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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.09.2004
Aktenzeichen: 2 Ss 243/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 216
StPO § 267
Hat das Tatgericht auf Freispruch erkannt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten weiterhin erhebliche Verdachtsmomente bestanden, muss es in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten.
2 Ss 243/04 OLG Hamm

Verkündet am 15. September 2004

Strafsache

gegen M.S.

wegen Steuerhehlerei

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Bochum gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 12. Januar 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Revisionshauptverhandlung vom 15. 09. 2004, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender, Richter am Oberlandesgericht und Richterin am Oberlandesgericht als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bochum - erweitertes Schöffengericht - hatte den Angeklagten am 13. März 2001 wegen gemeinschaftlicher Steuerhehlerei zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bochum mit dem angefochtenen Urteil das verurteilende Erkenntnis des Amtsgerichts aufgehoben und den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen das freisprechende Berufungsurteil des Landgerichts wendet sich die Staatsanwaltschaft Bochum mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision vom 12. Januar 2004, die am 13. Januar 2004 beim Landgericht Bochum eingegangen ist. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Urteilszustellung am 10. März 2004 mit einem am 06. April 2004 bei dem Landgericht Bochum eingegangenen Schreiben mit der Aufklärungsrüge sowie mit der Sachrüge begründet.

Mit der Aufklärungsrüge rügt die Staatsanwaltschaft die unterbliebene Beiziehung und Einführung der Akten aus dem Verfahren 716 VRs 394/98 der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg. In dem dieses Verfahren abschließenden Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg sei festgestellt worden, dass der Angeklagte bereits im Jahre 1996 13.800 Stück unverzollter und unversteuerter Zigaretten in das Bundesgebiet eingeführt hatte. Die Beiziehung dieses Urteils hätte sich der Kammer aufdrängen müssen, da sich aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen Bundeszentralregisterauszug ergeben habe, dass der Angeklagte in jenem Verfahren wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Die Kenntnis und entsprechende Würdigung dieser einschlägigen Vorverurteilung hätten im Zusammenhang mit der festgestellten Indizwirkung der aufgefundenen ausgehöhlten Holzbalken sowie der ebenfalls festgestellten Kenntnis des Angeklagten von der Schmugglertätigkeit des Zeugen H. zum Beweis der Tatbeteiligung des Angeklagten herangezogen werden müssen und wären geeignet gewesen, die Zweifel der Kammer an der Tatbeteiligung des Angeklagten zu beseitigen.

Mit der Sachrüge führt die Revision aus, das angefochtene Urteil genüge nicht den nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestehenden Begründungsanforderungen an ein freisprechendes Erkenntnis. Die Feststellungen der Kammer seien lückenhaft, da sie Umstände unberücksichtigt gelassen habe, die für die Überzeugungsbildung von Bedeutung sein konnten. Es fehle vollständig die Erörterung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten sowie eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Vorstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg. Insbesondere Letztere stelle ein weiteres Indiz für eine Tatbeteiligung des Angeklagten dar und hätte seitens der Kammer in die Beweiswürdigung mit einbezogen werden müssen.

Darüber hinaus habe sich die Kammer nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob die getroffenen Feststellungen nicht zumindest eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu der Tat des Mitangeklagten und wegen Steuerhehlerei Verurteilten H. tragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der Revision unter näherer Begründung beigetreten.

II.

Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft Bochum ist auch in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum, § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Die Revision der Staatsanwaltschaft Bochum hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.

Das Landgericht hat sich trotz bestehender Verdachtsmomente nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte am Tattag, dem 19. April 2000, in der Halle auf dem Betriebsgelände XXXXXXXXin Recklinghausen unversteuerte und unverzollte Zigaretten angeliefert hat, die dann u. a. von den Mitangeklagten und wegen Steuerhehlerei verurteilten H. und B. zum Weiterverkauf übernommen wurden.

Der Tatrichter hat sich lediglich darauf beschränkt, aufgrund sich widersprechender Zeugenaussagen nicht ausschließen zu können, dass der Angeklagte sich entsprechend seiner Einlassung zum Tatzeitpunkt in Holland auf einem Campingplatz in Winterswijk aufgehalten habe und demzufolge trotz bestehender Verdachtsmomente als Täter ausscheide.

Diese Beweiswürdigung der Kammer hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

Zwar muss das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; das Revisionsgericht hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m. w. Nachw.). Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen auch dann, wenn sie erkennen lassen, dass das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (vgl. Urteil des BGH vom 06. August 2003 in 2 StR 180/03, www.bundesgerichtshof.de).

Vorliegend erweist sich die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils als lückenhaft. Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab. Dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Das Tatgericht hat vielmehr auf Freispruch erkannt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten weiterhin erhebliche Verdachtsmomente bestanden haben. Bei einer solchen Sachlage muss es in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH, NStZ-RR 2000, 171; BGH, NStZ-RR 2003, 369).

Dem wird das angefochtene Urteil jedoch nicht gerecht. Es hat nämlich Umstände unberücksichtigt gelassen, die für die Überzeugungsbildung von Bedeutung sein konnten.

So lässt das Urteil jegliche Auseinandersetzung mit dem strafrechtlich relevanten Vorleben des Angeklagten und seiner möglichen Verstrickung in den Zigarettenschmuggel des Mitangeklagten H. vermissen. Eine diesbezügliche Erörterung drängte sich vorliegend auf, nachdem der Angeklagte sich dahin eingelassen hatte, den Mitangeklagten H. bereits seit sechs Jahren zu kennen und um dessen Schmugglertätigkeit zu wissen.

Für die Beweiswürdigung begründet deshalb die rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten wegen eines gleichgelagerten Deliktes (hier: Steuerhinterziehung) durch das Amtsgericht Neubrandenburg nicht nur ein gravierendes Indiz für die Täterschaft des Angeklagten auch im vorliegenden Fall (vgl. hierzu BGH, NStZ - RR 2002, 338,339), sondern die der rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen begründen möglicherweise auch Schlussfolgerungen auf eine mögliche Tatbeteiligung des Angeklagten im hier zu entscheidenden Fall.

Zudem hatte der Angeklagte eingeräumt, die in der fraglichen Halle aufgefundenen ausgehöhlten Holzbalken dort gelagert zu haben, da er diese angeblich beim Hausbau in Holland verwende. Auch damit hatte sich die Kammer nicht befasst, obwohl solche Balken nach den Feststellungen des Landgericht gewöhnlich für den Schmuggel von Zigaretten benutzt werden.

Schließlich finden sich neben der bloßen Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten im Urteil keine Angaben dazu, woher der Angeklagte die Kenntnis von den illegalen Zigarettengeschäften des H. erlangt hatte und in welchem möglichen Zusammenhang er - der Angeklagte - mit dem Zigarettenschmuggel des H. stand. Aus diesen fehlenden Angaben hätten sich möglicherweise Erkenntnisse über die dem Angeklagten vorgeworfene Tatbeteiligung ergeben, die bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung andere Schlussfolgerungen und damit eine andere Beurteilung zugelassen hätten.

Die Staatsanwaltschaft rügt des weiteren zu Recht, dass die Kammer sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob die von ihr getroffenen Feststellungen nicht zumindest eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu der Tat des H. tragen. Der Angeklagte hat nach eigenen Angaben - wohlwissend um die Schmugglertätigkeit des Mitangeklagten H. - den anderweitig Verfolgten Kusmanov zu der fraglichen Halle gefahren, damit dieser dort Ladetätigkeiten für den Mitangeklagten H. verrichtet.

Ende der Entscheidung

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