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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 22.11.2000
Aktenzeichen: 2 Ss 908/2000
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 201 | |
StPO § 264 |
Die Anklageschrift in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz erfüllt ihre Umgrenzungsfunktion auch dann noch, wenn zwar die konkreten Daten der dem Angeklagten im einzelnen vorgeworfenen Taten sowie auch die Menge der jeweils gehandelten Betäubungsmittel im Detail nicht benannt werden, die Anklageschrift aber konkrete Angaben zum Tatzeitraum, zum Tatort sowie zu der Grundzügen der vorgeworfenen Straftaten enthält.
Beschluss[Urteil Strafsache gegen G.F., wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Hagen gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 5. Mai 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 22.11.2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht und Richter am Landgericht als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird, soweit das Verfahren eingestellt worden ist, mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Hagen hat am 22. November 1999 vor dem Amtsgericht Schwelm gegen den Angeklagten Anklage erhoben.
Die vom Schöffengericht Schwelm am 23. Dezember 1999 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage lautet wie folgt:
"Der Gastwirt G.F., ......
wird angeklagt, Anfang 1998 und Anfang 1999
in Schwelm
durch 11 selbständige Handlungen
in 10 Fällen
als Person über 21 Jahre
Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahre abgegeben zu haben
in einem Fall
Betäubungsmittel unerlaubt erworben und eingeführt zu haben.
Dem Angeschuldigten wird folgendes Last gelegt:
1. - 10.
Anfang 1998 verkaufte er in seiner Gaststätte "Café Bonjour" dem am 25.5.1982 geborenen M.K. in 10 Fällen Haschisch für jeweils 10,-- DM oder 20,-- DM (1.-10.).
11.
Anfang 1999 kaufte er in den Niederlanden Haschisch, verbrachte es nach Schwelm und fertigte daraus 5 Joints, die am 14.1.1999 hinter der Theke seiner Gaststätte aufgefunden wurden. ..........."
Das Amtsgericht Schwelm hat den Angeklagten am 18. Januar 2000 wegen gemeinschaftlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in zehn Fällen sowie wegen unerlaubter Einfuhr in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Berufung des Angeklagten, die auf die genannten zehn Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Personen unter 18 Jahren beschränkt worden ist, hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen am 5. Mai 2000 durch das angefochtene Urteil das Verfahren insoweit wegen fehlender Konkretisierung der Anklage nach § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Es soll ihr nämlich an Angaben zu den Tatmodalitäten, zu den im Einzelfall gehandelten Betäubungsmitteln sowie an einem zeitlich begrenzten Tatzeitraum fehlen.
Gegen das Urteil der Strafkammer richtet sich die rechtzeitig eingelegte und mit der Verletzung von Verfahrensrecht begründete Revision der Staatsanwaltschaft Hagen, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Ordnungsgemäß ausgeführt hat die Staatsanwaltschaft die Rüge, die Strafkammer habe zu Unrecht ein Verfahrenshindernis angenommen. Der Revisionsführer hat den Inhalt der Anklageschrift im Wortlaut mitgeteilt, so dass der Senat allein anhand der Revisionsbegründungsschrift zur Prüfung in der Lage ist, ob die Anklageschrift den Anforderungen des § 200 StPO genügt (vgl. OLG Karlsruhe, Justiz 82, 98).
Der Zulässigkeit der Revision steht auch nicht entgegen, dass innerhalb der Revisionsbegründungsfrist kein Revisionsantrag gestellt worden ist. Ein solcher ist immer dann entbehrlich, wenn -wie hier- das Ziel der Revision eindeutig aus der Revisionsbegründungsschrift hervorgeht (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 344 Rdnr. 2 m.w.N.).
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat auf die formelle Rüge auch in der Sache Erfolg, weil die Anklage und der Eröffnungsbeschluss entgegen der Auffassung der Strafkammer wirksam sind.
Dabei ist davon auszugehen, dass die Anklageschrift in prozessualer Hinsicht eine doppelte Bedeutung hat. Über die Bestimmung des Prozessgegenstandes (Umgrenzungsfunktion) hinaus soll sie dem Gericht und dem Angeschuldigten die für die Durchführung des Verfahrens und für die Verteidigung notwendigen Informationen vermitteln (Informationsfunktion). Mängel der Anklageschrift hinsichtlich dieser Funktionen haben aufgrund der verschiedenen Aufgaben unterschiedliche Folgen. Während die die Informationsfunktion betreffenden Schwächen in der Regel noch im Hauptverfahren zu heilen sind, haben Defizite hinsichtlich der Umgrenzungsfunktion die Unwirksamkeit der Anklage zur Folge, so dass die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen ist ( BGHSt 40, 391, 392).
Einen solchen Fehler in der Umgrenzungsfunktion weist die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hagen aber indessen nicht auf. Um dieser Funktion gerecht zu werden, hat die Anklageschrift die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen , dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartig gelagerten strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. BGHSt 40, 44 ff; OLG Düsseldorf JMBl. NW 1995, 237). Es muss klar sein, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Nur wenn die Bestimmung des Prozessgegenstandes anhand der Anklageschrift nicht möglich ist, ist die Anklageschrift und ein auf ihr beruhender Eröffnungsbeschluss unwirksam ( vgl. BGH NStZ 1995, 245 ).
Mit welchen näheren Tatsachen eine Tat in ausreichendem Maß genügend gekennzeichnet ist, lässt sich nicht allgemein sagen (BGH NStZ 1984, 469). Die Anforderungen an die Konkretisierung des Tatvorwurfs sind umso stärker, desto größer die allgemeine Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte andere verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat ( BGHSt 10, 137, 140). Übertriebene Anforderungen an die Konkretisierung dürfen dabei nicht gestellt werden (KK-Tolksdorf, StPO, § 200 Rdnr. 4). Deshalb kann auch bei zum Teil ungenauen Zeitangaben die erforderliche Identität der Tat gegeben sein, wenn die Tat durch andere Umstände als die genaue Zeitangabe so genau konkretisiert wird, dass ihre Individualität und Unterscheidbarkeit von anderen Taten gewahrt ist ( vgl. BGHR StPO, § 200 Abs. 1 S. 1 Tat 14 ).
Sind aufgrund der Vielzahl gleichförmiger Taten, eines lange zurückliegenden Tatzeitraums oder des geringfügigen Alters des Opfers oder Beteiligten konkretere Angaben nicht möglich, reicht es insbesondere bei Serienstraftaten oder bei Taten, die nach der früheren Rechtsprechung zu einer fortgesetzten Handlung zusammengefasst worden wären, zur Vermeidung von gewichtigen Lücken in der Strafverfolgung aus, in der Anklageschrift zunächst die Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung und das Tatopfer bzw. die Tatbeteiligten mitzuteilen. Darüber hinaus muss die Anklage die Anzahl der Taten benennen, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden, da anderenfalls nicht erkennbar ist, ob sich das Urteil innerhalb des von der Anklage gegebenen tatsächlichen Rahmens hält und ob es ihn ausschöpft ( BGHSt 40, 44, 47; OLG Düsseldorf JMBl.NW 1995, 239; KK-Tolksdorf, StPO, § 200 Rdnr. 6 ).
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vom 22. November 1999 wird diesen Grundsätzen gerecht, auch wenn sie nicht die konkreten Daten der einzelnen Taten und die Menge des jeweils gehandelten Betäubungsmittels im Detail benennt. Immerhin enthält die Anklageschrift konkrete Angaben zum Tatzeitraum -Anfang 1998-, zum Tatort -"Café Bonjour" in Schwelm- sowie zu den Grundzügen der vorgeworfenen Straftat und zu dem Verkauf von Haschisch an den Zeugen K. in zehn Fällen. Da dem Angeklagten mit der Anklage Verkäufe an ausschließlich diesen Zeugen angelastet werden, ist durch dessen Benennung die Gefahr einer Verwechselung mit anderen Straftaten des Angeklagten ausgeschlossen. Unklarheiten, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht, bestehen deshalb nicht (vgl. auch BGHR StPO § 200 Abs. 1, Satz 1, Tat 15 ). Die bestehenden Ungenauigkeiten sind -mögen sie auch im Einzelfall die sachgerechte Verteidigung etwas erschweren- zur Vermeidung von Lücken in der Strafverfolgung hinzunehmen (vgl. BGHSt 40, 48). Anderenfalls wäre die Strafverfolgung im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität namentlich im Bereich der Verkäufe an Endabnehmer nahezu ausgeschlossen, da diese aufgrund des gleichförmigen Geschehensablaufs und der Vielzahl der Taten selten konkrete Angaben zur Zeit und zu den im Einzelfall erworbenen Mengen machen können.
Deshalb berühren derartige Ungenauigkeiten die Wirksamkeit der Anklage nicht. Es ist vielmehr Aufgabe des Tatgerichts möglicherweise bestehende Ungenauigkeiten und Unklarheiten aufgrund der Hauptverhandlung durch rechtliche Hinweise nach § 265 StPO zu beseitigen.
Im Hinblick darauf, dass das angefochtene Urteil die ausgeführten Grundsätze nicht im ausreichenden Umfang berücksichtigt hat, war es -soweit das Verfahren eingestellt worden ist- aufzuheben. Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.
Die nunmehr zuständige Strafammer wird im Falle einer Verurteilung mit der bereits rechtskräftig verhängten Strafe eine Gesamtstrafe zu bilden haben.
Ende der Entscheidung
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