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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.03.2006
Aktenzeichen: 2 Ss 433/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 46
Zur ausreichenden Begründung der Entscheidung gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe festzusetzen.
Beschluss

Strafsache

gegen S.A.,

geb. am 02. April 1978 in Beirut/Libanon

wohnhaft Hofsteder Straße 141, 44809 Bochum,

wegen Körperverletzung

Auf die (Sprung)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 16. Februar 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 03. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Strafausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Eine Entscheidung des Senats bzw. des Vorsitzenden hinsichtlich des Antrags des Angeklagten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren ist nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bochum wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Dagegen richtet sich nun die Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die materielle Rüge erhoben hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision ist zulässig, hat in der Sache aber nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg.

1. Hinsichtlich des Schuldspruchs hat die Revision keinen Erfolg. Insoweit war sie auf der Grundlage des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Januar 2006, der dem Angeklagten und seinem Verteidiger bekannt ist, gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Die Nachprüfung des Urteils hat Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten nicht erkennen lassen.

Die Revision übersieht, dass das Revisionsgericht von den festgestellten Tatsachen auszugehen hat und die Beweiswürdigung dem Tatrichter obliegt. Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar. Die Beweiswürdigung ist zwar knapp, setzt sich aber noch ausreichend mit der Einlassung des Angeklagten auseinander. Auch der Grundsatz "in dubio pro reo" ist nicht verletzt. Dass möglicherweise der Verteidiger noch Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten hat, ist ohne Belang. Entscheidend ist, ob der Tatrichter Zweifel hatte, den Angeklagten aber dennoch verurteilt hat. Das ist aber erkennbar nicht der Fall.

2. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs war das angefochtene Urteil jedoch aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

Das Amtsgericht hat die festgesetzte Freiheitsstrafe wie folgt begründet:

"Bei der Strafzumessung hat sich das Gericht unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 46 StGB von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Zugunsten des Angeklagten konnte das Gericht die im Kern geständige Einlassung des Angeschuldigten berücksichtigen. Auch konnte strafmildernd berücksichtigt werden, dass sich der Angeklagte hinsichtlich der von ihm verursachten Verletzungen deutlich betroffen zeigte und schon kurz nach der Tat versuchte, sich bei dem Zeugen B. zu entschuldigen. Die schwerwiegende Verletzung des Zeugen und die damit einhergehenden Folgen mussten jedoch strafschärfend berücksichtigt werden. Zu Lasten des Angeklagten musste sich ferner auswirken, dass er bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Auch sprach die massive Vorgehensweise gegen ihn.

Bei Abwägung dieser Umstände konnte hier nur auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden. Der Angeklagte ist bislang zwar nicht einschlägig in Erscheinung getreten, sein Verhalten zeigt aber, dass er nur mit einer deutlichen Freiheitsstrafe zu beeindrucken ist. Die in der Tat zum Ausdruck gekommene Rücksichtslosigkeit erfordert nämlich eine deutliche Einwirkung, die mit der Verhängung einer Geldstrafe nicht im ausreichenden Maße gewährleistet wäre. Auch im Hinblick auf die schwerwiegende Verletzung des Zeugen B. erschien die Verhängung einer Geldstrafe nicht mehr tat- und schuldangemessen. Im Strafausspruch war vielmehr ein gewichtigeres Unwerturteil zum Ausdruck zu bringen. Daher erkannte das Gericht unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte auf eine Freiheitsstrafe von 7 Monaten als tat- und schuldangemessen. ...."

Diese Begründung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Nach allgemeiner Meinung ist die Strafzumessung Aufgabe des Tatrichters. Seine Entscheidung unterliegt der Prüfung nur insoweit, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Strafzumessungserwägungen z.B. deshalb rechtsfehlerhaft sind, weil sie lückenhaft sind, oder wenn der Tatrichter die nach § 46 StGB für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände nicht ausreichend gegeneinander abgewogen hat (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 46 Rn. 108 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Vorliegend ist nach Auffassung des Senats nicht ausreichend begründet, warum gegen den Angeklagten eine Freiheitsstrafe festzusetzen war. Dabei übersieht der Senat nicht die schweren Folgen der Tat des Angeklagten - der Geschädigte hat sich 12 Tage in stationärer Behandlung befunden und musste operativ behandelt werden. Andererseits hätte das Amtsgericht sich aber mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auseinander setzen müssen. Diese hat beim Amtsgericht lediglich eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen beantragt. Warum das Amtsgericht diesen Antrag um mehr als das Doppelte überschritten hat, wird nicht dargelegt. Das folgt auch nicht ohne weiteres aus den Umständen der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten. Das Amtsgericht berücksichtigt nämlich insoweit zugunsten des Angeklagten nicht, dass es sich um eine spontane Tat gehandelt hat, die offenbar auf die aufgeheizte Atmosphäre anlässlich des Fußballspiels zurückzuführen ist. Auch die vom Amtsgericht angeführten Vorstrafen des Angeklagten rechtfertigen die massive und harte Reaktion des Tatrichters nicht. Insoweit hat das Amtsgericht - zumindest nicht erkennbar - nicht berücksichtigt, dass die drei Vorverurteilungen des Angeklagten aus den Jahren 1997, 1998 und 1999 stammen und damit schon länger zurückliegen. Zudem handelt es sich, was das Amtsgericht aber berücksichtigt hat, um nicht einschlägige Vorverurteilungen wegen Diebstahls. Je länger aber eine Vorstrafe zurückliegt, desto geringeres Gewicht besitzt sie bei der Strafzumessung. Weit zurückliegenden Vorverurteilungen kommt, jedenfalls dann, wenn die zugrunde liegenden Straftaten nicht sehr schwer wiegen, für eine schuldangemessene Bestrafung nur noch geringes Gewicht zu. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, ob eine Zäsur erkennbar ist, also z.B. eine längere Zeit straffreier Führung vorliegt. Das lässt sich vorliegend dem angefochtenen Urteil entnehmen, da die Daten der Vorverurteilungen mitgeteilt werden. Dem angefochtenen Urteil lässt sich jedoch das Tatgeschehen, das den Vorverurteilungen jeweils zugrunde gelegen hat, nicht entnehmen. Insoweit ist das angefochtene Urteil daher lückenhaft (§ 267 StPO), da das Tatgeschehen für die Beurteilung des Gewichts der früheren Verurteilungen von erheblicher Bedeutung ist.

Zu Recht beanstandet die Revision schließlich auch, dass sich das angefochtene Urteil nicht mit den wirtschaftlichen Folgen der Tat für den Angeklagten auseinandersetzt und offenbar auch der Umstand, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Ausländer handelt in die Strafzumessung keinen Eingang gefunden hat. Zu letzterem wird aufzuklären sein, ob und wenn ja welche ausländerrechtlichen Folgen sich für den Angeklagten, der nach dem Vorbringen der Revision ausländerrechtlich nur geduldet ist, ergeben.

III.

Eine Entscheidung über den Antrag des Angeklagten, ihm für das Revisionsverfahren einen Pflichtverteidiger beizuordnen, ist derzeit nicht veranlasst. Der Angeklagte hat den Antrag zu Beginn des Revisionsverfahrens gestellt. Er ist vom Strafrichter nicht beschieden worden. Dieses ist nunmehr noch nachzuholen. Es steht dem Senat bzw. dem Vorsitzenden derzeit nicht an, über diesen Antrag zu entscheiden (so auch OLG Stuttgart StV 2000, 414; Senat im Beschluss vom 21. März 2005 in 2 Ss 441/04).

Der Bescheidung durch den Strafrichter kann vorliegend auch nicht entgegengehalten werden, dass eine Pflichtverteidigerbestellung nach Abschluss des Verfahrens nicht mehr möglich ist (vgl. dazu Beschluss des 1. Strafsenats vom 6. 7. 2004, 1 Ws 203/04). Abgesehen davon, dass das Verfahren nicht abgeschlossen ist, verweist der Senat insoweit auf seine Entscheidung in NStZ-RR 2003, 335, die eine ähnliche Fallgestaltung bei der Nebenklage, nämlich einen rechtzeitig gestellten Zulassungsantrag, der aus bei der Justiz liegenden Gründen nicht beschieden worden ist, betraf.

Ende der Entscheidung

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