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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.01.2006
Aktenzeichen: 2 Ss 509/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329
StPO § 344
StPO § 411
1. Zur genügenden Entschuldigung i.S. von § 329 Abs. 1 StPO.

2. Die Verfahrensrüge, die sich darauf stützt, dass die Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist, obwohl in der Hauptverhandlung der Angeklagte in zulässiger Weise vertreten worden ist, ist nur dann ausreichend begründet, wenn vorgetragen worden ist, dass der Verteidiger den Angeklagten auch hat vertreten wollen.


Beschluss

Strafsache

gegen M.R.

wegen Beleidigung u.a.

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 26. September 2005 gegen den Beschluss der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 12. September 2005 und auf die Revision des Angeklagten vom 27. Juli 2005 gegen das Urteil der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 12. Juli 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 01. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 12. Juli 2005 wird auf seine Kosten verworfen.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. Juli 2005 wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Das Verfahren gegen den Angeklagten ist durch einen Strafbefehl eingeleitet worden. Das Amtsgericht hat den Angeklagten, nachdem dieser gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Einspruch eingelegt hatte, mit Urteil vom 19. August 2004 wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Diese ist vom Landgericht mit dem angefochtenen Urteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden. Dagegen wendet sich der Angeklagte nun noch mit seinem Wiedereinsetzungsantrag und der Revision. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsmittel zu verwerfen.

II.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihre Anträge wie folgt begründet:

"a) Die gem. § 46 Abs. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung macht der Angeklagte erneut geltend, er sei durch seinen Pflichtverteidiger in der Hauptverhandlung wirksam vertreten worden. Da der Angeklagte damit sein Wiedereinsetzungsgesuch auf den der Strafkammer bereits bekannten, von dieser in ihrem Urteil verwerteten und als zur Entschuldigung nicht geeignet angesehenen Umstand der fehlenden schriftlichen Vollmacht des Pflichtverteidigers stützt, und somit Entschuldigungsgründe, die der Kammer nicht bekannt waren, nicht vorträgt, kann sein Wiedereinsetzungsgesuch hierauf nicht gestützt werden (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 79, 139, 140 m. w. N.).

Gründe dafür, dass der Angeklagte selbst genügend entschuldigt war, sind in dem Wiedereinsetzungsantrag nicht vorgetragen, insbesondere wird die im Hauptverhandlungstermin geltend gemachte Verhandlungsunfähigkeit wegen Krankheit nicht mehr ausgeführt.

b) Die mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorsorglich eingelegte Revision ist gem. § 342 Abs. 2 StPO statthaft. Mit endgültiger Erledigung des Antrages auf Wiedereinsetzung ist eine Entscheidung des Senats über die Revision auch veranlasst (§ 342 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Obwohl der Angeklagte nicht ausdrücklich die Sach- oder Verfahrensrüge erhebt, genügt die Revision noch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO, da sich aus dem Vorbringen des Angeklagten in dem Schriftsatz seines Verteidigers vom 27.07.2005 hinreichend deutlich ergibt, dass der Angeklagte für den Fall der Verwerfung seines Wiedereinsetzungsantrages eine Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO rügt. Ein solcher Verstoß gegen § 329 StPO ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen, da es sich bei der Verwerfung durch Urteil gem. § 329 Abs. 1 StPO um einen rein verfahrensrechtlichen Vorgang handelt (vgl. OLG Köln, NJW 2001, 1223, 1226 m. w. N.). Mit einer solchen Verfahrensrüge kann nur geltend gemacht werden, dass das Berufungsgericht die Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung verkannt oder seine Aufklärungspflicht verletzt hat, wo hingegen nachträgliches Entschuldigungsvorbringen - revisionsrechtlich - unbeachtlich ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, Rdnr. 46 ff.). An die den behaupteten Verfahrensmangel enthaltenen Tatsachen werden keine hohen Anforderungen gestellt. Es reicht aus, wenn ausgeführt wird, das Berufungsgericht habe das Ausbleiben des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen dürfen (vgl. OLG Köln, StV 1989, 53). Vorliegen ergibt sich aus dem Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten vom 27.07.2005, dass dieser geltend macht, durch seinen Pflichtverteidiger wirksam vertreten worden zu sein. Diese Ansicht geht indes fehl. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der §§ 409 - 412 StPO. Gem. § 411 Abs. 2 StPO, der auch im Berufungsverfahren Anwendung findet (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 411 Nr. 4), konnte demnach der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten werden. Die wirksame Vertretung setzt jedoch grundsätzlich eine schriftliche Vertretungsvollmacht voraus. Dies gilt auch für den Pflichtverteidiger (vgl. Senatsentscheidung vom 16.05.1995 - 2 Ss 427/95 ; Meyer-Goßner, a.a.O., § 411 Rdnr. 5). Eine solche Vollmacht wurde durch den im Hauptverhandlungstermin erschienenen Pflichtverteidiger jedoch nicht vorgelegt. Sie wurde auch zuvor nicht zu den Akten gereicht.

Das Landgericht hat somit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte nicht in zulässiger Weise vertreten worden ist.

Das Landgericht ist auch zu Recht von einer ungenügenden Entschuldigung des Angeklagten ausgegangen. Dieser hat lediglich eine Überweisung des Internisten Dr. Schulte durch seinen Verteidiger vorlegen lassen, in welchem ein blutendes Magengeschwür als Diagnose angeführt ist. Aus dieser Bescheinigung ergibt sich nicht, dass der Angeklagte nach Art und Auswirkung seiner Erkrankung verhandlungsunfähig war. Das Gericht ist seiner Aufklärungspflicht durch telefonische Nachfrage bei dem benannten Internisten und durch informatorische Befragung des in der Hauptverhandlung anwesenden Sachverständigen Dr. Grappke nachgekommen und hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass eine ausreichende Entschuldigung nicht vorliegt."

III.

Diesen Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei und weist zusätzlich auf Folgendes hin:

1.

Der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten war schon deshalb als unbegründet zu verwerfen, weil der Angeklagte mit seinem Antrag keine neuen Tatsachen, die zur Entschuldigung geeignet wären, vorgebracht hat. Nur auf solche kann der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Urteil gestützt werden (vgl. Senat in VRS 96, 439; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142 ; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., 2005, § 329 Rn. 42 mit weiteren Nachweisen). Insoweit ist es zutreffend, wenn die Generalstaatsanwaltschaft darauf verweist, dass die Antragsbegründung vom 27. Juli 2005 sich nur mit der Frage der Vertretung auseinander setzt, neue tatsächliche Entschuldigungsgründe aber nicht vorträgt. Die Antragsbegründung enthält überhaupt kein neues tatsächliches Vorbringen, sondern nur Rechtsausführungen in der Frage der Zulässigkeit der Vertretung des Angeklagten.

2. Die Revision des Angeklagten war nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

a) Soweit der Angeklagte sein Rechtsmittel darauf stützt, dass das Landgericht den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt habe, ist lediglich anzumerken, dass die landgerichtlichen Ausführungen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sind. Sie sind zwar knapp, aber noch ausreichend und lassen erkennen, dass das Landgericht nicht verkannt hat, dass es nicht darauf ankommt, ob der Angeklagte sich genügend entschuldigt hat, sondern, ob er genügend entschuldigt ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen; vgl. u.a. Senat in NStZ-RR 2003, 86 (Ls.) = VRS 104, 145 = NZV 2003, 248).

b) Soweit der Angeklagte geltend macht, die Berufung habe nicht verworfen werden dürfen, da er in der Hauptverhandlung "vertreten" worden sei, ist auf Folgendes hinzuweisen: Dahinstehen kann, ob, da es sich um eine so genannte Bagatellsache im Sinn des § 232 StPO handelt - der Angeklagte ist nur zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt worden - eine Vertretung überhaupt zulässig gewesen ist (vgl. dAzu Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 Rn. 15 mit weiteren Nachweisen).

Denn selbst wenn das der Fall wäre, ist die Revision insoweit nicht ausreichend im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet. Nach allgemeiner Meinung ist der Verteidiger als Vertreter des Angeklagten in der Hauptverhandlung nur erschienen, wenn er seinen Mandanten auch vertreten will (Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 Rn. 16 mit weiteren Nachweisen). Allein die Vertretungsvollmacht genügt nicht. Vielmehr muss der Verteidiger in irgend einer Form auch zur Sache verhandeln (Meyer-Goßner, a.a.O.). Für die Anforderungen an eine Verfahrensrüge, die sich darauf stützt, dass die Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden sei, obwohl in der Hauptverhandlung der Angeklagte in zulässiger Weise vertreten worden ist, hat das dann aber zur Folge, dass vorgetragen werden muss, dass der Verteidiger den Angeklagten auch hat vertreten wollen. Das ist vorliegend nicht geschehen. Es ist lediglich vorgetragen worden, dass der Verteidiger "erschienen" war.

IV. Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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