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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.11.2007
Aktenzeichen: 2 Ss 322/07
Rechtsgebiete: StPO, JGG


Vorschriften:

StPO § 140
JGG § 68
Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Jugendgerichtsverfahren.
Beschluss

Strafsache

gegen D.S.

wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 26. Februar 2007 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 11. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Recklinghausen hat den Angeklagten im angefochtenen Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der er neben der materiellen Rüge die Rüge der Verletzung formellen Rechts erhoben hat. Diese hat er auf die Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO i. V. m. § 140 Abs. 3 StPO gestützt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.

Der formellen Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 27. November 2006 legt dem Angeklagten, der bereits strafrechtlich u. a. auch wegen gefährlicher Körperverletzung in Erscheinung getreten ist, eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung zur Last. Im Eröffnungsbeschluss wurde das Verfahren 26 Js 1381/06 StA Bochum, in dem dem Angeklagten ein Diebstahl in einem besonders schweren Fall vorgeworfen wurde, einbezogen. Der Verteidiger des Angeklagten hatte am 20. Februar 2007 beantragt, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Das Amtsgericht teilte darauf mit Telefax vom 23. Februar 2007 mit, dass die Beiordnung als Pflichtverteidiger "zur Zeit nicht in Betracht kommt".

Im angefochtenen Urteil ist der Angeklagte dann zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden. Mit Beschluss vom 12. März 2007 wurde die Pflichtverteidigerbestellung des Wahlanwalts, der an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatte, abgelehnt. Die Ablehnung wurde wie folgt begründet:

"Die Voraussetzungen für eine Bestellung gem. § 140 Abs. 1 StPO liegen nicht vor. Aber auch eine Beiordnung gem. § 140 Abs. 2 StPO kommt nicht in Betracht. Der Angeklagte ist zwar bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, ist aber bisher lediglich zu 3 Wochen Dauerarrest verurteilt worden.

Selbst bei der Annahme von schädlichen Neigungen liegt die Straferwartung nicht über einem Jahr Jugendstrafe.

Der Angeklagte war im Ermittlungsverfahren geständig, so dass auch nicht wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist.

Insbesondere ist nicht erkennbar und auch nicht dargetan, dass der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann.

Der Angeklagte hat sich zwar nach der Tat vom 17.10.2006 in die Psychiatrie begeben, da er Selbstmordgedanken geäußert hat, ist aber bereits nach einem Tag entlassen worden".

III.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben, wie folgt begründet:

"Die Revision hat mit der formellen Rüge eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 5 StPO vorläufig Erfolg, da dem Angeklagten als Heranwachsenden vom Amtsgericht gemäß §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger hätte beigeordnet werden müssen. Dieses hat im Jugendgerichtsverfahren gemäß Nr. 109 Abs. 1, 68 Nr. 1 JGG zu erfolgen, wenn die Bestellung auch für einen Erwachsenen geboten wäre.

Hierin sieht die allgemeine Meinung eine Verweisung auf die Vorschrift des § 140 StPO (vgl. OLG Hamm, NJW 2004, 1338, OLG Koblenz, StV 2007, S. 3). Demnach ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich auch im Jugendstrafrecht dann erforderlich, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist. Bereits hiernach hätte ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müssen, da nach den schwerwiegenden Tatvorwürfen gegen den Angeklagten und der durch das Gericht in den Urteilsgründen festgestellten erheblichen kriminellen Energie sowie seinen Vorbelastungen und der hohen Rückfallgeschwindigkeit nach Verbüßung eines Jugendarrestes durchaus auch eine Freiheitsstrafe von einem Jahr in Betracht kam, zumal der strafmildernde Gesichtspunkt der Benennung seines Mittäters bzgl. des Einbruchdiebstahls vor der Hauptverhandlung nicht absehbar war. Hinzu kommt, dass der Angeklagte nach den Urteilsgründen im Tatzeitraum Selbstmordabsichten geäußert und in der Hauptverhandlung angegeben hat, sich in therapeutische Behandlung begeben zu wollen, mithin eine besondere Schutzbedürftigkeit dieses Angeklagten nahe lag.

Aufgrund der genannten Umstände kann dahinstehen, ob ein Pflichtverteidiger immer dann beizuordnen ist, wenn überhaupt eine Jugendstrafe in Betracht kommt, was nach der hiesigen obergerichtlichen Rechtsprechung zwar nicht so entschieden, jedoch als durchaus in Betracht kommend angesehen wird (Senatsbeschluss vom 17.09.2007 -2 Ss 380/07 -)."

Diesen Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei. Demgemäss hätte das Amtsgericht nicht ohne einen (Pflicht-) Verteidiger für den Angeklagten die Hauptverhandlung durchführen dürfen. Zwar ist der Angeklagte letztlich nur zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Nach den Gesamtumständen kam aber, worauf die Revision zutreffend hinweist, auch eine höhere Strafe, die das Amtsgericht selbst als im Bereich von einem Jahr als möglich ansah, in Betracht. Bei dieser Straferwartung hätte aber dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müssen (vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 17. September 2007 in 2 Ss 380/07 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Senats, insbesondere StraFo 2004, 280). Hinzu kommt, dass der Angeklagte offenbar psychisch belastet ist. Auch dies hätte dem Amtsgericht Veranlassung geben müssen, einen Pflichtverteidiger beizuordnen.

Die Sach- und Rechtslage macht es nicht erforderlich, abschließend zu der Frage Stellung zu nehmen, ob im Jugendgerichtsverfahren immer oder zumindest dann, wenn Jugendstrafe droht, ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist (vgl. OLG Hamm, StrAFo 2004, 280; Burhoff, Handbuch für strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., 2006 An. 1234 m. w. N.).

Ende der Entscheidung

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