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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.04.2001
Aktenzeichen: 2 Ss OWi 196/01
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 33
StPO § 145a
Leitsatz

Die Bekanntgabe an den Betroffenen, dass gegen ihn das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden ist, kann auch durch die Übersendung der Akten an den bevollmächtigten Verteidiger zur Einsichtnahme für den Betroffenen stattfinden.


Beschluss Bußgeldsache gegen M.W.,

wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 20. November 2000 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 16.04.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung des Betroffenen gem. § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 20. November 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Lüdenscheid zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Gegen den Betroffenen ist durch Bußgeldbescheid des Landrats des Märkischen Kreises vom 27. Juni 2000 wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung, die der Betroffene am 26. März 2000 begangen haben soll, eine Geldbuße von 760 DM und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt worden. Hiergegen hat der Betroffene Einspruch eingelegt.

Das Amtsgericht hat durch das angefochtene Urteil das Verfahren gegen den Betroffenen wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die dem Betroffenen zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung könne nicht mehr verfolgt werden, weil bereits vor Erlass des am 30. Juni 2000 zugestellten Bußgeldbescheides am 25. Juni 2000 Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Eine die Verjährung unterbrechende Handlung sei nicht erfolgt. Die Unterbrechung der Verjährung sei insbesondere nicht durch die Versendung des "Anhörungsbogens" am 25. April 2000 eingetreten. Dieser "Anhörungsbogen" sei nämlich nicht geeignet gewesen, die Verjährungsunterbrechung herbeizuführen. Die Formulierungen in dem "Anhörungsbogen" hätten nicht ausreichend deutlich gemacht, dass die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung schon zu dem Zeitpunkt dem Betroffenen selbst als Fahrzeughalter zur Last gelegt werde. Der "Anhörungsbogen" habe vielmehr noch der Ermittlung des Fahrzeugführers zur Tatzeit gegolten.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Hagen, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist. Der Betroffene hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat auch in der Sache Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:

"Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird die Verjährung unter anderem durch die Bekanntgabe an den Betroffenen, dass gegen ihn das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden ist, oder durch die Anordnung dieser Bekanntgabe unterbrochen. Für eine derartige Bekanntgabe reichte zwar die Übersendung des Anhörungsbogens an den Betroffenen als Fahrzeughalter nicht aus. Das Amtsgericht hat jedoch verkannt, dass die - verjährungsunterbrechende - Bekanntgabe an den Betroffenen, dass gegen ihn ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden ist, auch durch die Übersendung der Akten an den bevollmächtigten Verteidiger zur Einsichtnahme für den Betroffenen stattfinden kann. Dies folgt aus der gemäß § 46 OWiG entsprechend anwendbaren Regelung des § 145 a Abs. 1 StPO, nach der der Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, als bevollmächtigt gilt, Zustellungen und sonstige - auch formlose - Mitteilungen für den Betroffenen entgegen zu nehmen. Im Übrigen ist die Bekanntgabe der Einleitung des Verfahrens im Wege der Aktenübersendung an den Verteidiger nicht an eine bestimmte Form oder einen bestimmten Inhalt gebunden; es muss für den Betroffenen lediglich ersichtlich sein, dass und wegen welcher Handlung gegen ihn Ermittlungen geführt werden (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.07.1988 - 2 Ss OWi 466/88 - m.w.N.).

Diese Voraussetzungen aber sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Bußgeldbehörde hat unter dem 20.06.2000 (Bl. 11 d.A.). - mithin vor dem Eintritt der Verfolgungsverjährung - die Übersendung der Akten an die Verteidiger des Betroffenen verfügt, nachdem diese mit Schreiben vom 10.05.2000 (Bl. 2 d.A.) unter Überreichung einer Vollmacht des Betroffenen um die Gewährung von Akteneinsicht gebeten hatten. Zu diesem Zeitpunkt - d.h., im Zeitpunkt der Abverfügung der Akten - waren Gegenstand des Bußgeldvorgangs bereits die aus Bl. 1 bis 10 d.A. ersichtlichen Vorgänge, die unter anderem die Ordnungswidrigkeiten-Anzeige vom 25.04.2000 (Bl. 1 d.A,), die den Betroffenen darstellenden Lichtbilder (Bl. 6 d.A.) und die am 18.05.2000 beim Verkehrsdienst Lüdenscheid eingegangene Mitteilung der Kreispolizeibehörde Lüdenscheid über die Identifizierung des Betroffenen als verantwortlichen Fahrzeugführer (Bl. 8 d.A.) enthielten. Aus dem Akteninhalt war somit zweifelsfrei erkennbar, dass und wegen welcher Handlung gegen den Betroffenen ermittelt wird. Damit aber ist die Verjährung in der vorliegenden Sache durch die Anordnung vom 20.06.2000 und die Übersendung der Akten an die Verteidiger zur Einsichtnahme für den Betroffenen - vor dem Ablauf der Dreimonatsfrist des § 26 Abs. 3 StVG - unterbrochen worden. Das Amtsgericht ist danach zu Unrecht von dem Eintritt des Verfolgungsverjährung ausgegangen.

Die fehlerhafte Annahme des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses durch das Amtsgericht nötigt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht."

Dem tritt der Senat nach eigener Prüfung bei und weist ergänzend auf folgendes hin:

Zutreffend war allerdings die Auffassung des Amtsgerichts, die im Übrigen auch von der Staatsanwaltschaft geteilt wird, dass der "Anhörungsbogen" vom 25. April 2000 die Verfolgungsverjährung nicht gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen hat. Denn dieser richtete sich nicht an den Betroffenen als Fahrer des Pkw zur Tatzeit, sondern an den Betroffenen als dessen Halter und diente lediglich der Ermittlung des noch unbekannten Fahrers (zu den Anforderungen an einen Anhörungsbogen, der zur Unterbrechung der Verjährung geeignet ist, siehe der hiesige 4. Senat für Bußgeldsachen in NZV 1998, 340 und Beschlüsse des Senats vom 27. Oktober 1998 in ZAP EN-Nr. 116/99 = DAR 1999, 85 = MDR 1999, 314 = VRS 96, 225 = NZV 1999, 261 = zfs 1999, 265; vom 9. November 1999 in ZAP EN-Nr. 67/2000 = DAR 2000, 81 = MDR 2000, 210 = NZV 2000, 179 = VM 2000, 60 (Nr. 69) = VRS 98, 443; vom 16. November 1999 in ZAP EN-Nr. 67/2000 = DAR 2000, 83 = VRS 98, 209 und vom 4. Februar 2000 in ZAP EN-Nr. 325/2000 = zfs 2000, 269 = MDR 2000, 697 = DAR 2000, 325 = VRS 98, 441.

Das Amtsgericht hat aber übersehen, worauf die Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls zutreffend hinweist, dass die Verfolgungsverjährung durch die Übersendung der Akten an die Verteidiger des Betroffenen am 20. Juni 2000 noch rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung am 25. Juni 2000 unterbrochen worden ist. Es entspricht allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass die verjährungsunterbrechende Wirkung der Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung oder die Anordnung dieser Bekanntgabe im Sinn des § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG auch in anderer Weise als durch Absendung eines Anhörungsbogens erfolgen kann (vgl. u.a. Weller in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 2. Aufl., § 33 OWiG Rn. 20 ff. mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur; aus der Rechtsprechung des OLG Hamm siehe neben dem von der Generalstaatsanwaltschaft angeführten Beschluss in 2 Ss OWi 466/88 noch OLG Hamm in JMBl. NW 1975, 116 und in VRS 44, 307). Entscheidend ist nur, dass die Bekanntgabe, die auch dem bevollmächtigten Verteidiger gegenüber erfolgen kann, für den Betroffenen erkennbar werden lässt, dass und weshalb ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden ist (vgl. u.a. Weller, a.a.O., § 33 OWiG Rn. 21).

Das konnte aber den Verfahrensakten entnommen werden, als sie dem Verteidiger des Betroffenen übersandt wurden. Zu diesem Zeitpunkt war - spätestens nach der Erklärung des Vaters des Betroffenen, dass es sich bei dem auf den Lichtbildern abgebildeten Fahrer des Pkw um seinen Sohn, nämlich den Betroffenen, handelt - klar, dass sich das Verfahren nunmehr gegen den Betroffenen als Fahrer des Pkw zur Tatzeit und damit gegen ihn als Täter der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung richtete. Demgemäss ist in dem der Aktenübersendung beigefügten Übersendungsschreiben des Märkischen Kreises vom 20. Juni 2000 auch der Betroffene als "Betroffener" namentlich genannt. Dass der Vorname des Betroffenen falsch, nämlich als "Marcell" und nicht als "Marcel", angeführt ist, ändert nichts daran, dass aufgrund dieser Aktenübersendung für den Betroffenen eindeutig war, dass er als Fahrer des Pkw zur Tatzeit in Anspruch genommen wurde.

Entgegen der Ansicht des Verteidigers in seiner Stellungnahme folgt nichts anderes daraus, dass er in seinem Anschreiben vom 10. Mai 2000, in dem um Akteneinsicht gebeten wurde, lediglich mitgeteilt habe, dass "wir die rechtlichen Interessen des ......... wahrnehmen". Dabei wird nämlich übersehen, dass die vom Betroffenen unterzeichnete Vollmacht vom 2. Mai 2000 "in Sachen Buß. W." als "Strafprozessvollmacht" erteilt ist. Irgendwelche Einschränkungen enthält die Vollmacht nicht. Sie galt damit nach Ansicht des Senats nicht nur für den Verfahrensabschnitt "Ermittlung des Fahrers" sondern als "Verteidigervollmacht" auch (schon) darüber hinaus. Demgemäss hat der Verteidiger mit Einlegung des Einspruchs durch Schreiben vom 3. Juli 2000 auch eine neue Vollmacht nicht (mehr) vorgelegt, sondern "namens und kraft Vollmacht des Beschuldigten gegen den Bußgeldbescheid..." Einspruch eingelegt.

Ende der Entscheidung

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