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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.06.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 401/2000
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 90 b
StGB § 90 a Abs. 1 Nr. 1
StPO § 265
StPO § 203
Leitsatz

1. Wird im Eröffnungsbeschluss die Tat versehentlich fehlerhaft anders als in der Anklage bezeichnet, die Anklage des Staatsanwaltschaftaber im übrigen unverändert zugelassen, führt das (Schreib)Versehen nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses.

2. Rügt der Angeklagte einen Verstoß gegen § 265 Abs. 1 StPO, weil er wegen mittäterschaftlicher Begehung eines Delikts verurteilt worden ist, obwohl die Anklage von Alleintäterschaft ausging, ohne dass ihm ein rechtlicher Hinweis erteilt worden sei, so hat er grundsätzlich den Inhalt der zugelassenen Anklage mitzuteilen. Wird das Unterlassen, ist das ausnahmsweise unschädlich, wenn das Revisionsgericht vom Inhalt der Anklageschrift bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung des Vorliegens einer Prozessvoraussetzungen Kenntnis zu nehmen und auch genommen hat.

3. Zur Beruhensfrage beim Fehlen eines an sich erforderlichen rechtlichen Hinweises.


Beschluss

Strafsache gegen R.K.,

wegen Verunglimpfung des Staates

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 8. Dezember 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13.06.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 4. August 1999 wegen Verunglimpfung des Staates zu einer Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 30,- DM verurteilt worden. Überdies sind "die aufgefundenen und sichergestellten oder beschlagnahmten Flugblätter (Ewig lebt der Toten Tatenruhm) ... eingezogen" worden. Seine hiergegen eingelegte Berufung ist durch Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 8. Dezember 1999 verworfen worden. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er neben der allgemeinen Sachrüge auch die formelle Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO in zweifacher Hinsicht erhoben hat. Zum einen rügt er, dass der dem Verfahren zugrunde liegende Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Hagen vom 25. März 1999 die vorgeworfene Tat als "Verunglimpfung von Verfassungsorganen", also als Straftat gemäß § 90 b StGB bezeichnet, die Verurteilung jedoch ohne einen Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO wegen einer Tat der "Verunglimpfung des Staates" gemäß § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgt sei. Zum anderen sei er wegen mittäterschaftlicher Begehung (§ 25 Abs. 2 StGB) verurteilt worden, ohne dass ein entsprechender Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO erteilt worden sei. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision erweist sich als insgesamt unbegründet. Zu erörtern sind allein drei Aspekte.

1.

Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob der Verurteilung des Angeklagten ein Prozesshindernis - hier ein unwirksamer Eröffnungsbeschluss - entgegen steht (vgl. insoweit OLG Hamm in VRS 98, S. 199/200), ergibt, dass dies nicht der Fall ist. Zwar hat der Amtsrichter in seinem Eröffnungsbeschluss die Tat fehlerhaft als "Verunglimpfung von Verfassungsorganen", also als eine Tat im Sinne des § 90 b StGB, bezeichnet, er hat aber gleichzeitig die Anklage der Staatsanwaltschaft Hagen vom 16. Februar 1999 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. In dieser war dem Angeklagten eine Tat gemäß § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, also eine "Verunglimpfung des Staates" vorgeworfen worden und wegen eines Vergehens nach dieser Vorschrift ist der Angeklagte auch in erster und zweiter Instanz verurteilt worden. Deshalb war das Verfahren von vornherein und für die Verteidigung und den Angeklagten ersichtlich auf die der Anklageschrift zugrunde liegenden und dort mitgeteilten Tatumstände und deren rechtliche Einordnung begrenzt und beschränkt, so dass es sich bei der im Eröffnungsbeschluss niedergelegten fehlerhaften Bezeichnung als "Verunglimpfung von Verfassungsorganen" um ein sich bis in das Berufungsverfahren fortwirkendes offensichtliches Schreibversehen handelt, welches auf die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses als unverzichtbare Verfahrensvoraussetzung keinen Einfluss hatte. Denn selbst die Fehlerhaftigkeit eines Eröffnungsbeschlusses würde nicht zu dessen Unwirksamkeit (vgl. BGH NStZ 1985, S. 464) führen.

2.

Die formelle Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO i.V.m. § 25 Abs. 2 StGB ist zwar entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft in noch ausreichender Form i.S.d. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ausgeführt und damit zulässig. Rügt der Revisionsführer, der Angeklagte sei wegen mittäterschaftlicher Begehung eines Delikts verurteilt worden, obwohl die Anklage von Alleintäterschaft ausging, so hat er grundsätzlich den Inhalt der zugelassenen Anklage mitzuteilen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., zu § 265 StPO Rdnr. 47), um dem Revisionsgericht die Überprüfung der behaupteten Abweichung und damit die Feststellung der Erforderlichkeit eines Hinweises gemäß § 265 Abs. 1 StPO zu ermöglichen. Wenngleich die Revisionsbegründungsschrift diesen Anforderungen nicht genügt, da sie den Inhalt der dem Verfahren zugrunde liegenden Anklage nicht mitteilt, hat der Senat von deren Inhalt bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung des Vorliegens der Prozessvoraussetzungen Kenntnis zu nehmen und aufgrund der behaupteten Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses auch genommen, so dass hier eine nochmalige Wiedergabe ihres Inhaltes in der Revisionsbegründungsschrift entbehrlich erscheint.

Die Rüge erweist sich aber als unbegründet. Zum einen ergibt sich dies schon daraus, dass es eines rechtlichen Hinweises gemäß § 265 Abs. 1 StPO in Bezug auf § 25 Abs. 2 StGB nicht bedurfte. Denn Gegenstand der Anklage war ausweislich ihres Inhaltes mittäterschaftliches Handeln, da dem Angeklagten dort lediglich das Verfassen der inkriminierten Flugblätter als presserechtlich Verantwortlicher zur Last gelegt und sodann deren Verbreitung aus dem Kreis seiner Sympathisanten dargestellt worden ist. Damit identisch sind das Urteil erster Instanz und das angefochtene Urteil, so dass ein inhaltliches Abweichen von der zugelassenen Anklage, in der allerdings in der Reihe der anzuwendenden Vorschriften § 25 Abs. 2 StGB irrtümlich nicht aufgeführt worden ist, nicht ersichtlich ist.

Selbst wenn man aber einen Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf § 25 Abs. 2 StGB hier für erforderlich hielte, wäre die entsprechende Rüge unbegründet, da vorliegend ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf der behaupteten Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO beruht. Zwar ist bei einem Übergang von Allein- zur Mittäterschaft grundsätzlich wegen der Zurechnung der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen nach § 25 Abs. 2 StGB ein Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO erforderlich (vgl. BGH NStZ-RR 1996, S. 108) und in der Regel beruht ein Urteil auch auf dem unterlassenen Hinweis (vgl. BGH NStZ 1995, S. 247). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte bei einem unterlassenen, aber erforderlichen rechtlichen Hinweis i.S.d. § 265 Abs. 1 StPO nicht auf andere Weise hätte verteidigen können. In diesem Falle ist der Zweck des § 265 Abs. 1 StPO, der der Sicherung einer umfassenden Verteidigung des Angeklagten und seinem Schutz vor Überraschungsentscheidungen und damit auch letztlich seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dient (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., zu § 265 Rdnr. 2) nicht tangiert.

So liegt der Fall aber hier. Schon die Anklage und auch das amtsgerichtliche Urteil gingen davon aus, dass der Angeklagte nicht selbst die inkriminierten Flugblätter verteilt hat, was er im übrigen auch immer in Abrede gestellt hat. Gegenstand der Verhandlung und Verurteilung erster und zweiter Instanz war namentlich der Umstand, dass der Angeklagte als presserechtlich Verantwortlicher der Flugblätter firmierte und mithin maßgeblich an der Herstellung der mit seiner Billigung dann verbreiteten Flugblätter beteiligt war. Nur hiergegen richtete sich inhaltlich seine Verteidigung. Wie der Angeklagte bei Bewertung dieses Umstandes als strafbares Verhalten seine Verteidigung hätte anders einrichten können als geschehen, ist nicht ersichtlich und im Übrigen von der Revision auch nicht dargelegt worden.

3.

Die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge hat insgesamt Fehler zum Nachteil des Angeklagten nicht aufgedeckt. Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft ihren Verwerfungsantrag wie folgt begründet:

"Die auf die Sachrüge vorzunehmende Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, die im Einzelnen auch nicht behauptet werden, nicht auf.

Soweit sich die Urteilsgründe ausdrücklich nicht zu der im erstinstanzlichen Urteil angeordneten Einziehung der bei dem Angeklagten aufgefundenen und sichergestellten Flugblätter verhalten, greift dies den Bestand des Rechtsfolgenausspruches nicht an. Der Inhalt der Flugblätter steht aufgrund des angefochtenen Urteils im Einzelnen fest. Die Voraussetzungen der Einziehung liegen sämtlich vor (§§ 90 a, 92 b, 74 StGB). Es ist anerkannt, dass in einem solchen Fall das Revisionsgericht die - unterbliebene - Einziehung nach § 354 Abs. 1 StPO selbst aussprechen kann (zu vgl. BGHSt 26, 258, 266 m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn nach den Umständen des Falles eine Ausübung des tatrichterlichen Ermessens dahin, dass die beschlagnahmten Schriften wieder freigegeben werden, ausnahmsweise ohne Rechtsfehler nicht möglich ist (vgl. BGHSt a.a.O.). Das ist hier der Fall. Da die Strafkammer die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 04.08.1999, in dem die Einziehung der sichergestellten Flugblätter angeordnet worden ist, verworfen und damit auch diese Entscheidung des erstinstanzlichen Richters bestätigt hat, bedarf es einer Ergänzung der Urteilsformel nicht."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung, da auch das Vorbringen in der Gegenerklärung des Angeklagten vom 29. April 2000 Anlass zu anderer Beurteilung nicht bietet.

Mithin war die Revision, wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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