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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.02.2003
Aktenzeichen: 2 Ss 72/03 (14/03)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56
Zum erforderlichen Umfang der Begründung der Entscheidung, mit der eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt wird.
Beschluss Strafsache gegen R.D. wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.

Auf die Revision des Angeklagten vom 18. September 2002 gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 13. September 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 02. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Hagen hat gegen den Angeklagten durch Urteil vom 03. Mai 2002 - 64 Ls 304 Js 391/01 (93/01) - wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten erkannt. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung des Angeklagten ist durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 13. September 2002 - 42 Ns 304 Js 391/01 (77/02) - verworfen worden.

Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hat das Landgericht Hagen wie folgt begründet:

"Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe konnte gemäß § 56 Abs. 2 StGB nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Kammer vermag dem bisher nicht bestraften Angeklagten, der sozial integriert lebt und einer geregelten Arbeit nachgeht, zwar eine positive Sozialprognose zu stellen, es liegen aber keine besonderen Umstände vor, die es hier rechtfertigen, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Nach gefestigter Rechtsprechung müssen, um die besonderen Umstände bejahen zu können, Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorliegen, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen. Dabei müssen die besonderen Umstände um so gewichtiger sein, je näher die Strafe an der 2-Jahresgrenze liegt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Auflage, § 56 Rdnr. 9 c mit weiteren Hinweisen auf die Rspr.). Diese Milderungsgründe von besonderem Gewicht vermag die Kammer vorliegend bei Betrachtung aller die Tat und die Persönlichkeit des Angeklagten betreffenden Umstände und der sonst zu berücksichtigenden Tatsachen vor und nach dem Tatgeschehen nicht festzustellen."

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete, seinem Verteidiger am 08. November 2002 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit einem am 19. September 2002 beim Landgericht Hagen eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom 18. September 2002 Revision eingelegt und diese mit einem am 09. Dezember 2002 dort eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers gleichen Datums, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, unter Erhebung der Sachrüge damit begründet, dass die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB für die Aussetzung der Vollstreckung einer ein Jahr überschreitenden Freiheitsstrafe zur Bewährung zu Unrecht verneint worden seien.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil unter Verwerfung der weitergehenden Revision im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist, und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision , an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückzuverweisen.

II.

Die gemäß § 333 StPO statthafte, nach § 341 Abs. 1 StPO rechtzeitig eingelegte sowie gemäß §§ 344, 345, 43 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht begründete Revision ist zulässig. Da der 08. Dezember 2002 auf einen Sonntag fiel, lief die Begründungsfrist erst am 09. Dezember 2002 ab.

Der Revision ist auch in der Sache - zumindest vorläufig - in vollem Umfang Erfolg beschieden.

Entgegen der sich aus dem Antrag auf Verwerfung der weitergehenden Revision ergebenden Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat der Angeklagte die Sachrüge nicht generell, sondern lediglich - wirksam - beschränkt auf die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung erhoben. Denn in dem Schriftsatz vom 09. Dezember 2002 wird "die Verletzung materiellen Rechts mit der Begründung, dass die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB zu Unrecht verneint worden sind" gerügt. Diesem Wortlaut lässt sich eindeutig entnehmen, dass er das angefochtene Urteil nur in diesem Umfang zur Überprüfung durch das Revisionsgericht stellen wollte.

Die so verstandene materielle Rüge ist vollumfänglich begründet, weil die Gründe des landgerichtlichen Urteils insoweit rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Begründung ihres Antrags, das angefochtene Urteil in diesem Umfang aufzuheben, folgendes ausgeführt:

"Die Ausführungen des Urteils zur Frage der Aussetzung der verhängten Strafe zur Bewährung begegnen allerdings rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass das Gericht bei der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten im Rahmen von § 56 Abs. 2 StGB sämtliche relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Zwar hat der Tatrichter bei der Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB einen weiten Bewertungsspielraum, doch ist gleichwohl eine eingehende Abwägung aller Umstände in den Urteilsgründen erforderlich (zu vgl. BGH NStZ 94, 336).

Besondere Umstände im Sinne der vorgenannten Vorschrift sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Höhe der Strafe widerspiegelt, als nicht unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (zu vgl. BGHSt 29, 371; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Auflage, § 56 Rdnr. 9 c): Diese müssen - wovon die Strafkammer zu Recht ausgegangen ist - umso gewichtiger sein, je näher die Freiheitsstrafe an der Zwei-Jahres-Grenze liegt (zu vgl. BGH NStZ 87, 21; Tröndle/Fischer, a. a. O., Rdnr. 9 d).

Die Kammer hat zwar berücksichtigt, dass der Angeklagte unbestraft ist, bisher ein sozial geordnetes Leben geführt hat und einer geregelten Arbeit nachgegangen ist, was für sie auch den Ausschlag gegeben hat, ihm eine günstige Sozialprognose zu stellen. Sie hat jedoch daneben in Betracht kommende, weitere mildernde Gesichtspunkte nicht erkennbar in die erforderliche Gesamtbetrachtung miteinbezogen.

So sind bei der im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB vorzunehmenden Abwägung auch die Folgen, die die Strafverbüßung für die Familie des Angeklagten haben wird, zu berücksichtigen (zu vgl. BGH StV 93, 253; Tröndle/Fischer, a. a. O:, Rdnr. 9 b). Insoweit war zu bedenken, dass der Angeklagte mit seiner jetzigen Ehefrau seit 14 Jahren verheiratet ist und in seinem Haushalt die aus dieser Ehe hervorgegangenen vier Kinder im Alter von drei, sechs, acht und zehn Jahren sowie vier weitere Kinder aus früheren Ehen leben, wobei zumindest die noch minderjährigen Kinder - da die Ehefrau nicht berufstätig ist - finanziell von ihm abhängig sind. Es besteht somit die Gefahr, dass eine Inhaftierung des Angeklagten mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen für dessen Familie verbunden sein wird. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass der bereits 52jährige Angeklagte als Erstverbüßer besonders haftempfindlich ist.

Sollte das Landgericht diese Umstände auch ohne ausdrückliche Erörterung bedacht, diesen aber kein besonderes Gewicht beigemessen haben, so durfte jedenfalls nicht unerörtert bleiben, warum diese Milderungsgründe selbst in ihrer Gesamtheit nicht die Bedeutung besonderer Umstände gewinnen konnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes können nämlich auch solche Umstände, die bei einer Einzelbewertung nur durchschnittliche oder einfache Milderungsgründe wären, durch ihr Zusammentreffen das Gewicht besonderer Umstände erlangen (zu vgl. BGH, StV 98, 260; Tröndle/Fischer, a. a. O., RN 9 e). Dass die Strafkammer eine derartige Überlegung angestellt hat, lässt sich den Urteilsgründen aber nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Die Ausführungen des Urteils begründen vielmehr die Besorgnis, dass das Landgericht die rechtlichen Anforderungen, denen die für § 56 Abs. 2 StGB maßgebliche Gesamtbetrachtung unterliegt, insoweit verkannt hat."

Diesen zutreffenden Darlegungen tritt der Senat nach eigener Prüfung bei und bemerkt ergänzend folgendes:

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils können bestehen bleiben, weil der Rechtsfolgenausspruch bezüglich der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung lediglich wegen einer unzureichenden Würdigung der zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten und seiner Familie getroffenen Feststellungen aufgehoben worden ist. Bei hinreichender Berücksichtigung des Alters, der familiären und finanziellen Situation des nicht vorbestraften Angeklagten sowie der Auswirkungen einer Strafverbüßung auf seine Familie erscheint eine Strafaussetzung zur Bewährung zumindest denkbar, wenngleich es auch nicht ausgeschlossen ist, dass die erforderliche Gesamtabwägung selbst unter Beachtung dieser Gesichtspunkte zu deren Versagung führt. Jedenfalls hätte das Landgericht sich mit den bezeichneten Umständen eingehend auseinandersetzen und seine Entscheidung unter Erörterung auch dieser Kriterien detailliert begründen müssen.

Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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