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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 160/06
Rechtsgebiete: StPO, BKatV


Vorschriften:

StPO § 267
BKatV § 4
Zur Begründung der Entscheidung, von einem Fahrverbot absehen zu wollen.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen J.R.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit (fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit).

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 25. November 2005 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 27. April 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht (als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie der Betroffenen bzw. ihres Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen.

Gründe:

Der Oberbürgermeister der Stadt Hagen hat mit Bußgeldbescheid vom 6. Juli 2005 gegen die Betroffene wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h ein Bußgeld in Höhe von 65,- € sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats mit der Maßgabe nach § 25 Abs. 2 a StVG festgesetzt, weil die Betroffene am 31. Mai 2005 um 17.05 Uhr in Hagen auf der Delsterner Straße (B 54) in Fahrtrichtung Dahl mit dem PKW XXXXXXXX die auf 50 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um zurechenbare 26 km/h überschritten hatte.

Auf den hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch der Betroffenen hat das Amtsgericht sie durch das angefochtene Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 195,- € verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen.

Zur Sache entsprechen die Feststellungen des angefochtenen Urteils denen des Bußgeldbescheids. Die Betroffene, die in Breckerfeld wohnt und nach längerer Arbeitslosigkeit wieder eine Anstellung als kaufmännische Angestellte in Dortmund gefunden hat und ein monatliches Nettoeinkommen von rund 1.100,- € erzielt, hat den Verkehrsverstoß zugestanden und nach den Gründen des angefochtenen Urteils ergänzend erklärt, dass zu ihren beruflichen Aufgaben auch gehört, Kunden im Außendienst zu besuchen. Nähere Angaben hierzu enthält das Urteil nicht.

Das Amtsgericht hat ferner festgestellt, dass die Betroffene einmal verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Sie hatte am 24. September 2004 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h überschritten. Der gegen sie deswegen erlassene Bußgeldbescheid ist seit dem 20. November 2004 rechtskräftig.

Das Absehen von der Verhängung des noch im Bußgeldbescheid gemäß § 4 Abs. 2 BKatV festgesetzten einmonatigen Regelfahrverbotes hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

"Für diese Ordnungswidrigkeit hielt das Gericht zur Einwirkung auf die Betroffene eine erhöhte Festsetzung der Geldbuße auf 195,- € für angemessen, so dass von einem Fahrverbot abgesehen werden konnte. Denn die Betroffene ist u.a. als Außendienstmitarbeiterin tätig. Durch ein Fahrverbot wäre ihre Existenz gefährdet, da ihr Arbeitgeber die Entlassung in Aussicht gestellt hat."

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die in zulässiger Weise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist und der die Generalstaatsanwaltschaft mit ergänzenden Ausführungen beigetreten ist.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs. Die Erwägungen, aufgrund derer das Amtsgericht von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots abgesehen hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer der Betroffenen bekannt gegebenen Stellungnahme hierzu Folgendes ausgeführt:

"Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hingegen kann keinen Bestand haben. Denn die Erwägungen des Gerichts rechtfertigen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung eines gemäß §§ 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV vorgesehenen Fahrverbots von einem Monat. Zwar unterliegt - worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist - die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (BGH NZV 1992, 286, 287). Sein Entscheidungsspielraum wird durch die gesetzlich niedergelegten oder von der höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Rechtsfolgenzumessungskriterien aber eingeengt und unterliegt auch hinsichtlich der Angemessenheit der Rechtsfolgen in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Beschwerdegericht (zu vgl. Senatsbeschluss vom 20.05.2005 - 2 Ss OWi 108/05 - m.w.N.).

Einen Ausnahmefall für ein Absehen vom Fahrverbot können zwar Härten ganz außergewöhnlicher Art wie z.B. der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen. Eine existenzielle Gefährdung der Betroffenen durch die Verhängung eines Fahrverbots ist aber weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen worden. Im Urteil wird lediglich ohne weiteren Beleg angegeben, dass der Arbeitgeber der Betroffenen ihr für den Fall der Verhängung eines Fahrverbotes die Entlassung in Aussicht gestellt habe. Den Urteilsausführungen ist dabei - worauf die Rechtsbeschwerde ebenfalls zu Recht hingewiesen hat - nicht zu entnehmen, inwieweit die Betroffene in der Lage gewesen wäre, das Fahrverbot zumindest teilweise in der Zeit ihres Jahresurlaubs abzuwickeln und dadurch die beruflichen Auswirkungen des einmonatigen Fahrverbotes zumindest abzumildern. Es fehlt auch an konkreten Darlegungen, für welchen zusammenhängenden Zeitraum der Arbeitgeber bereit und auch verpflichtet wäre, Urlaub zu gewähren. Das Urteil enthält auch keine Feststellungen dazu, ob die Betroffene die den Urlaub überschreitende Restzeit des Fahrverbotes durch eine andere Tätigkeit, die nicht das Führen von Kraftfahrzeugen erfordert, überbrücken könnte und ob eine gleichwohl erfolgte Verhängung eines Fahrverbotes tatsächlich eine Kündigung nach sich ziehen würde. Allein die Möglichkeit einer Kündigung ohne nähere Feststellungen zu deren tatsächlicher Wahrscheinlichkeit und Durchsetzbarkeit vermag ein Absehen von einem regelmäßig zu verhängenden Fahrverbot nicht zu begründen (OLG Hamm, Beschluss vom 17.11.2005 - 3 Ss OWi 717/05 - m.w.N.). Im Übrigen hat das Amtsgericht die Angaben des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und darzulegen, aus welchen Gründen es diese für glaubhaft erachtet (OLG Hamm, VRS 95, 138, 140). Dabei darf die tatrichterliche Überzeugung nicht ausschließlich aus einer wenig aussagekräftigen und nicht näher belegten Einlassung des Betroffenen abgeleitet werden. Vielmehr müssen - ggf. unter Ladung von Zeugen - die näheren Auswirkungen des Fahrverbots ermittelt und in die Erwägungen einbezogen werden, was vorliegend nicht erfolgt ist. Die Urteilsausführungen erschöpfen sich in einer ungeprüften Übernahme der Angaben der Betroffenen zum drohenden Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Darüber hinaus sind berufliche oder finanzielle Nachteile von dem Betroffenen regelmäßig hinzunehmen. Anderenfalls wäre die Verhängung eines Fahrverbots gegen Betroffene, die beruflich auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, praktisch ausgeschlossen (OLG Hamm, Beschluss vom 20.09.2005 - 3 Ss OWi 610/05 -).

Die aufgezeigten Begründungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, da zwischen der verhängten Geldbuße und dem Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht. Eine Entscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht in Betracht, weil - etwa zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen - weitere Feststellungen zu treffen sind."

Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat bei und verweist ergänzend auf die bereits in der Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft und in der vorstehenden Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Senatsentscheidung vom 20. Mai 2005 in 2 Ss OWi 108/05 mit den dort aufgeführten weiteren Nachweisen.

Nach alledem war die Sache hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs aufzuheben und an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückzuverweisen.

Bei der erneut zu treffenden Entscheidung wird das Amtsgericht auch zu berück-sichtigen haben, dass neben den zuvor aufgeführten Gesichtspunkten auch durch die Möglichkeit der Abwicklung des Fahrverbots nach § 25 Abs. 2 a StVG, also innerhalb eines von der Betroffenen selbst zu bestimmenden Zeitraums mit Beginn bis zu vier Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung, wirtschaftliche Nachteile abgemildert werden und insoweit ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. Senats-beschluss vom 3. November 1998 in 2 Ss OWi 1181/98 = NZV 1999, 214 = DAR 1999, 84 = MDR 1999, 92 = VRS 96, 231).

Ende der Entscheidung

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