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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.08.2006
Aktenzeichen: 2 Ss 241/06
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56
StPO § 354
Auch bereits länger zurückliegende Vorstrafen des Angeklagten haben grundsätzlich noch Bedeutung bei der Bewährungsentscheidung.
Beschluss

Strafsache

gegen P.A.

wegen versuchten Einbruchdiebstahls.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der kleinen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 16. Februar 2006 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 08. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 349 Abs. 2, 354 Abs. 1 b Satz 1 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der Revision im Übrigen im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

Die Kosten der Revision trägt der Angeklagte.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Recklinghausen vom 24. Oktober 2005 ist der Angeklagte wegen versuchten Einbruchdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt worden. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bochum durch Urteil der kleinen auswärtigen Strafkammer Recklinghausen am 16. Februar 2006 mit der Maßgabe verworfen, dass dieser unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 9. November 2005 - 98 Ds 614 Js 7/05 AK 246/05 - nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt ist. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat nur hinsichtlich des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe Erfolg. Im Übrigen war sie gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

1. Zutreffend ist die Strafkammer zunächst - was das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen hat - von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen. Die im Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 24. Oktober 2004 zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen bilden eine ausreichende Grundlage für die vom Berufungsgericht zu treffende Rechtsfolgenentscheidung (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., 2006, § 318 Rn. 16; Ruß in Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., 2003, § 318 Rn. 7). Die Bezugnahme der Strafkammer auf die den Schuldspruch tragenden erstinstanzlichen Feststellungen war zulässig und ausreichend klar; sie geschah genau, zweifelsfrei und in einer die Klarheit und Sicherheit der Gesamtdarstellung nicht gefährdenden Weise (vgl. hierzu KK-StPO/Engelhardt, a.a.O., § 267 Rn. 5).

Im Übrigen weist der Senat auf Folgendes hin: Soweit die Revision anführt, die Strafkammer habe zu Unrecht tilgungsreife Vorbelastungen strafschärfend herangezogen, findet dies anhand der im Urteil enthaltenen Angaben zu den Vorverurteilungen - nach Zeitpunkt, zugrunde liegender Straftat sowie Art und Höhe der verhängten Strafe - keine Stütze.

Im Hinblick auf die zahlreichen Vorbelastungen des Angeklagten und sein festgestelltes Bewährungsversagen ist auch die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtsfehlerfrei. Die Entscheidung über die Strafaussetzung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dies gilt sowohl für die Annahme einer günstigen Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB als auch für die Gesamtbeurteilung der in der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten liegenden Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB. Die hierauf bezogene Würdigung ist vom Revisionsgericht im Zweifel bis an die Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, solange das Tatgericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung nicht von unvollständigen, unrichtigen oder widersprüchlichen Feststellungen ausgegangen ist. Die Überprüfung beschränkt sich auf Rechts- und Ermessensfehler (BGH NStZ-RR 2005, 38; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., 2006, § 56 Rn. 25). Enthält die nach § 56 Abs. 1 StGB getroffene Prognoseentscheidung des Tatrichters keine unvollständigen, unrichtigen oder widersprüchlichen Feststellungen, so hat das Revisionsgericht den im Übrigen bestehenden weiten tatrichterlichen Bewertungsspielraum zu respektieren (BayObLG, Urteil vom 8. Dezember 1994, 3 St RR 135/94).

Auf dieser Grundlage lässt das angefochtene Urteil Rechtsfehler nicht erkennen. Das Revisionsvorbringen erschöpft sich vielmehr in einem Angriff auf die eigentliche Prognoseentscheidung des Gerichts und zwar gerade insofern, als es um die Gesamtabwägung und die Gewichtung der im Einzelnen nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Entscheidungskriterien geht. Insoweit ist aber die Grenze des Vertretbaren, bis zu der das Revisionsgericht die Entscheidung des Tatrichters zu respektieren hat, im vorliegenden Fall nicht erreicht.

Zwar ist zutreffend, dass die einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten heute teilweise längere Zeit zurückliegen; gleichwohl war es der Berufungskammer aber nicht verwehrt, diese Vorstrafen bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zu berücksichtigen. Aus der strafrechtlichen Vorgeschichte des Angeklagten ergibt sich nämlich, dass dieser in den letzten 20 Jahren immer wieder mit einschlägigen Diebstahlstaten in Erscheinung getreten ist, wenn auch zwischen den einzelnen Verurteilungen mitunter Abstände von mehreren Jahren lagen. Diese Rückfallkonstanz trägt die Versagung der Strafaussetzung im vorliegenden Fall (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 14. September 2000, 3 Ss 891/00). Bei einem derart von Straftaten geprägten Vorleben ist in aller Regel eine erneute Strafaussetzung nicht zu verantworten. Bei einem Täter, der wiederholt, auch einschlägig straffällig geworden ist und schon mehrfach innerhalb von Bewährungszeiten versagt hat, kann die Vollstreckung einer erneut verhängten Freiheitsstrafe in der Regel nur dann abermals nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, denen entnommen werden kann, dass er sich in Zukunft straffrei führen wird. Denn dieser Täter hat durch die neue Straftat gezeigt, dass er nicht willens oder fähig ist, sich frühere Verurteilungen zur Warnung dienen zu lassen, und dass früher gestellte günstige Prognosen unzutreffend waren (KG Berlin, Urteil vom 20. November 2000, (4) 1 Ss 102/00 59/00 ). Zwar können nach Begehung der Tat dennoch neue Tatsachen hervorgetreten sein, die trotz einer so extrem negativen strafrechtlichen Vergangenheit die weitere Erprobung des Angeklagten in Freiheit rechtfertigen. Solche neu hinzugetretenen Tatsachen hat das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil aber nicht festgestellt. Sie sind insbesondere auch nicht darin zu sehen, dass die Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe einen wirtschaftlichen und sozialen Rückschlag bedeuten würde. Dies sind nämlich typischerweise mit einem Freiheitsentzug einhergehende Erschwernisse, die der Angeklagte wegen seiner erneuten Delinquenz hinzunehmen hat. Dem Angeklagten günstige prognostische Folgerungen lassen sich daraus nicht herleiten.

2. Der Gesamtstrafenausspruch des angefochtenen Urteils konnte allerdings keinen Bestand haben. Die gemäß § 55 StGB erfolgte Bildung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 9. November 2005 verhängten beiden Einzelstrafen erweist sich als rechtsfehlerhaft. Insoweit lagen die gesetzlichen Voraussetzungen der Rechtskraft dieser Entscheidung zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung nicht vor, da die vom Angeklagten und seinem Verteidiger zu Protokoll der Strafkammer in der Berufungshauptverhandlung erklärte Berufungsrücknahme zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung dem zuständigen Gericht in Hagen (noch) nicht zugegangen war. Die Rechtsmittelrücknahme wirkt jedoch - wie der Verzicht - ex nunc, d.h. erst im Augenblick ihres Eingangs beim zuständigen Gericht tritt Rechtskraft ein (OLG Karlsruhe NStZ 1997, 301; KK-Ruß, a.a.O., § 302 Rn. 14). Der hierin liegende Verstoß gegen § 55 StGB begründet die Verletzung des materiellen Rechts.

3.

Der vorstehend festgestellte Rechtsfehler führt jedoch nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung. Vielmehr hat der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 354 Abs. 1b StPO zu entscheiden. Nach der durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz eingefügten Neuregelung kann das Revisionsgericht die Entscheidung über eine Gesamtstrafe dem Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO u.a. dann überlassen (Abs. 1b Satz 1), statt die Sache zur neuen Verhandlung in einer Hauptverhandlung zurückzuverweisen, wenn es lediglich um die Bildung einer erstmalig festzusetzenden Gesamtstrafe geht (Meyer-Goßner, a.a.O., § 354 Rn. 31). Soweit ersichtlich ist das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 9. November 2005 mittlerweile rechtskräftig bzw. wird mit Zugang der Akten dort rechtskräftig werden, weshalb nunmehr erstmalig eine Gesamtstrafe festzusetzen ist. Damit entspricht die vorliegende Fallgestaltung der, die der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 354 Abs. 1b StPO im Auge hatte. § 354 Abs. 1b StPO soll Urteilsaufhebungen durch das Revisionsgericht in den Fällen vermeiden, in denen es nicht zwingend einer erneuten Hauptverhandlung durch das Tatgericht bedarf. Dadurch "sollen die Ressourcen der Justiz sinnvoll eingesetzt und das Verfahren beschleunigt werden" (BT-Drucks. 15/3482, S. 60). Der Rückgriff auf das bewährte Verfahren einer Entscheidung im Beschlussweg sei geeignet, eine neue zeit- und kostenintensive Hauptverhandlung zu ersparen. Dem Angeklagten entstehe hierdurch kein Rechtsnachteil; er werde vielmehr im Grundsatz so gestellt, als sei die Bildung einer Gesamtstrafe außer Betracht geblieben (vgl. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 81).

Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung obliegt dem nach § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht (vgl. nur BGH NStZ 2005, 376; NJW 2004, 3788; OLG Köln NStZ 2005, 164; VRS 108, 112). Einer Zurückverweisung an dieses Gericht durch das Revisionsgericht gemäß § 354 Abs. 2 StPO bedarf es indes nicht, weil diese Vorschrift nur in "anderen Fällen" als denjenigen des § 354 Abs. 1a und Abs. 1b gilt (BGH NJW 2004, 3788; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 81).

III.

Der Senat konnte auch bereits über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden, da hier hinreichend sicher abzusehen ist, dass das Rechtsmittel des Angeklagten mit dem Teilerfolg zur Gesamtstrafe nur einen geringfügigen Rechtsmittelerfolg erbracht hat. Insofern war zu berücksichtigen, dass die im Beschlussweg zu bildende Gesamtstrafe nicht zur Urteilskorrektur führen darf. War - wie vorliegend durch das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 9. November 2005 - bereits eine Gesamtstrafe (zulässigerweise) gebildet worden, so ist ihre Höhe (hier: Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten) die unterste Grenze der neuen Gesamtstrafe. Die Angemessenheit der erkannten Strafen hat das Gericht nicht zu prüfen. An die tatsächlichen Feststellungen des früheren Urteils ist das Gericht gebunden (vgl. zum Ganzen Meyer-Goßner, a.a.O., § 460 Rn. 15). War - wie vorliegend - zudem die Strafaussetzung für alle einbezogenen Strafen abgelehnt worden, so darf auch die Gesamtstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden (Meyer-Goßner, a.a.O., § 460 Rn. 17). Der Senat hat dem Angeklagten daher gemäß § 473 Abs. 4 StPO die Kosten des Rechtsmittels insgesamt auferlegt.

Ende der Entscheidung

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