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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.03.2001
Aktenzeichen: 2 Ss 44/01
Rechtsgebiete: StPO, GG, StGB


Vorschriften:

StPO § 206 a
StPO § 264
GG Art. 103 Abs. 3
StGB § 52
StGB § 53
Leitsatz

Nach Wegfall der fortgesetzten Tat ist eine Beitragsvorenthaltung je Monat gegenüber jeder einzelnen Einzugstelle als eine rechtlich selbständige Tat zu würdigen. Das gilt aber dann nicht, wenn die Unterlassungstaten hinsichtlich aller prägenden Gesichtspunkte innerlich miteinander verknüpft sind, insbesondere, wenn die Leistungsfähigkeit des Angeklagten nur einheitlich festgestellt werden kann.


Beschluss

Strafsache gegen R.P.,

wegen Beitragsvorenthaltung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 26. Oktober 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01.03.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, Richter am Oberlandesgericht und Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt, aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Bochum führte gegen den Angeklagten mehrere Verfahren, in denen ihm jeweils zur Last gelegt worden ist, als Geschäftsführer der Fa. MESS-CONTROL, Elektro-, Mess- und Regelanlagen GmbH in Recklinghausen verschiedenen Krankenkassen die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die Monate August und September 1998 vorenthalten zu haben.

In dem Verfahren 38 Js 91/99 StA Bochum verurteilte ihn das Amtsgericht Recklinghausen am 8. November 1999 wegen Beitragsvorenthaltung in neun Fällen und wegen Untreue rechtskräftig zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 200 Tagessätzen zu je 25,- DM. Dieses Verfahren hatte die Nichtzahlung von Arbeitnehmeranteilen für verschiedene Arbeitnehmer in den Monaten August und September 1998 an die Innungskrankenkasse Münsterland, die Barmer Ersatzkasse, die GKK, die KHH und an die TKK zum Gegenstand.

In dem vorliegenden Verfahren 38 Js 54/00 erhob die Staatsanwaltschaft Bochum am 16. Februar 2000 gegen den Angeklagten Anklage wegen Beitragsvorenthaltung in zwei Fällen. Auch diese Anklage hat die Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen für die Monate August und September 1998 zum Gegenstand, allerdings gegenüber der AOK Westfalen-Lippe. Aufgrund dieser Anklage hat das Amtsgericht Recklinghausen den Angeklagten durch das angefochtene Urteil am 26. Oktober 2000 unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil vom 8. November 1999 zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 300 Tagessätzen zu je 25,- DM verurteilt.

Hiergegen richtet sich die Revision, mit der der Angeklagte die Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses des Strafklageverbrauchs erstrebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206 a StPO einzustellen.

II.

Die (Sprung) Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt nach § 206 a StPO zur Einstellung des Verfahrens wegen Strafklageverbrauchs.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag wie folgt begründet:

"Das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs (Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 Abs. 1 StPO) liegt vor.

Die hier erfolgte Verurteilung des Angeklagten wegen der unterbliebenen Abführung der Arbeitnehmeranteile an die AOK Westfalen-Lippe als Einzugsstelle der öffentlich-rechtlichen Versicherungsanteile (Beitragssätze) für zwei Monate stellt sich rechtlich als dieselben Taten wie diejenigen dar, deretwegen der Angeklagte durch das Amtsgericht Recklinghausen am 08.11.1999 wegen des Nichtabführens der Sozialbeiträge gegenüber anderen Einzugsstellen für dieselben beiden Monate rechtskräftig verurteilt worden ist (Bl. 61 f BA 38 Js 91/99 StA Bochum).

Zwar ist - nach Wegfall der fortgesetzten Tat - die jeweilige Beitragsvorenthaltung je Monat gegenüber jeder einzelnen Einzugsstelle als eine rechtlich selbständige Handlung i.S. des § 53 StGB zu würdigen (LK-Gribbohm, StGB, 11. Aufl., Rdnr. 112 zu § 266 a; Schönke-Schröder-Lenckner, StGB, 25. Aufl., Rdnr. 28 zu § 266 a). Mehrere selbständige Handlungen i.S. des § 53 StGB bilden jedoch dann eine Tat i.S. von § 264 Abs. 1 StPO, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden würde (KK-Engelhardt, StPO, 4.Aufl., Rdnr. 5 zu § 264 m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 06.10.1995 - 3 Ss OWi 269/94).

So liegt es hier. Die unterbliebenen Beitragsabführungen am 15. Tag des Folgemonats gegenüber sämtlichen Einzugsstellen sind nicht als zu demselben Zeitpunkt nur zufällige Unterlassungstaten zu würdigen. Sie sind vielmehr hinsichtlich aller prägenden Gesichtspunkte miteinander innerlich verknüpft, wobei insbesondere die für den Straftatbestand erforderliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten (Tröndle/Fischer, 49. Aufl., Rdn. 12 zu § 266 a) zu den beiden bestimmten Zeitpunkten wirtschaftlich jeweils nur einheitlich festgestellt werden kann.

Da die erhobene Rüge des gegebenen Prozesshindernisses zugunsten des Angeklagten durchgreift, bedarf es einer Erörterung der erhobenen Sachrüge nicht."

Der Senat schließt sich nach eigenständiger Prüfung der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft an und merkt ergänzend folgendes an:

Das Tatbestandsmerkmal der Leistungsfähigkeit im Zeitraum August und September 1998 gilt für sämtliche angeklagten Taten gleichermaßen und verknüpft diese innerlich. Dies gilt um so mehr, als sich die Taten allein durch die unterschiedlichen Gläubiger unterscheiden, was aber für den Angeklagten nur zufällig und nicht beeinflussbar war. Daraus ergibt sich ein einheitlicher Lebensvorgang, der durch die zweifache Anklageerhebung unnatürlich aufgespalten worden ist.

Diese staatsanwaltschaftliche Verfahrensweise vermag keine rechtliche Trennung der Tat im Sinne des § 264 StPO herbeizuführen. Denn das Amtsgericht hätte im zur ersten Verurteilung führenden Verfahren bei entsprechender Kenntnis der Sachlage aufgrund des einheitlichen Lebensvorganges die Befugnis gehabt, die Anklage nach § 265 StPO so umzugestalten, dass es nach einem Hinweis die Taten zum Nachteil der AOK hätte ebenfalls aburteilen können. Stehen aber die abgeurteilten Taten in einer so engen Beziehung, dass sie in demselben Verfahren hätten abgeurteilt werden können, so ist die Strafklage verbraucht, wenn auch nur wegen einer von ihnen rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist ( vgl. KK-Engelhardt, StPO, 4. Auflage, § 264 Rdnr.2).

Damit liegt das sich aus Art 103 Abs. 3 GG ergebende Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs vor, so dass das Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206 a StPO mit der sich aus 467 Abs.1 StPO ergebenden Kostenfolge einzustellen war.



Ende der Entscheidung

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