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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.10.2007
Aktenzeichen: 2 Ss 392/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 170b
Die Urteilsgründe einer Verurteilung wegen einer Unterhaltspflichtverletzung müssen Angaben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Feststellungen über einen ggf. konkreten überobligatorischen Leistungsbeitrag der Kindesmutter enthalten.
Beschluss

Strafsache

gegen F.B.

wegen Verletzung der Unterhaltspflicht.

Auf die (Sprung)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 29. Juni 2007 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 10. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hagen hat den Angeklagten am 29. Juni 2007 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt.

Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Der Angeklagte ist in zweiter Ehe verheiratet. Er ist Vater von drei Kindern im Alter von 3 - 17 Jahren. Er ist z. Zt. als selbständiger Interviewer tätig und erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von 600 €.

Strafrechtlich ist der Angeklagte noch nicht in Erscheinung getreten.

Der Angeklagte war in erster Ehe mit der Zeugin S. verheiratet. Aus dieser Ehe ist das Kind Manuel Beckenbach, geb. am 26. Juni 1990 hervorgegangen. Nach der Ehescheidung war der Angeklagte verpflichtet, für M.B. einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 450 DM zu zahlen. Dieser Unterhaltspflicht kam der Angeklagte in dem Zeitraum von September 2004 bis Januar 2005 und im Zeitraum von April 2005 bis Mai 2005 nicht nach, obwohl er zumindest zu Teilzahlungen in der Lage gewesen wäre.

Denn in den genannten Tatzeiträumen war der Angeklagte gemeinsam mit der Frau D. als Immobilienmakler tätig und erzielt aus Immobilienverkäufen Einkünfte in Höhe von 1190 € und 1627,50 € im Monat September 2004, 1443,75 €, 490 € und 290 € im Monat Oktober 2004, 5000 € im Monat November 2004, 2362,50 € im Dezember 2004, 857,50 € im Monat Januar 2005, 4725,04 € im Monat April 2005 und 3850 € im Monat Mai 2005.

Da der Angeklagte seiner Unterhaltspflicht nicht nach kam, musste die Kindesmutter unterstützend eingreifen, um den Unterhalt des Sohnes ausreichend sicherzustellen."

Mit der Revision des Angeklagten, der die Verletzung materiellen Rechts rügt, wird u.a. geltend gemacht, dass keine hinreichenden Feststellungen zum Mindestbedarf des Unterhaltsgläubigers und zur Unterhaltsverpflichtung der Kindesmutter getroffen worden seien.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

Diesen Antrag hat sie wie folgt begründet:

"Die Urteilsfeststellungen sind materiell-rechtlich unvollständig und tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nicht. Ungeachtet der Frage, ob das Urteil ausreichende Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten enthält ( zu vgl. Schönke/Schröder-Lenckner, StGB, 57. Aufl., Rdnr. 22 zu § 170 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 07.09.2006 -4 Ss 373/06 - m.w.N. ), wären unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebensbedarfs des unterhaltsberechtigten Kindes weitergehende Feststellungen zur Leistungsfähigkeit der Kindesmutter erforderlich gewesen. Zu den für die Feststellung der Unterhaltspflicht maßgebenden Tatsachen gehören auch die Umstände, welche die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen Kindern erweitern - § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB - oder begrenzen - § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB - ( zu vgl. BayObLG, StV 2001, 349; OLG Düsseldorf, StV 2001, 349).

Die Eltern haften nach den §§ 1606, 1360 BGB grds. gleichrangig, aber nur anteilsmäßig im Verhältnis ihrer finanziellen Umstände, so dass Leistungen eines Elternteils den anderen nicht entlasten ( Tröndle-Fischer, StGB, 54. Aufl., § 170 Rn. 10 m.w.N.). Hierbei ist bereits in der von der Revision angeführten Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom 30.06.1959 ( NJW 1960, 833) darauf hingewiesen worden, dass die Mutter ihren Anteil im Wesentlichen schon dann leistet, wenn sie das Kind persönlich betreut. Mehr braucht die Mutter zum Unterhalt eines ehelichen Kindes nicht zu leisten. Was sie darüber hinaus aufbringt, weil der Vater seiner anteiligen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, leistete sie an seiner Stelle, indem sie für den säumigen Vater einspringt. Dieses Mehr ist daher nicht in Erfüllung ihrer eigenen Unterhaltspflicht erbracht, die Mutter leistet es vielmehr als "andere" im Sinne des § 170 StGB, welche die Gefährdung des Unterhalts des Kindes damit abwendet ( zu vgl. OLG Celle, a.a.O., S. 834).

Die Urteilsgründe lassen jedoch Angaben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Feststellungen über einen konkreten überobligatorischen Leistungsbeitrag der Kindesmutter gänzlich vermissen."

II.

In Übereinstimmung mit der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat das Rechtsmittel auf die erhobene Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts sind materiell-rechtlich unvollständig und tragen nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170 StGB.

Der Tatbestand des § 170 StGB setzt eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Täters im Sinne des bürgerlichen Rechts voraus, die der Strafrichter selbständig und ohne an zivilrechtliche Entscheidungen gebunden zu sein, zu prüfen hat.

Die getroffenen Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten sind aber unvollständig und tragen - bislang- nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht. Um eine Überprüfung der Leistungsfähigkeit ermöglichen zu können, müssen im Urteil die Beurteilungsgrundlagen genau dargelegt werden ( zu vgl. Schönke/Schröder-Lenckner StGB, 57. Aufl., Rdnr. 22 zu § 170 m.w.N.). Dazu gehören neben den Angaben zur Höhe der Einkünfte die sonstigen Verpflichtungen, namentlich weitere Unterhaltsverpflichtungen des Unterhaltsschuldners, die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Aufwendungen, sonstige Lasten und der Eigenbedarf des Unterhaltsschuldners ( vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07. September 2006, 4 Ss 373/06 = FamRZ 2007, 1199). Bei Einkünften in wechselnder Höhe ist die Leistungsfähigkeit nach einem größeren Zeitraum zu beurteilen ( vgl. Tröndle-Fischer, StGB, 54. Aufl., § 170 Rdnr. 8a m.w.N; OLG Koblenz, NStZ 2005, 641), um dem Unterhaltsverpflichteten die Möglichkeit einzuräumen, unzureichende Einkünfte in einem Monat durch höhere Einkünfte in einem anderen Monat auszugleichen.

Die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil lassen bereits nicht erkennen, ob es sich bei den Einkünften des Angeklagten um Brutto- oder Netto-Beträge handelt. Deshalb kann nicht beurteilt werden, welche Beträge dem Angeklagten tatsächlich zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht auch gegenüber seinen weiteren beiden Kindern im Tatzeitraum zur Verfügung standen.

Überdies bleibt offen, ob der Angeklagte in den Monaten Februar und März des Jahres 2005 überhaupt Einkünfte erzielt hat oder aber eine Erwerbstätigkeit unter Verletzung seiner Obliegenheit zur Aufnahme zumutbarer Arbeit unterlassen hat. Dies wäre aber im Rahmen der Leistungsfähigkeit in dem von der Anklage erfassten Zeitraum zu berücksichtigen. Dabei kann die Nichtannahme einer bezahlten Arbeit dem Angeklagten strafrechtlich nur zum Vorwurf gemacht werden, wenn sicher ist, dass seine Bemühungen in dieser Richtung Erfolg gehabt hätten und er zur Leistung des Unterhalts in der Lage gewesen wäre. Dabei sind die Beurteilungsgrundlagen (tatsächliches oder mögliches Nettoeinkommen, Eigenbedarf, zu berücksichtigende Lasten) im Urteil so genau darzulegen, dass eine Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit möglich ist.

Den Feststellungen lässt sich darüber hinaus nicht hinreichend sicher entnehmen, ob der Angeklagte seinen Unterhaltspflichten in den Monaten Februar und März 2005 - wofür allerdings wenig spricht - nachgekommen ist oder ob die Anklage und das Urteil diesen Zeitraum nur wegen möglicherweise fehlender Leistungsfähigkeit des Angeklagten ausgenommen haben. Das Amtsgericht wird im letzteren Fall, auch durch ergänzende Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten, zu prüfen haben, ob das Dauerdelikt ( vgl. Tröndle-Fischer, StGB, 54. Aufl., § 170, Rdnr. 14) der Unterhaltspflichtverletzung im angeklagten Tatzeitraum mit Ablauf des Januar 2005 beendet und dann erneut ab April 2005 begangen worden ist oder ob es sich insgesamt nur um eine Tat handelt.

Schließlich lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass sich das Amtsgericht der besonderen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen bewusst gewesen ist. Das Amtsgericht hat auf die Einzelstrafen von jeweils vier Monaten "erkannt", ohne besondere Umstände in der Person des Täters oder der Tat, die die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen unerlässlich machten, zu benennen. Es sind aber in der Regel jedenfalls dann erhöhte Anforderungen an die Begründung einer unter sechs Monate liegenden Freiheitsstrafe zu stellen, wenn es sich um einen bislang noch nicht bestraften Täter handelt. Insbesondere in einem solchen Fall bedarf es zusätzlich einer Erörterung, warum auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht verzichtet werden kann (vgl. Beschluss des Senats vom 02. Juni 1999 in 2 Ss 566/99). Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen ( zu vgl. BGHSt 24, 40, 42; Tröndle-Fischer, StGB, 54. Aufl., § 47 Rdnr. 2). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Die Umstände, die zur Ablehnung der Geldstrafe geführt haben, müssen in den Urteilsgründen regelmäßig angegeben werden ( OLG Schleswig, StV 1982, 367; 1993, 30). Dieser Erörterungspflicht wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Das angefochtene Urteil war deshalb insgesamt aufzuheben und die Sache nach § 349 Abs. 4 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hagen zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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