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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.12.2002
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 1043/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 20
Eine Verordnung, die die Anleinpflicht für Hunde regelt, wird dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot nur dann gerecht, wenn sich aus der Verordnung selbst allgemeine Ausnahmen vom generellen Anleinzwang ergeben.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen I.T.

wegen Ordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff. OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 16. Oktober 2002 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 09. Dezember 2002 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG bzw. durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Betroffene wird auf Kosten der Landeskasse, die auch ihre notwendigen Auslagen trägt, freigesprochen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene "wegen vorsätzlichen Führens eines Hundes in Grünanlagen ohne Leine eine Geldbuße von 50 EURO" festgesetzt. Nach den getroffenen Feststellungen führte die Betroffene ihren Bouwier-Mischlingshund, der eine Höhe von 63 cm hat, am 5. April 2002 gegen 16.00 Uhr in Bochum unangeleint in der Grünanlage "Monte Schlacko", etwa 20 m von dem dortigen Kinderspielplatz entfernt.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Bochum vom 3. Juli 1986 in der Fassung der Fünften Änderungsverordnung vom 13. März 2002 (im Folgenden kurz: Verordnung) dürfen Hunde nicht ohne Aufsicht umherlaufen. Nach § 9 Abs. 3 dieser Verordnung sind Hunde in U-Bahnanlagen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung, in Fußgängerzonen, bei Veranstaltungen mit Menschenansammlungen, in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie bei Mehrfamilienhäusern auf Zuwegen und in deren Treppenhäusern von aufsichtsfähigen Personen an einer höchstens 1,5 m langen Leine zu führen. In Anlagen im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung - das sind alle der Öffentlichkeit allgemein zugängliche Grünflächen - sind Hunde an der Leine zu führen. Nach § 9 Abs. 4 der Verordnung dürfen Tiere zu öffentlichen Kinderspielplätzen, einschließlich der als solcher ausgewiesener Schulhofflächen, Bolzplätzen, Friedhöfen, Badeanstalten und Spiel- und Liegewiesen nicht mitgenommen werden.

Nach § 17 Abs. 1 der Verordnung können Verstöße gegen die Verordnung mit einer Geldbuße geahndet werden. § 17 Abs. 1 Nr. 15 der Verordnung regelt das unangeleinte Laufen lassen eines Hundes.

Die Betroffene wendet sich mit ihrer Rechtsbeschwerde, deren Zulassung sie zugleich beantragt hat, gegen die auf § 17 Abs. 1 Nr. 15 der Verordnung gestützte Verurteilung. Sie macht insbesondere geltend, dass die Bestimmung über die Anleinpflicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheits- und Übermaßgebot verstoße. Der Verordnung könne nicht entnommen werden, ob und wenn ja welche Flächen von der Anleinpflicht ausgenommen seien.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuzulassen. Klärungsbedürftig ist über den Beschluss des hiesigen 5. Senats für Bußgeldsachen vom 8. April 2001 (5 Ss OWi 1225/00; NVwZ 2002, 765-766 = NWVBl 2001, 490 = NJW 2002, 2191) hinaus die Frage der Rechtmäßigkeit der die Anleinpflicht betreffenden Bestimmungen der Verordnung.

III.

Die somit zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch der Betroffenen.

Der hiesige 5. Senat für Bußgeldsachen hat in seinem erwähnten Beschluss bereits zur Zulässigkeit eines generellen Leinenzwangs für Hunde Stellung genommen und diesen als unverhältnismäßig und damit als einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßgebot angesehen. Dem tritt der Senat ausdrücklich bei.

Der hiesige 5. Senat für Bußgeldsachen hat auch schon darauf hingewiesen, dass das Übermaßverbot durch die Anordnung eines generellen Leinenzwangs (nur) dann nicht verletzt ist, wenn kommunale Verordnungen von dem Leinenzwang "beschränkte öffentliche Flächen, die als solche kenntlich gemacht sind, davon jedoch, jedenfalls zu bestimmten Zeiten, ausnehmen."

Diesem Erfordernis wird die Verordnung der Stadt Bochum nicht gerecht. Sie lässt, worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist, Flächen, auf denen kein Anleinzwang besteht, nicht erkennen. Sie macht noch nicht einmal Angaben dazu, ob solche Flächen überhaupt eingerichtet sind. Soweit das Amtsgericht offenbar meint, dem Einwand gegen die Gültigkeit der Verordnung könne dadurch begegnet werden, dass der betroffene Hundehalter sich nach Auskunft des Verordnungsgebers im Internet und/oder bei der Ordnungsbehörde über so genannte "Hundewiesen" informieren könne, auf denen keine Anleinpflicht besteht, geht dies fehl. Entscheidend für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verordnung und des Verstoßes gegen das Übermaßverbot ist allein die getroffene gesetzliche Regelung in der Verordnung. Die Verordnung wird dem Übermaßverbot nicht dadurch gerecht, dass - aus der Verordnung nicht erkennbar - allgemeine Ausnahmen vom generellen Anleinzwang zugelassen werden. Es kann, insbesondere dem nicht ortsansässigen Hundehalter nicht zugemutet werden, sich im Internet und/oder bei der Ordnungsbehörde zu erkundigen, ob Ausnahmen vorgesehen sind und wenn ja wo. Zumindest die Frage, ob eine generelle Ausnahme vorgesehen ist, muss unmittelbar in der Verordnung zugleich mit der Frage, wer für die Bestimmung der Ausnahme im Detail zuständig ist, geregelt sein.

IV.

Nach allem war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Betroffene mit der Kostenfolge aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO freizusprechen. Die Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG durch einen Richter, die Entscheidung über die zugelassene Rechtsbeschwerde durch drei Richter ergangen (so auch der hiesige 5. Senat für Bußgeldsachen im Beschluss vom 8. April 2001).

Ende der Entscheidung

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