen der Geringwertigkeit der erschlichenen Fahrt erschien aber andererseits eine milde Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5 Euro tat- und schuldangemessen, wobei sich die Höhe des einzelnen Tagessatzes gem. § 46 StGB an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten orientiert."

Gegen dieses, in Anwesenheit des Angeklagten am 17. Februar 2009 verkündete Urteil, hat der Angeklagte durch anwaltliches Schreiben vom 24. Februar 2009, eingegangen beim Amtsgericht Lüdenscheid per Telefax am selben Tage, "Rechtsmittel" eingelegt. Nach Zustellung des Urteil, die an den Angeklagten am 11. März 2009 und an den Verteidiger am 13. März 2009 erfolgte, bezeichnete der Angeklagte durch anwaltliches Schreiben vom 14. April 2009, eingegangen per Telefax beim Amtsgericht Lüdenscheid am selben Tage, das Rechtsmittel als "Sprungrevision" und beantragte, das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben und an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Gerügt wurde die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung hat der Angeklagte angeführt, insbesondere der Rechtsfolgeausspruch begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da der Tatrichter den drohenden Widerruf in dem Verfahren 72 Ls 68/07 - Amtsgericht Lüdenscheid - unberücksichtigt gelassen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das anwaltliche Schreiben vom 14. April 2009 Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter dem 08. Mai 2009 Stellung genommen und beantragt wie beschlossen.

II.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat ihren Antrag wie folgt begründet:

"Die Sprungrevision ist gemäß § 335 StPO statthaft und rechtzeitig eingelegt und gem. § 43 Abs. 2 StPO rechtzeitig begründet worden.

Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs ist der Revision ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.

Die auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht deckt bezüglich des Schuldspruchs Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf. Die in sich widerspruchsfreien und nicht gegen Denkgesetze bzw. allgemeine Erfahrungssätze verstoßenden Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges.

Hingegen halten die Strafzumessungserwägungen einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters und daher vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob Rechtsfehler vorliegen. Das Revisionsgericht darf jedoch dann eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils in sich rechtsfehlerhaft oder lückenhaft sind, was dann der Fall ist, wenn der Tatrichter tragende Strafzumessungsgründe und die von der verhängten Strafe zu erwartenden Wirkungen auf den Täter i.S. des § 46 StGB nicht bzw. nicht vollständig bedacht und erörtert hat. Auch wenn eine erschöpfende Darstellung aller im Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB genannten Umstände weder erforderlich noch möglich ist, ist ein für den Fall einer Verurteilung möglicherweise zu erwartender Widerruf einer ausgesetzten Freiheitsstrafe in einer anderen Sache zu erörtern (zu vgl. Senatsbeschlüsse vom 24.06.1998 - 2 Ss 666/98 -, veröffentlicht in NStZ-RR 1998, 374 und vom 31.01.2005 - 2 Ss 501/04 -, jeweils m.w.N.; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 46 Rdnr. 106).

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist der Angeklagte in dem Verfahren 72 Ls 68/07 (Amtsgericht Lüdenscheid) am 31.01.2008 unter Einbeziehung zweier Vorverurteilungen wegen versuchten Diebstahls in zwei besonders schweren Fällen sowie wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung bis zum 30.01.2011 zur Bewährung ausgesetzt worden ist (Bl. 48. d.A.). (...) Die vorliegende Tat hat der Angeklagte am 16.07.2008 und damit nur ein halbes Jahr nach der Verurteilung in dem Verfahren 72 Ls 68/07 (Amtsgericht Lüdenscheid) begangen. Da (...) die einbezogenen Strafen ebenfalls Vermögensdelikte betrafen, erscheint wegen der vorliegenden Tat ein Widerruf der Strafaussetzung der Bewährung in dem Verfahren des Amtsgerichts Lüdenscheid 72 Ls 68/07 nicht von vorneherein ausgeschlossen.

Diese Möglichkeit hat das Amtsgericht Lüdenscheid in den äußerst knapp gehaltenen Strafzumessungserwägungen, die zu der konkreten Strafhöhe nur aus einem Satz und im übrigen vorrangig in der Darstellung allgemeiner Grundsätze der Strafzumessung bestehen, nicht ausdrücklich bedacht. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Erörterung hätte sich schon aufgrund des Umstandes, dass das Amtsgericht dem Angeklagten (...) einen Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet hat, aufgedrängt (Anmerkung des Senats: Die Beiordnung erfolgte ersichtlich im Hinblick auf den möglichen Widerruf der in dem Verfahren des Amtsgerichts Lüdenscheid zu 72 Ls 68/07 erfolgten Strafaussetzung, die im Rahmen der Beurteilung der "Schwere der Tat" im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO auf die zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung und sonstige schwerwiegende Nachteile infolge der Verurteilung abstellt, wozu grundsätzlich der drohende Bewährungswiderruf zählt - vergleiche dazu: Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 140 Rn. 25 mit weiteren Nachweisen).

Diese fehlende Auseinandersetzung ist damit ein Begründungsmangel, der auf die erhobene Sachrüge hin zur Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch und Rechtsfolgenausspruch führt. Eine eigene Sachentscheidung gem. § 354 StPO ist dem Senat angesichts des für die Rechtsfolgenbemessung unverzichtbaren persönlichen Eindrucks des Angeklagten verwehrt."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Soweit das Amtsgericht - Strafrichter - Lüdenscheid im Rahmen der Strafzumessung, wobei es nicht einmal den angewendeten Strafrahmen mitgeteilt hat (zu diesem Erfordernis, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter von dem richtigen Strafrahmen ausgegangen ist, vergleiche Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 337 Rn. 35), nicht ausdrücklich das Bewährungsversagen des Angeklagten, die schnelle Rückfallgeschwindigkeit und die fehlende Warnfunktion der durch Urteil des Amtsgericht Lüdenscheid vom 31. Januar 2008 zu 72 Ls 68/07 verhängten erheblichen Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten erörtert hat - wie es nach der Auffassung des Senats erforderlich gewesen wäre -, ist der Angeklagte dadurch nicht beschwert.

Etwas anderes gilt hinsichtlich des drohenden Widerrufs der in dem vorgenannten Verfahren des Amtsgericht Lüdenscheid gewährten Strafaussetzung zur Bewährung. Wie die Generalstaatsanwaltschaft bereits zutreffend ausgeführt hat, ist ein drohender Widerruf einer ausgesetzten Freiheitsstrafe in anderer Sache als "Wirkung" im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und grundsätzlich ausdrücklich zu erörtern (OLG Hamburg, NStZ-RR 2004, 72, 73; OLG Oldenburg, Beschluss vom 28. Juli 2008 - Ss 266/08 -, zitiert nach juris Rn. 14). Vorliegend durfte eine ausdrückliche Erörterung dieses Gesichtspunktes bereits wegen der erheblichen Bedeutung ausnahmsweise nicht unterbleiben, die der Aussetzungswiderruf und die darauf folgende Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten für den Angeklagten hätte. Die Erörterung der Frage eines drohenden Widerrufs war umso mehr von Bedeutung, als sich die Gründe des angefochtenen Urteils sogar mit der - letztlich verneinten - Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 153 Abs. 2, 153 a Abs. 2 StPO beschäftigen, der Widerruf demgegenüber zur Verbüßung einer nicht unerheblichen Gesamtfreiheitsstrafe führte.

Der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in dem Verfahren des Amtsgerichts Lüdenscheid zu 72 Ls 68/07 ist vorliegend nach der Auffassung des Senats - auch unter Berücksichtigung der äußerst mäßigen verhängten Geldstrafe - auch nicht fernliegend. Dem steht nicht entgegen, dass die Anlasstat im Vergleich mit den von dem Amtsgericht - Strafrichter - Lüdenscheid festgestellten Vorstrafen, die allerdings lediglich unvollständig in Einzelheiten in den Urteilsgründen aufgeführt werden, nicht einschlägig ist. Denn § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB unterscheidet für die Strafaussetzung zur Bewährung nicht nach der Art und dem Gewicht zukünftiger Straftaten, ebenso wie § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB für den Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit innerhalb der Bewährungszeit keinen kriminologischen Zusammenhang von vollstreckungsgegenständlicher Tat und Widerrufsanlasstat sowie keine Vergleichbarkeit von Tatart und -schwere voraussetzt. Die Erwartung, die der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 S. 1 StGB zugrunde liegt geht vielmehr davon aus, dass der Angeklagte überhaupt keine Straftaten mehr begehen wird. Umgekehrt kommt eine Strafaussetzung nicht in Betracht, wenn - ausschließlich - andersartige Straftaten als die Anlasstat zu erwarten sind (BGH, NStZ-RR 2001, 15, 16; OLG Hamburg, Beschluss vom 23. Juni 2008 - 2 - 39/08 (REV)- 1 Ss 107/08 - zitiert nach juris Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Eine andersartige Widerrufsanlasstat kann nur ganz ausnahmsweise Bedeutung haben, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls in Betracht kommt zu prüfen, ob entgegen der grundsätzlichen Indizwirkung des Bewährungsversagens der andersartige kriminologische Charakter der Widerrufsanlasstat gegen eine drohende weitere zukünftige Straffälligkeit spricht (OLG Hamburg, Beschluss vom 23. Juni 2008 - 2 - 39/08 (REV) - 1 Ss 107/08 - zitiert nach juris Rn. 17). In der Regel wird indes kein Anlass zu einer solchen Prüfung bestehen, da sich die Legalprognose nicht dadurch verbessert, dass der Verurteilte durch die Widerrufsanlasstat gezeigt hat, dass er bereit ist, zusätzlich weitere Rechtsgüter zu verletzen (BayObLG, NStZ- RR 2003, 105, 106 mit weiteren Nachweisen). Nur bei Gelegenheits- und Bagatelltaten kann sich eine andere Bewertung ergeben (OLG Düsseldorf, StV 1983, 338), wobei der Senat der Auffassung zuneigt, ein Bagatelldelikt in diesem Sinne nur bis zur Grenze von 1/3 des Höchstwertes der Geringwertigkeit im Sinne des § 248 a StGB anzunehmen (vergleiche dazu: OLG Oldenburg, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 9 Ss 266/08 -, zitiert nach juris Rn. 10, 11, 12 mit weiteren Nachweisen), ohne dass dies vorliegend vom Senat zu entscheiden wäre.

Dem Widerruf steht auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht - Strafrichter - Lüdenscheid lediglich eine - äußerst mäßige - Geldstrafe verhängt hat. Zwar ist das Gericht, dass über den Widerruf der Strafaussetzung entscheidet, nicht an die Legalprognose, die dem Geldstrafenerkenntnis zugrunde lag, gebunden. Allerdings schließt es sich regelmäßig der Legalprognose des erkennenden Gerichts an, die auf der mittels überlegener Erkenntnismitteln fußenden sach- und zeitnäheren Legalprognose des Tatgerichts beruht. Dies setzt allerdings voraus, dass das erkennende Gericht bei seiner Prognose von zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, seine Wertung rechtsfehlerfrei ist und sich die tatsächlichen, für die Prognose bedeutsamen Umstände nicht geändert haben. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Orientierung des Widerrufsgerichts an der im angefochtenen Urteil getroffenen Legalprognose, wonach die Verhängung einer Geldstrafe als ausreichend erachtet wurde, ausgeschlossen. Denn das Amtsgericht - Strafrichter - Lüdenscheid hat bei dem Geldstrafenerkenntnis entscheidende Umstände nicht berücksichtigt. Dazu gehören insbesondere das Bewährungsversagen, die schnelle Rückfallgeschwindigkeit und die fehlende Warnfunktion, die die durch das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 31. Januar 2008 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe auf den Angeklagten gerade nicht auszuüben vermocht hat. Nicht auszuschließen ist ferner, dass das Widerrufsgericht zusätzliche Umstände, wie etwa weitere und unter Umständen einschlägige Vorbelastungen, die in den Gründen des angefochtenen Urteils nicht mitgeteilt werden, bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat, was der Senat anhand seiner revisionsrechtlichen Erkenntnisquellen nicht beurteilen kann.

Nach alledem ist der Bewährungswiderruf in dem Verfahren des Amtsgerichts Lüdenscheid zu 72 Ls 68/07 nicht derart fernliegend, als dass eine Erörterung des drohenden Widerrufs der Strafaussetzung hätte unterbleiben dürfen.

Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht - Strafrichter - Lüdenscheid unter Berücksichtigung des drohenden Widerrufs, den es selbst ausweislich der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO als möglich angesehen hat, auf der Grundlage der - im Übrigen nicht vollständigen - Strafzumessungserwägungen - 10 zur Verhängung einer (noch) niedrigeren Geldstrafe gekommen wäre (§ 337 Abs. 1 StPO).

Das angefochtene Urteil war demnach im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, wobei der Schuldausspruch bestehen bleiben konnte.

Das Amtsgericht wird die für die Strafzumessung nach § 46 StGB wesentlichen Umstände, zu denen neben dem drohenden Bewährungswiderruf insbesondere der bisherige Werdegang des Angeklagten einschließlich sämtlicher Vorstrafen, sein Bewährungsversagen, die schnelle Rückfallgeschwindigkeit, der Grad der von der Verurteilung durch das Amtsgericht Lüdenscheid vom 31. Januar 2008 ausgehenden Warnfunktion und eventuell der konkrete Anlass der Tat - soweit dies für die Strafzumessung von Bedeutung ist - auf der Grundlage entsprechender Feststellungen zu erörtern haben, wobei der Senat nicht ausschließt, dass die - äußerst mäßige - Geldstrafe unter Beachtung von § 358 Abs. 2 S. 1 StPO durch das neue Rechtsfolgenerkenntnis unter Berücksichtigung sämtlicher für die Strafzumessung bedeutender Umstände nicht bzw. nicht wesentlich unterschritten wird.

Ende der Entscheidung

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