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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.04.2004
Aktenzeichen: 2 Ss 594/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 267
Stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich auf die Identifizierung durch einen Zeugen, der den Angeklagten in der Hauptverhandlung als Täterin wiedererkannt hat bzw. ihn bereits im Ermittlungsverfahren als Täter identifiziert hat. müssen die Urteilsgründe hinreichend deutlich erkennen lassen, dass sich das Tatgericht des beschränkten Beweiswertes eines solchen wiederholten Wiedererkennens bewusst war . Auch muss der Wiedererkennungsakt nachvollziehbar in den Urteilsgründen dargestellt werden.
Beschluss

Strafsache

gegen L.S.

wegen Diebstahls u.a.

Auf die (Sprung-)Revision der Angeklagten vom 26. Mai 2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Witten vom 22. Mai 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 04. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. §§ 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Witten zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Angeklagte ist vom Amtsgericht wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt worden. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die materielle Rüge erhoben worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie der Senat erkannt hat.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch - zumindest vorläufig - in der Sache Erfolg. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen.

1. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte am späten Nachmittag des 16. November 2001 in Witten aus der Handtasche der Zeugin E.S. deren Geldbörse, in der sich mindestens 120,00 DM befunden haben, entwendet hat. Die Angeklagte hat die Tat bestritten und sich dahin eingelassen, dass sie noch nie in Witten gewesen sei. Das Amtsgericht ist aufgrund der Aussagen der Zeugen S. von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt gewesen. Die Zeugin S. hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung allerdings nicht als Täterin wiedererkannt, der Ehemann der Zeugin hat die Angeklagte hingegen wiedererkannt. Dazu hat das Amtsgericht in seiner Beweiswürdigung ausgeführt:

"Das Gericht folgt der Aussage des Zeugen S. insbesondere auch soweit dieser bekundet, er erkenne die Angeklagte wieder. Dabei kann dahinstehen, ob bei der Wahllichtbilderüberstellung möglicherweise Verfahrensfehler gemacht worden sind. Denn das Gericht stützt seine Aussage ausschließlich auf die Bekundung des Zeugen in der Hauptverhandlung, § 261 StPO."

2. Diese Beweiswürdigung ist lücken- und damit rechtsfehlerhaft, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:

"Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, sodass dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung auf Rechtsfehler nicht möglich ist. Zwar darf das Revisionsgericht die Beweiswürdigung des Tatgerichts nur auf rechtliche Fehler prüfen und nicht durch eigene ersetzen (vgl. BGHSt 10, 208, 211; Meyer-Goßner. StPO, 46. Auflage, § 337 Rdnr. 26), jedoch kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge überprüfen, ob die Urteilsgründe rechtlich einwandfrei, d. h. frei von Widersprüchen, Unklarheiten und Verstößen gegen die Denkgesetze oder gesicherte Lebenserfahrung sind. Die Überlegungen und Schlussfolgerungen brauchen dabei zwar nicht zwingend zu sein; es genügt, wenn sie nach allgemeiner Lebenserfahrung möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGHSt 29, 18, 20). Dem Tatrichter sind aber bei der ihm durch § 261 StPO eingeräumten Freiheit insoweit Grenzen gesetzt, als er die Beweise erschöpfend würdigen muss.

Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten maßgeblich auf die Identifizierung durch den Zeugen S.. Soweit das Amtsgericht dabei darauf abstellt, dass dieser Zeuge die Angeklagte in der Hauptverhandlung als Täterin wiedererkannt hat bzw. diese bereits im Ermittlungsverfahren als Täterin identifiziert hat. lassen die Urteilsgründe nicht hinreichend deutlich erkennen, dass sich das Amtsgericht des beschränkten Beweiswertes eines solchen wiederholten Wiedererkennens bewusst war (vgl. BGHSt 16, 204; OLG Düsseldorf, NStZ 1990, 506; OLG Köln, StV 1994, 67 f.; OLG Hamm - 1 Ss 1018/01 -). Eine Rechtspflicht zur Erörterung dieser Problematik drängte sich für das Amtsgericht auch deshalb auf, weil der Identifizierung durch den Zeugen im vorliegenden Fall eine maßgebliche Bedeutung zukommt (BGH StV 1997, 454).

Das Wiedererkennen durch einen Zeugen beruht auf dem Vergleich zwischen dem gegenwärtigen visuellen Eindruck mit dem Erinnerungsbild über eine frühere Wahrnehmung. Handelt es sich um ein wiederholtes Wiedererkennen, etwa aufgrund vorangegangener Lichtbildvorlagen im Ermittlungsverfahren, kann die Verlässlichkeit des Wiedererkennens schon deshalb fragwürdig sein, weil diese durch das vorangegangene Wiedererkennen beeinflusst wird. Der so gewonnene Eindruck kann das ursprüngliche Erinnerungsbild überlagern, sodass die Gefahr besteht, dass der Zeuge - für sich selbst unbewusst - den gegenwärtigen Eindruck nicht mit dem ursprünglichen Erinnerungsbild, sondern mit dem Erinnerungsbild vergleicht, das auf dem ersten Wiedererkennen beruht. Eine falsche Beurteilung aufgrund der ersten Identifizierung kann sich deshalb bei späteren Konfrontationen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wiederholen. Zwar schließen Fehler bei der Lichtbildvorlage entgegen der Auffassung der Revision die Verwertbarkeit des Wiedererkennens nicht aus, dem Urteil muss jedoch zu entnehmen sein, dass dem Gericht in diesem Fall der Mangel und die mögliche Beeinträchtigung des Beweiswertes bewusst war (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1994, 8; OLG Hamm a. a. O.).

Es hätte deshalb näherer Ausführungen dazu bedurft, welche Ähnlichkeit die Vergleichspersonen nach Alter und äußerem Erscheinungsbild auf den dem Zeugen im Ermittlungsverfahren vorgelegten Lichtbilder miteinander hatten. Außerdem hätte das Amtsgericht sich damit auseinandersetzen müssen, ob die Zusammenstellung der Bilder in einer Form erfolgt ist, die nicht erkennen lässt, wer von den Abgebildeten die Beschuldigte war. Darüber hinaus hätten im Urteil auch Feststellungen dazu getroffen werden müssen, inwieweit die vorgelegten Lichtbilder mit einer eventuellen Täterbeschreibung des Zeugen übereingestimmt haben. Nur so - und gegebenenfalls im Zusammenhang mit einer ergänzenden Beweisaufnahme - kann geklärt werden, ob die Angeklagte allein schon wegen ihres dunklen Hauttyps und eventuell auffälligen Nase eine besondere Aufmerksamkeit des Zeugen bei der Lichtbildvorlage auf sich ziehen konnte.

Aufgrund dieser lückenhaften Beweiswürdigung ist es dem Revisionsgericht nicht möglich zu überprüfen, ob die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht. Das Urteil ist daher aufzuheben und an das Amtsgericht Witten zurückzuverweisen."

Diesen überzeugenden Ausführungen tritt der Senat bei und weist zusätzlich auf Folgendes hin:

Die Ausführungen des Amtsgerichts zum Beweiswert des Wiedererkennens sind völlig unzureichend. Dem angefochtenen Urteil lässt sich noch nicht einmal ansatzweise entnehmen ist, dass sich das Amtsgericht des beschränkten Beweiswertes des wiederholten Wiedererkennens bewusst gewesen ist (vgl. dazu u.a. BGHSt 16, 204 ff.; 28, 210; BGH NStZ 1996, 350; BGH StV 1995 452 = 511, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung und aus der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung u.a. OLG Köln StV 1994, 67; OLG Düsseldorf StV 1994, 8; OLG Rostock StV 1996, 419; vgl. dazu die Literaturnachweise bei Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Aufl., 2003, Rn. 511; aus der Rechtsprechung des Senats zuletzt Beschluss vom 4. März in 2 Ss 30/04).

Unabhängig davon ist das angefochtene Urteil aber auch deshalb aufzuheben, weil der Beweiserhebungsakt für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar dargestellt worden ist. Zwar ist es grundsätzlich allein Aufgabe des Tatrichters, die von ihm erhobenen Beweise zu würdigen und sich auf dieser Grundlage seine Überzeugung von dem Bewiesen- bzw. Nichtbewiesensein einer Tatsache zu bilden. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen (BGH NStZ 1993, 501) und insbesondere besondere Umstände zu erörtern (Meyer-Goßner, a.a.O., § 261 StPO Rn. 11 mit weiteren Nachweisen). Das Revisionsgericht hat das Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung, wenn es frei von Rechtsfehlern ist, hinzunehmen. Das muss das Revisionsgericht jedoch nur, wenn die objektive Grundlage, auf der die Gewissheit des Tatrichters beruht, ausreichend dargelegt ist.

Das ist vorliegend nicht der Fall. Das Amtsgericht hat zum Wiedererkennungsakt keinerlei konkrete Ausführungen gemacht, sondern zu den Angaben des Zeugen S. lediglich ausgeführt: "Wenn er die Angeklagte nunmehr im Gerichtssaal wiedersehe, so sei er sich 100%ig sicher, dass es sich dabei um die Person handele, die er am 16. November 2001 im Ladenlokal der Fa. Sinn beobachtet habe." Damit bleibt völlig offen, aufgrund welcher Umstände der Zeuge die Angeklagte in der Hauptverhandlung wiedererkannt haben will. Damit ist die objektive Grundlage, auf der das Amtsgericht zu seiner Überzeugung gelangt ist, die Angeklagte sei die Täterin gewesen, nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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