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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.03.2004
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 120/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 267
Zu den Anforderungen an die Ausführungen im tatrichterlichen Urteil, wenn der Tatrichter nicht auf ein von dem Verkehrsverstoß gefertigtes, bei den Akten befindliches Lichtbild von dem Betroffenen Bezug nimmt.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen M.F.

wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 27. November 2003 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 5 S. 1, Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 375,- € verurteilt. Zudem hat es unter Beachtung des § 25 Abs. 2 a StVG gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen überschritt der Betroffene am 26. Februar 2003 auf der BAB A 42 in Herne, Fahrtrichtung Dortmund, die an der Vorfallstelle auf 100 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit um 71 km/h. Der Betroffene hat bestritten, den ihm zur Last gelegten Verkehrsverstoß begangen zu haben. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen auf ein vom Vorfall gefertigtes Lichtbild/Radarfoto sowie die gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten Dr. S. gestützt. Zur Begründung der getroffenen Feststellungen hat das Amtsgericht Folgendes ausgeführt:

"Dieser Sachverhalt ist zur Überzeugung des Gerichts erwiesen aufgrund der in Augenschein genommenen Lichtbilder Bl. 4/32 d.A., des Gutachtens des Sachverständigen Dr. S. und aufgrund gerichtsbekannter Tatsachen."

...

"Zur Klärung der Frage, ob der Betroffene Fahrer des oben genannten Pkw zur Tatzeit gewesen ist, welches ihm als Firmenfahrzeug zur Verfügung steht, hat das Gericht neben der Inaugenscheinnahme des Betroffenen, der erhebliche Ähnlichkeit mit der Person aufweist, die auf dem Radarfoto abgebildet ist, zur Ausschließung letzter Zweifel einen Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten beauftragt.

In der Hauptverhandlung ist der Sachverständige Dr. S. zu dem Ergebnis gekommen, daß der Betroffene ohne jeden Zweifel der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen ist.

Der Sachverständige hat dabei diverse spezifische Merkmale der Person auf dem Lichtbild in Vorbereitung des Termins erfaßt und diese mit dem Betroffenen im Rahmen der Hauptverhandlung gegenübergestellt. Dabei hat sich nicht in einem einzigen Punkt eine Abweichung zwischen den Personen ergeben. Die wichtigsten Punkte lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Stirn: steiler Anstieg der Stirnkontur

Nasenwurzel: flachbogig ansteigend

Augenbrauen: starke Dichte, ab Mitte gradlinig ansteigend

Oberlidregion: niedriges, wenig ausgeprägtes Oberlid, weit auseinanderliegende Augäpfel

Nasenrückenprofilierung: Verbreiterung der Kuppe

Hautoberlippe: niedrige Hauptlippenzone

Hautunterlippe: keine Kinnlippenfurche

Kinnregion: gerader schmaler Formverlauf

Wangenbeine: anliegend

Gesichtsform: schildförmig schmal.

Der Sachverständige hat ausgeführt, daß sich bei keinem Merkmal eine irgendwie geartete Abweichung ergeben hätte. Bei fremden Personen wären jedoch solche von 80 % und bei engen Blutsverwandten solche von mindestens 30 % zu erwarten gewesen.

Zu seiner Methodik hat er ausgeführt, er werte die ihm zur Verfügung gestellten Lichtbilder unter Zuhilfenahme verschiedener technischer Hilfsmittel wie Lupe und Epidiaskop aus. Das ihm zur Verfügung gestellte Bildmaterial sei von guter Qualität. Von der Gesichtskontur seien genügend Einzelheiten abzunehmen gewesen. Nach Auswertung der Bilder werde eine jederzeit nachvollziehbare Merkmalserfassung erstellt. Bei der Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung versuche er dann, die zuvor festgestellten Merkmale bei der lebenden Person wiederzufinden. Dies sei vorliegend zu 100 % möglich gewesen. Das Gericht hat sich dieser Einschätzung des Sachverständigen, dessen Sachkunde unzweifelhaft ist, angeschlossen.

Angesichts des soeben Ausgeführten vermag auch der Einwand der Verteidigung, der Betroffene habe 2 Brüder im Alter von 19 und 22 Jahren, nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen, da keine auch in diesem Fall zu erwartende Abweichung zwischen der Person auf dem Radarfoto und dem Betroffenen selbst feststellbar war und es darüberhinaus lebensfremd erscheint, daß der Betroffene Familienmitgliedern den Firmenwagen ohne zwingende Notwendigkeit überlassen hätte, ohne sich an ein solches Vorkommnis zu erinnern."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er unter näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Überprüfung des Urteils auf die vom Betroffenen erhobene Sachrüge hin lässt Rechtsfehler zu seinem Nachteil nicht erkennen. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung nach §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG.

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft halten die Ausführungen im Urteil zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer anhand des anlässlich des Vorfalls gefertigten Lichtbildes/Radarfotos einer rechtlichen Prüfung Stand. Sie entsprechen gerade noch den Anforderungen, die seitens der obergerichtlichen Rechtsprechung an die Darlegung der Identifizierung des Betroffenen in den Urteilsgründen gestellt werden. Danach müssen die Urteilsgründe dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung der Geeignetheit des Fotos zur Identifizierung des Betroffenen eröffnen. Dies kann in der Weise geschehen, dass sofern das bei den Akten befindliche Foto für eine Identifizierung grundsätzlich geeignet ist, auf dieses vom Tatrichter in den Urteilsgründen gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird. Eine zusätzliche Beschreibung einzelner Identifizierungsmerkmale ist dann entbehrlich (vgl. BGH, NZV 1996, 157; Senat, Beschluss vom 19. Mai 1998 in 2 Ss OWi 553/98 = NStZ-RR 1998, 238, 239; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Februar 2003 in 3 Ss OWi 631/02). Das anlässlich des Vorfalls gefertigte Foto wird aufgrund einer solchen Bezugnahme zum Bestandteil der Urteilsgründe. Die Bezugnahme muss jedoch deutlich und zweifelsfrei sein. Den Ausführungen muss eindeutig zu entnehmen sein, dass das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe gemacht werden soll (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Mai 1998, a.a.O.). Das Rechtsbeschwerdegericht kann dann das Foto aus eigener Anschauung würdigen und beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung geeignet ist.

Eine solche prozessordnungsgemäße Verweisung i.S.d. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das bei der Akte befindliche Lichtbild - die wünschenswert gewesen wäre - findet sich im Urteil des Amtsgerichts jedoch nicht. Soweit das Amtsgericht darauf verweist, dass es den festgestellten Sachverhalt u.a. auf die in Augenschein genommenen Lichtbilder Bl. 4/32 d.A. stützt, handelt es sich lediglich um die Beschreibung des Beweiserhebungsvorgangs, aufgrund dessen sich der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen gebildet hat. Eine deutliche und zweifelsfreie Bezugnahme i.S.d. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO stellt dies nicht dar.

Fehlt aber eine solche Verweisung, muss der Tatrichter durch eine ausführliche Beschreibung der Bildqualität und der charakteristischen Identifizierungsmerkmale der abgebildeten Person dem Rechtsbeschwerdegericht in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglichen, dass dieses zur Identifizierung geeignet ist (vgl. BGH, a.a.O.; Senat, Beschluss vom 19. Mai 1998, a.a.O.).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil (noch) gerecht. So gibt das Amtsgericht in den Urteilsgründen die Beschreibung des Lichtbildes/Radarfotos durch den Sachverständigen Dr. S. wieder. Danach sei das Bildmaterial von guter Qualität, von der Gesichtskontur seien genügend Einzelheiten abzunehmen gewesen. Zudem führt das Amtsgericht zehn Identifizierungsmerkmale auf, die der Sachverständige als spezifische Merkmale der auf dem Lichtbild abgebildeten Person bezeichnet hat und die der Betroffene ebenfalls ohne irgendeine Abweichung aufweist. Bei dieser Beschreibung des Lichtbildes handelt es sich zwar nicht um eine eigene Wertung des Amtsgerichts. Der gesamten Darstellung der Ausführungen des Sachverständigen im Urteil lässt sich jedoch bei einer Gesamtschau entnehmen, dass das Amtsgericht sich diese zu eigen gemacht hat, die Angaben zum Lichtbild also als eigene des Amtsgerichts zu sehen sind.

Nach dieser Beschreibung des Lichtbildes ist von einer hinreichenden Bildschärfe auszugehen. Die aufgeführten Identifizierungsmerkmale sind nach ihrer Anzahl und Individualität noch geeignet und aussagekräftig genug, eine bestimmte Person sicher erkennen zu können.

Da auch die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat, war die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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