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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.07.2008
Aktenzeichen: 2 Ss 262/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
Um den Beweiswert der Aussage eines Zeugen zum Wiedererkennen nach einer Wahllichtbildvorlage durch das Revisionsgericht sachgerecht würdigen zu können, ist es erforderlich, nähere Feststellungen zu Inhalt und Qualität der Wahllichtbildvorlage zu treffen, insbesondere auch dazu, ob sie den Anforderungen der Ziffer 18 RiStBV genügte.
Beschluss

Strafsache

gegen K.J.

wegen versuchter räuberischer Erpressung u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 12. Februar 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 07. 2008 durch den Vorsitzenden den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - hat gegen den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und versuchter Körperverletzung (§§ 223, 249, 253, 255, 316a Abs. 1, 22, 23, 52 StGB, 1, 3 JGG) einen Dauerarrest von zwei Wochen verhängt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte zunächst Rechtsmittel eingelegt und dann - nach Urteilszustellung am 01. April 2008 - mit am 02. Mai 2008 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage erklärt, dass das Rechtsmittel als Revision geführt werden soll. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache vorläufig Erfolg. Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist lückenhaft.

Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des schweigenden Angeklagten u.a. wie folgt begründet:

"Das Gericht folgt der glaubhaften Aussage des Zeugen R.. Dieser hat den Angeklagten bei einer Wahlbildvorlage zu 70 - 80 % wiedererkannt und ihn auch von der Person her zutreffend beschrieben.

Er habe das Gesicht des Angeklagten trotz der Dunkelheit kurz gesehen, als dieser unter der Laterne hervortrat, um um das Auto herumzugehen. Die Aussage ist deshalb glaubhaft, weil der Zeuge R. den Angeklagten auf einem Lichtbild wiedererkannte, obwohl ihm dieser zuvor nicht als Verdächtiger von der Polizei vorgeführt worden war, er diesen also allein aufgrund seiner Erinnerung identifizieren konnte."

Die Generalstaatsanwaltschaft weist zutreffend darauf hin, dass dies den obergerichtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung im Fall einer Lichtbildvorlage und des (wiederholten) Wiedererkennens nicht genügt. Nach den tatrichterlichen Ausführungen kam der Wiedererkennung des Angeklagten durch den Zeugen R. im Rahmen der durch die Polizei durchgeführten Lichtbildvorlage maßgebende Bedeutung für die Überführung des Angeklagten als Täter der ihm zur Last gelegten Tat zu. Bei dieser Sachlage hätte die Beweiswürdigung des Tatrichters aber eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Erörterung der subjektiven Gewissheit des Zeugen R. beim Wiedererkennen des Angeklagten anlässlich der Bildvorlage enthalten müssen. Dies gilt hier umso mehr, als der Zeuge den ihm vorher unbekannten Täter während der Tathandlung nur kurze Zeit, als er um das Taxi herumging, in einer spontanen Situation im Rahmen des sich entwickelnden Angriffs auf den Zeugen beobachten konnte. In einem solchen Fall darf sich der Tatrichter aber nicht ohne weiteres auf die Gewissheit des Zeugen beim ersten Wiedererkennen verlassen, sondern muss anhand objektiver Kriterien nachprüfen, welche Qualität eine solche Aussage im Ermittlungsverfahren hatte (vgl. der von der Generalstaatsanwaltschaft angeführte Beschluss des hiesigen 3. Strafsenats vom 29. November 2004 in 3 Ss 467/04 unter Hinweis auf OLG Frankfurt a.M., NStZ 1988, 41; OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, 110; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 109, 110; siehe auch die weiteren Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., 2006, Rn. 871 und Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 512 ff.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Zwar wird mitgeteilt, dass der Zeuge R. im Rahmen der Wahllichtbildvorlage bei der Polizei den Angeklagten zu "70 - 80 wiedererkannt" habe. Um den Beweiswert dieser Aussage sachgerecht würdigen zu können, wäre es aber erforderlich gewesen, nähere Feststellungen zu Inhalt und Qualität der Wahllichtbildvorlage zu treffen, insbesondere auch dazu, ob sie den Anforderungen der Ziffer 18 RiStBV genügte. Im Einzelnen hätte der Tatrichter Feststellungen dazu treffen müssen, wie das Lichtbild des Angeklagten beschaffen und ob es überhaupt zu dessen Identifizierung geeignet war, ferner dazu, wie sich das Erscheinungsbild des Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung darstellt. Weiter wären Feststellungen dazu zu treffen gewesen, welche Personen auf den anderen Lichtbildern der Wahllichtbildvorlage abgebildet waren, insbesondere ob es sich um Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung verglichen mit dem Angeklagten handelte und ob aus der Form der Wahllichtbildvorlage auch nicht erkennbar war, welches der Lichtbilder den Beschuldigten darstellte (vgl. Ziffer 18 RiStBV) (vgl. hierzu OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 110, 111; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 109, 110; OLG Frankfurt NStZ 1988, 41, 42; OLG Zweibrücken, a.a.O.). Insbesondere kann insoweit von Bedeutung sein, ob die verwendeten Lichtbilder die gesamte Statur der jeweiligen Person oder nur ein Portrait zeigten (OLG Zweibrücken, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.). Darüber hinaus kommen Feststellungen dazu in Betracht, welche Einzelheiten der Täterphysiognomie sich der Zeuge R. anlässlich des Tatgeschehens eingeprägt hat und aufgrund welcher konkreten Übereinstimmung er in der Lage war, das Lichtbild des Angeklagten im Rahmen der Lichtbildvorlage als das des Täters zu identifizieren. Mit ggf. festgestellten Mängeln des Vorlageverfahrens und der hierdurch bedingten Beeinträchtigung des Beweiswerts der Täteridentifizierung muss sich zudem das tatrichterliche Urteil auseinandersetzen, wobei unter Verwendung etwaiger zusätzlicher Beweisanzeichen alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten zu erörtern sind (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Auch muss der Tatrichter mitteilen, ob der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung wiedererkannt hat und sich anderenfalls damit auseinandersetzen, aus welchen Gründen der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht mehr wiedererkannt hat, insbesondere, ob der Angeklagte sein äußeres Erscheinungsbild inzwischen verändert hat, und zwar in Bezug einmal auf das bei der Wahllichtbildvorlage verwendete Lichtbild, dann auf sein Aussehen am Tattage und schließlich in Bezug auf sein äußeres Erscheinungsbild im Rahmen der Hauptverhandlung (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.).

Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung allerdings darauf hin, dass der nun entscheidende Tatrichter nicht gehindert ist, die bereits im angefochtenen Urteil gegen den Angeklagten verwendeten Indizien, die teilweise erhebliches Gewicht haben, erneut zu verwenden und in seine Beweiswürdigung mit einzubeziehen.

Ende der Entscheidung

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